Rechtsprechungsdivergenz
Gegenüberstellung von Rechtssätzen
Rüge der Richtigkeit einer Einzelfallentscheidung
1. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende
abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil
andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar seien sollen.
2. Die Wiedergabe einer ganzen einzelfallbezogenen Passage aus einem BSG-Urteil stellt aber keinen Rechtssatz dar.
3. Der bloße Vortrag, dass die Entscheidung des LSG nicht den vom BSG aufgestellten Anforderungen entspreche, rügt lediglich die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, die eine Divergenz
nicht begründen kann.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) freiwillig versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung der Kosten einer
Protonentherapie zur Behandlung eines Prostatakarzinoms (18 978,45 Euro) in der Zeit vom 14.9. bis 14.10.2010 im R Proton
Therapy Center (RPTC) bei der Chirurgischen Klinik Dr. R (CKR) in nebst der Kosten für Übernachtung und Versorgung des Klägers
im Gästehaus (1373,43 Euro) bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung seiner Entscheidung
hat das LSG ua ausgeführt, ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V scheitere daran, dass der Kläger im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keinen Anspruch auf die Sachleistung gehabt habe. Gehe
man davon aus, dass die Protonentherapie im Rahmen einer Krankenhausbehandlung durchgeführt worden sei, könne diese dennoch
nicht zu Lasten der Beklagten erbracht werden. Zwar könne eine - wie hier - neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode in
einem Krankenhaus grundsätzlich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden, bis sie vom Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA) ausgeschlossen worden sei (§
137c SGB V). Die Therapie sei aber nicht als voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung durchgeführt worden und nur unter den Voraussetzungen
des §
116b SGB V in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung als ambulante Krankenhausbehandlung zulässig gewesen, wenn das Krankenhaus im
Rahmen der Krankenhausplanung des Landes auf Antrag des Krankenhausträgers unter Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation
dazu bestimmt worden sei. Hieran fehle es. Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus dem Rahmenvertrag zur Versorgung
mit Protonentherapie vom 4.2.2005 zwischen der CKR und dem BKK Landesverband . Hieran ändere auch die erst zum 1.1.2012 erfolgte
Fusion der DAK und der - einzelvertraglich an den Rahmenvertrag gebundenen - BKK Gesundheit nichts. Sehe man das RPTC nicht
als Bestandteil eines zugelassenen Krankenhauses und sollte die Protonentherapie als ambulante ärztliche Behandlungsmaßnahme
erbracht worden sein, sei ein Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung erst recht ausgeschlossen. Die im RPTC tätigen Ärzte
seien nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und könnten somit keine ambulanten Behandlungsleistungen zu Lasten
der GKV erbringen. Zudem sei die Therapie nicht von der Leistungspflicht der GKV umfasst. Weder habe der GBA in den Richtlinien
nach §
92 Abs
1 S 2 Nr
5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben noch habe der Bewertungsausschuss
die Methode zum Gegenstand des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen gemacht. Auch eine grundrechtsorientierte
Auslegung des Leistungsrechts führe nicht zum Erfolg, weil keine akut und unmittelbar lebensbedrohliche Situation bei dem
Kläger bestanden habe (Urteil vom 23.1.2014).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Gleichzeitig beantragt er
Wiedereinsetzung in die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, soweit zwei Seiten der innerhalb der Begründungsfrist
per Fax übersandten Beschwerdebegründung nicht übertragen wurden und das vor Ablauf der Begründungsfrist zur Post aufgegebene
Original der Beschwerdebegründung nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen ist.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Zwar ist dem Kläger gemäß §
67 Abs
1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist (§
160a Abs
2 S 1 und 2
SGG) zu gewähren, soweit zwei Seiten der Beschwerdebegründung nicht innerhalb der Begründungsfrist eingegangen sind, weil die
Frist unverschuldet versäumt wurde. Jedoch entspricht die Beschwerdebegründung nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
1. Der Kläger legt den Zulassungsgrund der Divergenz nicht in einer den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG entsprechenden Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss
entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen
höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar seien sollen
(vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich
fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2001 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten
Rechtssatzes fehlt es. Der Kläger nennt zwar verschiedene Entscheidungen des BSG, von denen die Entscheidung des LSG abweichen soll. Er stellt aber keine voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze
gegenüber, sondern wiederholt die Begründung der jeweiligen BSG-Entscheidung. Die Wiedergabe einer ganzen einzelfallbezogenen Passage aus einem BSG-Urteil stellt aber keinen Rechtssatz dar (BSG Beschluss vom 17.7.2014 - B 1 KR 32/13 B - RdNr 10). Zudem legt der Kläger auch nicht dar, dass das LSG bewusst von den zitierten Entscheidungen des BSG abgewichen sei, also dass und welche hiervon abweichenden abstrakten Rechtssätze das LSG (vermeintlich) aufgestellt hat.
Er trägt bloß vor, dass die Entscheidung des LSG nicht den vom BSG aufgestellten Anforderungen entspreche. Damit rügt er lediglich die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, die eine
Divergenz nicht begründen kann.
2. Der Kläger legt auch die für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren
entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger stellt die Frage "der Verpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse zur Übernahme der Kosten
der Protonentherapie im Rahmen einer Krankenhausbehandlung" und zum "Übergang von Rechten und Pflichten bei der Fusion von
gesetzlichen Krankenkassen".
Der Senat lässt offen, ob der Kläger damit überhaupt konkrete Rechtsfragen formuliert. Jedenfalls zeigt die Beschwerdebegründung
zur ersten Frage den erforderlichen Klärungsbedarf nicht auf. Hierzu hätte sich der Kläger mit der Geltung des Qualitätsgebots
als Voraussetzung für die Vergütung von Krankenhausbehandlung nach der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 2 Nr 4 RdNr 13 ff mwN, auch für BSGE vorgesehen) und mit der von ihm an anderer Stelle selbst zitierten Entscheidung (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 9) auseinandersetzen müssen, wonach Krankenhausbehandlung nicht bereits deshalb erforderlich ist, weil eine bestimmte
Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden kann, vertragsärztlich aber mangels positiver
Empfehlungen des GBA nicht zu Lasten der GKV geleistet werden darf. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem
Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen
Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38; BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Der Kläger zeigt nicht auf, inwieweit über die oben genannten Entscheidungen hinaus weiterer Klärungsbedarf
bestehen soll.
Auch zu der zweiten "Rechtsfrage" hätte der Kläger darlegen müssen, inwieweit über die von ihm selbst zur KK-Fusion zitierte
Entscheidung (BSG SozR 4-2500 § 175 Nr 1) hinaus weiterer Klärungsbedarf bestehen soll. Der vom Kläger dazu vertretene Standpunkt, es handele sich hierbei um
eine "vollständige öffentlich-rechtliche Rechtsnachfolge", entspricht nämlich im Kern der zitierten Entscheidung (dort RdNr
11).
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.