Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Annahme einer Bedarfsgemeinschaft bei eheähnlicher Gemeinschaft
Gründe:
I. Die Klägerinnen begehren für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2005 die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Berücksichtigung von H-HM als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Die 1964 geborene Klägerin zu 1) und der 1954 geborene H-H M sind die Eltern der 1999 geborenen Klägerin zu 2). Seit dem 1.
Dezember 2003 wohnen sie gemeinsam in einer von ihnen angemieteten 99 m² großen 4-Zimmer-Wohnung, für welche eine monatliche
Nettokaltmiete von 280,- EUR zuzüglich Vorauszahlungen für Betriebskosten und Heizkosten in Höhe von jeweils 122,99 EUR monatlich
zu zahlen sind. Obwohl laut Mietvertrag vom 1. Dezember 2003 sowohl die Klägerin zu 1) als auch Herr M Mieter der Wohnung
waren, schloss die Klägerin zu 1) mit Herrn M am selben Tag einen Untermietvertrag, demzufolge sie ihm ein Zimmer von 15 m²
Größe und eine Kammer vermietete sowie die Nutzung der Küche und des Bades gestattete und er seinerseits eine monatliche Miete
von 100,- EUR sowie Vorauszahlungen für Heiz- und Betriebskosten in Höhe von jeweils 50,- EUR monatlich zu leisten hatte.
Unter dem 28. Mai 2005 teilte die Vermieterin der Wohnung, die P mbH, der Klägerin zu 1) mit, dass auf ihrem Wunsch hin Herr
M mit sofortiger Wirkung aus dem gemeinsamen Mietvertrag ausscheide, so dass sie Hauptmieterin der Wohnung sei. Einem Untermietverhältnis,
welches der Deckung der Mietkosten diene, werde weiterhin zugestimmt.
Mit Bescheid vom 23. November 2004 bewilligte die Beklagte den Klägerinnen für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2005
monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 381,65 EUR. Dabei rechnete sie unter anderem das Kindergeld, das die Klägerin
zu 1) für ihre damals ebenfalls im Haushalt lebende volljährige Tochter J erhielt, als Einkommen an.
Erst nachdem die Klägerinnen unter dem 13. Dezember 2004 Widerspruch gegen diesen Bescheid eingelegt hatten, stellte die Beklagte
fest, dass der ebenfalls bei ihr im Leistungsbezug stehende Herr M in derselben Wohnung lebte. Mit der Zurückweisung des Widerspruchs
durch Bescheid vom 20. Dezember 2005 teilte sie den Klägerinnen mit, dass entgegen den im Antrag insoweit gemachten Angaben
davon auszugehen sei, dass die Klägerin zu 1) in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit Herrn M lebe. Die Leistungen seien
daher auf der Grundlage einer dritten Person in der Bedarfsgemeinschaft neu berechnet worden; die Bedarfsgemeinschaften seien
zusammengelegt und alle drei Personen in einer einzigen Bedarfsgemeinschaft erfasst worden. Es hätten sich deshalb neue Berechnungen
hinsichtlich der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft ergeben. Auch das Einkommen sei neu berechnet worden. Dass nun
eine höhere Leistung gezahlt werde, ergebe sich aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 1) nun die alleinige Mieterin der Wohnung
sei. Die Regelleistung für Herrn M werde diesem gesondert ausgezahlt. Dass zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn M eine Einstehens-
und Verantwortungsgemeinschaft bestehe, zeige sich an verschiedenen Indizien. So hätten sie die gemeinsame Wohnung zum 1.
Dezember 2003 zusammen angemietet; für den zusätzlich abgeschlossenen Untermietvertrag sei kein Grund ersichtlich. Die Wohnungsbesichtigung
habe ergeben, dass von den zwei existierenden Waschmaschinen nur eine angeschlossen sei und von beiden genutzt werde. Auch
gebe es keine Trennung von Geschirr und Töpfen oder von Lebensmitteln. Die Klägerin zu 1) und Herr M hätten schließlich auch
ein gemeinsames Kind. Die Tochter habe bei einer Besichtigung der Wohnung geäußert, dass sie nicht in ihrem Zimmer, sondern
"bei Mama und Papa im Bett schlafe".
Daraufhin haben die Klägerinnen am 16. Januar 2006 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Herrn M als Zeugen vernommen und die
Klage mit Urteil vom 4. April 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwischen der Klägerin zu
1) und Herrn M habe im streitbefangenen Zeitraum eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II in der
bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung bestanden. Was eine eheähnliche Gemeinschaft sei, sei im Gesetz nicht definiert gewesen.
Nach der Rechtsprechung handele es sich um eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die daneben
keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulasse und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft
- durch innere Bindungen auszeichne, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründeten, also über eine reine
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgingen. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten
Sinn seien insbesondere deren Kontinuität und Dauerhaftigkeit und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft,
daneben aber auch weitere Umstände, etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen. Dagegen setze die Annahme einer eheähnlichen
Gemeinschaft nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestünden. Die zum 1. August
2006 in Kraft getretenen Vermutungsregelungen knüpften an diese Definition einer eheähnlichen Gemeinschaft an. Ein wechselseitiger
Wille, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, sei nach der heutigen Fassung von § 7 Abs. 3a SGB
2 unter anderem dann anzunehmen, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenlebten, wenn sie mit einem gemeinsamen Kind zusammenlebten,
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgten oder befugt seien, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Nach
alledem und im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, das die Klägerinnen
und Herr M eine Bedarfsgemeinschaft bildeten, weil zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn M eine eheähnliche Lebensgemeinschaft
bestanden habe und bestehe. Dass getrennte Konten bestünden und auch Anschaffungen getrennt getätigt würden, stehe dem nicht
entgegen, denn dies gebe es auch bei verheirateten Partnern häufig. Soweit die Klägerin zu 1) und Herr M übereinstimmend angegeben
hätten, vor allem wegen des Kindes zusammenzuleben, spreche auch dies nicht gegen eine eheähnliche Beziehung, denn auch in
vielen Ehen fühlten sich die Eltern vorrangig dem gemeinsamen Nachwuchs verpflichtet. Die Klägerin zu 1) und Herr M hätten
sich vor allem zu dem Zweck zusammengetan, Verantwortung für das gemeinsame Kind zu tragen und für dieses einzustehen. Durch
das Zusammenwohnen mit dem Kind seien sie in der Lage, es umfassender zu betreuen und ihm eine bessere Wohnqualität zu ermöglichen.
Das Gericht habe auch den Eindruck gewonnen, dass im Interesse der Verbundenheit mit dem Kind auf eine jeweils eigene Partnerschaft
verzichtet werde. Insoweit sei auch anzunehmen, dass ein Partner der Gemeinschaft für den anderen einstehe, und sei es auch
nur mittelbar zum Zweck des Kindeswohls. Auch insoweit liege das Verhältnis zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn M durchaus
im Rahmen dessen, was auch bei verheirateten Paaren anzutreffen sei.
Gegen das ihnen am 30. Mai 2008 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen am 25. Juni 2008 Berufung eingelegt, um ihr Begehren
weiter zu verfolgen. Sie haben vorgetragen, in einer Ehe seien geschlechtliche Beziehungen ein Grundelement. Dieses fehle
in der Beziehung zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn M seit Jahren, so dass es sich nicht um eine eheähnliche Beziehung
handeln könne.
Die Klägerinnen beantragen, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 4. April 2008 aufzuheben sowie den Bescheid vom 23.
November 2004 in der Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2005 abzuändern und ihnen Leistungen
nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von Herrn M zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerinnen zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten drei Bände) verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen
ist.
II. Der Senat konnte durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung hat keinen Erfolg, weil sie zwar zulässig, aber nicht begründet ist. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen. Auch der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerinnen und Herr M jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum eine
Bedarfsgemeinschaft gebildet haben, weil die Klägerin zu 1) und der Vater des gemeinsamen Kindes, der Klägerin zu 2), in einer
eheähnlichen Lebensgemeinschaft gelebt haben. Streitgegenständlich ist, wie das Sozialgericht bereits zutreffend festgestellt
hat, ausschließlich der von dem Bewilligungsbescheid vom 23. November 2004 erfasste Zeitraum vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April
2005. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen war über die nachfolgenden Zeiträume nicht zu entscheiden,
denn die Folgebescheide sind weder nach §
96 SGG unmittelbar noch in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. die Urteile des Bundessozialgerichts
vom 25. Juni 2008, B 11b AS 35/06 R, und vom 7. November 2006, B 7b AS 14/06 R, beide zitiert nach juris). Da die Klägerinnen im Berufungsverfahren nichts Neues vorgebracht haben, besteht kein Anlass,
die zutreffenden, überzeugenden und erschöpfenden Ausführungen des Sozialgerichts zu wiederholen. Auf sie wird daher in vollem
Umfang Bezug genommen (§
153 Abs.
2 SGG). Ergänzend sei bemerkt, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft eine auf Dauer angelegte Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft
ist. Ob zwischen den Partnern (noch) sexuelle Beziehungen bestehen, ist dabei ohne Bedeutung.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nach §
160 Abs.
2 Nrn 1 und 2
SGG nicht vorliegen.