Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50
streitig.
Das ehemalige Versorgungsamt K. hatte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. C. von 07.05.2003,
in der dieser als Behinderungen ein Schulter-Arm-Syndrom und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule berücksichtigt und
den Gesamt-GdB mit 20 beurteilt hatte, mit Bescheid vom 13.05.2003 den GdB der am 20.08.1953 geborenen Klägerin mit 20 seit
10.03.2003 festgestellt. Ein erster Verschlimmerungsantrag vom April 2004 blieb erfolglos (Bescheid vom 02.09.2004, Widerspruchsbescheid
vom 17.03.2005).
Die Klägerin beantragte am 07.10.2005 die Neufeststellung des GdB. Das Landratsamt R. holte den Befundbericht der Allgemeinmediziner
Dres. Sch. vom 07.11.2005 (Omarthrose, Fibromyalgie, Impingement-Syndrom rechts, multiple Schmerzzustände) ein, die diverse
Arztbriefe beifügten. Dres. Z. und K. berücksichtigten in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.12.2005 als Behinderungen
ein Schulter-Arm-Syndrom, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, ein Fibromyalgie-Syndrom sowie eine Mittelnervendruckschädigung
beidseits und bewerteten den Gesamt-GdB mit 30. Mit Bescheid vom 29.12.2005 hob das Landratsamt den Bescheid vom 13.05.2003
auf und stellte den GdB der Klägerin mit 30 seit 07.10.2005 fest.
Hiergegen erhob die Klägerin am 24.01.2006 Widerspruch. Dr. G. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.03.2006
an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2006 wies das Regierungspräsidium
Stuttgart den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19.05.2006 Klage beim Sozialgericht K.. Sie legte im Laufe des Klageverfahrens diverse Arztbriefe
vor.
Dr. F. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.01.2007 als Behinderungen eine Funktionsbehinderung
der Wirbelsäule, ein Schulter-Arm-Syndrom und ein Fibromyalgie-Syndrom (Teil-GdB 30) sowie eine Mittelnervendruckschädigung
beidseits (Teil-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 30. Der Versorgungsarzt Deppisch hielt in Auswertung des
Entlassungsberichts der Z.-K. St. B. (Rehabilitation vom 09.11. bis 21.12.2006 bei im Vordergrund stehender somatoformer Schmerzstörung,
Entlassung als voll leistungs- und arbeitsfähig) in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.06.2007 an der bisherigen
versorgungsärztlichen Beurteilung fest.
Das Sozialgericht holte von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden Dr. M. vom 19.09.2007 ein. Der Sachverständige führte
aus, dass sich eine wesentliche Änderung seit Oktober 2005 insofern eingestellt habe, als vordergründig ein LWS-Syndrom mit
Wurzelreizsymptomatik L4/5 bestehe. Er berücksichtigte als Behinderungen mittelgradige Funktionsbehinderungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten
(Teil-GdB 30) sowie eine Funktionsstörung beider Schultergelenke und eine Impingementsymptomatik rechts (Teil-GdB 10) und
bewertete aus orthopädischer Sicht den Gesamt-GdB mit 30. Dr. G. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24.01.2008
aus, aufgrund der objektivierbaren klinischen Befunde bedinge die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule lediglich einen Teil-GdB
von 10, da nur einzelne segmentale Bewegungsstörungen im HWS- und LWS-Bereich vorlägen. Der hierfür bisher eingeschätzte Teil-GdB
von 30 werde nur durch Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms erreicht.
Daraufhin holte das Sozialgericht von Amts wegen das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin O.-P. vom 25.06.2008 ein. Die
Sachverständige erhob zum Tagesablauf der Klägerin, dass diese noch regelmäßige Kontakte zu Freunden sowie Familienmitgliedern
pflege und sich hobbymäßig mit Malen, Fahrradfahren sowie ihren Gartenarbeiten beschäftige. Es fehlten angemessene Therapiemaßnahmen
und Eigenaktivitäten zur Schmerzlinderung, so dass die Schmerzstörung insgesamt eher als leicht einzuordnen sei. Sie berücksichtigte
als Behinderung eine somatoforme Schmerzstörung (Teil-GdB 20) und bewertete unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Teil-GdB
von 30 für den Bereich der Wirbelsäule und eines Teil-GdB von 10 für den Bereich der Schultergelenke den Gesamt-GdB mit 40.
Dr. W. erachtete in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 31.07.2008 als Behinderungen ein Fibromyalgiesyndrom, ein
chronisches Schmerzsyndrom und funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 20), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB
10), ein Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 10) sowie eine Mittelnervendruckschädigung beidseits (Teil-GdB 10) für angemessen
und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 30. Dr. W. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.09.2008 auch
unter Berücksichtigung des Befundberichts von HNO-Arzt K. (mittlerweile erfolgreich operierte Stimmbandleukoplakie) an der
bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest.
Mit Urteil vom 16.09.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Sachverständige O.-P. habe überzeugend dargelegt, dass
von einem geringen Schmerzsyndrom auszugehen sei. Unter Berücksichtigung der Diskrepanz zwischen den geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen
und den tatsächlich zu eruierenden Aktivitäten des täglichen Lebens sei die Sachverständige nachvollziehbar zu der Schlussfolgerung
gelangt, dass von einer eher leichteren Störung auszugehen und diese mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sei. Der Einschätzung
des Sachverständigen Dr. M., es lägen mittelgradige Funktionsbehinderungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, sei nicht
zu folgen, da dessen Untersuchungsbefund betreffend die Halswirbelsäule von einer globalen Beweglichkeit derselben ausgehe
und die von ihm beschriebenen Befunde nicht erkennen ließen, dass diese mittelgradige Funktionseinschränkungen nach sich zögen.
Insgesamt rechtfertige die somatoforme Schmerzstörung unter Einbeziehung des Wirbelsäulenbefundes und der Funktionsstörungen
beider Schultergelenke mit Impingementsymptomatik einen Gesamt-GdB von 30. Auf internistischem Fachgebiet sei für den Zustand
nach Cholezystektomie von keiner weiteren Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, da die Sachverständige O. P. am Untersuchungstag
drei Monate nach der stattgehabten Operation eine regelrechte Sprachfunktion beschrieben hatte. Für den Zustand nach Stimmlippenoperation
lasse sich daher eine weitergehende Verschlechterung nicht nachweisen.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 25.09.2008 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Klägerin am 17.10.2008
Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, das Sozialgericht habe das Schmerzsyndrom und die orthopädischen Leiden nicht ausreichend
bewertet. Die Klägerin hat im Laufe des Berufungsverfahrens diverse Arztbriefe vorgelegt (Bl. 23 ff. Senatsakte).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts K. vom 16. September 2008 aufzuheben, den Bescheid vom 29. Dezember 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 13. Mai 2003 aufzuheben
sowie den Grad der Behinderung mit mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dr. R. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.07.2009 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung festgehalten.
Der Senat hat zunächst Dr. A. unter dem 12.01.2010 (psychosomatischer Symptomkomplex bei generalisiertem Schmerzsyndrom und
Verdacht auf Fibromyalgiesyndrom, altersentsprechende degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Extremitätengelenke)
schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört.
Sodann hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) das Gutachten des Dr. M, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Rheumatologie der F. Bad B., vom 08.04.2010 eingeholt.
Der Sachverständige hat ausgeführt, auf internistischem Fachgebiet liege eine Erhöhung der Blutfette vor. Im Bereich des Bewegungsapparates
lägen degenerative Veränderungen vor, die jedoch im Kontext mit der chronischen Schmerzerkrankung gewürdigt werden müssten.
Aus Sicht der kombinierten Fachgebiete, der speziellen Schmerztherapie und der internistischen Rheumatologie, liege eine eher
psychosomatisch geprägte Form einer Fibromyalgie im Sinne einer somatoformen Schmerzsstörung vor. In diesem Zusammenhang stünde
auch die depressive Symptomatik. Die körperlichen Beeinträchtigungen seien geringfügig und die seelischen Beeinträchtigungen
mittelschwer bis schwer. Gehe man davon aus, dass die schmerzbedingten Einschränkungen bewusstseinsfern demonstriert würden,
müsse man doch von einer schwer beeinflussbaren Krankheitsaktivität ausgehen und die seelisch bedingten Funktionseinbußen
dann auch entsprechend werten. In diesem Falle würde man in Analogie zu den entzündlich rheumatischen Erkrankungen und den
damit verbundenen Funktionseinbußen den Gesamt-GdB mit 50 einschätzen müssen. Problematisch sei sicherlich das Aggravationsverhalten
der Klägerin. Würde man dieses bewusstseinsnah einschätzen, würde man deswegen den GdB auf unter 50 einschätzen müssen.
Innerhalb der ihr gesetzten Frist bis zum 05.06.2010, verlängert durch Verfügung vom 07.12.2010 bis zum 23.12.2010, hat die
Klägerin die Kostenverpflichtungserklärung für ein weiteres Gutachten nach §
109 SGG nicht vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§
143 und
144 SGG statthafte und nach §
151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden. Insbesondere musste zur Frage, ob das Aggravationsverhalten der Klägerin bewusstseinsnah
ist, kein weiteres psychiatrisches Gutachten von Amts wegen eingeholt werden. Das ausgeprägte Verdeutlichungsverhalten, das
die Klägerin bereits zuvor in der Begutachtungssituation gezeigt hat, wurde nämlich bereits ausführlich von der Sachverständigen
O.-P. gewürdigt und zutreffend als Schmerzsyndrom geringer Ausprägung bewertet, eine Einschätzung, die auch der Gutachter
M teilt. Das vorliegende Gutachten von O.-P. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen
Grundlagen vermittelt (§
118 Abs
1 Satz 1
SGG, §
412 Abs
1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche
und gibt keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachterin zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren
daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Soweit die Klägerin mit Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 07.06.2010 einen Antrag auf gutachtliche Anhörung
von Oberarzt S. nach §
109 SGG gestellt hat, so war dieser Antrag abzulehnen. Das Antragsrecht nach §
109 SGG ist verbraucht, nachdem der Senat bereits das auf Antrag der Klägerin nach §
109 SGG eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. M eingeholt hat. Denn das Antragsrecht nach §
109 SGG steht grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (so bereits LSG Baden-Württemberg, Urteile vom
06.02.2006 - L 1 U 2572/05 = veröffentlicht in Juris, und zuletzt Urteil vom 01.02.2011 - L 11 R 221/09). Es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - SozR 3-1500 § 109 Nr. 1; BSG, Beschluss vom 17.03.2010 - B 3 P 33/09 B, juris). Außerdem ist §
109 SGG als Ausnahmevorschrift (§
103 Satz 2
SGG) eng auszulegen und bezieht sich die Vorschrift nur auf die gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes. Eine wiederholte
Antragstellung nach §
109 SGG rechtfertigt sich daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Auflage 2008, §
109 SGG Rdnr. 10b). Diese Umstände liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Sowohl Dr. M als auch die Sachverständige O.-P. haben das
Verdeutlichungsverhalten der Klägerin im Zusammenhang mit dem chronischen Schmerzsyndrom gesehen. Die Beurteilung von Schmerzen
fällt aber nicht, wie dies der Sachverständige M meint, in ein spezielles Fachgebiet. Der Sachverständige muss sich daher
selbst mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Aggravation vorliegt und ob diese bewusstseinsnah ist. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 4-1500 § 160 a Nr 3) kann die Beurteilung von Schmerzzuständen nicht vorrangig
einer besonderen fachärztlichen Ausrichtung zugewiesen werden. Für die Qualifikation eines Gutachters kommt es nicht darauf
an, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe, Psychiater oder Schmerztherapeut tätig ist. Notwendig
sind vielmehr fachübergreifende Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung von Schmerzstörungen (vgl. Urteil
des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2009 - L 11 R 4832/08).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 30.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für eine Aufhebung von Verwaltungsakten wegen einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist
§ 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung
zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung liegt nur vor, wenn eine dauerhafte Änderung des Gesundheitszustands
zu einer Änderung des GdB um wenigstens 10 führt.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§
69 Abs.
1 Satz 1
SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen
Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch und den GdB aus (§
69 Abs.
5 SGB IX).
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist (§
2 Abs.
1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das
Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf
die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.
Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft
festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§
69 Abs.
1 Sätze 3 und 6
SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen
sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung
als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil
2
SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu §
2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung
nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen
und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und
Kriterien ist hiermit - von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - nicht verbunden. Vielmehr wurde an die
seit Jahren bewährten Bewertungsgrundsätze und Verfahrensabläufe angeknüpft. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil
vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten
Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnistand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Bei der Bildung des GdB sollen im Allgemeinen die Funktionssysteme Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz-Kreislauf,
Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion
und Stoffwechsel, Arme, Beine sowie Rumpf zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der
Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind
für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (VG, Teil A, Nr. 3 a). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen
von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können
(BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 6/77; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB
bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß
der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr
Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG, Teil A, Nr. 3 c). Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer
Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch
nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen
mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen
(VG, Teil A, Nr. 3 d ee).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beträgt der GdB der Klägerin zur Überzeugung des Senats 30.
Für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ist der Teil-GdB der Klägerin mit 20 zu bewerten. Bei der Klägerin liegt
ausweislich des in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens der Neurologin und Psychiaterin O.-P. eine somatoforme
Schmerzstörung vor. Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen
bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB 0 bis 20, stärker behindernden Störungen mit wesentlicher
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische
oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40, schweren Störungen (beispielsweise
schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70 sowie mit schweren sozialen
Anpassungsschwierigkeiten der GdB 80 bis 100.
Unter Berücksichtigung der von der Neurologin und Psychiaterin O.-P. dargelegten Befunde und des in ihrem Gutachten geschilderten
Tagesablaufs der Klägerin handelt es sich bei der seelischen Erkrankung der Klägerin um leichtere psychovegetative oder psychische
Störungen und noch nicht um stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.
Die Klägerin hat gegenüber der Sachverständigen über Durchschlafstörungen sowie stechende und bohrende Schmerzen von Kopf
bis Fuß, insbesondere Kopfschmerzen, Wirbelsäulen- und Schulterprobleme sowie Finger- Hüft- und Fußschmerzen berichtet. Ferner
zeigte die Klägerin ein ausgeprägtes Verdeutlichungsverhalten und eine eingeschränkte Compliance. Nach dem Ergebnis der gutachtlichen
Untersuchung liegt bei der Klägerin lediglich ein etwas agitierter Antrieb, eine leicht überschießende unruhige Gesamtmotorik
und eine leicht gedrückte Stimmungslage vor. Dementsprechend gestaltet sich ihr durchschnittlicher Tagesablauf. Die Klägerin
war bei einem Autohersteller in der Produktion auf einem Schonarbeitsplatz in der Früh- und Spätschicht berufstätig. Nach
der um 23:00 Uhr endenden Spätschicht ging sie gegen 3:00 Uhr zu Bett und stand schon gegen 6:00 Uhr wieder auf, um anschließend
zu lesen, fernzuschauen und danach ihre Hausarbeit zu verrichten. Danach nahm sie Arzt- oder Massagetermine wahr und ging
nachmittags wieder zur Arbeit. Die Klägerin hat regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern und Enkeln. Auch hat sie Freunde und
geht ihren Hobbies Malen und Basteln nach. Ferner fährt sie Fahrrad und versorgt die Blumen in ihrem Garten. Unter Berücksichtigung
von alledem hält der Senat die Einschätzung der erfahrenen Sachverständigen O.-P., bei der Klägerin von leichten Störungen
auszugehen und den GdB für die somatoforme Schmerzstörung mit 20 zu bewerten, für angemessen, zumal die Klägerin keine hochdosierten
Medikamente einnimmt und von ihr auch kein intensiver multimodaler Therapieansatz angestrebt wird.
Nichts anderes ergibt sich aus den im Berufungsverfahren von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen und dem auf ihren
Antrag nach §
109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. M. Zwar hat die Klägerin gegenüber diesem Sachverständigen im Wesentlichen über Ganzkörperschmerzen
geklagt und hat sich ihr Tagesablauf inzwischen dadurch geändert, dass sie nicht mehr berufstätig ist. Eine Befundverschlechterung
lässt sich aber nicht feststellen. So hat auch Dr. M die Klägerin als eine deutlich zur Aggravation neigende zu Begutachtende
geschildert. Die insoweit aufgeworfene Frage, ob das erhebliche Aggravationsverhalten der Klägerin bewusstseinsnah erfolgt
oder nicht, ist für die Bewertung der Schmerzen nicht ausschlaggebend, sondern allein, dass kein organisches Korrelat für
die Schmerzen vorliegt. Dr. M hat die körperlichen Erkrankungen demzufolge auch als geringfügig eingeschätzt. Er hat die Muskulatur
der Klägerin als normal kräftig ausgeprägt beschrieben sowie keine Anhaltspunkte für eine isolierte oder generalisierte Atrophie
großer oder kleiner Muskelgruppen gefunden, so dass keine Schonungshaltung besteht. Die Klägerin ist weiterhin in der Lage,
ihren Haushalt selbstständig zu versorgen, Kontakte zu Freunden und Verwandten zu pflegen, Hof- und Gartenarbeit zu erledigen
und Auto zu fahren. Vor diesem Hintergrund geht der Senat weiterhin davon aus, dass es sich bei der somatoformen Schmerzstörung
der Klägerin lediglich um einen Teil-GdB von 20 bedingende leichtere psychovegetative oder psychische Störungen handelt. Von
dem Schmerzempfinden der Klägerin ausgehende stärkere Funktionsbehinderungen hat auch Dr. M nicht darzulegen vermocht.
Eine gesonderte GdB-Beurteilung der insbesondere vom Rheumazentrum Baden-Baden und von Dr. M diagnostizierten Fibromyalgie
kommt daneben nicht in Betracht. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.4 sind die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungs-Syndrome
(zum Beispiel CFS/MCS) jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Mithin ist
die Fibromyalgie vorliegend entsprechend der GdB-Maßstäbe für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche zu bemessen
und geht daher in der hierfür maßgeblichen GdB-Beurteilung auf.
Für das Funktionssystem Rumpf beträgt der Teil-GdB der Klägerin allenfalls 20. Bei der Klägerin liegt ausweislich des Gutachtens
des Dr. M. eine Funktionsstörung der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Wurzelreizsymptomatik L4 links vor. Nach den VG, Teil
B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen
Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene
und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem
Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren
Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen
in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität
schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen
bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Unter Berücksichtigung der von
Dr. M. in seinem Gutachten dargelegten Befunde liegt im Bereich der Halswirbelsäule eine freie globale Beweglichkeit vor.
Es sind lediglich segmentale Bewegungsstörungen gegeben. Nur die Lendenwirbelsäule ist deutlich bewegungsgestört. Mithin liegen
bei der Klägerin im Bereich der Halswirbelsäule leichtgradige sowie im Bereich der Lendenwirbelsäule allenfalls mittelgradige
funktionelle Störungen und mithin einen Teil-GdB von 20 bedingende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt
vor. Eine höhere GdB-Bewertung voraussetzende schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige
bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten sind angesichts der von Dr. M. dargelegten Befunde nicht
gegeben.
Für das Funktionssystem Arme beträgt der Teil-GdB der Klägerin 0. Bei der Klägerin liegt ausweislich des Gutachtens des Dr.
M. eine Funktionsstörung beider Schultergelenke und eine Impingementsymptomatik rechts vor. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13
beträgt bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks, sofern weder eine Versteifung noch eine Instabilität vorliegt,
mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit bei einer Armhebung nur bis 120 Grad der GdB 10 und nur bis
90 Grad der GdB 20. Vorliegend hat aber Dr. M. bei der seinem Gutachten zugrunde liegenden Untersuchung in den Schultergelenken
eine mit 160 Grad rechts und 180 Grad links beiderseits freie Vorwärtshebung bei seitengleich möglicher Rotation beschrieben.
Ein Rezidiv des Karpaltunnelsyndroms besteht nicht. Der für das Funktionssystem Arme berücksichtigte Teil-GdB von 10 ist daher
zu hoch, er ist vielmehr mit 0 zu bewerten.
Die sonstigen sich aus den mannigfach von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergebenden Erkrankungen sind nicht
GdB-relevant. Insoweit folgt der Senat den aktenkundigen versorgungsärztlichen Stellungnahmen.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Teil-GdB-Werte (Teil-GdB 20 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und
Teil-GdB 20 für das Funktionssystem Rumpf) beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr als 30. Wegen der teilweisen Überschneidung der
Auswirkungen der Behinderungen auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet hat der Senat den Teil-GdB von 20 für das
Funktionssystem Rumpf bei der Bemessung des Ausmaßes der Behinderung dahingehend berücksichtigt, dass wegen dieser weiteren
Funktionsbeeinträchtigung dem GdB von 20 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche weitere 10 GdB-Punkte hinzuzufügen
sind.
Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 30.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.