Anerkennung eines Schülerunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung beim Inhalieren außerhalb von schulischen Veranstaltungen
bei internatsmäßiger Unterbringung
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der vom Beigeladenen erlittene Unfall als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen
Unfallversicherung anzuerkennen ist.
Der Kläger betreibt im "D. Haus" in Lahr ein heilpädagogisch-therapeutisches Heim und Sprachheilzentrum und im Rahmen dessen
die Heimsonderschule für Sprachbehinderte (im Folgenden: Heimsonderschule), die als Ersatzschule anerkannt ist (vgl. Anerkennungsbescheid
des Ministeriums für Kultus und Sport Baden-Württemberg vom 09.10.1985, Bl. 52 SG-Akte).
Der am 1997 geborene Beigeladene besuchte die Heimsonderschule im Bildungsgang Förderschule ab dem Schuljahr 2004/2005. Grundlage
dessen war die Feststellung eines besonderen pädagogischen Förderbedarfs und der Pflicht zum Besuch einer Schule für Sprachbehinderte
durch das Staatliche Schulamt L. . Die dabei erforderliche Internatsunterbringung erfolgte zur Erfüllung der Schulpflicht
(vgl. Schreiben des Staatlichen Schulamtes L. vom 30.08.2004, Bl. 53 SG-Akte). Entsprechend war der Beigeladene von Montag bis Freitag in der Heimsonderschule untergebracht, wobei die Schüler außerhalb
der Unterrichtszeit in alters- und geschlechtsgemischten Gruppen mit 12 bis 13 Schülern lebten und dabei von jeweils zwei
Erzieherinnen betreut wurden.
Am 18.06.2007, lange nach Unterrichtsende, gegen 17.00 Uhr, erlitt der Beigeladene in den Räumen dieser Einrichtung des Klägers
einen Unfall, bei dem er sich erhebliche Verbrühungen zuzog. Eine Betreuerin hatte dem Beigeladenen zur Behandlung seiner
Erkältung einen Topf mit in heißem Wasser gelöster Salbe zum Inhalieren auf einen Tisch gestellt. Der Topf kippte während
des Inhalierens durch eine ungeschickte Bewegung des Beigeladenen um und das heiße Wasser ergoss sich über dessen Bauch und
Oberschenkel. Deswegen führte der Beigeladene gegen den Kläger einen Rechtsstreit um Schadensersatz vor dem Landgericht Offenburg
(2 O 208/09), der zur Klärung der Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, ausgesetzt ist.
Mit dem Kläger (vgl. Bl. 63 VerwA) und dem Beigeladenen bekannt gegebenem Bescheid vom 18.10.2010 lehnte die Beklagte die
Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 18.06.2007 ab. Zwar seien Schüler gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
8 Buchst. b des
Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB VII) während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen sowie während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach
dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen gesetzlich unfallversichert,
jedoch setze dies voraus, dass die Verrichtung zum Unfallzeitpunkt im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule geschehen
sei. Dies erfordere einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule, der verlassen sei, wenn eine Einwirkung
durch schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet sei. Da der Unfall sich beim Inhalieren auf Grund einer Erkältung
ereignet habe, was dem privaten, eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sei, und zudem gegen 17.00 Uhr innerhalb des Internats,
nachdem der offizielle Schulbesuch bereits um 13.00 Uhr beendet gewesen sei, habe weder ein räumlicher noch ein zeitlicher
Zusammenhang mit dem Schulbesuch bestanden.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, beim Inhalieren des Beigeladenen habe es sich um eine Verrichtung
im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule gehandelt, da Schule und Internat im Sprachheilzentrum L. eine pädagogische
Einheit bildeten. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der weiteren Begründung zurück,
Versicherungsschutz für Internatsschüler bleibe auf solche Verrichtungen beschränkt, die rechtlich wesentlich mit dem Schulbesuch
in Zusammenhang stünden und der schulischen Förderung dienten. Beim Inhalieren habe es sich um eine Maßnahme zur Förderung
bzw. Wiederherstellung der Gesundheit gehandelt, also um eine Verrichtung, die eindeutig der privaten Lebensführung zuzurechnen
sei. Diese Verrichtung habe keine schulische Förderung dargestellt; ein Zusammenhang mit dem Schulbesuch habe nicht bestanden.
Am 20.05.2011 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, bei der Heimsonderschule handele es sich um ein schulartig organisiertes Sprachheilzentrum
mit angeschlossenem Internat. Es handele sich um eine organisatorische und zweckgerichtete Einheit zur Schulung und vollumfänglichen
Betreuung der Schüler, die auch die psychische und physische Betreuung beinhalte. Schule und Internat bildeten eine pädagogische
Einheit. Auch die dem unmittelbaren Schulunterricht nachfolgende internatsmäßige Betreuung diene durch schulische Aufsichtsmaßnahmen
einer Einwirkung auf die geistige und körperliche Entwicklung des Schülers. Im organisatorischen Einfluss der Schule seien
alle Tätigkeiten innerhalb des Verantwortungsbereich der Schule, also Unterricht, Prüfungen, Arbeitsgemeinschaften, Pausen,
Freistunden, sonstige Schulveranstaltungen, internatsbedingte Betreuungsleistungen und vergleichbare Maßnahmen. Das Inhalieren
im Rahmen des schulischen Internatsaufenthalts stelle somit eine Verrichtung im organisatorischen Verantwortungsbereich der
Schule dar. Eine andere Betrachtungsweise würde die Besonderheiten des Sonderschulbetriebs mit angeschlossenem Internat verkennen.
Die Schulunfallversicherung diene nicht nur dem Schutz des verletzten Schülers, sondern darüber hinaus auch der Sicherung
des ungestörten Zusammenlebens von Schülern, Lehrern, Aufsichtspflichtigen und den einer Verletzung schuldigen Mitschülern,
um diese von einer etwaigen zivilrechtlichen Haftung freizustellen. Damit habe das erfolgte Inhalieren zweifellos im organisatorischen
Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen.
Mit Urteil vom 12.04.2013 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, zum Zeitpunkt des erlittenen Unfalls habe der Beigeladene nicht unter dem Schutz
der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Versicherungsschutz nach §
2 Abs.
1 Nr.
8 Buchst. a
SGB VII scheitere bereits daran, dass es sich bei dem Internatsbereich der Heimsonderschule nicht um eine Tageseinrichtung im Sinne
dieser Regelung handele. Versicherungsschutz nach §
2 Abs.
1 Nr.
8 Buchst. b
SGB VII sei zu verneinen, weil die unfallbringende Verrichtung außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule
stattgefunden habe. Bei dem Vorgang des Inhalierens habe es sich um eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung gehandelt,
die mit dem Schulbesuch in keinerlei Zusammenhang gestanden habe. Der Umstand, dass sich der Unfall in den zur Schule gehörenden
Internatsräumen und während der internatsmäßigen Unterbringung ereignet hat, reiche für die Begründung des Versicherungsschutzes
nicht aus. Selbst wenn Schule und Internat eine pädagogische Einheit bildeten und damit zum Aufgabenspektrum der Schule auch
die "körperliche Betreuung" gehöre, rechtfertige dies nicht die Annahme von Versicherungsschutz. Denn das erkältungsbedingte
Inhalieren des Beigeladenen habe mit dem Aufgabenspektrum der Heimsonderschule als Sprachheilzentrum in keinem Zusammenhang
gestanden.
Gegen das seinen Bevollmächtigten am 13.06.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.07.2013 beim Landessozialgericht (LSG)
Berufung eingelegt und unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiterhin die Auffassung vertreten, der Unfall des
Beigeladenen habe sich im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule ereignet. Das SG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich bei der Heimsonderschule um eine Ganztagsschule handele, die neben dem
Unterricht auch die vollumfängliche Betreuung des behinderten Schülers schulde, wobei die pädagogische Unterrichtung und der
Internatsaufenthalt eine Einheit bildeten. Es handele sich gerade nicht um eine Schule mit nur angeschlossenem Internat. Die
einheitliche schulische und sozialbetreuerische Versorgung beinhalte eine ganzheitliche sprachliche Förderung durch die enge
Vernetzung von Schule, Internat, Tagesgruppe und besonderen sozialpädagogischen und therapeutischen Angeboten durch Fachkräfte
unterschiedlicher Kompetenzbereiche. Die ganztätige Unterbringung des Beigeladenen sei wegen seiner schwerwiegenden Beeinträchtigung
zur Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht und nicht auf Grund eines freiwilligen Entschlusses der Eltern erfolgt. Der Bejahung
von Versicherungsschutz stehe insbesondere nicht entgegen, dass die gesetzliche Unfallversicherung keinen umfassenden und
unbegrenzten Schutz für alle (auch nichtbehinderten) Kinder gewährleiste. Denn vorliegend gehe es um den Schutz für ein behindertes
Kind, das auf Grund seiner Behinderung in einer Sonderschule zur ganzheitlichen Betreuung untergebracht sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12.04.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.10.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2011 zu verurteilen, das Ereignis vom 18.06.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass die einen einzelnen Schüler betreffenden gesundheitlichen
Maßnahmen auch dann dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Schülers zuzuordnen seien, wenn diese in einem Internatsbereich
erfolgten. Auch die Gegebenheiten einer Heimsonderschule für Sprachbehinderte rechtfertigten es nicht, den Unfallversicherungsschutz
auf den gesamten Aufenthalt und damit auch den Internatsbereich auszudehnen.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er schließt sich der Argumentation der Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten, der Akten beider Rechtszüge und der beigezogenen Akten des Landgerichts Offenburg 2 O 208/09 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§
143,
144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung des Klägers ist auch begründet.
Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der auch dem Kläger bekannt gegebene Bescheid vom 18.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.04.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Beigeladene stand entgegen der Auffassung von
SG, Beklagter und Beigeladenem beim Unfall vom 18.06.2007 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, so dass es sich
bei diesem Unfall um einen Arbeitsunfall handelte. Dies hätte die Beklagte im Bescheid feststellen müssen.
Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist gemäß §
109 SGB VII zulässig.
Nach §
109 SGB VII kann eine Person, deren Haftung nach den §§
104 bis
107 SGB VII beschränkt ist - also hier der Kläger als vom Beigeladenen zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommener Schulträger
- die Feststellung nach §
108 SGB VII beantragen und ein entsprechendes Verfahren nach dem
Sozialgerichtsgesetz betreiben. §
108 SGB VII sieht eine Bindungswirkung des Zivilgerichts - hier also des Landgerichts Offenburg - an eine unanfechtbare Feststellung,
ob ein Versicherungsfall nach dem
SGB VII vorliegt, vor. Dem entsprechend kann eine (potentiell) haftungsbeschränkte Person - hier der Kläger - das Verfahren auf Anerkennung
eines Arbeitsunfalles anstelle des Verletzten - hier des Beigeladenen - betreiben, wenn der Verletzte selbst das Verfahren
nicht betreibt und Schadensersatzforderungen erhebt (BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 27/10 R in SozR 4-2700 § 109 Nr. 1). So liegt der Fall hier. Der Beigeladene nimmt den Kläger wegen des Vorfalles, der hier als Arbeitsunfall
in Rede steht, in Anspruch, betreibt selbst aber gerade nicht die Anerkennung des Vorfalles als Arbeitsunfall. Wegen dieser
Regelung des §
108 Abs.
1 SGB VII wird durch die Entscheidung der Beklagten in die Rechte des (potentiell) haftungsprivilegierten Klägers eingegriffen (BSG, a.a.O.). Stünde nämlich gegenüber dem Kläger unanfechtbar fest, dass der Beigeladene bei dem in Rede stehenden Unfall unter
dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, könnte sich der Kläger gegenüber den vom Beigeladenen geltend gemachten
Schadensersatzansprüchen auf die mit prozessrechtlicher Bindung (§
108 Abs.
1 SGB VII) entschiedene Vorfrage berufen. Stünde umgekehrt fest, dass kein Arbeitsunfall vorliegt, wäre dem Kläger der Einwand der
Haftungsbegrenzung nach §
104 SGB VII im zivilgerichtlichen Verfahren verwehrt.
Damit ist der Kläger in Bezug auf die Anfechtungsklage klagebefugt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte
im Bescheid vom 18.10.2010 ausweislich des Verfügungssatzes "die Gewährung einer Entschädigung" ablehnte. Vor dem Hintergrund
des im Verwaltungsverfahren seitens des Beigeladenen und des Klägers als allein maßgeblich formulierten Begehrens, zu klären,
ob das Ereignis vom 18.06.2007 ein Arbeitsunfall war, angesichts der im Bescheid und im nachfolgenden Widerspruchsbescheid
angeführten Begründung, es liege kein Arbeitsunfall vor, und des Umstandes, dass Entschädigungen seitens der Beklagten zu
keinem Zeitpunkt in Rede standen, durften der Kläger und der Beigeladene den Bescheid vom 18.10.2010 als verbindlich gemeinte
Entscheidung darüber ansehen, dass das Ereignis vom 18.06.2007 kein Arbeitsunfall war. Damit lehnte die Beklagte mit den angefochtenen
Bescheiden die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ab.
Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte - und somit über §
109 SGB VII auch der Kläger - an Stelle gerichtlicher Feststellung (§
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles als Element eines jeglichen
Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20).
Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist auch begründet. Denn der Beigeladene stand am 18.06.2007 während des Inhalierens
unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und erlitt somit einen Arbeitsunfall.
Gemäß §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des §
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt)
ist erforderlich (hierzu und zum Nachfolgenden BSG Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 5/04 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 4 m.w.N.), dass das Verhalten des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen
ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche
Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang
ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung
in einem solchen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit steht, ist die
Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte
zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund.
Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten.
Nach §
2 Abs.
1 Nr.
8 Buchst. a
SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme
an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen.
Dabei zählen zu den allgemeinbildenden Schulen insbesondere Schulen der allgemeinen Schulpflicht, einschließlich der Sonderschulen
für Behinderte. Bei der vom Beigeladenen besuchten Heimsonderschule handelt es sich damit um eine allgemeinbildende Schule
in diesem Sinn.
Wenn auch die genannte Regelung nach ihrer Formulierung auf die Versicherung von Personen (hier: Schüler) abstellt, so ist
jedoch gleichwohl auch die sog. "Schüler-Unfallversicherung" tätigkeitsbezogen. Versichert ist die Tätigkeit, die mit diesem
Versicherungstatbestand in einem rechtlich wesentlichen sog. sachlichen Zusammenhang steht. Ein sachlicher Zusammenhang ist
bezogen auf die in Rede stehende Regelung daher in erster Linie bei Betätigungen während der Unterrichtsteilnahme eines Schülers
gegeben, allerdings darüber hinaus auch in den dazwischen liegenden Pausen und bei Betätigungen im Rahmen von Schulveranstaltungen
und den genannten Betreuungsmaßnahmen. Dabei ist der Schutzbereich der Schüler-Unfallversicherung enger als der Versicherungsschutz
von Beschäftigten gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII, weil er - wie sich aus dem Wortlaut der Regelung ("während") und der Entstehungsgeschichte ergibt - auf den organisatorischen
Verantwortungsbereich der Schule beschränkt ist.
Außerhalb dieses Verantwortungsbereichs besteht in der Regel auch bei Verrichtungen, die durch den Schulbesuch wesentlich
bedingt sind und ihm deshalb an sich nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zuzuordnen wären, kein Versicherungsschutz
(ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], u.a. Urteil vom 26.10.2004, B 2 U 41/03 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 7 m.w.N.). So verneinte das BSG Versicherungsschutz für einen Schüler, der sich nach dem regulären Schulunterricht ohne schulbedingten Grund in seinem Klassenzimmer
aufhielt und sich bei dem erfolglosen Versuch, einen anderen Schüler am Betreten des Klassenzimmers zu hindern, verletzte.
Keine Bedeutung maß es dabei dem Umstand zu, dass das Internat, in dem dieser Schüler lebte und wohnte, im selben Gebäude
untergebracht war. Denn die gesetzliche Unfallversicherung bezieht sich kraft Gesetzes auf den Besuch der allgemeinbildenden
Schule, der ein Internat nicht gleichzusetzen ist (Urteil vom 27.11.1980, 8a RU 84/79 in SozR 2200 § 548 Nr 53). In Bezug auf internatsmäßig untergebrachte Schüler hat das BSG in seinem Urteil vom 24.01.1990 (2 RU 22/89, zitiert nach [...]) darüber hinaus ausgeführt, dass sich deren Versicherungsschutz - ebenso wie bei Externen - regelmäßig
auf solche Verrichtungen beschränkt, die mit dem Besuch der allgemein- bzw. berufsbildenden Schule in einem inneren Zusammenhang
stehen und hiervon grundsätzlich der - den häuslichen Bereich ersetzende - Aufenthalt im Internat zu trennen ist. Entsprechend
hat es den Versicherungsschutz des Internatsschülers verneint, der an einem schulfreien Feiertag mit weiteren im Internat
verbliebenen Mitschülern einen (freiwilligen) Ganztagesausflug ins Hallenbad unternahm und dort bei der Benutzung einer Wasserrutsche
verletzt wurde. Es hat dabei auch das Vorliegen besonderer Umstände, die im Einzelfall eine Zurechnung der internatsmäßigen
Unterbringung zum organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule ermöglichen, verneint, weil im konkreten Fall hierdurch
keine relevanten besonderen Gefahrenmomente geschaffen wurden, die den Versicherungsschutz über den dargelegten Umfang hinaus
hätten erweitern können. Den Schwimmbadbesuch hat das BSG daher als rein persönliche, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflusste Betätigung angesehen.
Soweit die Beklagte im vorliegenden Fall den Versicherungsschutz des Beigeladenen gleichermaßen mit der Begründung verneinte,
der Beigeladene habe mit dem Inhalieren ein rein persönliches Bedürfnis befriedigt, weil diese gesundheitsfördernde Maßnahme
auf die Besserung seiner Erkrankung zielte, ist zwar zutreffend, dass die unfallbringende Verrichtung ebenso wie Essen, Trinken
und Schlafen eine überwiegend persönlichen Bedürfnissen dienende Tätigkeit darstellt, die grundsätzlich vom Versicherungsschutz
ausgenommen sind. Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt und ausnahmslos, wie das BSG in seiner Entscheidung vom 05.10.1995 (2 RU 44/94 in SozR 3-2200 § 539 Nr. 34) deutlich gemacht hat. Denn unter Heranziehung der zur Frage des Versicherungsschutzes auf Dienst-
und Geschäftsreisen entwickelten Grundsätze, hat es ausgeführt, dass betriebsbedingte Umstände bei der Befriedigung des Schlafbedürfnisses
durchaus im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen können. Erforderlich ist dabei allerdings eine über
eine bloße raum-zeitliche Verursachung hinausgehende Gefährdung durch die Erwerbstätigkeit/Schulausbildung. Dementsprechend
könne - so das BSG (a.a.O.) - ein Schüler bei einer Klassenfahrt während der Nachtruhe nicht schlechthin als unversichert erachtet werden, auch
wenn er beispielsweise durch einen nächtlichen Brand in der Jugendherberge (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 548
RVO) zu Schaden kommt oder während eines Schulausflugs im Schlaf aus dem oberen Bett eines Stockbettes stürzt. Anknüpfend hieran
hat das BSG in seiner Entscheidung vom 26.10.2004 (a.a.O.) ausgeführt, dass neben den auch bei Dienstreisen von erwachsenen Beschäftigten
zu berücksichtigenden besonderen Gefahren z.B. der Unterkunft im Rahmen der Schüler-Unfallversicherung gerade auch die Gefahren
zu berücksichtigen sind, die sich aus unzureichender Beaufsichtigung oder dem typischen Gruppenverhalten von Schülern oder
Jugendlichen ergeben.
Vorliegend bejaht der Senat unter Heranziehung dieser Grundsätze wegen der besonderen, im Rahmen der internatsmäßigen Unterbringung
geschaffenen Gefahrenmomente eine Zurechnung der unfallbringenden Tätigkeit zum organisatorischen Verantwortungsbereich der
Schule. Entsprechend stand der Beigeladene bei dem unfallbringenden Inhalieren unter dem Schutz der Schüler-Unfallversicherung.
Der Unfall ereignete sich zwar bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Beigeladenen, jedoch verwirklichte sich hierbei
in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, nämlich dem Besuch der Schule für Sprachbehinderte, der zur Erfüllung
der Schulpflicht eine Internatsunterbringung mit einschloss, aus betriebsbedingten Umständen eine besondere Gefahr der erfolgten
Unterbringung. Denn im Rahmen dieser Unterbringung kam es während einer Aufsichts- und Betreuungsmaßnahme der diensthabenden
Erzieherin, die den Beigeladenen zur Behandlung einer Erkältung durch Inhalation mit einem Topf heißen Wassers versorgte,
zu dem in Rede stehenden Unfall. Angesichts seines Alters war der zum Unfallzeitpunkt 9-jährige Beigeladene bei dieser Maßnahme
auf die Unterstützung der Betreuungsperson angewiesen. Entsprechend bereitete die zuständige Erzieherin auch das heiße Wasser
in einem Topf zu, stellte ihn für den Beigeladenen auf einen Tisch und wies ihn in die Handhabung ein. Unter ihrer Aufsicht
verwirklichte sich sodann aber gerade die Gefahr, die mit der Verwendung des heißen, sich in einem offenen Topf befindlichen
Wassers verbunden war, nämlich sich durch eine Unachtsamkeit zu verbrühen. So kippte der Topf durch eine ungeschickte Bewegung
des Beigeladenen um und der Beigeladene verbrühte sich durch das heiße Wasser, das sich über dessen Bauch und Oberschenkel
ergoss, erheblich. Damit verwirklichte sich ein im Rahmen der Betreuung geschaffenes Gefahrenmoment, wodurch der Beigeladene
auch bei der unter Aufsicht durchgeführten eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Inhalierens unter dem Schutz der Gesetzlichen
Unfallversicherung stand. Dabei ist ohne Bedeutung, ob die Beaufsichtigung in der konkreten unfallbringenden Situation unzureichend
war oder der Unfall selbst bei intensiverer Beaufsichtigung nicht vermeidbar gewesen wäre.
Dem Versicherungsschutz steht auch nicht entgegen, dass der Beigeladene auch beim Inhalieren im häuslichen Bereich in gleicher
Weise hätte zu Schaden kommen können. Denn zur Begründung von Unfallversicherungsschutz bedarf es keiner besonderen und im
privaten Bereich gerade nicht vorkommenden Gefährdung. Entsprechend überzeugt auch der Einwand der Beklagten nicht, die in
der Verwendung von heißem Wasser zum Zwecke des Inhalierens deshalb keine besondere Gefahrenquelle sieht, weil eine solche
beim Inhalieren im häuslichen Bereich in gleicher Weise vorhanden wäre. Allerdings teilt der Senat schon nicht die Einschätzung,
dass sich die in Rede stehende konkrete Gefahrenquelle innerhalb der Einrichtung des Klägers nicht von jener im häuslichen
Bereich des Beigeladenen unterscheidet. Denn insoweit lässt die Beklagte unberücksichtigt, dass die für den Beigeladenen im
Internatsbereich zuständige Betreuerin neben einer weiteren Betreuungskraft für insgesamt 12 bis 13 Schüler zuständig ist
und die Betreuungssituation einer solchen Schülergruppe nicht ohne weiteres mit der Beaufsichtigung des eigenen Kindes im
häuslichen Bereich vergleichbar ist.
Auf die Berufung des Klägers sind das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide daher aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.