Tatbestand
Die Beteiligten streiten (noch) um die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnungen
der Klägerin für die Quartale 2/2011 bis 4/2014 bezogen auf die Gebührenordnungsposition (GOP) 01510 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM).
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft und zur vertragsärztlichen Versorgung mit Sitz in H. zugelassen. Sie bestand
in den streitigen Quartalen aus den Fachärzten für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie K. und F.. In den für die Quartale
2/2011 bis 4/2014 ergangenen Honorarbescheiden wurden der Klägerin (unter anderem) Zusatzpauschalen für Beobachtung und Betreuung
mit einer Dauer von mehr als 2 Stunden (GOP 01510 EBM) vergütet.
Bereits mit Schreiben vom 23.07.2013 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten der Klägerin mit, dass die Abrechnung
im Rahmen einer Schwerpunktprüfung "praxisklinische Betreuung" geprüft werde. Für die Prüfung war die Klägerin um Stellungnahme
zur Abrechnung der GOP 01510 EBM gebeten worden. Zur Prüfung der (vorliegend nicht mehr streitgegenständlichen) GOP 86516 EBM (Zuschlag zu den Kostenpauschalen nach GOP 86510 und 86512 EBM) wurden Dokumentationen zu allen Fällen mit Medikamentenangabe "Bisphosphonate" angefordert und ausgewertet.
Mit (hier nicht streitgegenständlichem) Bescheid vom 28.04.2014 wurde (u.a.) die GOP 01510 EBM i.V.m. Knochenmarks-, Aszites- oder Entlastungspunktionen 13-mal bezüglich des Quartals 1/2011 gestrichen. Die
Prüfung weiterer Quartale bleibe vorbehalten. Dem Widerspruch der Klägerin wurde insofern entsprochen, als eine Umwandlung
der GOP 01510 EBM in eine Infusion nach GOP 02100 EBM erfolgte, im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 13.03.2015).
Mit (hier streitgegenständlichen) Bescheid vom 28.04.2015 verfügte die Beklagte für die Quartale 2/2011 bis 4/2014 die Umwandlung
der GOP 01510 EBM in die GOP 02100 EBM (insgesamt 326-mal), die Streichung der GOP 86516 EBM (insgesamt 320-mal) und in den Quartalen 1/2013 bis 4/2014 die Streichung der GOP 99983 EBM (insgesamt 206-mal) und forderte von der Klägerin insgesamt 55.998,56 € zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt,
die abgerechneten Überwachungszeiten im Zusammenhang mit Knochenmarks- und Entlastungspunktionen nach GOP 01510 EBM seien nicht berechnungsfähig, da diese nicht Bestandteil des Leistungsinhaltes seien. Nur bei Beobachtung und Betreuung
eines Patienten nach einer Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas könne diese GOP abgerechnet werden. Ab dem Quartal 1/2013 sei die GOP 99983 EBM (Förderung der onkologischen und/oder immunologischen Betreuung - Zuschlag zu den GOP 01510, 01511 oder 01512 EBM) vom Regelwerk automatisch jedem Ansatz der Betreuungsleistung zugesetzt worden. In den Quartalen
2/2011 bis 4/2014 sei der Leistungsinhalt der GOP 01510 EBM nicht in allen abgerechneten Fällen erfüllt, daher sei der Zuschlag nach GOP 99983 EBM in diesen Fällen, ab dem Quartal 1/2013, ebenfalls zu berichtigen. Die GOP 86516 EBM sei in den Folgequartalen 2/2011 bis 4/2014 teilweise bei Applikation von Bisphosphonaten, i.V.m. endokrinen Therapien
und in einem Fall bei Gabe eines monoklonalen Antikörpers (Eculizumab) abgerechnet worden. Voraussetzung zur Abrechnung der
Onkologieleistung GOP 86516 EBM sei aber die intravenös und/oder intraarteriell applizierte zytostatische Tumortherapie. Im Hinblick auf die einzelnen
Rückforderungen für die Quartale 2/2011 bis 4/2014 wird auf die Tabelle auf Bl. 5 des Bescheids vom 28.04.2015 Bezug genommen
(Bl. 1624 der Verwaltungsakte). Der Berichtigungsbetrag von 55.998,56 € wurde der Klägerin mit Honorarbescheid vom 15.07.2015
belastet.
Hiergegen legte die Klägerin am 05.05.2015 Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, die GOP 01510 EBM sei eine Zusatzpauschale für die Beobachtung und Betreuung eines Kranken mit konsumierender Erkrankung. Diese Voraussetzung
hätte jeweils vorgelegen, da die Patienten an fortgeschrittenen malignen hämatologischen Erkrankungen gelitten hätten, wie
z.B. an einer akuten Leukämie. Hierbei handele es sich um eine konsumierende Erkrankung. Ferner hätten die Patienten in der
Praxis eine parenterale intraversale Behandlung mittels Kathetersystem erhalten. Folglich sei auch der Zuschlag der GOP 99983 EBM in diesen Fällen wieder hinzuzurechnen. Auch die Korrektur der GOP 86516 EBM sei nicht rechtens.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt,
nach den EBM-Bestimmungen sei die Abrechnung der Zusatzpauschale der praxisklinischen Betreuung im Zusammenhang mit Punktionen
nur nach einer Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas zulässig. Hier seien Knochenmarks- und/oder Entlastungspunktionen
erfolgt.
Am 01.03.2016 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, die
GOP 01510 EBM sei dann abgerechnet worden, wenn die Patienten mindestens 2 Stunden nach einer Punktion betreut worden seien.
Es habe sich um eine konsumierende Erkrankung gehandelt. Ferner hätten die Patienten eine parenterale intraversale Behandlung
mittels Kathetersystem erhalten. Sie hätten nämlich mittels eines Venenkatheters während der Punktion zusätzlich Infusionen
erhalten, um den Kreislauf wieder zu stabilisieren. Auch sei die Abrechnung der Gebühren nach dem Sinn und Zweck gerechtfertigt,
da die Gabe von Kreislauf kompromittierenden Medikamenten riskant sei. Folglich sei auch der Zuschlag der GOP 99983 EBM in diesen Fällen wieder hinzuzurechnen. Im Hinblick auf die GOP 86516 EBM sei bereits die Applikation eines Bisphosphonats von der Leistungslegende gedeckt, denn hierbei handele es sich
um eine zytostatische Tumortherapie.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ergänzend ausgeführt, die Infusionen seien den Patienten der Klägerin
während der Dauer des Eingriffs bei einer Knochenmarkspunktion, die in der Regel 10 bis 15 Minuten dauere, verabreicht worden.
Die sich daran anschließende Überwachung sei erforderlich gewesen, um mögliche Komplikationen, wie z.B. Nachblutungen auszuschließen.
Somit sei die GOP 01510 EBM von der Klägerin für die Betreuung nach Knochenmarks- und oder Entlastungspunktionen abgerechnet worden und nicht
im Sinne des ersten oder fünften Spiegelstrichs. Entscheidend sei im vorliegenden Verfahren, dass die Hauptbehandlung alleine
eine Knochenmarkspunktion gewesen sei, was die Klägerin in der Klagebegründung auch vortrage. Diese Punktion sei aber nicht
in der GOP 01510 EBM aufgeführt und somit sei der Anwendungsbereich der GOP 01510 EBM für deren Abrechnung auch nicht eröffnet. In der Folge seien dann auch die GOP 99983 EBM in den entsprechenden Fällen zu Recht abgesetzt worden. Die GOP 86516 EBM könne für die alleinige Tumortherapie mit Bisphosphonaten nicht berechnet werden.
Mit Urteil vom 23.04.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 02.02.2016, mit dem die Honorarbescheide für die Quartale 2/2011 bis 4/2014 im Wege der nachgehenden Richtigstellung sachlich-rechnerisch
berichtigt wurden und Honorar (teilweise) zurückgefordert wurde, sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Anhörungsmangel vor Erlass des Bescheides sei geheilt. Die Beklagte habe in dem Bescheid vom 28.04.2015 alle entscheidungserheblichen
Tatsachen mitgeteilt und die Klägerin habe Gelegenheit gehabt, hierzu im Widerspruchsverfahren vorzutragen. Die Beklagte habe
die Honorarbescheide für die Quartale 2/2011 bis 4/2014 zu Recht hinsichtlich der GOP 01510 EBM (Umwandlung in GOP 02100) und der GOP 86516, 99983 EBM (Streichung) richtiggestellt, da die Honorarabrechnungen für die hier streitigen Quartale mit den Abrechnungsvorgaben
des Regelwerks - dem EBM und der Onkologie-Vereinbarung nicht übereinstimmten. Ausgehend vom maßgeblich zur Auslegung heranzuziehenden
Wortlaut der GOP 01510 EBM habe die Klägerin die Leistungen in den hier streitigen Quartalen nicht erbracht. Nach den eigenen Angaben der
Klägerin habe sie die GOP 01510 EBM dann abgerechnet, wenn die Patienten mindestens 2 Stunden nach einer Knochenmarks- und Entlastungspunktion betreut
worden seien. Es habe sich um konsumierende Erkrankungen gehandelt. Ferner hätten die Patienten eine parenterale intraversale
Behandlung mittels Kathetersystem erhalten. Sie hätten mittels eines Venenkatheters während der Punktion zusätzlich Infusionen
erhalten, um den Kreislauf wieder zu stabilisieren. Allein diese Ausführungen zeigten, dass der Leistungstatbestand der GOP 01510 EBM nicht erfüllt worden sei. In Betracht komme lediglich der erste und der fünfte Spiegelstrich des Leistungstatbestandes.
Eine "parenterale intravasale Behandlung mittels Kathetersystem" habe jedoch nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht vorgelegen.
Unter "parenteraler Behandlung" sei ueine Behandlung unter Umgehung des Gastrointestinaltrakts, in der Regel durch Injektion
oder Infusion, z. B. parenterale Ernährung, zu verstehen (Pschyrembel online). Intravasal bedeute (Pschyrembel online): Innerhalb
eines Gefäßes, in ein Gefäß (hinein), z. B. intravasale Kontrastmittel. Eine Behandlung unter Umgehung des Gastrointestinaltrakts
habe jedoch nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht vorgelegen. Die Patienten hätten vielmehr Infusionen, um den Kreislauf
während einer Knochenmarks- und Entlastungspunktion zu unterstützen, erhalten. In der mündlichen Verhandlung habe K. hierzu
angegeben, dies sei wegen der (regelmäßigen und prophylaktischen) Morphingabe notwendig gewesen. K. habe in diesem Zusammenhang
ausgeführt, dass die standardmäßige Morphingabe sein eigenes Behandlungskonzept sei, und in der Klinik, in der er zuvor tätig
gewesen sei, ein solches Procedere nicht durchgeführt worden sei. Damit habe K. aber zum Ausdruck gebracht, dass die Infusionen
und Beobachtungszeiträume nicht mit einer "Behandlung" einer konsumierenden Erkrankung zusammenhängten, sondern die Beobachtung
vielmehr wegen der standardmäßigen und prophylaktischen Morphingabe notwendig gewesen sei. Zudem habe die Knochenmarkspunktion
auch nicht der "Behandlung" einer konsumierenden Erkrankung gedient, sondern zur Diagnose. Auch die Voraussetzungen des fünften
Spiegelstrichs der GOP 01510 EBM hätten nicht vorgelegen. Der Leistungstatbestand setze insofern eine Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas
voraus. Knochenmarks- und Entlastungspunktionen fielen nicht hierunter. Leistungsbeschreibungen dürften weder ausdehnend ausgelegt
noch analog angewendet werden, so dass auch - entgegen der Ansicht der Klägerin - eine Ausdehnung des Leistungstatbestandes
auf Fälle der Gabe von Kreislauf kompromittieren Medikamenten nicht möglich sei. Daraus folge auch, dass ab dem Quartal 1/2013
die Abrechenbarkeit der (regionalen) GOP 99983 EBM entfalle. Ab dem Quartal 1/2013 sei die (regionale) GOP 99983 EBM (Wortlaut: "Förderung der onkologischen und/oder immunologischen Betreuung", vgl. Nr. 31 der Übersicht über die
besonders förderungswürdigen Leistungen und die Einzelleistungen im I. Quartal 2013, gültig ab 01.01.2013, für alle GKV Kassen;
abrufbar unter https://www.kvbawue.de/praxis/abrechnung-honorar/arzthonorare/archiv-arzthonorare/) vom Regelwerk automatisch
jedem Ansatz der Betreuungsleistung zugesetzt worden. Nachdem aber - wie dargelegt - schon die Voraussetzungen der GOP 01510 EBM nicht vorgelegen hätten, entfalle auch der Vergütungsanspruch nach GOP 99983 EBM. Die GOP 86516 EBM sei für die "intravenös und/oder intraarterielle'" applizierte zytostatische Tumortherapie berechnungsfähig. Vorliegend
seien die Applikationen nicht im Rahmen einer intravenösen und/oder intraarteriellen Therapie erfolgt.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 04.05.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.06.2018 zum Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, nach GOP 01510 EBM sei eine Zusatzpauschale für die Beobachtung und Betreuung eines Kranken mit konsumierender Erkrankung (fortgeschrittenes
Malignom, HIV-Erkrankung im Stadium AIDS) in einer Arztpraxis oder praxisklinischen Einrichtung unter parenteraler intravasaler
Behandlung mitteles Kathetersystem abrechenbar. Das SG spreche der Infusion zu Unrecht das Merkmal "Behandlung" ab. Dies sei mit §
27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) nicht vereinbar. Auch die Diagnostik gehöre zur Krankenbehandlung. Ferner gehöre zur Behandlung der Grunderkrankung auch
die Behandlung der Symptome. Von der Beklagten werde nicht in Frage gestellt, dass es sich um Patienten mit konsumierender
Erkrankung gehandelt habe. Diese seien "unter parenteraler Behandlung mittels Kathetersystem" beobachtet und betreut worden.
Die Behandlung mittels Kathetersystem müsse sich nicht auf die Heilung/Linderung der konsumierenden Erkrankung beziehen. Hierunter
sei auch der Fall zu subsumieren, dass im Rahmen der Punktion Medikamente über das Kathetersystem verabreicht würden. Während
der schmerzhaften Knochenmarkspunktion erhielten die an fortgeschrittenen Malignomen erkrankten Patienten der Klägerin eine
Analogiesedierung. Diese bestehe in der Regel aus einem Opiat und einem Benzodiazepin, die mittels Kathetersystem verabreicht
würden. Zusätzlich habe die Klägerin in einigen Fällen Kreislauf kompromittierende Mittel mittels Katheter verabreicht. Auch
dabei handele es sich letztlich um die Behandlung einer Krankheit. Bei Pleura- oder Aszitespunktionen litten die Patienten
unter weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Die Flüssigkeitsansammlungen in Lungen- bzw. Bauchraum seien die direkte Folge
der Erkrankung. Die Patienten litten unter Atemnot, Schmerzen, Appetitlosigkeit. Der Betreuungsaufwand für einen Patienten,
dem bis zu sechs Liter Flüssigkeit entnommen werde, sei enorm hoch und Infusionen zur Kreislaufstabilisierung sehr häufig
notwendig. Aufgrund der Belastung für die Patienten würden diese Behandlungen überwiegend stationär durchgeführt. Ergänzend
weist die Klägerin darauf hin, dass die GOP nicht vorschreibe, welche Art von parenteraler intravasaler Behandlung erfolgen müsse. Möglich seien demnach auch Elektrolytinfusionen
oder Infusionen zur Ernährung (unter Hinweis auf Institut für Wissen in der Wirtschaft, Ausgabe 05/2005, S. 5 und 07/2005,
S. 4).
Die Klage und Berufung hinsichtlich der Korrektur der GOP 86516 EBM hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.02.2021 zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt (noch),
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.04.2018 und den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 02.02.2016 hinsichtlich der Korrektur der GOP 01510 EBM aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend. Der Leistungsinhalt der GOP 01510 EBM sei von der Klägerin nicht vollständig erbracht worden. Die Infusionen seien den Patienten während der Dauer des
Eingriffs bei einer Knochenmarkspunktion, die in der Regel 10 bis 15 Minuten dauere, verabreicht worden. Die sich daran anschließende
Überwachung sei erforderlich gewesen, um mögliche Komplikationen, wie z.B. Nachblutungen auszuschließen. Somit sei die GOP 01510 EBM von der Klägerin für die Betreuung nach Knochenmarks- oder Entlastungspunktionen abgerechnet worden und nicht für
die Betreuung unter parenteraler intravasaler Behandlung mittels Kathetersystem. Entscheidend sei, dass die Hauptbehandlung
allein eine Knochenmarks- oder Entlastungspunktion gewesen sei. Diese Punktion sei aber nicht in der GOP 01510 EBM aufgeführt. Der fünfte Spiegelstrich der GOP 01510 EBM weise einen obligaten Leistungsinhalt für die Beobachtung und Betreuung eines Patienten nach einer Punktion an
Niere, Leber, Milz oder Pankreas aus. Es handele sich um eine abschließende Aufzählung. Eine parenterale intravasale Behandlung
mittels Kathetersystem habe nicht vorgelegen. Die parenterale intravasale Behandlung müsse sich auf die Behandlung der konsumierenden
Erkrankung beziehen.
Die Berichterstatterin hat am 30.11.2020 mit den Beteiligten die Rechts- und Sachlage erörtert. Auf das Protokoll wird Bezug
genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei
der Beklagten geführte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten,
weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§
12 Abs.
3 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
2. Die gemäß §
143 SGG statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 SGG), ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung gemäß §
144 Abs.
1 SGG, weil der Beschwerdewert von 750,00 € überschritten ist.
3. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist noch der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 02.02.2016 hinsichtlich der Korrektur der GOP 01510 EBM in den Quartalen 2/2011 bis 4/2014, wobei der Senat meistbegünstigend davon ausgeht, dass der von der Klägerin
zuletzt gestellte Antrag auch die mit der Korrektur der GOP 01510 EBM zusammenhängende Streichung der GOP 99983 EBM umfasst. Insoweit hat die Klägerin keine Rücknahme der Klage und/oder Berufung erklärt. Die Klage und Berufung
hinsichtlich der Korrektur der GOP 86516 EBM hat die Klägerin zurückgenommen (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 03.02.2021; §
156 Abs.
1 Satz 1
SGG). Nicht streitgegenständlich ist auch der Honorarbescheid vom 15.07.2015. Die dort erfolgte Belastung der Klägerin mit dem
Berichtigungsbetrag i.H.v. 55.998,56 € stellt nur einen Buchungsposten dar.
4. Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage - soweit sie noch zur Prüfung stand - zu Unrecht abgewiesen.
Die als isolierte Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
4 SGG zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.02.2016
ist hinsichtlich der Korrektur der GOP 01510 EBM, einschließlich der GOP 99983 EBM, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung ist §
106a Abs.
2 SGB V (in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <a.F.>; heute §
106d Abs.
2 SGB V). Gem. §
106a Abs.
1 SGB V a.F. stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte
fest. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob
die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des
Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 13/19 R - und Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, beide in juris). Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen
nicht die Vorgaben des EBM erfüllen (BSG, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, in juris).
Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich (so BSG, Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 14/19 R -, in juris, Rn. 18 und Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13 m.w.N.; Urteil des Senats vom 16.03.2016 - L 5 KA 5268/12 -, in juris). Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen
von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - des Bewertungsausschusses gemäß §
87 Abs.
1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als
einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw.
Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau
der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines
Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei
unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen
die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder
ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Diese Grundsätze gelten auch für die den Vergütungsbestimmungen vorangestellten
allgemeinen Bestimmungen des EBM (BSG, Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13, mwN). Soweit der Wortlaut einer Leistungslegende des EBM für die ärztlichen Leistungen nicht eindeutig
ist, können auch die der Leistung zugeordneten Kalkulations- und Prüfzeiten zur Auslegung herangezogen werden (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 15/19 R -, in juris).
b) Hiervon ausgehend ist die Korrektur der GOP 01510 EBM zu Unrecht erfolgt. Die von der Klägerin abgerechneten Leistungen entsprechen den Vorgaben des EBM.
Die streitige GOP 01510 EBM hatte im streitgegenständlichen Zeitraum folgenden Wortlaut:
"Zusatzpauschalen für Beobachtung und Betreuung
Obligater Leistungsinhalt
- Beobachtung und Betreuung eines Kranken mit konsumierender Erkrankung (fortgeschrittenes Malignom, HIV-Erkrankung im Stadium
AIDS) in einer Arztpraxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß §
115 Abs.
2 SGB V, in ermächtigten Einrichtungen oder durch einen ermächtigen Arzt gemäß §§ 31, 31a Ärzte-ZV unter parenteraler intravasaler Behandlung mittels Kathetersystem
- und/oder Beobachtung und Betreuung eines Kranken in einer Arztpraxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß §
115 Abs.
2 SGB V unter parenteraler intravasaler Behandlung mit Zytostatika und/oder monoklonalen Antikörpern
- und/oder Beobachtung und Betreuung eines kachektischen Patienten mit konsumierender Erkrankung während enteraler Ernährung
über eine Magensonde oder Gastrostomie (PEG) in einer Praxis oder praxisklinischen Einrichtung gemäß §
115 Abs.
2 SGB V
- und/oder Beobachtung und Betreuung einer Patientin, bei der ein i.v.-Zugang angelegt ist, am Tag der Eizellentnahme, entsprechend
der Gebührenordnungsposition 08541
- und/oder Beobachtung und Betreuung eines Patienten nach einer Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas
Fakultativer Leistungsinhalt
- Infusion(en)
01510 Dauer mehr als 2 Stunden"
Unstreitig hat die Klägerin in den streitgegenständlichen Quartalen keine Beobachtung und Betreuung von Patienten nach einer
Punktion an Niere, Leber, Milz oder Pankreas erbracht. Der fünfte Spiegelstrich der GOP 01510 EBM kann auch nicht dahingehend erweiternd ausgelegt werden, dass auch Punktionen anderer Körperregionen erfasst wären.
Insoweit weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Auflistung abschließend ist.
Der Leistungsinhalt des ersten Spiegelstrichs der GOP 01510 EBM ist jedoch erfüllt. Die Patienten der Klägerin waren (unstreitig) an einem fortgeschrittenen Malignom erkrankt.
Ebenso unbestritten wurden diese Patienten in der Arztpraxis der Klägerin über die Dauer von mehr als 2 Stunden beobachtet
und betreut. Die Patienten erhielten auch eine "parenterale intravasale Behandlung mittels Kathetersystem". Unter "parenteraler
Behandlung" ist ueine Behandlung unter Umgehung des Gastrointestinaltrakts, in der Regel durch Injektion oder Infusion, z.B.
parenterale Ernährung, zu verstehen (Pschyrembel online). Intravasal bedeutet (Pschyrembel online): Innerhalb eines Gefäßes,
in ein Gefäß (hinein), z. B. intravasale Kontrastmittel. Die von der Klägerin mittels Kathetersystem verabreichten Infusionen
von Opiaten oder Benzodiazepin zur Analogiesedierung sowie Infusionen zur Kreislaufstabilisierung sind "parenterale intravasale
Behandlungen". Aus dem Wortlaut der GOP ergibt sich nicht, dass nur bestimmte parenterale intravasale Behandlungen mittels Kathetersystem in den Anwendungsbereich
fallen. Insbesondere ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen, dass diese der (unmittelbaren) Behandlung der Krebserkrankung dienen
muss. Da der Wortlaut insoweit auch nicht zweifelhaft ist, besteht kein Raum für eine systematische Interpretation. Einzig
das Wort "unter" lässt einen Auslegungsspielraum. Da aber der dritte Spiegelstrich der GOP 01510 EBM hiervon abweichend von "während" spricht, ist nicht davon auszugehen, dass die Infusion während der gesamten Zeit
der Beobachtung und Betreuung verabreicht werden muss. Es genügt vielmehr, dass Patienten mit konsumierender Erkrankung eine
Infusion erhalten und in diesem Zusammenhang mehr als zwei Stunden beobachtet und betreut werden.
c) Da die Abrechnungsvoraussetzungen der GOP 01510 EBM erfüllt waren, ist auch die Streichung der GOP 99983 EBM ab dem Quartal 1/2013 zu Unrecht erfolgt. Ab dem Quartal 1/2013 ist die (regionale) GOP 99983 EBM (Wortlaut: "Förderung der onkologischen und/oder immunologischen Betreuung", vgl. Nr. 31 der Übersicht über die
besonders förderungswürdigen Leistungen und die Einzelleistungen im I. Quartal 2013, gültig ab 01.01.2013, für alle GKV Kassen;
abrufbar unter https://www.kvbawue.de/praxis/abrechnung-honorar/arzthonorare/archiv-arzthonorare/) vom Regelwerk automatisch
jedem Ansatz der Betreuungsleistung zugesetzt worden. Nachdem - wie dargelegt - die Voraussetzungen der GOP 01510 EBM vorlagen, sind auch die Voraussetzungen der GOP 99983 EBM erfüllt.
6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass die (ursprünglich begehrte) streitgegenständliche Berichtigung einem Wert von 55.998,56 € entspricht.
7. Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.