Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei Leistungsansprüchen für die Vergangenheit
Gründe:
I. Streitig ist, ob die Antragsgegnerin (Ag) die Fahrtkosten zur wöchentlichen Psychotherapie und monatlichen Behandlung beim
Psychologen in W. vorläufig als Darlehen zu erbringen hat.
Die Antragstellerin (ASt) bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) seit 28.09.2009,
zuletzt aufgrund des Bescheides vom 22.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2010 für die Zeit vom 01.04.2010
bis 30.09.2010 und aufgrund des Bescheides vom 21.09.2010 für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.03.2011. In beiden Verfahren
hat die Ast ein Rechtsmittel bzw einen Rechtsbehelf eingelegt.
Am 06.07.2010 beantragte die ASt bei der Ag unter Vorlage eines Attestes über eine seit 28.05.2009 erfolgende notwendige wöchentliche
psychotherapeutische Behandlung in W. die Übernahme der Fahrtkosten dorthin. Die Krankenkasse habe die Übernahme mangels Vorliegens
der hierfür erforderlichen Voraussetzungen mit Schreiben vom 29.07.2010 abgelehnt. Mit Bescheid vom 06.08.2010 lehnte die
Ag den Antrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch verwarf die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2010 als verfristet.
Klage dagegen ist nicht erhoben worden.
Am 21.09.2010 stellte die ASt einen Überprüfungsantrag hinsichtlich der Übernahme der Fahrtkosten, den die Ag mit Bescheid
vom 28.09.2010 ablehnte. Über den Widerspruch hiergegen ist noch nicht entschieden.
Bereits am 29.07.2010 hat die ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend begehrt, die Fahrtkosten zu übernehmen. Diese Kosten könne sie nicht
aus dem Alg II decken. Die Therapie sei dringend erforderlich. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 03.08.2010 abgelehnt. Es fehle u.a. an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches. Die
Fahrtkosten würden von der Krankenkasse mangels Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen nicht erstattet. Durch die Krankenversicherung
der Empfänger von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) habe der Gesetzgeber eine Gleichstellung mit
den übrigen Pflichtversicherten erreichen wollen, so dass auch nur unter den dort genannten Voraussetzungen Fahrtkosten zu
übernehmen seien. Andere Fahrtkosten seien aus der Regelleistung u.a. durch Umschichtung zu finanzieren. Von der Ag seien
unabweisbare Bedarfe, die eigentlich von der Regelleistung umfasst seien, allenfalls gemäß § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II als Darlehen
zu erbringen. Es sei der ASt jedoch möglich, an ihrem Wohnort eine Psychotherapie durchzuführen, so dass kein unabweisbarer
Bedarf vorliege.
Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und eine darlehensweise Leistungsgewährung begehrt.
Die psychotherapeutische Behandlung stelle eine dringend notwendige Maßnahme und damit einen unabweisbaren Bedarf dar, der
nicht auf andere Weise gedeckt werden könne.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug
genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-) ist zulässig, denn die Ag hat den von der ASt unabhängig vom Bewilligungsabschnitt auf Dauer gestellten Antrag auf einen
laufenden, besonderen, unabweisbaren Mehrbedarf, der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zumindest darlehensweise
ausgezahlt werden sollte, begehrt. Diesen nicht nur einmaligen Bedarf gemäß den in Ausführung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(Urteil vom 09.02.2010) erlassenen § 21 Abs 6 SGB II hat die Ag mit gesondertem Bescheid vom 06.08.2010 bestandskräftig abgelehnt,
obwohl zutreffenderweise nur eine Ablehnung der Änderung des Bewilligungsbescheides für den damals laufenden Bewilligungszeitraum
vom 01.04.2010 bis 30.09.2010 (Bescheid vom 22.03.2010) hätte erfolgen können, denn dieser Mehrbedarf stellt lediglich ein
Berechnungselement des Gesamtbedarfes dar (vgl. hierzu die Ausführungen des Senats im Urteil vom 16.10.2008 - L 11 AS 337/06 - mwN) und ist keiner vom Bewilligungszeitraum gelösten Regelung zugänglich. Der Bescheid vom 06.08.2010 entbehrt nach der
genannten Rechtsprechung des Senats einer Rechtsgrundlage. Allerdings ist er rechtskräftig geworden, denn Klage gegen den
diesbezüglich ergangenen Widerspruchsbescheid vom 22.09.2010 hat die ASt nicht erhoben. Nicht Gegenstand des vorliegenden
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist der am 21.09.2010 gestellte Überprüfungsantrag den die Ag mit Bescheid vom 28.09.2010
ablehnte. Dabei handelt es sich um ein gesondertes Verfahren, auf das sich das vorliegende Verfahren nicht bezieht.
Nachdem der Bescheid vom 06.08.2010 bestandskräftig geworden ist, kann das am 29.07.2010 beantragte einstweilige Rechtsschutzverfahren
lediglich den Bewilligungsbescheid vom 22.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2010 für den Bewilligungszeitraum
01.04.2010 bis 30.09.2010 betreffen. Der Bewilligungsbescheid vom 21.09.2010 für den Zeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011 kann
nicht Gegenstand dieses Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz sein, denn für einen solchen Antrag fehlte es im Zeitpunkt
der Stellung des Antrags beim SG an einem entsprechenden Hauptsacheverfahren (hier: Antrag an die Ag zur Weiterzahlung ab 01.10.2010).
Hinsichtlich des Begehrens nach einstweiligem Rechtsschutz im Rahmen des Bescheides vom 22.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.06.2010 handelt es sich jedoch um einen bereits vergangenen Zeitraum. Dieser ist am 30.09.2010 (Ende des Bewilligungsabschnittes)
abgelaufen.
Es ist ständige Rechtsprechung des Senats, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit in Streit stehen,
in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist
der maßgebende Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im
Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Senats vom 12.01.2009 - L 11 B 785/08 AS ER - veröffentl. in juris). Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile
abzuwenden, um zu vermeiden, dass die ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe sie wirksamen Rechtsschutz erlangen
kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9.Aufl, §
86b Rdnr 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in der Regel nur in
die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen
werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen
Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil
glaubhaft gemacht wird, und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistung in der Vergangenheit auch
in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.
Beides ist vorliegend nicht gegeben. Die ASt hat nicht dargelegt, welche existenzielle Gefährdung durch eine Nachzahlung der
Fahrkosten für die Zeit von April bis September 2010 beseitig werden könnte oder beseitigt werden müsste. Es ist auch nicht
ersichtlich, dass ein Leistungsanspruch der ASt im streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt gemäß § 21 Abs 6 SGB II bzw.
gemäß § 23 Abs 1 SGB II offensichtlich bestehen würde. Hierzu fehlt es bereits an der Darlegung, dass die zwar medizinisch
notwendige Maßnahme allein in W. durchgeführt werden kann.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).