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LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2022 - 8 U 1273/21
Anerkennung weiterer Unfallfolgen eines anerkannten Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung Anforderungen an das Vorliegen von Gesundheitsstörungen – hier im Falle geltend gemachter Posttraumatischer Belastungsstörungen Keine Klageänderung im sozialgerichtlichen Verfahren nach einer neuen Bezeichnung von umstrittenen Unfallfolgen durch einen Sachverständigen
1. Eine gerichtliche Feststellung von Unfallfolgen oder eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Unfallfolgen ist nur möglich, wenn die Gesundheitsstörungen einem anerkannten Diagnosesystem zugeordnet werden können (verneint für "Symptome einer PTBS" bei fehlendem Nachweis einer PTBS).
2. Außerdem muss die klageweise geltend gemachte Gesundheitsstörung auch hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein (verneint für "sämtliche auf psychischem Fachgebiet vorliegende Gesundheitsstörungen").
3. Allerdings kann von einem Kläger weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren verlangt werden, dass er eine Gesundheitsstörung nach einem anerkannten Diagnosesystem wie der ICD-10 oder dem DSM-V benennt. Mindestens erforderlich ist unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes aber, dass konkrete Folgeerscheinungen des Unfallereignisses geltend gemacht werden, die es dem Gericht ermöglichen, eine Zuordnung zu einer in einem anerkannten Diagnosesystem genannten Gesundheitsstörung vorzunehmen (vgl. Susnjar/Spellbrink SGb 2021, 129, 134). Nicht verlangt werden kann insbesondere, dass der Kläger bereits im Antrags- oder Widerspruchsverfahren die Anerkennung einer Unfallfolge mit der exakten Bezeichnung nach der ICD-10 oder dem DSM-V begehrt, die sich dann letztlich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als die zutreffende Diagnose seines Krankheitsbildes herausstellt.
4. Eine Änderung der Klage nach § 99 Abs. 1 SGG liegt nicht vor, wenn im Rahmen der Beweiserhebung ein Sachverständiger eine neue Bezeichnung von umstrittenen Unfallfolgen in das Verfahren einführt, und der Klageantrag daraufhin nach § 99 Abs. 3 SGG angepasst wird. Dem Kläger kann dann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es hinsichtlich der neu eingeführten Bezeichnung an einem Vorverfahren fehlt; etwas anderes gilt nur dann, wenn Unfallfolgen eines bestimmten medizinischen Fachgebietes bisher nicht Gegenstand der angegriffenen Behördenentscheidung sind oder erst nach der Behördenentscheidung aufgetreten sind.
5. Die Feststellung von Unfallfolgen setzt nicht das Vorliegen von funktionellen Einschränkungen oder das Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle voraus; eine "Bagatellgrenze" gibt es nicht.
Normenkette:
SGB VII § 56 Abs. 1 S. 1 und S. 3
,
SGB VII § 56 Abs. 2 S. 3
,
SGB VII § 62 Abs. 1 S. 1
,
SGB VII § 62 Abs. 2
,
SGG § 54 Abs. 1
,
SGG § 99 Abs. 3 Nr. 2
Vorinstanzen: SG Karlsruhe 24.03.2021 S 10 U 3052/19
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2019 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.03.2021 abgeändert und die Beklagte verurteilt, als weitere Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 08.07.2016 eine Hyposensibilität des Zeige-, Mittel- und Ringfingers der linken Hand und eine Narbe an der linken Leiste anzuerkennen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren zu einem Viertel zu erstatten.

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