Rechtmäßigkeit der Rücknahme eines Bescheids über die Ablehnung der Feststellung einer freiwilligen Mitgliedschaft in der
gesetzlichen Krankenversicherung
Anforderungen an einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bei rückwirkender Beendigung einer freiwilligen Mitgliedschaft
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin seit 1. Juli 2015 (freiwilliges) Mitglied der Beklagten ist.
Die 1957 geborene Klägerin siedelte im Jahr 2007 aus Rumänien kommend in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie bezog ab
18. März 2009 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und war hierdurch bei der Beklagten pflichtversichert. Ein im Jahr 2015 bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg
(DRV BW) gestellter Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung blieb erfolglos. Die Klägerin wurde
zwar für voll erwerbsgemindert erachtet, jedoch erfüllte sie nicht die Wartezeit für die Gewährung einer entsprechenden Rente.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2015 bewilligte die Beigeladene zu 1 (Fachbereich Sozialhilfe) der Klägerin daraufhin rückwirkend
ab 1. November 2014 (zunächst bis 31. Oktober 2015) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel
des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und teilte der Klägerin gleichzeitig mit, dass die Zahlung für den Zeitraum 1. November 2014 bis 30. Juni 2015 an das Jobcenter
geleistet werde, das einen Erstattungsanspruch angemeldet habe.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2016 wandte sich die Beklagte an die Klägerin und teilte mit, dass sie "auch nach Beendigung der
Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.11.2014 automatisch von einem optimalen Versicherungsschutz" bei ihr profitiere, und
führte weiter aus, gesetzlich dazu verpflichtet zu sein, die Versicherung auf der Basis der Beitragsbemessungsgrenze weiterzuführen,
solange sie die Höhe der tatsächlichen Einnahmen nicht kenne, weshalb sie die beigefügten Einkommensfragebögen ausfüllen möge;
die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung setzte sie insgesamt mit monatlich 745,81 € fest. Für die Zeit vom 1. November
2014 bis 30. Juni 2016 errechnete sie einen Betrag von insgesamt 14.530,62 €, den die Klägerin bis spätestens 28. Juli 2016
überweisen möge. Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 wandte sich die Beklagte darüber hinaus an die Beigeladene zu 1. Sie teilte
mit, dass die Klägerin seit 1. November 2014 als freiwilliges Mitglied bei ihr versichert sei und bat um Übersendung der Sozialhilfebescheide
mit den Berechnungsgrundlagen sowie um Rücksendung der ausgefüllten "Übernahmeerklärung". Die Beigeladene zu 1 übersandte
der Beklagten sodann den erwähnten Bescheid vom 18. Juni 2015 sowie die Bescheide vom 19. Oktober 2015 und 23. November 2015
(Bewilligung vom Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 1. bis 30. November 2015 bzw. vom 1. Dezember 2015 bis
31. Oktober 2016) und erklärte sich bereit, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ab Beginn der Mitgliedschaft (1.
November 2014) zu tragen.
Mit Bescheid vom 8. August 2016 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus, ihre ursprüngliche Versicherung habe geendet.
Um ihren Versicherungsschutz sicherzustellen, habe sie - die Beklagte - ab 1. November 2014 eine neue Versicherung, eine obligatorische
Anschlussversicherung, durchgeführt. Nach sorgfältiger Prüfung habe sie nun festgestellt, dass sie - die Klägerin - nicht
ihr Mitglied werden könne. Personen, die u.a. Leistungen nach dem SGB II bezögen oder Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten oder Siebten Kapitel des SGB XII seien, seien nicht versicherungspflichtig nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) und auch eine obligatorische Anschlussversicherung nach §
188 SGB V sei nicht möglich. Die Klägerin möge sich an die Beigeladene zu 1 wenden; diese sei für die Absicherung im Krankheitsfall
zuständig.
Die Beigeladene zu 1, der die Beklagte eine Mehrfertigung dieses Bescheides übersandt hatte, bat daraufhin um Erläuterung,
weshalb eine freiwillige Mitgliedschaft nicht durchgeführt werden könne. Die Beklagte führte mit Schreiben vom 8. September
2016 sodann aus, ein Antrag auf die freiwillige Versicherung sei immer spätestens drei Monate nach dem Ende der letzten Versicherung
zu stellen. Werde der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der letzten Versicherung gestellt, sei aufgrund
der neuen Gesetzeslage nach §
188 Abs.
4 SGB V eine obligatorische Anschlussversicherung zu prüfen, die gegenüber einer Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V vorrangig sei. Vorliegend greife der Ausschlusstatbestand nach §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V. Denn wenn die Versicherungspflicht eines Beziehers von Arbeitslosengeld II ende und ein Anspruch auf anderweitigen Versicherungsschutz
bestehe, sei eine obligatorische Anschlussversicherung nicht möglich. Der in §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V verwendete Begriff "anderweitiger Anspruch im Krankheitsfall" sei inhaltlich deckungsgleich mit dem gleichlautenden Begriff
in §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V. Als typisches Beispiel seien Personen zu nennen, die während des Bezugs von Arbeitslosengeld II nach §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V versicherungspflichtig seien und anschließend nahtlos oder innerhalb der Monatsfrist laufende Leistungen nach dem Dritten,
Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII bezögen.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 hob die Beigeladene zu 1 (Fachbereich Jobcenter) gegenüber der Klägerin den Bescheid vom
24. Februar 2015 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 1. Juli 2015 auf. Zur Begründung führte sie aus, die DRV
BW habe festgestellt, dass ihr Leistungsvermögen weniger als drei Stunden täglich betrage und sie daher nicht erwerbsfähig
sei. Mangels Erwerbsfähigkeit lägen die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht vor. Die Beigeladene zu 1 meldete die Klägerin dann am 27. Oktober 2016 bei der Beklagten rückwirkend zum 30. Juni
2015 ab.
Mit Schreiben vom 8. November 2016 wandte sich die Klägerin, vertreten durch eine Mitarbeiterin des Arbeitslosenzentrums L.
e.V., an die Beigeladene zu 1 und bat um eine Überprüfung ihres Krankenversicherungsschutzes gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie führte aus, der SGB II-Träger habe vermutlich eine Ummeldung an den zuständigen Krankenversicherungsträger versäumt und die Beklagte habe parallel
hierzu nicht reagiert. Sie sei seit dem Wechsel vom SGB II zum SGB XII nicht krankenversichert. So habe sie vom zuständigen Krankenversicherungsträger eine Aufforderung bekommen, Beiträge in Höhe
von mehr als 14.000 € nachzuzahlen. Sie verwies darüber hinaus auf einen analog beim Sozialgericht H. (SG) gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Am 10. November 2016 stellte die Klägerin, wiederum vertreten durch die Mitarbeiterin des Arbeitslosenzentrums L. e.V., beim
SG Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 11 KR 3413/16 ER) gegen die Beklagte, mit dem sie Versicherungsschutz durch die Beklagte begehrte. Nach Hinweis des SG auf die fehlende Eilbedürftigkeit nahm die Klägerin diesen Antrag zurück.
Mit Schreiben vom 16. November 2016 wandte sich die Mitarbeiterin des Arbeitslosenzentrums L. e.V. auch an die Beklagte, zeigte
die Vertretung der Klägerin "bis ein gesetzlicher Betreuer sich ihrer annimmt" an und stellte einen "Überprüfungsantrag nach
§ 44 SGB X". Sie verwies darauf, dass die Beklagte die Mitgliedschaft der Klägerin gekündigt habe, obwohl der SGB XII-Träger die Beiträge nachgezahlt hätte. Die Beklagte habe die Klägerin für die vergangenen Fehler verantwortlich gemacht,
obwohl sie anerkannte Analphabetin sei.
Mit Bescheid vom 22. November 2016 führte die Beklagte aus, eine Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht eingetreten.
Eine Unrichtigkeit der Vorentscheidung sei nicht festzustellen. Der Versicherungsschutz sei vom Jobcenter am 27. Oktober 2016
rückwirkend zum 30. Juni 2015 beendet worden. Dies sei der Klägerin mit Aufhebungsbescheid vom 11. Oktober 2016 mitgeteilt
worden. Damit sei die Bewilligung von Arbeitslosengeld II zum 1. Juli 2015 aufgehoben worden, da Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezogen werde. Eine obligatorische Anschlussversicherung komme nach §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V nicht zustande, sofern ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen werde. Dies sei der Fall,
da die Klägerin laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalte. Somit sei eine obligatorische Anschlussversicherung nach §
188 Abs.
4 SGB V sowie eine Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V nicht möglich.
Hiergegen erhob die Klägerin durch die nunmehr prozessbevollmächtigte Rechtsanwältin Widerspruch und machte geltend, sie stehe
im laufenden SGB XII-Bezug, weshalb die Krankenbehandlung gemäß §
264 Abs.
2 Satz 1
SGB V von der Beklagten zu übernehmen sei. Die Klägerin habe von ihrem Wahlrecht gemäß §
264 Abs.
3 SGB V Gebrauch gemacht und die Beklagte als Krankenkasse gewählt. Sie sei im Leistungsumfang mit den gesetzlich Krankenversicherten
gleichzustellen. Die Beklagte möge ihrem Widerspruch daher stattgeben und bestätigen, dass sie bei ihr gemäß §
264 Abs.
2 SGB V krankenversichert sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch
zurück. Mit Bescheid vom 8. August 2016 sei der Antrag auf die obligatorische Anschlussversicherung zu Recht abgelehnt worden.
Bereits am 20. Juli 2017 hatte die Klägerin beim SG einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (S 9 KR 2300/17 ER) und geltend gemacht, sie benötige dringend medizinische Hilfe und die Beklagte verweigere die Übernahme der Behandlungskosten.
Mit Beschluss vom 19. September 2017 verpflichtete das SG die Beklagte, die Krankenbehandlung der Klägerin nach §
264 Abs.
2 Satz 1
SGB V vorläufig ab 1. Juli 2016 bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache zu übernehmen. Die dagegen eingelegten Beschwerden
der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 (L 5 KR 4050/17 ER-B) blieben erfolglos (Beschluss des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2017).
Mit ihrer am 9. Oktober 2017 beim SG durch ihre Prozessbevollmächtigte erhobenen Klage machte die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 8. August 2016
sowie 22. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids am 13. September 2017 geltend und begehrte zuletzt, sie ab
1. Juli 2015 als freiwilliges Mitglied gemäß §
188 Abs.
4 SGB V zu versichern. Sie legte die Bestellungsurkunde (Betreuerausweis) des Notariats L., Betreuungsgericht, vom 13. Februar 2017
über die Betreuerbestellung u.a. für den Aufgabenkreis "Regelung von allen vermögensrechtlichen Angelegenheiten (insbesondere
auch von Arbeits- Renten- Versicherungs- Sozialhilfeangelegenheiten und sonstiger Versicherungsangelegenheiten)" vor.
Die Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, der Ausschlusstatbestand des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V sei angesichts des nachgehenden Leistungsanspruch nach §
19 Abs.
2 oder 3
SGB V i.V.m. dem sich daran anschließenden anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall erfüllt, da der Bezug laufender
Leistungen u.a. nach dem Vierten Kapitel des SGB XII einen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 48 SGB XII umfasse. Dieser Anspruch sei - ebenso wie im Rahmen des §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V - ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V. Dies gelte unabhängig davon, dass sich die anderweitige Absicherung im Krankheitsfall außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung
nahtlos an die vorherige Versicherungspflicht anschließe. Ausweislich des Bescheids vom 18. Juni 2015 beziehe die Klägerin
seit 1. November 2014 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Die Pflichtversicherung sei zum 30. Juni 2015 beendet worden. Somit sei im Anschluss an die Pflichtversicherung eine obligatorische
Anschlussversicherung aufgrund einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall ab 1. Juli 2015 nicht möglich. Im Zeitraum
vom 1. November 2014 bis 30. Juni 2015 sei die Klägerin kranken- und pflegeversichert gewesen.
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2017 lud das SG das Landratsamt L. zu dem Verfahren bei (Beigeladene zu 1), das sich den Anträgen der Klägerin anschloss. Nach Auffassung
der Beigeladenen zu 1 habe die Klägerin einen Anspruch auf eine freiwillige Krankenversicherung ab 1. November 2014. Die Beklagte
habe das freiwillige Versicherungsverhältnis mit Bescheid vom 14. Juli 2016 rückwirkend ab 1. November 2014 bewilligt. Diesen
Bescheid habe sie zu keinem Zeitpunkt wirksam aufgehoben. Das Schreiben vom 8. August 2016 stellte keinen wirksamen Aufhebungsbescheid
dar, da es weder die gesetzliche Grundlage für die Aufhebung benenne noch die tatsächlichen Gründe für die Beendigung des
freiwilligen Versicherungsverhältnisses darlege. Auch unter der Voraussetzung, dass das Schreiben vom 8. August 2016 ein wirksamer
Aufhebungsbescheid sei, bestehe ein Anspruch der Klägerin auf eine freiwillige Weiterversicherung, da sie die Anspruchsvoraussetzungen
gemäß §
9 Abs.
1 Nr.
1 SGB V erfülle. Sie sei aus der gesetzlichen Versicherungspflicht ausgeschieden und sei in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden
mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert gewesen. Zwar habe
sie nach Beendigung der Pflichtversicherung nicht die Frist von drei Monaten zu Erklärung ihres Beitritts zur freiwilligen
Krankenversicherung eingehalten, dies rechtfertige die Ablehnung der freiwilligen Versicherung jedoch nicht. Denn zum Zeitpunkt
der Kenntnis der Klägerin über das Ende ihrer Pflichtmitgliedschaft sei die Frist in der Vergangenheit bereits lange abgelaufen
gewesen. Das Jobcenter habe die Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 nämlich rückwirkend zum 30. Juni 2015, also für
einen Zeitraum von 16 Monaten in die Vergangenheit abgemeldet. Damit sei es der Klägerin niemals möglich gewesen, die Frist
von drei Monaten einzuhalten. Dies habe die Beklagte wohl auch gewusst. Denn sie habe mit Bescheid vom 14. Juli 2016 die freiwillige
Versicherung ab 1. November 2014 bewilligt, obwohl die Frist abgelaufen gewesen sei. Sofern sie nun den Ablauf der Frist moniere,
sei dies nicht nachvollziehbar. Sie habe durch ihren Bescheid vom 14. Juli 2016 selbst einen Vertrauenstatbestand geschaffen,
der die Klägerin habe annehmen lassen können, dass der Fristablauf nicht zu ihren Ungunsten berücksichtigt werde.
Nach Umzug der Klägerin zum 1. Juli 2018 lud das SG mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 die Stadt H. als nunmehr zuständiger Träger der Sozialhilfe (Beigeladene zu 2) zu dem
Verfahren bei.
Mit Urteil vom 21. Februar 2020 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 8. August 2016, da dieser rechtmäßig sei.
Die Beklagte sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin bei ihr nicht freiwillig versichert sei, weder im Rahmen
der obligatorischen Anschlussversicherung nach §
188 Abs.
4 SGB V noch aufgrund eines Beitritts. Die Klägerin erfülle für eine obligatorische Anschlussversicherung zwar die Voraussetzungen
des §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V, weil ihre Versicherungspflicht (§
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V) mit dem Ende des Leistungsbezugs nach dem SGB II geendet habe und eine neue Versicherungspflicht durch den Bezug von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
nach dem SGB XII nicht begründet worden sei. So habe insbesondere keine Pflichtversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V bestanden. Denn neben weiteren Voraussetzungen setze diese Vorschrift voraus, dass ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung
im Krankheitsfall nicht bestehe. Diese Voraussetzung werde in §
5 Abs.
8a SGB V konkretisiert. Nach dessen Satz 1 sei nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V nicht versicherungspflichtig, wer nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 bis
12 SGB V versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach §
10 SGB V versichert sei. Dies gelte gemäß Satz 2 der Regelung entsprechend u.a. für Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten,
Vierten und Siebten Kapitel des SGB XII. Damit habe nach dem Gesetzesentwurf erreicht werden sollen, dass der Sozialhilfeträger weiterhin für die Krankenbehandlung
von Empfängern von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII zuständig bleibe. Als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB XII habe die Klägerin Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 48 SGB XII, sodass eine Pflichtversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V nicht in Betracht komme. Für eine obligatorische Anschlussversicherung erfülle die Klägerin zwar die Voraussetzungen des
§
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V, da sie ihren Austritt nicht erklärt habe. Eine solche Versicherung sei im Hinblick auf die Regelung des §
188 Abs.
4 Satz 3 2. Alt.
SGB V jedoch ausgeschlossen. Denn danach gelte Satz 1 nicht für Personen, deren Versicherungspflicht ende, wenn ein Anspruch auf
Leistungen nach §
19 Abs.
2 SGB V bestehe, sofern im Anschluss daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen
wird. Gemäß §
19 Abs.
2 SGB V bestehe ein Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit
ausgeübt werde. Diese Voraussetzungen seien zu bejahen. Die Mitgliedschaft der Klägerin nach §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V habe mit dem Ende des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II geendet, eine Erwerbstätigkeit sei nicht ausgeübt worden und aufgrund des sich an den Bezug von Leistungen nach dem SGB II anschließenden Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII habe sie einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall in Form der Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII gehabt. Die Klägerin sei auch nicht aufgrund eines Beitritts zur freiwilligen Versicherung Mitglied der Beklagten geworden.
Denn innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der Pflichtmitgliedschaft, d.h. bis Ende September 2015, habe sie keine Beitrittserklärung
abgegeben. Im Hinblick auf die Frist des §
9 Abs.
2 SGB V sei in begründeten Ausnahmefällen zwar eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X möglich. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin jedoch nicht. Die rückwirkende Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII und damit die rückwirkende Beendigung des Leistungsbezugs nach dem SGB II sei bereits mit Bescheid der Beigeladenen zu 1 vom 18. Juni 2015 erfolgt, weshalb für die Klägerin bereits im Sommer 2015
Anlass bestanden habe, das Krankenversicherungsverhältnis zu klären. Diesbezüglich sei im Sommer 2016 im Anschluss an den
Bescheid vom 8. August 2016 zwar ein reger Schriftwechsel zwischen dem Betreuer der Klägerin, der Beklagten, der Beigeladenen
zu 1 und dem Arbeitslosenzentrum L. e.V. geführt worden, ein Antrag auf Wiedereinsetzung durch die Klägerin oder deren Vertreter
sei jedoch nicht gestellt worden. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren habe die rechtsanwaltlich vertretene Klägerin hierzu
keine Ausführungen gemacht. Allein die Beigeladene zu 1 habe sich in ihrem rechtlichen Vortrag auf eine mögliche Wiedereinsetzung
in die versäumte Frist bezogen.
Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 3. April 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. Mai 2020 beim LSG Baden-Württemberg
Berufung eingelegt und zur Begründung zunächst vorgebracht, eine obligatorische Anschlussversicherung sei entgegen der Ansicht
des SG nicht gemäß §
188 Abs.
4 Satz 3 2. Alt.
SGB V ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Regelung seien nicht erfüllt. Sie sei weder familienversichert noch verfüge sie
über eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Eine solche habe sie gegenüber der Beklagten auch nicht nachgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere des LSG Baden-Württemberg sei sozialhilferechtliche Krankenhilfe nach § 48 SGB XII gegenüber den Regelungen zur Krankenbehandlung nach §
264 SGB V nachrangig, was auch in § 48 Satz 2 SGB XII klargestellt sei. Auf den Hinweis des Senats, dass das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 29. Juni 2021 - B 12 KR 35/19 R - entschieden habe, dass ein Anspruch auf Krankenhilfe nach dem SGB XII im Sinne des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall darstelle, weshalb die Rechtsauffassung der Beklagten, eine obligatorische
Anschlussversicherung sei nicht zustande gekommen, zutreffend sein dürfte, machte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten
vom 3. Februar 2022 geltend, sie begehre ausdrücklich die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses in Form einer freiwilligen
Versicherung. Die notwendigen Vorversicherungszeiten seien erfüllt. Sie beantrage im Hinblick auf die Beitrittserklärung ausdrücklich
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie habe keine Kenntnis von ihrer Verpflichtung gehabt, den Beitritt zur Krankenkasse
innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen. Sie sei Analphabetin. Weiter sei zu berücksichtigen,
dass der Leistungsbezug nach dem SGB II im Oktober 2016 rückwirkend zum 1. November 2014 beendet worden sei, weshalb sich die Frage stelle, inwiefern die Sozialleistungsträger
ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Februar 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom
22. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheids
vom 8. August 2016 festzustellen, dass sie seit 1. Juli 2015 bei ihr freiwillig versichertes Mitglied ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass die Klägerin seit 1. Juli 2016 gegen Kostenerstattung
nach §
264 SGB V bei ihr versichert sei.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten
des SG und des Senats, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten der Verfahren S 11 KR 3413/16 ER und S 9 KR 2300/17 ER.
Entscheidungsgründe
1. Die nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG. Die Klägerin begehrt die Feststellung, sie sei seit 1. Juli 2015 freiwilliges Mitglied der Beklagten und damit nicht eine
Geld-, Sach- oder Dienstleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt.
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin auf Feststellung ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten
seit 1. Juli 2015. Die Klägerin verfolgt dieses Begehren im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X mit dem Ziel der (teilweisen) Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 8. August 2016, mit dem die Beklagte entschied,
dass die Klägerin entgegen der ab 1. November 2014 durchgeführten obligatorischen Anschlussversicherung nicht ihr Mitglied
werden könne. Streitbefangen ist damit der Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 13. September 2017 (§
95 SGG), mit dem es die Beklagte ablehnte, den Bescheid vom 8. August 2016 aufzuheben und die Klägerin als freiwilliges Mitglied
aufzunehmen.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Mitgliedschaft der Klägerin in der sozialen Pflegeversicherung bei der bei der Beklagten
eingerichteten Pflegekasse. Weder im Ausgangs-, Abänderungs- noch im Widerspruchsbescheid wurde eine Entscheidung hierzu getroffen.
Die Bescheide ergingen nicht auch im Namen der Pflegekasse. Die Klage richtete sich ausdrücklich (nur) gegen die beklagte
Krankenkasse. Auch das SG entschied nur zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung. Ohnehin folgt die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung
nach §
20 Abs.
3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) kraft Gesetzes aus der freiwilligen Krankenversicherung (vgl. Senatsurteil vom 22. März 2019 - L 4 KR 2182/18 - juris, Rn. 21).
3. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage statthafte Klage nicht abweisen dürfen. Denn
der Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 ist rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 8. August
2016 und Feststellung, dass sie ab dem 1. Juni 2015 freiwilliges Mitglied der Beklagten ist. Soweit die Beklagte mit diesem
Bescheid entschied, dass die Klägerin nicht ihr freiwilliges Mitglied werden könne bzw. nicht geworden ist, ist dies im Hinblick
auf den streitbefangenen Zeitraum ab 1. Juli 2015 rechtsfehlerhaft. Für die Klägerin wurde im Anschluss an ihre Pflichtmitgliedschaft
bei der Beklagten zwar keine freiwillige Mitgliedschaft in Form einer sog. obligatorischen Anschlussversicherung gemäß §
188 Abs.
4 SGB V begründet (hierzu b) und sie ist der Beklagten mit der Erklärung ihrer Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 3. Februar
2022 auch nicht wirksam als freiwilliges Mitglied beigetreten (hierzu c). Die Klägerin ist jedoch im Rahmen des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob sie der Beklagten fristgerecht beigetreten wäre (hierzu d).
Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines Bescheids über die Ablehnung der Feststellung einer freiwilligen Mitgliedschaft für
die Vergangenheit ist § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 12/99 R - juris, Rn. 16 und 23). Die Regelung über die Rücknahme rechtswidriger belastender Verwaltungsakte nach § 44 Abs. 1 SGB X ist dagegen eine Spezialregelung für Bescheide über sozialrechtliche Leistungen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.
Februar 2019 - L 6 SB 4715/17 - juris, Rn. 36). Im Gegensatz zu dem bindenden Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X eröffnet § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X der Behörde einen Ermessensspielraum (§
54 Abs.
2 Satz 2
SGG) bei der Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit. Der Senat
geht im vorliegenden Fall davon aus, dass der Anwendungsbereich von § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X - trotz der rückwirkenden Feststellung der Mitgliedschaft einer freiwilligen Versicherung - eröffnet ist. Zwar hat das BSG bereits entschieden, dass die Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend grundsätzlich nicht geändert werden
soll (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 12/99 R - juris, Rn. 24). Es hat deshalb die rückwirkende Begründung einer Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner
abgelehnt, wenn die Aufhebung einer die Mitgliedschaft ablehnenden bindenden Entscheidung im Streit war oder früher eine beantragte
Mitgliedschaft des Rentenantragstellers wegen Versagung der Rente geendet hatte. Das BSG hat dies auch damit begründet, dass Sachleistungen der Krankenversicherung ohnehin nachträglich nicht erbracht werden können
und Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit vermieden werden. Im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, dass die Beklagte
im Bescheid vom 8. August 2016 gegenüber der Klägerin ausgeführt hat, ihre ursprüngliche Versicherung habe geendet. Um ihren
Versicherungsschutz sicherzustellen, habe sie - die Beklagte - ab 1. November 2014 eine neue Versicherung, eine obligatorische
Anschlussversicherung, durchgeführt. Nach sorgfältiger Prüfung habe sie nun festgestellt, dass sie - die Klägerin - nicht
ihr Mitglied werden könne. Personen, die u.a. Leistungen nach dem SGB II bezögen oder Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten oder Siebten Kapitel des SGB XII seien, seien nicht versicherungspflichtig nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V und auch eine obligatorische Anschlussversicherung nach §
188 SGB V sei nicht möglich. Die Klägerin möge sich an die Beigeladene zu 1 wenden; diese sei für die Absicherung im Krankheitsfall
zuständig. Die Beigeladene zu 1 hatte sich in diesem Zusammenhang gegenüber der Beklagten schriftlich bereit erklärt, die
Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ab dem 1. November 2014 zu tragen. Vor dem Hintergrund dieser speziellen Konstellation,
in der die Beklagte durch ihren Bescheid vom 8. August 2016 selbst das Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin in Frage gestellt
hat, hat der Senat keine Bedenken, dass der Anwendungsbereich - anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall, bei der es um die Überprüfung einer mehrere Jahre zurückliegenden Befreiungsentscheidung ging - von §
44 Abs. 2 Satz 2 SGB X eröffnet ist. Selbst wenn der Anwendungsbereich nicht eröffnet wäre, wäre der Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 vom Senat aufzuheben gewesen, da die Klägerin im Rahmen des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als ob sie der Beklagten fristgerecht beigetreten wäre, weshalb
dem entgegenstehende Entscheidungen aufzuheben sind.
Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 8. August 2016 entschied, dass die Klägerin nicht ihr freiwilliges Mitglied werden konnte,
mithin auch nicht geworden ist, war dies rechtswidig, als sie davon ausging, dass die Klägerin ab 1. Juli 2015 nicht ihr freiwilliges
Mitglied geworden ist.
a. Der Bescheid vom 8. August 2016 ist nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil der damit getroffenen Entscheidung der Bescheid
vom 14. Juli 2016 entgegenstand und dieser - so die Auffassung der Beigeladenen zu 1 - mit Bescheid vom 8. August 2016 nicht
wirksam aufgehoben worden sei.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2016 traf die Beklagte keine Entscheidung über den Versicherungsstatus der Klägerin. Sie entschied
insbesondere nicht, dass für die Klägerin ab dem angegebenen Zeitpunkt eine freiwillige Mitgliedschaft in Form einer sog.
obligatorischen Anschlussversicherung begründet wurde.
Für die Auslegung von Verwaltungsakten i.S. des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelten die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften des §§
157,
133 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) entsprechend. Maßgeblich ist insofern der objektive Sinngehalt der Erklärung, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger
Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Oktober 2021, § 31 Rn. 26).
Im Bescheid vom 14. Juli 2016 brachte die Beklagte im Sinne der Angaben im Betreff ("Lückenlos optimal versichert - Beitragsbescheid
und wichtige Informationen zur Beitragsberechnung") zu Beginn ihrer Ausführungen zunächst die Bedeutung einer lückenlosen
Kranken- und Pflegeversicherung zum Ausdruck. Sie verwies darauf, dass der Gesetzgeber dies mittlerweile auch vorschreibe
und hiervon auch die Klägerin ab 1. November 2014 profitiere. Im Weiteren ging die Beklagte auf die Beitragshöhe der Kranken-
und Pflegeversicherung ein, die sich nach den tatsächlichen Einnahmen des Versicherten richteten. Diese möge die Klägerin
zur korrekten Berechnung des Beitrags mit den beigefügten Fragebögen mitteilen. Zuvor sei der Beitrag nach den gesetzlichen
Regelungen auf der Basis der Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen. Aufgeführt wurde sodann der sich daraus errechnende monatliche
Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Gesamtbetrag für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 30. Juni 2016,
der bis spätestens 28. Juli 2016 zu überweisen sei.
Einen Verfügungssatz, wonach die Klägerin zum 1. November 2014 im Rahmen der sog. obligatorischen Anschlussversicherung freiwilliges
Mitglied der Beklagten geworden sei, enthalten diese Ausführungen nicht. Sie lassen insbesondere auch nicht erkennen, dass
die Beklagte eine Entscheidung über den Versicherungsstatus der Klägerin treffen wollte. Die Darlegungen erschöpfen sich nämlich
in der Mitteilung, dass die Klägerin "automatisch" weiterhin Versicherungsschutz genieße. Die Art des Versicherungsschutzes
wird weder konkret bezeichnet noch näher beschrieben. So finden sich in den Ausführungen der Beklagten weder die Begriffe
"freiwillige Mitgliedschaft" oder "freiwilliges Mitglied"; auch enthalten sie keinen Hinweis darauf, dass es sich bei dem
automatisch weitergeführten Versicherungsschutz um eine derartige Mitgliedschaft in Form der obligatorischen Anschlussversicherung
handelt. Demgegenüber beschränkte sich die Beklagte - wie dies im Betreff des Bescheides durch den Begriff "Beitragsbescheid"
auch zum Ausdruck kommt - auf eine Verfügung dahingehend, die Klägerin zur Zahlung von Beiträgen in der aufgeführten Höhe
zu verpflichten.
b. An die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin schloss sich keine freiwillige Mitgliedschaft als sog. obligatorische Anschlussversicherung
gemäß §
188 Abs.
4 SGB V an.
Gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch beziehen, es sei
denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden. Nach Halbsatz 2 der Regelung gilt dies auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat,
rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist.
Die Klägerin bezog bis 30. Juni 2015 Arbeitslosengeld II und war daher während des Leistungsbezugs bei der Beklagten pflichtversichert.
Soweit die Beigeladene zu 1 der Klägerin mit Bescheid vom 18. Juni 2015 rückwirkend ab 1. November 2014 Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung bewilligte, änderte dies hinsichtlich des Zeitraums vom 1. November 2014 bis 30. Juni 2015
an der Pflichtversicherung im Hinblick auf §
5 Abs.
1 Nr.
2a Halbsatz 2
SGB V nichts, da der Klägerin Arbeitslosengeld II tatsächlich ausgezahlt wurde. Entsprechend wurde der Bescheid vom 24. Februar
2015 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II erst ab dem 1. Juli 2015 aufgehoben und die Beigeladene zu 1 meldete für
den davorliegenden Zeitraum ab 1. November 2014 einen Erstattungsanspruch an. Tatsächlich gewährte die Beigeladene zu 1 der
Klägerin ab dem 1. Juli 2015 laufend nur noch Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Die Klägerin bezog seitdem kein Arbeitslosengeld II mehr.
Diese Pflichtversicherung der Klägerin setzte sich weder als Pflichtversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V (sog. Auffangversicherungspflicht) und insbesondere auch nicht als freiwillige Mitgliedschaft gemäß §
188 Abs.
4 SGB V (sog. obligatorische Anschlussversicherung) fort.
Gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt
gesetzlich krankenversichert waren (Buchst. a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn,
dass sie zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit
im Inland gehört hätten (Buchst. b).
Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin bei Beendigung ihrer Pflichtversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V nicht. Denn aufgrund der Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Bescheid der Beigeladenen
zu 1 vom 18. Juni 2015) hatte die Klägerin ab 1. Juli 2015 Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 48 SGB XII und damit einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V. Eine Versicherungspflicht nach dieser Regelung machte die Klägerin im laufenden Verfahren selbst auch nicht geltend, sodass
es weiterer Ausführungen hierzu nicht bedarf. Der Senat verweist daher lediglich ergänzend auf die Darlegungen des SG in der angefochtenen Entscheidung (vgl. §
153 Abs.
2 SGG).
Gemäß §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V setzt sich die Versicherung für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, mit dem Tag nach dem
Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft
fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten
seinen Austritt. Der Austritt wird nur wirksam, wenn das Mitglied das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung
im Krankheitsfall nachweist (Satz 2). Nach Satz 3 der Regelung gilt Satz 1 u.a. nicht für Personen, deren Versicherungspflicht
endet, wenn ein Anspruch auf Leistungen nach §
19 Abs.
2 SGB V besteht, sofern im Anschluss daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen
wird.
Der Ausschlusstatbestand des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V ist im Fall der Klägerin erfüllt. Denn bei Ende der durch den Bezug von Arbeitslosengeld II begründeten Versicherungspflicht
gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V zum 30. Juni 2015 verfügte die Klägerin über einen nachgehenden Leistungsanspruch gemäß §
19 Abs.
2 Satz 1
SGB V und im Anschluss hieran hatte sie aufgrund des Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung Krankheitsfall.
Endet die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger, besteht nach §
19 Abs.
2 Satz 1
SGB V Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt
wird. Voraussetzung hierfür ist neben der fehlenden Erwerbstätigkeit, dass kein anderweitiger aktueller Krankenversicherungsschutz
besteht. Beides war bei der Klägerin der Fall. Die Klägerin übte keine Erwerbstätigkeit aus und es bestand kein den nachgehenden
Leistungsanspruch verdrängendes vorrangiges Versicherungsverhältnis. Der nachgehende Leistungsanspruch nach §
19 Abs.
2 Satz 1
SGB V wird nicht selbst durch den Bezug laufender Leistungen nach dem SGB XII verdrängt. Insoweit verbleibt es bei dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XII).
Im Anschluss an den Anspruch nach §
19 Abs.
2 Satz 1
SGB V bestand für die Klägerin im Sinne des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Bei der insoweit anzustellenden prognostischen Betrachtung
bei Ende der Versicherungspflicht am 30. Juni 2015 hatte die Klägerin aufgrund der Bewilligung von Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung mit Bescheid der Beigeladenen zu 1 vom 18. Juni 2015 Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 48 SGB XII. Bei diesem Anspruch handelt es sich um eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Hiervon ist die Beklagte mit Bescheid
vom 8. August 2016 zu Recht ausgegangen (ausführlich zur anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall BSG, Urteile vom 29. Juni 2021 - B 12 KR 35/19 R und B 12 KR 33/19 R - juris). Der Empfang laufender Leistungen nach dem SGB XII steht damit sowohl dem Entstehen einer Auffangversicherungspflicht als auch der Begründung einer obligatorischen Anschlussversicherung
entgegen. Im Sinne des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V ist die anderweitige Absicherung im Krankheitsfall schließlich durch Vorlage des Bescheids vom 23. November 2015 über die
Bewilligung von laufenden Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der bei der Beklagten am 2. August
2016 einging, auch nachgewiesen worden. Nachdem die Klägerin im Hinblick auf die Urteile des BSG vom 29. Juni 2021 (a.a.O.) an der zuvor vertretenen Auffassung, freiwilliges Mitglied der Beklagten gemäß §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V geworden zu sein, zuletzt im Berufungsverfahren nicht mehr festgehalten hat, bedarf es insoweit weiterer Ausführungen nicht.
c. Die Klägerin ist nicht durch Beitrittserklärung ihrer Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 3. Februar 2022 freiwilliges
Mitglied der Beklagten geworden.
Gemäß §
9 Abs.
1 Nr.
1 SGB V können der Versicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden und in den letzten
fünf Jahren vor dem Ausscheiden 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert
waren; Zeiten der Mitgliedschaft nach §
189 SGB V und Zeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen wurde, werden
nicht berücksichtigt. Nach §
9 Abs.
2 Nr.
1 SGB V ist der Beitritt der Krankenkasse im Falle des Abs. 1 Nr. 1 innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft
anzuzeigen.
(1) Die Klägerin war berechtigt, der Beklagten als freiwilliges Mitglied beizutreten. Sie war aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld
II seit 18. März 2009 Pflichtmitglied und schied zum 30. Juni 2015 aus der Pflichtmitgliedschaft aus. In dem davorliegenden
Zeitraum von fünf Jahren war die Klägerin somit mehr als 24 Monate versichert.
(2) Die Klägerin ist der Beklagten nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft beigetreten.
Wie oben bereits dargelegt, endete die Versicherungspflicht der Klägerin zum 30. Juni 2015. Ausgehend hiervon erklärte die
Klägerin ihren Beitritt zur Beklagten nicht innerhalb von drei Monaten. Ihren Beitritt erklärte sie erstmals durch ihre Prozessbevollmächtigten
mit Schriftsatz vom 3. Februar 2022, in dem diese ausführte, "Die Klägerin begehrt ausdrücklich die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses
in Form einer freiwilligen Versicherung mit der Beklagten". Zu diesem Zeitpunkt war die Dreimonatsfrist des §
9 Abs.
2 Nr.
1 SGB V bereits seit mehreren Jahren abgelaufen. Nichts anderes gilt, wenn man zugunsten der Klägerin davon ausginge, dass die Frist
zur Erklärung des Beitritts erst mit der Betreuerbestellung im Februar 2017 begonnen hätte.
Der Ablauf der Frist zur Anzeige des Beitritts zur freiwilligen Mitgliedschaft hat grundsätzlich den Ausschluss der Berechtigung
nach §
9 SGB V zur Folge, wobei allerdings eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 SGB X in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 16/07 R - juris, Rn. 14 m.w.N; Baierl, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, Stand Juni 2020, §
9 SGB V Rn. 75).
Soweit die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 3. Februar 2022 beantragte, ihr Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zu gewähren, liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor.
§ 27 Abs. 1 SGB X bestimmt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Nach Abs. 2 Satz 1 der
Regelung ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des
Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Satz 2). Innerhalb der Antragsfrist
ist die versäumte Handlung nachzuholen (Satz 3). Nach § 27 Abs. 3 SGB X kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung
nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist bereits wegen Ablauf der Jahresfrist gemäß § 27 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen. Deren Ablauf schließt sowohl den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch die Nachholung
der versäumten Handlung aus. Die Jahresfrist, die am Tag nach dem Tag des Fristablaufs beginnt, und damit am 1. Oktober 2015
begann, war im Februar 2022 seit Jahren abgelaufen. Anhaltspunkte für das Vorliegen höherer Gewalt liegen nicht vor und wurden
auch nicht geltend gemacht.
d. Die Klägerin ist im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs jedoch so zu stellen, als ob sie die Frist zum Beitritt
als freiwilliges Mitglied eingehalten hätte.
Nach der Rechtsprechung des BSG stellen die Vorschriften zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X keine abschließende Entscheidung des Gesetzgebers über die in einer verspäteten Antragstellung liegenden Folgen von Pflichtverletzungen
der Verwaltung dar. Ist die Fristversäumnis auf einen Behördenfehler zurückzuführen, überschneiden sich die Tatbestände des
§ 27 SGB X und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, ohne dass letzterer durch ersteren ausgeschlossen würde (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - B 13 R 91/11 R - juris, Rn. 28; BSG, Urteil vom 4. September 2013 - B 12 AL 2/12 R - juris, Rn. 17).
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet,
der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses
gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Erstes
Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare
behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten
geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden
kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 V 6/15 Rn - juris, Rn. 29; BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 KR 21/09 R - juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 26. April 2005 - B 5 RJ 6/04 R - juris, Rn. 21).
Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob der Krankenversicherungsträger gehalten ist, Versicherte bei Beendigung der Pflichtmitgliedschaft
auch ohne konkretes Beratungsbegehren darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedschaft durch einen innerhalb einer Frist von drei
Monaten zu erklärenden Beitritt als freiwillige Mitgliedschaft fortgesetzt werden kann (verneinend Schleswig-Holsteinisches
LSG, Urteil vom 6. Mai 2002 - L 1 KR 30/01 - juris, Rn. 25 m.w.N.). Denn bei einem konkreten Anlass hat der Versicherungsträger den Versicherten aufgrund seiner Beratungspflicht
gemäß §
14 SGB I auch ohne Beratungsbegehren von sich aus spontan auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die von
jedem Versicherten mutmaßlich genutzt würden. Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein
nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (BSG, Urteil vom 2. April 2014 - B 4 AS 29/13 R - juris, Rn. 29 m.w.N.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. März 2011 - L 5 KR 108/10 - juris; Rn. 14). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor.
Im Zusammenhang mit dem Erlass des Bescheids vom 8. August 2016 trat für die Beklagte objektiv ein Anlass zur Beratung der
Klägerin zutage. Zu diesem Zeitpunkt erkannte die Beklagte, dass die Pflichtversicherung der Klägerin sich nach deren Ende
- entgegen ihrer ursprünglichen Annahme - nicht im Rahmen einer obligatorischen Anschlussversicherung nach §
188 Abs.
4 SGB V als freiwillige Mitgliedschaft fortsetzte, weil die Voraussetzungen für eine solche freiwillige Mitgliedschaft tatsächlich
nicht vorlagen, da der Ausschlusstatbestand des §
188 Abs.
4 Satz 3
SGB V erfüllt war, nachdem die Klägerin aufgrund der Bewilligung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit Bescheid
vom 18. Juni 2015 im Sinne der genannten Regelung einen "anderweitigen Anspruch im Krankheitsfall" hatte. Zu diesem Zeitpunkt
lag der Beklagten darüber hinaus die der Beigeladenen zu 1 zuvor übersandte "Übernahmeerklärung" ausgefüllt und unterzeichnet
vor. Damit hatte sich die Beigeladene zu 1 bereit erklärt, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin ab Beginn
der freiwilligen Mitgliedschaft zu tragen. Der Beklagten musste sich damit ohne weiteres aufdrängen, dass die Klägerin von
der Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung Gebrauch machen würde. Da ihr gleichzeitig noch keine Beitrittserklärung
der Klägerin vorgelegen hat, bestand für die Beklagte Veranlassung, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass eine freiwillige
Mitgliedschaft nicht nur im Rahmen der zunächst - jedoch zu Unrecht - durchgeführten obligatorischen Anschlussversicherung
in Betracht kam, sondern grundsätzlich auch durch Beitritt als freiwilliges Mitglied hätte begründet werden können, und zwar
innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der (früheren) Mitgliedschaft. In diesem Sinne informierte die Beklagte im Übrigen
auch die Beigeladenen zu 1 auf deren Wunsch, ihr zu erläutern, weshalb für die Klägerin eine freiwillige Mitgliedschaft nicht
durchgeführt werden könne (vgl. Schreiben vom 8. September 2016).
Der Hinweis auf diese Beitrittsmöglichkeit war nicht wegen Ablaufs der Dreimonatsfrist entbehrlich. Nach §
9 Abs.
2 Nr.
1 SGB V ist der Beitritt innerhalb von drei Monaten "nach Beendigung der Mitgliedschaft" anzuzeigen. Vorliegend führte die Beklagte
die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin nach deren Ende automatisch als freiwillige Mitgliedschaft weiter. Die Beklagte bestätigte
dies im weiteren Verlauf mit ihren Ausführungen im Bescheid vom 14. Juli 2016 (sie - die Klägerin - profitiere "auch nach
Beendigung der Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.11.2014 automatisch von einem optimalen Versicherungsschutz") und erhob
dementsprechend für die Zeit ab 1. November 2014, dem Zeitpunkt des von ihr (zunächst) angenommenen Beginns der freiwilligen
Mitgliedschaft, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit einem Gesamtbetrag von 14.530,62 €. Mit Schreiben vom 22.
Juli 2016 teilte die Beklagte auch der Beigeladenen zu 1 mit, dass die Klägerin seit 1. November 2014 als freiwilliges Mitglied
bei ihr versichert sei. Für die Klägerin bestand vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, zur Begründung einer sich an die
Pflichtmitgliedschaft gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft ihr Gestaltungsrecht gemäß §
9 Abs.
2 Nr.
1 SGB V auszuüben. Ein Anlass hierfür entstand erstmals mit Erlass des Bescheids vom 8. August 2016, mit dem die Beklagte entschied,
dass die Klägerin - entgegen der tatsächlichen Durchführung - zum 1. November 2014 nicht ihr freiwilliges Mitglied geworden
sei. Denn hierdurch beendete die Beklagte mit Wirkung für die Vergangenheit die als freiwillige Mitgliedschaft geführte Versicherung
der Klägerin, ohne dass diese über einen anderweitigen Versicherungsschutz verfügte.
Der Senat geht davon aus, dass im Fall einer solchen rückwirkenden Beendigung einer freiwilligen Mitgliedschaft die Regelung
des §
9 Abs.
2 Nr.
1 SGB V in der Form anzuwenden ist, dass die Beitrittsfrist von drei Monaten erst mit Bekanntgabe des entsprechenden Bescheids beginnt
und nicht bereits mit dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt des tatsächlichen Endes der Mitgliedschaft. Wegen der rückwirkenden
Beendigung der Mitgliedschaft der Klägerin durch Bescheid vom 8.August 2016 wäre die Beklagte im Rahmen ihrer Beratungspflicht
gehalten gewesen, die Klägerin auf die Möglichkeit der Fortsetzung der Mitgliedschaft als freiwillige Versicherung durch Beitritt
innerhalb von drei Monaten hinzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R - juris, Rn. 38 f. zum nachträglichen freiwilligen Beitritt bei rückwirkender Feststellung, dass keine Familienversicherung
bestand). Dies unterließ die Beklagte im Rahmen des Bescheids vom 8. August 2016 und beschränkte sich auf die Feststellung,
dass nach Ende der Pflichtversicherung eine freiwillige Mitgliedschaft im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung
nicht möglich sei.
Die dargelegte Pflichtverletzung der Beklagten führte zumindest gleichwertig ursächlich zum Versäumnis der Klägerin, ihren
Beitritt zur freiwilligen Mitgliedschaft innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Bescheids vom 8. August 2016 zu erklären.
Der Klägerin ist hierdurch auch ein sozialrechtlicher Schaden entstanden, weil sie ihren originären Versicherungsschutz verlor.
Dass die Beigeladenen zu 1 und 2 als Sozialhilfeträger gleichwertige Leistungen im Rahmen des §
264 SGB V zur Verfügung stellen, steht der Annahme eines Nachteils durch den Verlust des originären Versicherungsschutzes nicht entgegen.
Denn die von den Beigeladenen zu 1 und 2 zu erbringenden nachrangigen Leistungen werden nur unter der Voraussetzung der Bedürftigkeit
nach den Regelungen des SGB XII gewährt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. März 2011, a.a.O.).
Die Klägerin ist im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach alledem so zu stellen, als ob sie die Beitrittsfrist
von drei Monaten nicht versäumt hätte. Sie ist mithin im Anschluss an ihre zum 30. Juni 2015 endende Pflichtversicherung ab
1. Juli 2016 freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden.
An diesem Ergebnis änderte sich auch dann nichts, wenn man davon ausginge, dass die Beitrittsfrist von drei Monaten bereits
am 1. Juli 2015 begann. Denn nach einem entsprechenden Hinweis auf die Beitrittsmöglichkeit im Bescheid vom 8. August 2016
wäre die Klägerin noch vor Ablauf der Ausschlussfrist des §
27 Abs.
3 SGB V, die - wie ausgeführt - am 1. Oktober 2015 begann und am 30. September 2016 endete, in der Lage gewesen, der Beklagten unter
gleichzeitiger Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beizutreten.
Vor diesem Hintergrund ist auch das Ermessen der Beklagten im Rahmen von § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auf Null reduziert (vgl. Merten, in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB X, § 44 Rn. 87). Eine derartige Verdichtung des Ermessens lag im Hinblick auf das festgestellte Fehlverhalten der Beklagten vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Die Beigeladenen zu 1 und 2 waren nicht mit außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu belasten; einen Antrag haben sie nicht
gestellt. Auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 sind von der Beklagten nicht zu tragen.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.