Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Das LSG hat die Berufung der im Januar 2003 geborenen, pflegebedürftigen Klägerin unter Bezugnahme auf das klageabweisende
Urteil des SG zurückgewiesen, weil nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme kein Anspruch auf die begehrten Leistungen der sozialen
Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III für den Zeitraum vom 4.5.2015 bis 31.12.2016 bestehe. Bei der Klägerin sei danach
von einem Grundpflegebedarf von 196 Minuten täglich zuzüglich eines durch die Mutter schlüssig dargestellten Hilfebedarfs
von 5-10 Minuten für das Zubettgehen auszugehen (Bezugnahme auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten). Entgegen der Auffassung
der Klägerin sei der Hilfebedarf während der Menstruation nicht berücksichtigungsfähig. Bereits das Gesetz stelle mit hinreichender
Deutlichkeit dar, dass bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwands auf die Woche abzustellen sei. Dies
schließe es nach der Rechtsprechung des BSG (Bezugnahme auf Urteile vom 29.4.1999, B 3 P 7/98 R und B 3 P 12/98 R, juris) aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens
einmal wöchentlich anfielen. Aufgrund der dargestellten Beweislage sehe sich der Senat zu einer weiteren Beweiserhebung nicht
veranlasst (Urteil des LSG vom 12.11.2019).
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil. Sie beruft sich
auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und macht Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) geltend; ferner beantragt sie Prozesskostenhilfe.
II
A. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 12.11.2019 ist als unzulässig zu
verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2
SGG).
Nach §
160 Abs
2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung des LSG erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
nicht (stRspr, vgl bereits BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 §
160a Nr
7). Keinen der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hat die Klägerin in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet
(§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach
§
160 Abs
2 Nr
1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit
in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der
aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet worden sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung,
Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich
erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die
Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG Beschluss vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substanzielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich
wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage
ergeben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8).
Die Klägerin hält es für klärungsbedürftig, "ob der durch die Menstruation erforderliche Pflegebedarf unbeschadet ihrer nur
in Wochenabständen auftretenden Regelmäßigkeit, aber einiger Dauer von bis zu sieben Tagen, beim Grundpflegebedarf im Sinne
des §
15 Absatz
1 Nr.
3 SGB XI a.F. zu berücksichtigen ist."
Damit wird eine grundsätzliche Rechtsfrage nicht formgerecht dargelegt. Die Darlegungen in der Beschwerdebegründung genügen
nicht den aufgezeigten Anforderungen an die Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage.
Zunächst ist es bereits zweifelhaft, ob es sich um eine klärungsfähige Rechtsfrage handelt. Die Frage basiert auf Tatsachenelementen
iS einer einzelfallbezogenen Hypothese, die Feststellungen des LSG zu einer Dauer der Menstruation von bis zu sieben Tagen
voraussetzen würde. Dahingehende Feststellungen des LSG fehlen allerdings. Erst mit ihrem letzten Vortrag hat die Klägerin
rechnerisch ausgeführt, dass 9,33 Minuten täglich auf die Menstruation entfallen würden. Unabhängig von der Nachvollziehbarkeit
dieses Vortrages fehlt es mangels Feststellungen des LSG betreffend der vorgetragenen Dauer bereits an der dargelegten Entscheidungserheblichkeit
der gestellten Frage.
Es bleibt ferner offen, auf welche Auslegung bzw welchen Anwendungsbereich einer aktuellen revisiblen Norm des Bundesrechts
(§
162 SGG) sich die gestellte Frage bezieht. Denn die Klägerin bezieht sich mit ihrer Rechtsfrage auf §
15 Abs
3 SGB XI in der Fassung bis 31.12.2016, sodass sie die grundsätzliche Klärung einer Norm des ausgelaufenen Rechts begehrt. Die grundsätzliche
Klärungsbedürftigkeit von ausgelaufenem Recht ist indes in der Regel zu verneinen, es sei denn, dass noch eine erhebliche
Anzahl von Fällen zu entscheiden ist und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage liegt. Für die Statthaftigkeit einer
solchen Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer im Einzelnen die Voraussetzung der Klärungsbedürftigkeit einer
solchen Rechtsfrage darlegen (stRspr vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 19). Solcher Vortrag ergibt sich aus der Beschwerdebegründung aber nicht.
Darüber hinaus fehlt es hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage an einer Darlegung der Klärungsbedürftigkeit, weil sich
die Klägerin nicht hinreichend mit der Rechtsprechung des Senats zum Recht der sozialen Pflegeversicherung auseinandersetzt
und deshalb nicht darauf eingeht, dass die gestellte Frage noch der Klärung bedarf. Der Senat hat nämlich bereits entschieden,
dass bei der Bemessung des Pflegebedarfs nur solche Verrichtungen zu berücksichtigen sind, die notwendigerweise mindestens
einmal wöchentlich anfallen, weil es um "gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens"
(§
14 Abs
1 SGB XI in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung <aF>) gehen muss und der durchschnittliche tägliche Pflegebedarf auf Wochenbasis (§
15 Abs
3 Satz 1
SGB XI aF) zu ermitteln ist, welches bei der Menstruation nicht in Betracht kommt (vgl BSG Urteil vom 31.8.2000 - B 3 P 14/99 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 15 und BSG Urteil vom 14.12.2000 - B 3 P 5/00 R - SozR 3-3300 § 15 Nr 11; BSG Urteil vom 29.4.1999 - B 3 P 7/98 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 10 sowie die ebenfalls vom LSG zitierten Urteile des BSG vom 19.2.1998 - B 3 P 5/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 3 und vom 26.11.1998 - B 3 P 13/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 8, wonach eine lückenlose Erfassung jeglichen Pflegebedarfs nicht gewährleistet werden kann).
Die Klägerin kann auch in Bezug auf das Urteil des Senats vom 19.2.1998 (B 3 P 2/97 R - juris) eine Klärungsbedürftigkeit - unabhängig davon, ob die Ausführungen in diesem Urteil dem Verständnis der Klägerin entsprechen
- nicht aufzeigen. Der Senat konnte dort die Berücksichtigung des Pflegeaufwands für die Menstruation nur mangels Entscheidungserheblichkeit
offenlassen, so dass damit bereits deswegen keine Klärungsbedürftigkeit für den vorliegenden Fall aufgezeigt wird. Zudem folgten
die oben zitierten Entscheidungen dieser aufgezeigten Entscheidung zeitlich nach. Nach diesen späteren Urteilen ist die Rechtsfrage
als bereits höchstrichterlich geklärt anzusehen ist; zwar hat das Revisionsgericht diese noch nicht ausdrücklich entschieden,
jedoch gibt jede dieser höchstrichterlichen Entscheidungen ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde
als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage (vgl zu diesem Kriterium allgemein BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Mit dieser gefestigten Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend auseinander; insbesondere wird nicht dargelegt,
dass der Rechtsprechung in nicht unerheblichem Maße widersprochen worden ist oder dass nunmehr Aspekte zu beachten sind, die
bislang noch keine Beachtung gefunden haben (dazu Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap RdNr 185 mwN).
2. Auch der Zulassungsgrund des Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) wegen eines Verstoßes gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht ist nicht hinreichend bezeichnet worden. Eine Verletzung
des §
103 SGG führt nur dann zur Zulassung der Revision, wenn der geltend gemachte Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht,
dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Jeden anderen Verfahrensmangel, der einen Verstoß gegen §
103 SGG zum Inhalt hat, schließt das Gesetz als Grund für eine Zulassung der Revision aus (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG). Eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des §
103 SGG setzt daher zunächst voraus, dass der bis zur mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, aufrechterhaltene bzw bis
zur Entscheidung angeblich übergangene Beweisantrag genau bezeichnet wird, was hier - unabhängig von der Wirkung des gerichtlichen
Hinweises, dass keine weitere Beweisaufnahme beabsichtigt ist - offenbleiben kann. Denn ein Beschwerdeführer muss ferner angeben,
weshalb das LSG seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe, wenn es dem Beweisantrag nicht gefolgt ist; weshalb sich das LSG
also nach seiner Rechtsauffassung und dem bisherigen Sachstand hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben;
denn nur in einem solchen Falle ist das LSG einem Beweisantrag "ohne hinreichende Begründung" nicht gefolgt (BSG Beschluss vom 22.10.1975 - 8 BU 100/75 - SozR 1500 § 160 Nr 12). Das hat die Klägerin jedoch nicht dargetan.
Teilweise fehlt es in der Beschwerdebegründung bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Beweiserhebung.
Dazu hätte die Begründung aufzeigen müssen, weshalb sich das LSG trotz seiner materiell-rechtlichen Auffassung veranlasst
sehen musste, Beweis über die Einschätzung der Sachverständigen, welche von einem Grundpflegebedarf von 196 Minuten ausging,
zu erheben. Denn die mit dem Beweisantrag begehrte Erhöhung des Grundpflegebedarfs für das Aufstehen und Zubettgehen ist bereits
Inhalt der gerichtlichen Feststellungen. Das SG hat aufgrund der schlüssigen Schilderungen der Mutter diesen Bedarf hinzugerechnet. Hiervon ist das LSG nicht abgewichen,
so dass sich ein dahingehender Beweisantrag erübrigt. Ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG bedurfte es auch keiner Beweisaufnahme
für einen zusätzlichen Grundpflegebedarf für die Menstruation. Ausgehend davon war dieser Aufwand - im Einklang mit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung - nicht den Grundpflegebedarf erhöhend anzusetzen.
Betreffend die weiteren Ermittlungsansätze hat sich das LSG im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung iS des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG eingehend mit den vorhandenen Beweismitteln auseinandergesetzt und ist auch unter Berücksichtigung der Äußerung der Mutter
der Klägerin und der Eindrücke aus dem Erörterungstermin zu dem Ergebnis gelangt, dass das der Entscheidung zugrunde liegende
Sachverständigengutachten den erforderlichen Grundpflegebedarf nachvollziehbar erfasst. Dass LSG hat sich mit jedem der im
Beweisantrag genannten Punkte, die die Klägerin noch nicht hinlänglich ermittelt sieht, ausführlich auseinandergesetzt und
die dahingehend bereits erhobenen Beweise ausführlich gewürdigt (vgl §
136 Abs
1 Nr
6 SGG). Wenn sich die Klägerin nunmehr hiergegen wendet, rügt sie im Kern nur, das LSG habe die Beweise unvollständig bzw unzutreffend
gewürdigt. Eine solche Rüge kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn eine Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung
nach §
128 Abs
1 Satz 1
SGG ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG ausdrücklich ausgeschlossen.
3. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des §
169 Satz 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.
B. Die von der Klägerin für das Beschwerdeverfahren für die bereits insoweit erstellte konkrete Begründung beantragte Bewilligung
von Prozesskostenhilfe ist mangels - wie unter A. dargelegt - hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung
abzulehnen (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO).