Keine Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine ambulant durchgeführte Elektrostimulationsbehandlung
bei einer Augenerkrankung
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für eine im Juni 2016 ambulant durchgeführte Elektrostimulationsbehandlung.
Der 1941 geborene Kläger ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Er leidet an einem Glaukom (Erstdiagnose 2008) und einer
epiretinalen Gliose beider Augen. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger einen Visus mit Brille von 0,3 rechts
und von 0,15 links sowie fortgeschrittene Gesichtsfeldeinschränkungen (s. Behandlungsbericht der S. GmbH vom 20. Juni 2016).
Die Elektrostimulationstherapie (auch Wechselstromtherapie) ist ein nicht-invasives Verfahren zur elektrischen Stimulation
des Gehirns und der Augen. In zehn ambulanten Sitzungen werden mittels an der Stirn angebrachter Elektroden elektrische Impulse
an das Gehirn und die Augen gesendet. Ziel der Behandlung ist die Verbesserung des Restsehleistungsvermögens ("Residualsehen")
über eine Synchronisation der Hirnaktivität.
Seit 2008 erfolgte die Behandlung des Glaukoms des Klägers mit augeninndrucksenkenden Augentropfen. Im Verlauf wurden wegen
Unverträglichkeiten verschiedene Augentropfen verwendet und größtenteils wieder abgesetzt. Zuletzt wurden zumindest seit Juni
2015 (Arztbriefe der Augenklinik des D.-krankenhauses K.-R. vom 12. Juni 2015, 13. November 2015 und 14. Januar 2016 sowie
Arztbrief der Augenklink des Universitätsklinikums H. vom 17. Oktober 2016) die Augentropfen Clonidophtal sine 1/8 eingesetzt.
Am 6. September 2011 wurde am rechten Auge eine Kanaloplastik zur Augendrucksenkung durchgeführt und zugleich ein damals bestehender
Katarakt durch Implantation einer Hinterkammerlinse behandelt. Am 4. Oktober 2011 wurde am linken Auge eine Kanaloplastik
durchgeführt. Im Januar 2016 erfolgte eine Zyklophotokoagulation (Laserbehandlung des Strahlenkörpers) beider Augen zur Augendrucksenkung.
Der Zieldruck von 15 mmHg wurde laut Arztbrief nicht erreicht.
Am 10. März 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Elektrostimulationstherapie der Sehnerven.
Zur Begründung seines Antrags gab er an, die herkömmlichen Behandlungsmethoden des Glaukoms seien bei ihm nicht wirksam. Seinem
Antrag fügte er den Arztbrief der Augenklinik des D.-krankenhauses K.-R. vom 14. Januar 2016 sowie ein Attest seines behandelnden
Augenarztes Dr. W. bei, wonach trotz mehrerer durchgeführter therapeutischer Verfahren keine ausreichende Drucksenkung des
Augeninnendrucks habe erzielt werden können.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und informierte
hierüber den Kläger mit Schreiben vom 11. März 2016. Im MDK-Gutachten vom 14. März 2016 gelangte Dr. U. zu dem Ergebnis, dass
es sich bei der beantragten Elektrostimulationstherapie um eine neue Behandlungsweise handele. Über deren Nutzen müsse der
Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) entscheiden. Zur Behandlung des Glaukoms des Klägers stünden schulmedizinische Therapien
zur Verfügung. Von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer gleichwertigen Erkrankung könne
nicht ausgegangen werden.
Mit Bescheid vom 16. März 2016 lehnte die Beklagte unter Verweis auf das MDK-Gutachten ab.
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Beklagte habe bislang nicht berücksichtigt,
dass er an einer besonderen Form des Glaukoms, dem Niederdruck-Glaukom leide. Er legte weitere Arztbriefe sowie Unterlagen,
die die Elektrostimulationstherapie erläutern, vor. Die Beklagte legte diese Unterlagen dem MDK zur erneuten Begutachten vor.
Im Gutachten vom 14. April 2016 gelangte Dr. We.-K. zu dem Ergebnis, dass eine notstandsähnliche Situation beim Kläger nicht
vorliege. Es stünden schulmedizinische Therapien zur Verfügung. Bei nicht ausreichender Drucksenkung könne laut Entlassungsbericht
vom 14. Januar 2016 die Operation wiederholt werden. Zudem seien Wirksamkeit und Nutzen der begehrten Behandlung nicht nachgewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.
Bereits vom 6. bis 17. Juni 2016 ließ der Kläger die begehrte Behandlung ambulant im Behandlungscenter der S. GmbH im M. durchführen.
Die S. GmbH stellte ihm hierfür unter Ansatz der Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ) Kosten in Höhe von insgesamt € 3.541,82 in Rechnung (Rechnung vom 20. Juni 2016).
Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf den Erfolg der Behandlung und unter
Vorlage des Behandlungsberichts von Prof. Dr. Sa. (S. GmbH), der Rechnung der S. GmbH und einer Studie zur Wechselstromtherapie
("PLOS one", Gall C. et al 2016) die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt € 4.783,12 (Behandlungskosten zzgl. Fahrt-
und Unterkunftskosten). Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und beauftragte erneut den MDK. Im Gutachten vom 1. Juli 2016 bestätigte Dr. We.-K. ihre Auffassung aus dem Vorgutachten.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2016 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab.
Bereits am 14. Juli 2016 erhob der Kläger beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage und trug zur Begründung vor, er leide an einem Niederdruck-Glaukom. Bei einem Glaukom drohe langfristig die Erblindung.
Es handele sich wertungsgemäß um eine Erkrankung, die einer tödlich verlaufenden Erkrankung gleichkomme. Die Erblindung sei
mit schwersten Einschränkungen verbunden. Die Standardtherapien seien nicht erfolgreich gewesen. Nach der letzten Operation
im Januar 2016 habe sich im Gegenteil sogar der Augeninnendruck erhöht. Die Elektrostimulationstherapie sei dagegen im Rahmen
der Möglichkeiten erfolgreich gewesen. Das Absterben der Sehnerven, was vor allem beim Niederdruck-Glaukom der Fall sei, habe
gestoppt werden können. Das Sehvermögen habe um 10 % auf dem rechten Auge und um 7 % auf dem linken Auge gebessert werden
können. Es sei ein Sachverständigengutachten auf neurologischem Fachgebiet einzuholen. Er legte Unterlagen zur Elektrostimulationstherapie
vor, unter anderem Ausarbeitungen von Prof. Dr. Sa., Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Medizinischen
Fakultät der Universität M., und den Arztbrief der Augenklink des Universitätsklinikums H. vom 17. Oktober 2016.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG hat den behandelnden Augenarzt des Klägers Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Er gab im Antwortschreiben
vom 1. Oktober 2016 an, die Erkrankung des Klägers sei weiter progredient. Es sei eine weitere intensivierte, konservative
Augendrucksenkung und evtl. eine Wiederholung der Lasertherapie erforderlich. Mit der Elektrostimulationstherapie habe er
keine Erfahrung.
Außerdem holte das SG von Amts wegen ein Sachverständigengutachten ein. Im Gutachten vom 22. Dezember 2016 führte Prof. Dr. Ha., Direktor der Augenklinik
des Klinikums der Stadt L., aus, beim Kläger bestehe ein Glaukom mit fortgeschrittenem Gesichtsfelddefekt. Eine Regeneration
der bereits zerstörten Nervenfasern des Sehnervs sei nicht möglich. Es kämen aber weitere operative und medikamentöse Maßnahmen
zur Augendrucksenkung in Betracht. Eine ausreichende Drucksenkung und Optimierung der Perfusion könne zu einer Befundstabilisierung
führen. Ein Fortschreiten des Glaukoms könne dagegen zur Erblindung des Klägers führen. Die Wirkungsweise der Elektrostimulationstherapie,
bei der eine Wechselstromstimulation zur Restauration des Sehnervs führen soll, könne wissenschaftlich nicht nachgewiesen
werden. Wie sich aus einer Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und der Gesellschaft für Augenheilkunde
(BVA) vom Dezember 2016 ergebe, seien die vorgestellten Studien zur Elektrostimulationstherapie sehr kritisch zu bewerten.
Sie könnten nicht die notwendige Evidenz für die Wirksamkeit der Methode liefern. Auf ergänzende Befragung gab der Sachverständige
an, dass zwar die Angaben der Glaukom-Experten zum Erblindungsrisiko behandelter Glaukom-Patienten von 5 % in 12 Jahren bis
"sehr selten" sehr voneinander abwichen. Alle Experten seien sich jedoch darin einig, dass eine optimale Therapie wesentlich
zum Erhalt der Sehschärfe beitrage. Zum Erhalt der Sehschärfe seien eine konsequente Einstellung des Augeninnendrucks und
eine Optimierung der vaskulären Situation zwingend erforderlich. Dann bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die krankheitsbedingte
Progression des Sehnervschadens aufgehalten werden könne.
Mit Urteil vom 21. März 2017 wies das SG die Klage ab und gab zur Begründung an, der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21. Juni 2016 sei rechtmäßig. Der Kläger könne weder die Erstattung der Kosten für die bereits durchgeführte Elektrostimulationstherapie
beanspruchen noch die künftige Versorgung mit dieser Therapie. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, denn diese
sei nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten. Eine positive
Empfehlung des GBA liege nicht vor, weshalb eine Versorgung mit dieser Methode grundsätzlich ausscheide. Auch die tatbestandlichen
Voraussetzungen von §
2 Abs.
1 Buchs. a Satz 1
SGB V lägen nicht vor. Der Kläger leide nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer damit
zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Nach dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Ha. bestehe eine hohe
Wahrscheinlichkeit, dass ein krankheitsbedingtes Fortschreiten des Sehnervschadens durch eine konsequente Einstellung des
Augeninnendrucks und eine Optimierung der Blutdrucklage aufgehalten werden könne. Die Behauptung des Klägers, die Ophthalmologie
stünde dem Fortschreiten seiner Sehschädigung hilflos gegenüber, treffe nicht zu. Auch beim Niederdruckglaukom sei nach der
übereinstimmenden Auffassung von Prof. Dr. Ha. und Dr. W. eine Augeninnendrucksenkung auf einen individuellen Zielwert anzustreben.
Hierfür stünden medikamentöse und operative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Jedenfalls könne nicht davon ausgegangen
werden, dass der Kläger innerhalb eines "kürzeren, überschaubaren" Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit sein Sehvermögen verliere.
Ob es sich bei der Elektrostimulationstherapie um eine Behandlungsmethode handele, die eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf biete, könne dahinstehen.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigen am 31. März 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. April 2017 beim Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, eine einer lebensbedrohlichen Erkrankung wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung liege vor. Außerdem stehe auch eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Behandlung nicht zur Verfügung. Mit der Elektrostimulationstherapie könne auch positiv auf den Heilungsverlauf eingewirkt
werden. Die Behandlung habe seine Sehkraft etwas verbessert. Eine Begutachtung auf neurologischem Fachgebiet werde dies zeigen.
Zudem habe Prof. Dr. Ha. nicht den gesamten Krankheitsverlauf berücksichtigt. Das Gutachten des Sachverständige PD Dr. Hu.
(dazu sogleich) leide an einem gravierenden Formfehler, weil dem Sachverständigen das Gutachten von Prof. Dr. Ha. zur Verfügung
gestellt worden sei. Der Sachverständige habe zudem jeden Kontakt mit ihm verweigert und es unterlassen, weitere Behandlungsunterlagen
anzufordern. Im Ergebnis dürften beiden Gutachten nicht für die Urteilsfindung herangezogen werden. Seine persönliche Situation
und der Krankheitsverlauf seien von den Sachverständigen nicht berücksichtigt worden. Die von den Sachverständigen angeführte
Stellungnahme der DOG zur Wechselstromtherapie sei keine offizielle Stellungnahme der DOG. Die Urheber dieser Stellungnahme
hätten ihren Namen nicht preisgegeben. Beide Gutachten seien deshalb als Gefälligkeitsgutachten zu werten. Ergänzend hat er
den Arztbrief der Augenklink des Universitätsklinikums H. vom 6. Juli 2017, Gesichtsfeldmessungen vom 12. Dezember 2017 und
6. Februar 2018, die Behandlungsunterlagen der S. GmbH über die die Elektrostimulationstherapie im Juni 2016, eine selbst
erstellte Aufstellung über den Krankheitsverlauf, Ausarbeitungen von Prof. Dr. Sa. zur Wechselstromsimulation sowie eine Stellungnahme
von Prof. Dr. Sa. zu den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. Hu. zur Wirksamkeit der Elektrostimulationstherapie vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. März 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.
März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2016 zu verpflichten, ihm die Kosten der im Juni 2016 durchgeführten
Elektrostimulationstherapie in Höhe von insgesamt € 4.783,12 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Das Gutachten des Sachverständigen PD Dr. Hu. bestätige ihre Auffassung.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat der Senat PD Dr. Hu., Augenarzt der Augenklinik des Universitätsklinikums E., zum Sachverständigen bestellt. Im Gutachten
nach Aktenlage vom 29. Mai 2018 führt der Sachverständige aus, ausweislich der aktenkundigen Befundunterlagen sei davon auszugehen,
dass der Kläger im Juni 2016 an beiden Augen an einem primären Offenwinkelglaukom (nicht an einem Normaldruckglaukom) und
einer epiretinalen Gliose gelitten habe. Außerdem sei er mit einer künstlichen Linse versorgt gewesen. Die Unterscheidung
zwischen einem Normaldruckglaukom und einem primären Offenwinkelglaukom sei für die weitere Beurteilung nicht wesentlich,
da für beide Formen die Senkung des Augeninnendrucks die einzige evidenzbasierte Behandlungsmethode sei und auch beide Formen
trotz Normalisierung des Augeninnendrucks unter Therapie in einigen Fällen weiter fortschreiten können. Bis zur Elektrostimulationstherapie
im Juni 2016 seien konservative Therapien zur Senkung des Augeninnendrucks und mehrere Operationen zur Drucksenkung durchgeführt
worden. Im Juni 2016 hätten noch weitere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Methoden zur Behandlung
des Glaukoms zur Verfügung gestanden. Diese Methoden beruhten im Wesentlichen auf der Senkung des Augeninnendrucks unter einen
individuell festgelegten Zieldruck. Mit Erreichen des Zieldrucks könne die Progression der Erkrankung voraussichtlich so stark
gebremst werden, dass im Laufe der zu erwartenden Lebenszeit die auf die Sehfunktion bezogene Lebensqualität aufrechterhalten
werden könne. Nach den vorliegenden Studien könne dadurch in vielen Fällen das Fortschreiten der Glaukomerkrankung vermieden
werden. Die Verbesserung der Sehschärfe, insbesondere der Gesichtsfelder, sei aber sehr unwahrscheinlich. Trotz multipler
Unverträglichkeiten des Klägers hätten im Juni 2016 auch noch Augentropfen (Clonid ophtal sine) zur Verfügung gestanden. Bei
mangelnder Regulation hätte außerdem die Zyklophotokoagulation wiederholt werden können. Da auch eine adäquate Einstellung
des Augeninnendrucks die Progression nicht in allen Fällen verhindern könne, werde zusätzlich eine Neuroprotektion durch Applikation
von Brimonidin Augentropfen angestrebt. Aufgrund der Allergien des Klägers sei aber davon auszugehen, dass ein solcher neuroprotektiver
Ansatz bei ihm nicht durchführbar gewesen wäre. Die epiretinale Gliose habe durch eine operative Entfernung der Gliose behandelt
werden können. Dadurch hätte die Sehschärfe mit hoher Wahrscheinlichkeit verbessert werden können. Die Operation berge allerdings
das Risiko der Verschlechterung der Glaukomerkrankung und könne im schlimmsten Fall zur Erblindung führen. Der zeitliche Rahmen
für die damals aufgrund der Augenerkrankungen des Klägers drohende Erblindung sei schwierig abzuschätzen. Grundsätzlich sei
das primäre Offenwinkelglaukom eine Erkrankung, die zur Erblindung führen könne. Eine Erblindung durch eine epiretinale Gliose
sei unwahrscheinlich. Der beim Kläger vorliegende deutliche Verfall der zentralen Sehschärfe sei wohl nicht unerheblich durch
die Gliose bedingt. Die vorliegenden Gesichtsfeldmessungen ließen eine individuelle Abschätzung der Progredienz des Glaukoms
nicht zu. Das Risiko des Klägers könne deshalb nur anhand der Literatur geschätzt werden. Nach einer retrospektiven Analyse
wurde die Wahrscheinlichkeit der beidseitigen Erblindung innerhalb eines Beobachtungszeitraums von 20 Jahren auf 9 % geschätzt.
Das Risiko sei jedoch nach fünf Jahren deutlich angestiegen, so dass beim Kläger die Wahrscheinlichkeit eher höher gelegen
habe. Ergebnis der retrospektiven Analyse sei auch gewesen, dass selbst gut regulierte Augendruckwerte nicht zwangsläufig
vor der Erblindung schüzten. Von einer Elektrostimulationstherapie sei laut einer kontrollierten, randomisierten klinischen
Studie mit Kontrollgruppe und Verblindung der Studienteilnehmer und der auswertenden Wissenschaftlicher (Gall C et al 2016)
eine Verbesserung der Wahrnehmung überschwelliger Reize in Gesichtsfeldbereichen mit glaukombedingt verminderter Empfindlichkeit
zu erwarten. Die Beweiskraft der Studie sei durch die Kritikpunkte von DOG und BVA in der Stellungnahme von Dezember 2016
nicht grundsätzlich widerlegt. Insgesamt lägen aber nicht genug Daten vor, die den Schluss zuließen, dass die Behandlung langfristig
zu einer merklichen Verbesserung der Lebensqualität führen könne. Zudem gebe es den bisherigen Forschungserbnissen zufolge
keinen Hinweis darauf, dass die Behandlung eine Erblindung verhindern könne. Prof. Dr. Sa. weise selbst in einer seiner wissenschaftlichen
Publikationen darauf hin, dass die Grunderkrankung durch die Elektrostimulationstherapie nicht geheilt werde, weil der Effekt
auf "der effizienteren Nutzung des noch vorhandenen Hirngewebes" beruhe. Übereinstimmend mit dem Vorgutachter gehe er davon
aus, dass eine Progression der Erkrankung und eine ggf. drohende Erblindung nur durch eine Senkung des Augeninnendrucks oder
durch neuroprotektive Verfahren, nicht aber durch eine Elektrostimulationstherapie verhindert werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die
beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A. Die gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß §
143 SGG statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da der maßgebliche
Beschwerdewert nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG von € 750,00 überschritten ist. Der Kläger begehrt die Zahlung von € 4.783,12.
B. Gegenstand des Verfahrens ist allein der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21. Juni 2016, nicht auch der Bescheid vom 21. Juli 2016, mit dem die Beklagte den (vermeintlichen) Überprüfungsantrag
des Klägers nach § 44 SGB X abgelehnt hat. Er ist nicht nach §
96 SGG Gegenstand des damals schon laufenden Klageverfahrens geworden. Denn er enthält keine Änderung oder Ersetzung des bereits
angefochtenen Verwaltungsaktes.
C. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Gewährung der Elektrostimulationstherapie
als ambulante Sachleistung zu Recht abgelehnt. Nach Durchführung der Behandlung steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung
der Kosten zu. Dies gilt mit Blick sowohl auf §
13 Abs.
3 Satz 1 2. Var
SGB V (dazu unter 1.) als auch auf §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V (dazu unter 2.).
1. Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers folgt nicht aus §
13 Abs.
3 Satz 1 2. Var.
SGB V.
Nach §
13 Abs.
3 Satz 1 2. Var.
SGB V sind dem Versicherten die für eine von ihm selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten,
wenn die Krankenkasse diese Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die Leistung notwendig und die Ablehnung für die Entstehung
der Kosten ursächlich war.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger eine Elektrostimulationstherapie
zu gewähren. Deshalb kann der Kläger auch nicht beanspruchen, dass ihm die Kosten, die durch die selbstbeschaffte Leistung
entstanden sind, von der Beklagten erstattet werden. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender
Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen
allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundessozialgericht
[BSG], Urteile vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 16/07 R - juris, und 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R - juris). Daran fehlt es hier. Der Kläger hatte keinen entsprechenden Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte.
a) Nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung
(§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB V). Nach §
28 Abs.
1 Satz 1
SGB V umfasst ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach
den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Der Anspruch eines Versicherten auf (ambulante) Behandlung
nach §
27 Abs.
1 SGB V unterliegt den sich aus §
2 Abs.
1 und §
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Krankheit im Sinne des
SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung
bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R -, 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R - und 11. September 2012 - B 1 KR 9/12 R - alle juris). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Eine Krankheit liegt nur
vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt
(ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - und 6. März 2012 - B 1 KR 17/11 R - beide juris; Urteil des Senats vom 26. Juni 2009 - L 4 KR 3386/08 - nicht veröffentlicht; Hessisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 15. April 2013 - L 1 KR 119/11 - juris).
b) Bei dem Kläger bestand im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung der begehrten Sachleistung im Juni 2016 eine Krankheit
im Sinne des §
27 Abs.
1 SGB V. Er litt an einem Glaukom (Erstdiagnose 2008) und einer epiretinalen Gliose beider Augen.
c) Der Kläger hatte jedoch keinen Anspruch auf eine Behandlung seiner Erkrankung mittels Elektrostimulationstherapie.
aa) Der Behandlungsanspruch eines Versicherten bei Vorliegen einer Krankheit unterliegt den sich aus §
2 Abs.
1 und §
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Beschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich
sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind,
können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen
(§
12 Abs.
1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechen (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V). Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der
Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr
muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein (zum Ganzen:
z.B. BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -, 3. Juli 2012 - B 1 KR 6/11 R - und 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R - alle juris). Zu beachten sind schließlich auch die Regelungen des Leistungserbringerrechts (Viertes Kapitel des
SGB V, §§
69 bis
140h SGB V), insbesondere auch die Regelungen über die Qualitätssicherung.
Für den ambulanten Bereich ist insoweit das in §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen
Versorgung zulasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch nur dann zu den den Versicherten von der Krankenkasse
geschuldeten Leistungen, wenn der GBA in Richtlinien nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischer
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R -, 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R -, 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -, 3. Juli 2012 - B 1 KR 6/11 R - und 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R -, alle juris). Die entsprechende Richtlinie ist seit 1. April 2006 die Richtlinie des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
in der vertragsärztlichen Versorgung (Methoden-Richtlinie), zuvor die Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien). An die Entscheidungen des GBA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R - juris). Ohne befürwortende Entscheidung des GBA kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. Durch
Richtlinien nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 i.V.m. §
135 Abs.
1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer
(Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen.
Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen
verbindlich festgelegt (BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R -, 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -, 3. Juli 2012 - B 1 KR 6/11 R - und 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R - alle juris).
Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode in diesem Sinne ist die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende
systematische Vorgehensweise der Untersuchung und Behandlung einer Krankheit (BSG, Urteile vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 19/96 R - und 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R - beide juris). Neu in diesem Sinne ist eine ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie zum Zeitpunkt
der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt wird und somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen
Versorgung ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - juris).
bb) Bei Elektrostimulationstherapie handelt es sich um eine eigenständige Behandlungsmethode. Diese Behandlungsmethode ist
auch neu. Denn sie ist im EBM nicht als abrechnungsfähige Leistung erfasst. Eine Empfehlung des GBA für die Elektrostimulationstherapie
zur Behandlung des Glaukoms liegt nicht vor. Als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode ohne positive Empfehlung des GBA
unterliegt diese Behandlungsmethode somit dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V und darf im vertragsärztlichen Bereich nicht erbracht werden (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 12. Februar 2014 - L 4 KR 4163/11 - nicht veröffentlicht und Beschluss des Senats vom 25. Januar 2016 - L 4 KR 3825/15 - nicht veröffentlicht; Beschluss des Senats vom 13. September 2016 - L 4 KR 320/16 - juris; Urteil des Senats vom 12. Mai 2017 - L 4 KR 2743/16 - nicht veröffentlicht; vgl. auch Urteil des Senats vom 1. März 2013 - L 4 KR 3517/11 - juris).
cc) Ein Systemversagen liegt nicht vor. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse kann ausnahmsweise bestehen, wenn die fehlende
Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für
eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen").
Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA
selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R -, 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R - und 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R -, a.a.O.). Dies ist nicht der Fall. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben
sind.
dd) Auch um einen sogenannten Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung
entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R -juris), handelt es sich vorliegend nicht. Die bei dem Kläger vorliegenden Krankheiten sind keine seltenen Erkrankungen.
ee) Der Kläger kann sich auch nicht auf §
2 Abs.
1a SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2983) mit Wirkung vom 1. Januar 2012, berufen.
Nach §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht, auch eine von §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 6. Dezember
2005 - 1 BvR 347/98 - juris) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R - und Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - alle juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden
einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte
Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA
bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig
damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -, vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - und vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 26/12 R - alle juris). Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden
Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis
einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG a.a.O.). Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur,
wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt,
wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November
2015 - 1 BvR 2056/12 - juris). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher
Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht
kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten.
(1) Die Erkrankungen des Klägers sind keine lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen. Sie sind auch nicht
wertungsmäßig mit solchen Erkrankungen vergleichbar.
Der Kläger litt im maßgeblichen Zeitraum (Juni 2016) mit einem Visus (mit Brille) von 0,3 rechts und einem Visus (mit Brille)
von 0,15 links sowie fortgeschrittenen Gesichtsfeldeinschränkungen (s. Behandlungsbericht der S. GmbH vom 20. Juni 2016) an
einer schweren Sehstörung. Eine hochgradige Sehstörung reicht indes nicht aus, um eine wertungsgemäß mit tödlichen Erkrankungen
vergleichbare Gesundheitsstörung annehmen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 2010 - B 1/3 KR 22/08 R, juris, Rn. 31).
Eine drohende Erblindung kann zwar grundsätzlich wertungsgemäß einer tödlichen Erkrankung gleichgesetzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 2010 - B 1/3 KR 22/08 R, juris, Rn. 31). Um eine notstandsähnliche Situation annehmen zu können, ist es jedoch erforderlich, dass sich eine Erblindung
innerhalb eines kurzen, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R, juris, Rn. 19). Dies war vorliegend nicht der Fall.
Für die Gliose scheidet diese Tatbestandsvoraussetzung von vornherein aus. Dass dem Kläger infolge dieser Erkrankung eine
Erblindung drohte, ist nicht erwiesen. Im Gegenteil, nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. Hu. ist
eine Erblindung durch diese Krankheit vielmehr als unwahrscheinlich anzusehen.
Das Glaukom ist dagegen grundsätzlich eine Erkrankung, die zur Erblindung führen kann. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten
von Prof. Dr. Ha.. Im hier maßgeblichen Zeitpunkt Juni 2016 drohte jedoch nicht innerhalb eines kurzen, überschaubaren Zeitraums
mit großer Wahrscheinlichkeit die Erblindung des Klägers. Keiner der Sachverständigen konnte dies bestätigen. Nach den Angaben
von Prof. Dr. Ha. ist vielmehr davon auszugehen, dass für den Kläger aufgrund der Glaukomerkrankung ein gewisses Risiko bestand,
innerhalb eines längeren, mehrere Jahre umfassenden Zeitraums zu erblinden. Seinen Angaben zufolge variieren die Einschätzungen
des Erblindungsrisikos bei einem Glaukom in der Literatur stark und reichen von 5 % in 12 Jahren bis "sehr selten". Der Sachverständige
PD Dr. Hu. spricht von einem Risiko von 9 % in 20 Jahren, wobei die Wahrscheinlichkeit beim Kläger aufgrund des fortgeschrittenen
Befunds allerdings "eher höher" einzuschätzen sei. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Sachverständige damit auf den
konkreten Krankheitsverlauf eingegangen. Daraus ergibt sich keine innerhalb kürzerer Zeit sich verwirklichende Erblindungswahrscheinlichkeit.
(2) Darüber hinaus standen im Juni 2016 noch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur
Verfügung. Sowohl der Augenarzt des Klägers, Dr. W., als auch die Sachverständigen bestätigen dies. Als allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Therapien zur Behandlung des Glaukoms standen zum einen die Fortsetzung der konservativen
Augendrucksenkung und zum anderen die Wiederholung der Zyklophotokoagulation zur Verfügung. Trotz multipler Unverträglichkeiten
standen damals noch Augentropfen zur Verfügung, die der Kläger vertragen hat. Unter Anwendung dieser Standardtherapien bestand
eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Progression der Erkrankung gebremst wird und damit eine Erblindung verhindert wird.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ha.. Auch PD Dr.
Hu. legt unter Auswertung der Studienlage überzeugend dar, dass die Standardmethoden, zwar nicht in allen, aber in vielen
Fällen das Fortschreiten der Glaukomerkrankung verhindern kann.
Zur Behandlung der Gliose stand eine operative Entfernung derselben zur Verfügung. Ob diese dem Kläger angesichts des Risikos
der Verschlechterung der Glaukomerkrankung zumutbar war, kann dahin gestellt bleiben. Denn wie oben festgestellt, drohte durch
die Gliose keine Erblindung, auch nicht über einen längeren Zeitraum hin.
(3) Schließlich bestand durch die Elektrostimulationstherapie keine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder
auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Dies ergibt sich schon aus den eigenen Ausführungen des Behandlers
Prof. Dr. Sa.. In seinem Schreiben an die Krankenkasse vom 6. Januar 2015 beschreibt er die Wechselstromtherapie und führt
aus, dass Ziel der Behandlung nicht eine Veränderung am Auge sei. Die zugrundeliegende Erkrankung werde durch die Behandlung
selbst nicht geheilt. Die Therapie wirkt vielmehr auf das Gehirn. Daraus folgt, dass der bei einer Glaukomerkrankung stattfindende
Untergang von Nervenzellen des Sehnervs nicht verhindert oder gestoppt werden kann. Auch Prof. Dr. Sa. bestätigt in seiner
vom Kläger vorgelegten Stellungnahme vom 29. Juli 2018, dass eine solche Wirkung der Elektrostimulationstherapie nie behauptet
wurde. Die Sachverständigen Prof. Dr. Ha. und PD Dr. Hu. kommen deshalb nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass keine Hinweise
dafür vorliegen, dass die Elektrostimulationstherapie die Erblindung verhindern kann und nur die Standardtherapien eine Verschlechterung
der Glaukomerkrankung stoppen kann.
Ob die Wirkungsweise der Elektrostimulationstherapie als hinreichend nachgewiesen anzusehen ist, kann vor diesem Hintergrund
offenbleiben.
2. Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V.
Gemäß §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V, der mit Wirkung zum 26. Februar 2013 durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.
Februar 2013 (BGBl. I S. 277) eingefügt worden ist, hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen
nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb
von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich
hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§
13 Abs.
3a Satz 2
SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§
13 Abs.
3a Satz 3
SGB V). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der
Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung gemäß §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung
selbst, ist die Krankenkasse gemäß §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
Die Beklagte hat sich vorliegend an diese gesetzlichen Fristen gehalten. Sie hat den Antrag des Klägers vom 10. März 2016
bereits mit Bescheid vom 16. März 2016 abgelehnt.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG.
E. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.