Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Härtefallleistungen nach § 36 Abs. 4 SGB XI bei einem Anspruch auf Pflegegeld
Tatbestand:
Die Klägerin, die Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe III bezieht, beansprucht von der Beklagten zusätzlich die Gewährung
von Härtefallleistungen.
Die am geborene Klägerin ist familienversichertes Mitglied der Beklagten. Sie wurde als Frühgeborenes der 24. Schwangerschaftswoche
geboren und leidet an einer komplexen postpartalen Problematik sowie an einer globalen Entwicklungsredardierung mit dyskinetischer
Zerebralparese linksbetont. Mit diesen Gesundheitsstörungen gehen eine ausgeprägte Muskelhypotonie, ein deutlich reduzierter
Kräftezustand, dyskinetische Bewegungsstörungen mit plötzlich einschießenden Streckbewegungen der Arme, eine nur mäßige Kopfkontrolle
und eine fehlende Rumpfkontrolle/Rumpfstabilität einher. Die Klägerin ist daher nicht geh- oder stehfähig und kann weder frei
sitzen noch sich mit ihrem Rollstuhl selbstständig fortbewegen. Sie besuchte zunächst einen integrativen Kindergarten sowie
in der Folge eine Schule für geistig behinderte Kinder. Seit Januar 2010 besucht sie die E.-W.-Schule für körperbehinderte
Kinder in E.. Die Klägerin wird im Wesentlichen von ihrer Mutter, im Übrigen von ihrem Vater gepflegt.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf der Grundlage des Gutachtens vom 08. März 2006 durch Pflegefachkraft C. vom Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) ab 01. Januar 2006 Pflegegeld nach Pflegestufe III (Bescheid vom 14. März 2006). Am 31.
März 2009 ließ die Beklagte die Klägerin erneut zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit begutachten (Gutachten der Pflegefachkraft
A. des MDK vom 09. April 2009) und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. Mai 2009 mit, dass weiterhin die Voraussetzungen
der Pflegestufe III vorlägen.
Am 23. Februar 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten (neben einem Zuschuss für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen
Wohnumfeldes) die Gewährung von Härtefallleistungen zusätzlich zum Pflegegeld nach der Pflegestufe III. Die Beklagte ließ
die Klägerin durch Pflegefachkraft W. vom MDK sozialmedizinisch begutachten. Diese schätzte in ihrem Gutachten vom 12. April
2010 nach Begutachtung der Klägerin in häuslicher Umgebung drei Tage zuvor den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen
der Grundpflege (höherer Hilfebedarf gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind) mit täglich 293 Minuten (Körperpflege 104
Minuten, Ernährung 112 Minuten, Mobilität 77 Minuten). Die tägliche Körperpflege müsse vollständig übernommen werden. Das
Zähneputzen sei bei Abwehr erschwert. Zudem bestehe erhöhter Zeitbedarf bei der Nahrungsaufnahme, die Klägerin könne nur sehr
langsam essen. Nachts müsse die Klägerin mehrfach gelagert werden. Es erfolge ein wiederholter Bekleidungswechsel. Die Klägerin
mache sich häufig sehr steif beim Anziehen, weshalb auch hier ein erhöhter Zeitbedarf gegeben sei. Es bestehe weiterhin Pflegebedarf
nach Pflegestufe III. Ein Härtefall habe nicht festgestellt werden können, da die in den Richtlinien der Spitzenverbände der
Pflegekassen zur Anwendung der Härtefallregelungen vom 10. Juni 1995 i. d. F. vom 28. Oktober 2005 (Härtefall-Richtlinien
- HRi -) genannten zeitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 28. April 2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung von Härtefallleistungen ab. Weiterhin seien
die Voraussetzungen für die Zuordnung der Pflegestufe III erfüllt. Jedoch hätten die Voraussetzungen für einen Härtefall nicht
festgestellt werden können, da die in den HRi genannten zeitlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 21. Mai 2010 Widerspruch ein. Insgesamt fehle für die Anerkennung als Härtefall
ein Zeitaufwand von nur sieben Minuten, der in ihrem Falle jedoch zur Pflege sehr wohl benötigt werde. Wesentliche Teile des
Pflegeaufwands (Ganzkörperwäsche und Teilwäsche) seien gar nicht berücksichtigt worden. Die im Pflegegutachten veranschlagten
Zeitangaben seien deutlich zu niedrig bemessen. Das Duschen sei innerhalb von vier Minuten vollkommen unmöglich. Die Windeln
müssten deutlich häufiger und mit mehr Zeitaufwand als berücksichtigt gewechselt werden. Nicht beachtet worden sei auch das
Erfordernis des Einreibens mit Dermatika nach dem Waschen/Duschen/Baden. Im Bereich der Nahrungsaufnahme habe die Gutachterin
einen Zeitrahmen von zehn Minuten pro Mahlzeit zugrunde gelegt. Dies liege weit unter den tatsächlichen Anforderungen. Überdies
sei übersehen worden, dass sie (die Klägerin) auch nachts trinke. Schließlich seien auch im Bereich der Mobilität deutlich
zu niedrige Minutenangaben durch die Gutachterin geschätzt worden. Die Klägerin legte das Attest der behandelnden Kinder-
und Jugendärztin Kirsten vom 01. Juni 2010 vor.
Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten der Pflegefachkraft S., MDK, vom 22. Juni 2010 ein. Die Gutachterin schätzte den
grundpflegerischen Gesamthilfebedarf nunmehr auf 325 Minuten pro Tag ein. Dabei entfielen auf die Körperpflege 135 Minuten,
die Ernährung 110 Minuten sowie auf die Mobilität 80 Minuten. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Härtefallregelung
würden nicht erreicht. Es müsse hierfür ein grundpflegerischer Hilfebedarf von sechs Stunden täglich, davon mindestens dreimal
in der Nacht, gegeben sein, oder aber die Grundpflege müsse auch nachts von mehreren Pflegekräften zeitgleich erbracht werden,
wobei eine der Pflegepersonen eine professionelle Pflegefachkraft sein müsse. Überdies beruhten die Einwände der Klägerin
teilweise auf einem Missverständnis, da Vorgänge, die nicht täglich stattfänden, in ihrem Zeitaufwand durch die Anzahl der
Wochentage dividiert würden, um den durchschnittlichen täglichen Aufwand zu ermitteln.
Die Klägerin hielt in der Folge gleichwohl ihren Widerspruch aufrecht und wandte insbesondere ein, dass einige Punkte des
Pflegetagebuches im Rahmen der Begutachtung nicht berücksichtigt worden seien. In ihrem Falle liege eindeutig ein Härtefall
vor. Sie benötige eine extrem zeitaufwändige, nämlich ständige Betreuung. Tagsüber müsse sie fixiert werden, da sie nicht
selbst sitzen könne. Nachts bestehe drei- bis sechsmal Hilfebedarf, zudem müsse die Bettwäsche regelmäßig gesäubert werden.
Aufgrund der Versteifung ihrer Gelenke infolge von Spastiken sei der Arbeitsaufwand zum Anziehen erheblich höher als bei anderen
Pflegebedürftigen. Die Beklagte holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme nach Aktenlage bei Pflegefachkraft S. vom 27.
Juli 2010 ein, die bei ihrer bisherigen Einschätzung zum Ausmaß des Pflegeaufwands der Klägerin verblieb.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2011 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch der
Klägerin als unbegründet zurück. Der Hilfebedarf der Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen zur Anwendung der Härtefallregelungen.
Nach den entsprechend §
17 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) beschlossenen HRi liege ein Härtefall vor, wenn Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens
sechs Stunden täglich, davon mindestens dreimal in der Nacht, erforderlich sei oder die Grundpflege für den Pflegebedürftigen
auch des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden könne, wobei wenigstens bei einer Verrichtung
tagsüber und des Nachts neben einer professionellen Pflegekraft mindestens eine weitere Pflegeperson tätig werden müsse. Zusätzlich
müsse ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein. Der MDK habe die Klägerin begutachtet. Die
in den HRi genannten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Widerspruchsbegründung
der Klägerin. Unter Berücksichtigung der geäußerten Einwände erscheine ein Grundpflegebedarf von 325 Minuten nachvollziehbar.
Die zeitlichen Voraussetzungen von mindestens 360 Minuten würden hingegen weiterhin nicht erreicht. Der vermeintlich zu geringe
Zeitbedarf bei den Verrichtungen des Duschens, Badens und Windelwechselns beruhe auf einem Missverständnis seitens der Mutter
der Klägerin. Der im Gutachten angegebene Zeitwert gebe lediglich den auf einen tagesdurchschnittlichen Zeitbedarf umgelegten
Hilfebedarf wieder. Der Zeitbedarf bei den einzelnen Verrichtungen sei zweifellos höher. Da jener Hilfebedarf jedoch nicht
täglich anfalle, sei er auf einen wochendurchschnittlichen Wert pro Tag umgerechnet worden. Im Übrigen stünden der Klägerin
selbst dann keine zusätzlichen Leistungen wegen eines Härtefalls zu, wenn sich ihr Grundpflegebedarf tatsächlich auf mindestens
360 Minuten täglich beliefe. Leistungen wegen eines Härtefalls seien gemäß §
36 Abs.
4 bzw. §
43 Abs.
3 SGB XI ausschließlich Schwerstpflegebedürftigen zu gewähren, die Pflegesachleistungen oder vollständige Pflegeleistungen in Anspruch
nähmen. §
37 SGB XI sehe hingegen keine entsprechende Härtefallregelung für Pflegebedürftige vor, die ausschließlich Pflegegeld erhielten.
Die Klägerin erhob am 28. Januar 2011 zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage. Hinsichtlich des von ihr geltend gemachten Ausmaßes des Pflegebedarfs wiederholte sie im Wesentlichen ihr Vorbringen
aus dem Widerspruchsverfahren. Ihre Betreuung sei extrem zeitaufwändig. Aufgrund der spastischen Tetraparese und den schweren
dyskinetischen Bewegungsstörungen müssten die Maßnahmen der Körperpflege vollständig übernommen werden. Die Klägerin legte
zum Pflegebedarf bei der Nahrungsaufnahme eine Stellungnahme vom 22. Oktober 2010 ihrer Klassenlehrerin K. "Zur Essensituation
(der Klägerin)" vor. Überdies wandte sie ein, es könne nicht angehen, dass die alleinige Betreuung durch ihre Mutter weniger
finanziell honoriert werde als die Leistungen bei häuslicher Pflege durch dritte Personen. Zum einen sei der Bezug von Pflegegeld
für die Beklagte wesentlich kostengünstiger. Zum anderen würde eine Ungleichbehandlung von angestellten Pflegern und selbstbeschafften
Pflegehilfen gegen Art.
3 Abs.
3 Satz 2
Grundgesetz (
GG) verstoßen. Dort sei geregelt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe. Würde aber die Leistung
ihrer Mutter geringer berücksichtigt als die Leistung durch Dritte, so läge eines solche ungerechtfertigte Ungleichbehandlung
vor. Hinzu komme, dass bei freiwilligen Pflegeleistungen entsprechend den §§ 45a, b
SGB XI zusätzliche Leistungen vorgesehen seien. Nichts anderes könne in dem hier zu entscheidenden Fall nach §
36 Abs.
4 i. V. m. §
37 SGB XI gelten. §
36 Abs.
4 SGB XI sei somit im Lichte des
GG dahin auszulegen, dass bei gleichwertigen Leistungen auch die Zusatzleistung des §
36 Abs.
4 SGB XI anfiele.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid.
Mit Gerichtsbescheid vom 01. Juni 2011 wies das SG die Klage ab. Die von der Klägerin begehrten weiteren Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von € 1.918,00 monatlich sehe
das Gesetz in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von Härten bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III vor, wenn
diese Pflegesachleistungen im Sinne des §
36 SGB XI in Anspruch nähmen (§
36 Abs.
4 SGB XI). Nähmen sie vollstationäre Pflege gemäß §
43 SGB XI in Anspruch, gebe es einen pauschalen Leistungsbetrag der Pflegekasse in Pflegestufe III von derzeit € 1.510,00, der bei
Pflegebedürftigen, die als Härtefall anerkannt seien, auf € 1.825,00 steige (§
43 Abs.
3 SGB XI). Dagegen nehme die Klägerin ein Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfe gemäß §
37 SGB XI in Anspruch. Sie stelle ihre Pflege dadurch sicher, dass sie sich von ihrer Mutter zuhause betreuen lasse. Für derartige
Fälle sei die Gewährung weiterer Pflegeeinsätze nicht gesetzlich vorgesehen, auch wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand
vorliege. Die insoweit getroffene gesetzliche Differenzierung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser
gebiete es, ungleiche Sachverhalte auch ungleich zu behandeln. So aber liege die Sachlage hier. Bei der selbstbeschafften
häuslichen Pflegehilfe seien von vornherein die Leistungen der Pflegekasse erheblich niedriger. Das Pflegegeld der Stufe III
betrage derzeit € 685,00 im Monat. Diese Leistung stelle eine Art Gratifikation für das Bemühen um Pflege durch Familienangehörige
oder Bekannte dar. Demgegenüber sehe der Gesetzgeber bei der Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen die Bezahlung der häuslichen
Pflegeeinsätze in der Pflegestufe III bis zu einem Gesamtwert von € 1.510,00 vor, womit jedoch in aller Regel die bei der
Pflegestufe III erforderlichen Pflegeeinsätze keineswegs voll abgegolten seien. Nur im Fall der Inanspruchnahme solcher Pflegesachleistungen
könnten die Pflegekassen in besonders gelagerten Härtefällen Pflegebedürftigen weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert
von € 1.918,00 monatlich gewähren.
Gegen diesen ihr am 06. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 04. Juli 2011 Berufung eingelegt. Sie
hat erneut vorgetragen, es verstoße gegen Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG, dass die Betreuung durch ihre Mutter weniger finanziell honoriert werde als die Leistung bei häuslicher Pflege durch dritte
Personen. Die Regelung des §
36 Abs.
4 SGB XI sei daher verfassungskonform auszulegen. Überdies liege ein Härtefall vor. Zu Unrecht habe die Beklagte nicht unterschieden
zwischen der Pflege von Kindern und Erwachsenen. Während erwachsene Behinderte noch immer eine restliche Teilselbstpflege
durchführen könnten, sei dies bei Kindern nicht der Fall, daher sei der Arbeitsaufwand ein weitaus größerer. Das Besondere
in ihrem Falle sei, dass sie zu gezielten Bewegungen nicht in der Lage sei. Ihre Mutter müsse nach dem Schulunterricht auch
noch Krankengymnastik mit ihr durchführen. Insbesondere sei eine Arbeit am Zungenbein notwendig, da sie anderenfalls beim
Essen sabbere. Sie kaue auch sehr langsam, sodass die angesetzte Betreuungszeit von zehn Minuten nicht einzuhalten sei.
Die Klägerin beantragt sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 01. Juni 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2010 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 12. Januar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 23. Februar 2010 über das
Pflegegeld der Pflegestufe III hinaus weiteres Pflegegeld als Härtefallleistung von € 1.918,00 monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
In der nichtöffentlichen Sitzung vom 30. November 2011 hat die Klägerin den "Pflegebericht für eine Woche" zu den Akten gereicht.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten und die Gerichtsakten in beiden Instanzenzügen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten durch
Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§
153 Abs.
1, §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), ist zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 01. Juni 2011 die Klage abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung zusätzlicher
Härtefallleistungen nach §
36 Abs.
4 SGB XI. Die Anwendung dieser Regelung kommt bei Pflegegeldbezug nicht in Betracht (dazu 2.); überdies erfüllt die Klägerin die Anforderungen
eines Härtefalls nicht (dazu 3.).
1. Der Senat hat den Antrag der Klägerin sachgerecht (§
123 SGG) dahin gefasst, dass sie zusätzlich zu dem gezahlten Pflegegeld nach der Pflegestufe III weitere Geldleistungen in Form von
Pflegegeld als Härtefallleistung begehrt. Denn dies entspricht ihrem Begehren, das sie auch im Termin zur Erörterung des Sachverhalts
am 30. November 2011 zum Ausdruck gebracht hat. Der in der Berufungsschrift vom 04. Juli 2011 formulierte Antrag, der Klägerin
seit Antragstellung weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von € 1.918,00 monatlich zu gewähren, ist nicht sachgerecht.
Mit diesem Antrag wäre die Klage unzulässig. Pflegeeinsätze können nur als Sachleistung gewährt werden (siehe dazu unter 2.),
Sachleistungen für die Vergangenheit können aber nicht mehr gewährt werden. Das Begehren der Klägerin kann auch nicht in entsprechender
Anwendung des §
13 Abs.
3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) auf Erstattung von Kosten für in Anspruch genommene Pflegeeinsätze als Sachleistungen gerichtet sein. Denn solche Pflegeeinsätze
sind in der Vergangenheit nicht erfolgt, so dass der Klägerin hierfür keine Kosten entstanden sind.
2. Nach §
36 Abs.
4 Satz 1
SGB XI können die Pflegekassen in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von Härten Pflegebedürftigen der Pflegestufe
III weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von € 1.918,00 monatlich gewähren, wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegebedarf
vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt.
Die Klägerin erhält zwar als Pflegebedürftige Leistungen der Pflegestufe III. Jedoch scheitert die Gewährung der Härtefallleistungen
vorliegend schon daran, dass sie Pflegegeld nach Maßgabe des §
37 SGB XI, d. h. eine Geldleistung statt der in §
36 SGB XI statuierten Sachleistung erhält. Denn die Klägerin wird von ihren Eltern, ganz vorwiegend ihrer Mutter gepflegt. Sie begehrt
die Gewährung von Härtefallleistungen daher ausdrücklich auch als weitere Leistung neben dem bezogenen Pflegegeld nach Pflegestufe
III.
Bereits anhand von Wortlaut und norminterner Systematik des §
36 Abs.
4 Satz 1
SGB XI ergibt sich, dass Härtefallleistungen nur an solche Pflegebedürftige erbracht werden, die - zumindest auch - Sachleistungen
(ggf. sog. Kombinationsleistungen, §
38 Satz 1
SGB XI) erhalten. §
36 SGB XI beschäftigt sich ausschließlich mit Pflegesachleistungen. Dementsprechend ist in Abs. 4 der genannten Vorschrift von weiteren
Pflegeeinsätzen - also Sachleistungen - die Rede. Aber auch aus einem systematischen Vergleich mit anderen Regelungen ergibt
sich, dass im Rahmen des Pflegegeldbezugs nach Maßgabe des §
37 SGB XI die Gewährung eines zusätzlichen Zahlbetrages als Härtefallleistung nicht in Betracht kommt. Das SG hat insoweit völlig zutreffend darauf verwiesen, dass auch im Bereich der Inanspruchnahme vollstationärer Leistungen in §
43 Abs.
3 SGB XI eine Leistungsaufstockung für Härtefälle vorgesehen ist. Findet sich also sowohl im Rahmen der Leistungsgewährung von ambulanten
Pflegesachleistungen (§
36 SGB XI) wie auch im Rahmen Leistungsgewährung im stationären Bereich eine ausdrückliche Regelung für Härtefälle, während eine solche
Regelung zum Pflegegeldbezug gerade fehlt, ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in letzterem Bereich nur versehentlich
eine Härtefallregelung nicht getroffen hat. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Ergänzung der Leistungen
bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz
- PflEG -) vom 14. Dezember 2001 (BGBl. I, 3728) mit Wirkung vom 01. Januar 2002 in den §§ 45a ff.
SGB XI für den Bereich der ambulanten Pflege Leistungen für Versicherte mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf geschaffen
hat, für die er gemäß §
45a SGB XI gerade nicht zwischen solchen Versicherten, die Pflegesachleistungen beziehen und solchen, die Pflegegeld in Anspruch nehmen,
unterschieden hat. Auch dies spricht dafür, dass die Beschränkung der getroffenen Härtefallregelungen auf die Inanspruchnahme
von Sachleistungen durch den Gesetzgeber bewusst getroffen wurde. Der Gesetzgeber hat im Übrigen sowohl §
36 Abs.
4 SGB XI als auch §
37 SGB XI seit ihrem Erlass mehrmals (insbesondere durch das Gesetz zur Umstellung von Gesetzen und anderen Vorschriften auf dem Gebiet
des Gesundheitswesens auf Euro - Achtes Euro-Einführungsgesetz - vom 23. Oktober 2001, BGBl. I, 2702, sowie durch das Gesetz
zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung - Pflege-Weiterentwicklungsgesetz - vom 28. Mai 2008, BGBl. I,
874) geändert, ohne Veranlassung zu einer Angleichung der Vorschriften gesehen zu haben, obwohl sich das BSG schon in seinem Urteil vom 26. November 1998 (B 3 P 16/97 R - SozR 3-3300 § 38 Nr. 1) mit der Unterschiedlichkeit der Regelungen auseinander gesetzt und diese für verfassungsrechtlich
unbedenklich erachtet hatte.
Anders als durch die Klägerin geltend gemacht, verstößt die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung auch nicht gegen den
Gleichheitssatz, und zwar weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Maßgabe von Art.
3 Abs.
1 GG noch gegen das Diskriminierungsverbot nach Maßgabe des Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG. Ein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG scheidet schon deshalb aus, weil allenfalls eine Diskriminierung der Mutter der Klägerin als Pflegeperson, jedoch nicht der
Klägerin selbst in Betracht käme. Die Klägerin könnte, bezöge sie Pflegesachleistungen, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen
zusätzliche Leistungen nach §
36 Abs.
4 SGB XI in Anspruch nehmen. Eine Ungleichbehandlung aufgrund einer Behinderung ist daher von vornherein nicht gegeben. Aber auch
ein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG kommt nicht in Betracht. Wie das BSG in seinem zuvor zitierten Urteil vom 26. November 1998 (aaO.) nämlich zu Recht entschieden hat, liegt dieser vom Gesetzgeber
getroffenen Entscheidung, in Fällen der Inanspruchnahme einer Pflege(sach)leistung nach Maßgabe von §§
36,
38 oder 43
SGB XI aufstockende Leistungen in Härtefällen vorzusehen, in §
37 SGB XI jedoch keinen weiteren Pflegegeldzuschlag "zur Vermeidung von Härten" zu statuieren, ein sachlicher Grund zugrunde, der diese
Differenzierung rechtfertigt. Der Gesetzgeber trifft hier eine Unterscheidung danach, ob die Pflege durch professionelle Kräfte
erfolgt oder nicht. Beide Pflegesituationen stellen aber grundlegend unterschiedliche Fallkonstellationen dar. Für den Bereich
der selbst beschafften Pflege geht der Gesetzgeber schon ganz grundsätzlich davon aus, dass das Pflegegeld aufgrund seiner
Höhe nicht geeignet ist, alle Kosten für die erforderlichen Hilfen abzudecken. Der Pflegebedürftige soll lediglich in den
Stand versetzt werden, Angehörigen eine materielle Anerkennung für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen
zu lassen. Infolgedessen ist das Pflegegeld auch kein Entgelt der Pflegeperson. Demgegenüber regeln §§
36 und
38 SGB XI die ambulante Pflege durch professionelle Kräfte; der zur Verfügung gestellte Betrag soll daher die Bezahlung dieser Pflegekräfte
im Sinne eines Entgeltes ermöglichen (vgl. zur Differenzierung dieser Pflegesituationen im Einzelnen Udsching, in ders.
SGB XI, 3. Aufl. 2010, §
37 Rn. 2 f.). Diese ganz grundlegend in den §§
36 ff.
SGB XI angelegte Unterscheidung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber durfte bei der Konzeption der Pflegeversicherung
davon ausgehen, dass die von Angehörigen erbrachten Pflegeleistungen nicht in demselben Umfang vergütet werden müssen wie
die Pflege durch Pflegedienste oder in Pflegeheimen. Zum einen sind Ehegatten untereinander (gem. §
1353 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB -) sowie Eltern und Kinder gegenseitig (gem. §
1618a BGB) zur Beistandsleistung gesetzlich verpflichtet. Zum anderen entspricht die Pflege von Angehörigen auch einer sittlichen Pflicht.
Dies veranlasste den Gesetzgeber, mit dem Pflegegeld für die "ehrenamtliche" Pflege (vgl. BT-Drucks 12/5262, S 101) durch
Angehörige lediglich eine finanzielle Anerkennung vorzusehen, die durch die soziale Absicherung der Pflegeperson in der gesetzlichen
Renten- und Unfallversicherung (gem. §
44 SGB XI) ergänzt wird. Angesichts des begrenzten Finanzbudgets, das für die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden konnte,
erschien eine umfassende Versorgung von Pflegefällen allein aus der Pflegeversicherung nicht durchführbar (vgl. hierzu im
Einzelnen BSG, Urteil vom 19. Februar 1998, B 3 P 3/97 R, SozR 3-3300 § 14 Nr. 2; ebenso BSG, Urteil vom 18. März 1999 - B 3 P 9/98 R - SozR 3-3300 § 77 Nr. 2). Dies wird im Hinblick auf die Leistungen bei häuslicher Pflege insbesondere aus §
4 Abs.
2 Satz 1
SGB XI deutlich: §
4 Abs.
2 Satz 1
SGB XI als Grundnorm verdeutlicht, dass die Leistungen der Pflegeversicherung (lediglich) eine soziale Grundsicherung in Form von
unterstützenden Hilfeleistungen darstellen sollen, eine Vollversorgung des Pflegebedürftigen indessen nicht angestrebt wird.
Im ambulanten Bereich obliegt es den Versicherten, einen durch die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflege-
und Betreuungsaufwand selbst sicherzustellen (vgl. BT-Drucks. 12/5262 S. 90 und 16/7439, S. 44; siehe auch BSG, Urteil vom 05. Mai 2010 - B 12 R 6/09 R - = SozR 4-2600 § 3 Nr. 5). Wenn der Gesetzgeber den Einsatz selbstbeschaffter Pflegekräfte - in der Regel Familienangehörige
- auch bei einem im Sinne von §
36 Abs.
4 SGB XI besonders hohen Pflegebedarf nicht mit einem entsprechenden Zuschlag zum Pflegegeld fördert, sondern auch insoweit auf die
unentgeltlichen Hilfeleistungen innerhalb der Familie oder anderer Solidargemeinschaften setzt, stellt auch dies keine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung dar. Es liegt darin vielmehr eine systemgerechte Beibehaltung der Differenzierung beider Systeme auch im
Bereich der besonderen Härtefälle und folglich auch insoweit eine Unterscheidung mit sachlichem Grund (so ausdrücklich auch
BSG, Urteil vom 26. November 1998, aaO.). Im Übrigen hat der Gesetzgeber hinsichtlich Art und Umfang von sozialen Leistungen
auch in der Pflegeversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum; dies trifft auch auf Leistungen im Bereich von Härtefällen
zu (vgl. dazu erneut BSG, aaO.; vgl. überdies BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 2; Urteil vom 6. August 1998, B 3 P 9/97 R - nicht veröffentlicht).
Anhaltspunkte dafür, dass von dieser Rechtsprechung abzuweichen wäre, sind nicht ersichtlich. Nach wie vor unterscheidet der
Gesetzgeber, ohne dass dies zwischenzeitlich zu beanstanden wäre, grundlegend zwischen selbst beschaffter und professioneller
Pflege.
3. Ohnehin entspricht aber der Fall der Klägerin auch nicht den Anforderungen eines Härtefalls im Sinne des §
36 Abs.
4 SGB XI. Ihr Pflegebedarf erreicht noch nicht das Ausmaß eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwands im Sinne von §
36 Abs.
4 SGB XI.
Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff eines "außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber
nicht selbst definiert, sondern dies den - hier streitigen - HRi (§
17 SGB XI) und daneben einer Verordnung (§
16 SGB XI) des Bundesministeriums für Gesundheit überlassen, die aber bisher nicht erlassen worden ist. Auswirkungen auf die Anerkennungsverfahren
nach §
36 Abs.
4 SGB XI hat dies jedoch nicht (vgl. Urteil des BSG vom 30. Oktober 2001 - B 3 P 2/01 R - BSGE 89, 44).
Ihrem gesetzlichen Auftrag sind die Spitzenverbände der Pflegekassen durch die HRi vom 10. Juli 1995 in der hier maßgeblichen
Fassung vom 28. Oktober 2005 (durch das Bundesministerium für Gesundheit mit Schreiben vom 21. Juni 2006 gemäß §
17 Abs.
2 SGB XI genehmigt und mit Wirkung ab 01. September 2006 in Kraft gesetzt) nachgekommen. Die HRi lauten, soweit hier von Interesse:
"4. Merkmale für einen außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand
Der Pflegeaufwand wird bestimmt durch die Art, die Dauer und den Rhythmus der erforderlichen Pflegemaßnahmen. Dieser kann
sich auf Grund der individuellen Situation des Pflegebedürftigen als außergewöhnlich hoch bzw. intensiv darstellen, wenn die
täglich durchzuführenden Pflegemaßnahmen das übliche Maß der Grundversorgung im Sinne von Ziffer 4.1.3 (Pflegestufe III) der
Pflegebedürftigkeits-Richtlinien quantitativ oder qualitativ weit übersteigen.
Das ist der Fall, wenn
- Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens sechs Stunden täglich, davon mindestens dreimal
in der Nacht, erforderlich ist. Bei Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen ist auch die auf Dauer bestehende
medizinische Behandlungspflege zu berücksichtigen.
oder
- die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht
werden kann. Das zeitgleiche Erbringen der Grundpflege des Nachts durch mehrere Pflegekräfte erfordert, dass wenigstens bei
einer Verrichtung tagsüber und des Nachts neben einer professionellen Pflegefachkraft mindestens eine weitere Pflegeperson,
die nicht bei einem Pflegedienst beschäftigt sein muss (z.B. Angehörige), tätig werden muss.
Zusätzlich muss ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein.
Ein solcher außergewöhnlich hoher bzw. intensiver Pflegeaufwand kann insbesondere bei folgenden Krankheitsbildern vorliegen:
- Krebserkrankungen im Endstadium
- AIDS-Erkrankungen im Endstadium
- hohe Querschnittslähmung und Tetraplegie
- Enzephalomyelitis disseminata im Endstadium
- Wachkoma
- schwere Ausprägung der Demenz
- schweren Fehlbildungssyndromen und Fehlbildungen im Säuglings- und Kleinkindalter
- schwerste neurologische Defektsyndrome nach Schädelhirnverletzungen
- Endstadium der Mukoviszidose".
Die so formulierten Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des BSG das Vorliegen eines Härtefalls nach Maßgabe des §
36 Abs.
4 SGB XI in inhaltlich nicht zu beanstandender Weise konkretisieren (vgl. BSG, Urteil vom 10. April 2008 - B 3 P 4/07 R - SozR 4-3300 § 43 Nr. 2), sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Dass die Klägerin einer - auch nachts erforderlichen
- Hilfe bei Verrichtung der anfallenden Pflegebedarfe durch teilweise zwei Personen (davon einer professionellen Pflegekraft)
bedarf, hat auch sie selbst nicht vorgetragen. Jedoch fehlt es ebenso an den Voraussetzungen der alternativ in Betracht kommenden
Pflegebedürftigkeit im Bereich der Grundpflege mit einem Zeitaufwand von mindestens 360 Minuten täglich bei dreimal nachts
anfallendem Hilfebedarf. Der Senat stützt seine Überzeugung hiervon auf das von der Beklagten eingeholte Gutachten der Pflegefachkraft
W., MDK, vom 12. April 2010 sowie das weitere Gutachten der Pflegefachkraft S., MDK, vom 22. Juni 2010, ergänzt um deren Stellungnahme
vom 27. Juli 2010, welche der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (zur Zulässigkeit der Verwertung der vom MDK erstatteten
Gutachten: BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 - B 3 P 5/00 R - SozR 3-3300 § 15 Nr. 11).
Pflegefachkraft S. hat - unter Auswertung insbesondere auch der Einwände der Klägerin gegen das vorangegangene Gutachten der
Pflegefachkraft W. - die Besonderheiten der Gesundheitsstörungen der Klägerin und insbesondere die daraus resultierenden Erschwernisse
der Pflege umfassend in ihre Einschätzung des Pflegebedarfs der Klägerin eingestellt. Sie hat berücksichtigt, dass aufgrund
der spastischen Tetraparese und der schweren dyskinetischen Bewegungsstörungen die Maßnahmen der Körperpflege vollständig
übernommen werden müssen und dabei zugrundegelegt, dass jeden Tag eine Ganzkörperwäsche (zweimal wöchentlich in Form von Baden,
einmal wöchentlich durch Duschen und im Übrigen in Form einer Ganzkörperwäsche von Hand) erfolgen muss. Bei vollständiger
Inkontinenz der Klägerin hat die Gutachterin überdies eine zusätzliche tägliche Intimhygiene zugrunde gelegt und abgesehen
davon mehrfach täglich eine zusätzliche Hand- und Gesichtswäsche für erforderlich gehalten. Die Gutachterin ist weiter davon
ausgegangen, dass Inkontinenzartikel rund um die Uhr gewechselt werden müssen bei vollständiger Harn- und Stuhlinkontinenz,
wobei sie aufgrund bestehender Obstipation der Klägerin einen dreimal wöchentlich auftretenden Stuhlgang zugrundegelegt hat.
Auch im Rahmen der Ernährung ist die Gutachterin davon ausgegangen, dass sowohl mundgerechte Zubereitung wie Verabreichung
vollständig übernommen werden müssen. Hierbei hat die Gutachterin als pflegeerschwerendes Kriterium eine bestehende Kauschwäche
mit nur sehr langsamer Essgeschwindigkeit ausdrücklich berücksichtigt. Schließlich hat die Gutachterin für den Bereich der
Mobilität das Erfordernis der vollständigen Übernahme sämtlicher Bedarfe für erforderlich gehalten. Überdies hat die Gutachterin
einen regelmäßigen nächtlichen Pflegebedarf mit dem Erfordernis der Lagerung, Inkontinenzversorgung und dem Reichen von Flüssigkeit
gesehen. Vor allem aber hat sie als insgesamt pflegeerschwerend ausdrücklich die schweren hyperkinetischen Bewegungsstörungen,
die vollständige Lähmung an allen vier Extremitäten sowie die ausgeprägte Muskelhypotonie mit fehlender Rumpf- und mäßiger
Kopfkontrolle berücksichtigt.
Mit Blick darauf erscheint die von der Gutachterin getroffene Einschätzung des pflegerischen Zeitaufwands insgesamt schlüssig
und nachvollziehbar. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nur die tatsächliche Übernahme der Grundverrichtungen
in Betracht kommt, nicht dagegen ein etwaiger zusätzlicher betreuerischer Aufwand oder aber hauswirtschaftliche Anteile. Selbst
wenn der pflegerische Aufwand im Bereich der Nahrungsaufnahme mit insgesamt 110 Minuten am Tag aufgrund der Kauschwäche und
der überschießenden Bewegungen zu niedrig erschiene, erreicht die Klägerin nach Überzeugung des Senats insgesamt einen Grundpflegebedarf
von 360 Minuten am Tag noch nicht.
Im Übrigen fehlt es ohnehin an dem zusätzlichen Erfordernis mindestens dreimal nachts anfallender Hilfebedarfe. Dies entnimmt
der Senat dem im Termin zur nichtöffentlichen Sitzung vom 30. November 2011 durch die Klägerin vorgelegten Pflegebericht für
eine Woche. Mit Ausnahme der ersten berichteten Nacht ergeben sich für die übrigen Nächte lediglich zweimal nachts anfallende
Hilfebedarfe. Darunter findet sich überdies auch der Hinweis auf eine "kindestypische" Schlafunterbrechung nach Alpträumen,
die im Zusammenhang mit den Anforderungen eines besonderen Härtefalls keine Berücksichtigung finden kann. Auch nach den Schilderungen
der Pflegeperson der Klägerin sind daher die Anforderungen von § 4 HRi für die Feststellung eines besonderen Härtefalls in
der Grundpflege nicht erreicht.
4. Über einen Anspruch auf Leistungen nach §§
45 a ff.
SGB XI war durch den Senat nicht zu entscheiden, nachdem die Beklagte nach entsprechendem Antrag der Klägerin ausdrücklich nur einen
Anspruch auf Härtefallleistungen nach Maßgabe von §
36 Abs.
4 SGB XI beschieden hat und auch durch die Klägerin mit ihrer Klage nur Leistungen dieses Inhalts beantragt wurden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.