Statthaftigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren; Streit über die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung;
Kostenentscheidung
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Reduzierung seiner Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung.
Der Kläger führt ein landwirtschaftliches Unternehmen mit Obstanbau, darunter - so seine Angaben - Streuobstwiesen mit Mostobst,
Flächen mit Tafelobstanbau und plantagenartig (1000 Bäume je Hektar) angelegtem Mostobstanbau. Nach den Satzungsbestimmungen
der Beklagten wird der Beitrag zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung für landwirtschaftliche Unternehmen u.a. nach dem
Flächenwert erhoben, wobei sich der Einzelflächenwert an der Art der Nutzung orientiert. Für die Beitragserhebung gegenüber
dem Kläger ordnete die Beklagte auch die plantagenartig angelegten Mostobstwiesen - wie den Tafelobstanbau - der Nutzungsart
Intensivobst zu, während die Streuobstwiesen als Grünland bewertet wurden. Abgrenzungskriterium sei die Anzahl von Bäumen
je Hektar (ab 200 Intensivobstanbau). Der Kläger wendet sich gegen die Zuordnung des plantagenartigen Mostobstanbaus (in den
Jahren 2001 bis 2006 zwischen 4,15 und 4,90 ha) zur Nutzungsart Intensivobst, weil die Erlöse dort wegen geringerer Auszahlungspreise
deutlich niedriger sind als für Tafelobst und möchte diese Flächen als Grünland und damit hinsichtlich des Ertragswertes niedriger
bewertet haben. Hieraus ergäbe sich eine Beitragsminderung für die Jahre 2001 bis 2006 in Höhe von - so die Berechnungen der
Beklagten - insgesamt 669,76 EUR. Das Sozialgericht hat die gegen die Beitragserhebung für die Jahre 2001 bis 2006 gerichtete
Klage mit dem Kläger am 05.11.2008 zugestelltem Urteil vom 22.10.2008 abgewiesen, die Berufung nicht zugelassen und in der
Rechtsmittelbelehrung über die Nichtzulassungsbeschwerde belehrt. Am 03.12.2008 hat der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Berufung eingelegt. Er meint, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung.
II. Nach §
145 Abs.
1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden. Hier ist die Beschwerde indessen nicht statthaft,
weil die Berufung auch ohne gesonderte Zulassung statthaft ist. Die Beschwerde ist daher zu verwerfen. Die Berufung bedarf
(nur dann) der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG), es sei denn, die Berufung betrifft wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Zwar ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit der Beitragsberechnung streitig, wobei - wie die Beklagte zutreffend
dargelegt hat und was vom Kläger auch nicht bestritten worden ist - der jährliche Minderungsbetrag im Falle eines Erfolges
des Klägers sich für die Jahre 2001 bis 2006 auf insgesamt 669,76 EUR (s. Schriftsatz der Beklagten vom 09.01.2009) und damit
nicht auf mehr als 750,00 EUR beliefe. Die Berufungssumme wird daher nicht erreicht.
Allerdings betrifft der Rechtsstreit wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr, sodass die Berufung gemäß §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG keiner Zulassung bedarf.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt (BSG, Urteil vom 28.01.1999, B 12 KR 51/98 B in SozR 3-1500 § 144 Nr. 16), dass unter Geldleistungen i.S. des §
144 Abs.
1 Satz 1 und
2 SGG in der seit dem 01.03.1993 geltenden Fassung nicht nur Leistungen von Leistungsträgern an Sozialleistungsberechtigte zu verstehen
sind, sondern auch Leistungen, die die Leistungsträger vom Einzelnen fordern, wie etwa Beitragsforderungen. Damit geht es
vorliegend um Leistungen i.S. des §
144 Abs.
1 Satz 1 und
2 SGG.
Entgegen der Auffassung der Beklagten betrifft der Rechtsstreit auch wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr.
Leistungen sind wiederkehrend oder laufend, wenn sie auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht oder erhoben
werden (BSG, aaO.). Sie beruhen auf einem einheitlichen Rechtsgrund, wenn sie auf Grund eines Gesetzes oder einer Satzungsvorschrift
regelmäßig fällig werden und der die Zahlungspflicht auslösende Sachverhalt oder ein einmal begründeter Status, wie das versicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnis, unverändert fortbesteht (BSG, aaO.). So liegt der Fall hier. Die Beitragspflicht des Klägers für
die streitigen Jahre beruht auf den Regelungen der §§
182 ff Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) und den satzungsrechtlichen Bestimmungen der Beklagten sowie der seit 2001 unverändert bestehenden Versicherungs- und Beitragspflicht
des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer (Status). Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert hieran der Umstand
nichts, dass sie die Beiträge grundsätzlich jährlich vollständig neu festsetzt. Denn es sind gerade mehrere dieser Festsetzungen
und damit mehrere Jahre im Streit. Im Übrigen erfolgte mit dem Bescheid vom 19.12.2006 eine Beitragsfestsetzung - in Abänderung
vorangegangener Bescheide - für die Jahre 2001 bis 2005, also gerade für mehrere Jahre. Auch der Umstand, dass nicht die Beitragspflicht
dem Grunde nach, sondern nur die Beitragshöhe in Streit steht, ändert nichts daran, dass es um Beiträge für mehrere Jahre
geht.
Ist die Berufung somit zulässig, bedarf es ihrer Zulassung nicht. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im
Urteil des Sozialgerichts ist deshalb nicht statthaft und zu verwerfen. Das Verfahren ist insbesondere nicht als Berufungsverfahren
(fort) zu führen. Dies ist nur für den Fall einer erforderlichen gesonderten und erfolgten Zulassung der Berufung vorgesehen
(§
145 Abs.
5 Satz 1
SGG). Auch eine Umdeutung der vom Kläger entsprechend der (unrichtigen) Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts erhobenen
Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung ist nicht möglich.
Nach der Rechtschreibung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 20.05.2003, B 1 KR 25/01 R in SozR 4-1500 § 158 Nr. 1 mit weiteren Nachweisen, auch zum Nachfolgenden) scheidet eine Umdeutung der Erklärung über die
Einlegung eines Rechtsmittels entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung (hier also Nichtzulassungsbeschwerde) in ein
anderes Rechtsmittel (hier die Berufung) schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtung beider Rechtsmittel grundsätzlich
aus, wobei es - so ausdrücklich das Bundessozialgericht - nicht darauf ankommt, ob der Rechtsmittelführer rechtskundig vertreten
ist oder - wie hier - nicht. Soweit das Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R in SozR 4-3250 § 14 Nr. 3) zur Vermeidung prozessrechtlicher Nachteile eine Ausnahme machen möchte, trägt es der vom Gesetzgeber
gerade für diese Fälle in §
66 Abs.
2 SGG vorgesehenen Konsequenz nicht hinreichend Rechnung. Tatsächlich sind diese Fälle ausschließlich nach den Vorschriften über
die Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung zu lösen (BSG, Urteil vom 20.05.2003, aaO.). Nichts anderes gilt für die
Frage, wie die Erklärung über die Einlegung des Rechtsmittels auszulegen ist. Gerade wenn der jeweilige Rechtsmittelführer
der (unrichtigen) Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung folgt, lässt dies keine Zweifel daran zu, dass er
gerade dieses Rechtsmittel auch einlegen will (BSG, Urteil vom 20.05.2003, aaO.). Durch die Belehrung sind somit Irrtümer
und Verwechslungen bei der Bezeichnung des Rechtsmittels weitgehend ausgeschlossen, sodass für die Annahme kein Raum ist,
der Erklärende habe ein anderes als das von ihm bezeichnete Rechtsmittel einlegen wollen. Die vom BSG im Urteil vom 14.12.2006
vertretene Auffassung, es handle sich um einen Irrtum über das zulässige Rechtsmittel, lässt die dort gezogene Konsequenz
- Erforschung des wirklichen Rechtsschutzbegehrens mit dem Ziel einer Klarstellung durch den Rechtsmittelführer - schon deshalb
nicht zu, weil der Irrtum über das zulässige Rechtsmittel grundsätzlich nur einen unbeachtlicher Motivirrtum darstellt. Auch
im vorliegenden Fall bestehen keinerlei Zweifel, dass der Kläger die vom Sozialgericht in der Rechtsmittelbelehrung zum Urteil
vom 22.10.2008 dargestellte Nichtzulassungsbeschwerde hat einlegen wollen und eingelegt hat.
Mit der Verwerfung der vom Kläger eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde und der insoweit vom Senat inzident getroffenen Feststellung
der Zulässigkeit der Berufung steht aus Gründen der notwendigen Rechtsmittelklarheit und des gebotenen Vertrauensschutzes
(BSG, Urteil vom 03.06.2004, B 11 AL 75/03 R in SozR 4-1500 § 144 Nr. 1) verbindlich fest, dass die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.10.2008
statthaft ist.
Diese Berufung kann der Kläger angesichts der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart nach
§
66 Abs.
2 SGG innerhalb eines Jahres seit der Zustellung dieses Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg einlegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 und Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Kläger gehört nicht zum nach §
183 SGG privilegierten Personenkreis der Versicherten, sodass §
193 SGG keine Anwendung findet. Zwar ist er bei der Beklagten als landwirtschaftlicher Unternehmer versichert (§
2 Abs.
1 Nr.
5 Buchst. a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VII -) und damit auch "Versicherter". Vorliegend wendet er sich aber ausschließlich gegen die Erhebung von Beiträgen. Damit steht
ausschließlich seine Eigenschaft als beitragspflichtiger (vgl. §
150 Abs.
1 Satz 2
SGB VII) landwirtschaftlicher Unternehmer in Rede, nicht aber jene als Versicherter. Denn eine gerichtliche Kassation von Beitragsbescheiden
würde an der Eigenschaft als Versicherter nichts ändern. Die Eigenschaft als Versicherter und jene als Unternehmer ist somit
nicht untrennbar; und gerade auf den Status des Beteiligten im konkreten Verfahren stellt §
197a SGG ab (vgl. den Wortlaut "in dieser jeweiligen Eigenschaft", so auch ausdrücklich BSG, Urteil vom 05.05.2006, B 10 LW 5/05 R). Mit seiner Auffassung steht der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur Urteil vom
04.12.2007, B 2 U 36/06 B; s. im Übrigen auch Köhler in SGb 2008, 76, 78).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).