Normative Bestimmung der Höhe der jährlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht durch Rechtsbehelf im Wege einer Popularklage
anfechtbar
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Bekanntmachung der Beitragssätze in der allgemeinen Rentenversicherung und der knappschaftlichen
Rentenversicherung für das Jahr 2014 durch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales vom 19. Dezember 2013 (BGBl. I S.
4313). Danach beträgt der Beitragssatz für das Jahr 2014 in der allgemeinen Rentenversicherung weiterhin 18,9 Prozent.
Die Antragstellerin hat am 21. Januar 2014 beim Sozialgericht Berlin (SG) beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Antragsgegnerin zu 1) -vertreten durch das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales- gegen die genannte Bekanntmachung anzuordnen. Sie hat ferner beantragt, im Wege einstweiliger Anordnung
festzustellen, dass sie bis zum Inkrafttreten des am 19. Dezember 2013 im Deutschen Bundestag in erster Lesung beratenen Entwurfs
eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 -Beitragssatzgesetz 2014- (BT-Drs. 18/187), für den Beigeladenen zu 1), einen ihrer Arbeitnehmer, keine Rentenversicherungsbeiträge an die Antragsgegnerin
zu 2), der zuständigen Einzugsstelle, abzuführen habe.
Das SG hat die Anträge mit Beschluss vom 5. Februar 2014 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin
vom 7. Februar 2014.
II.
Der zulässigen Beschwerde muss Erfolg versagt bleiben:
Der Antrag zu 1) ist unstatthaft:
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage nach §
86b Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) setzt voraus, dass es sich bei dem im Hauptsacheverfahren angegriffenen Rechtsakt um einen Verwaltungsakt handelt. Denn
Anfechtungsklagen sind nur solche, die auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet sind, vgl. §
54 Abs.
1 SGG, auch wenn das
SGG keine Legaldefinition enthält wie §
42 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO).
Hier hat das SG im angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass es sich bei der streitbefangenen Bekanntmachung nicht um einen Verwaltungsakt
handelt, auch nicht um einen in Form einer Allgemeinverfügung nach § 31 S. 2 erste Alternative Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Eine Allgemeinverfügung ist danach ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren
Personenkreis richtet.
Der Adressatenkreis der Bekanntmachung der Bundesministerin für Arbeit und Soziales vom 19. Dezember 2013 ist offen. Er lässt
sich nicht konkret bestimmen, da der Beitragssatz als Grundlage der Beitragshöhe nach §
157 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) nur ein Faktor in unterschiedlichen Rechtszusammenhängen darstellt. Der Beitragssatz betrifft zudem nicht nur jeden Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, sondern beispielsweise auch die Landwirte nach Maßgabe des § 68 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte. Sie hat auch Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete, zum Beispiel auf die Steuerfestsetzung (vgl. § 39b Abs.2 Nr. 3 Einkommenssteuergesetz
oder § 55 Abs. 2 Energiesteuergesetz). Soweit die Antragsgegnerin zu 1) noch weitere Rechtsargumente vorgebracht hat, welche
ebenfalls gegen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes sprechen, braucht auf diese nicht mehr eingegangen zu werden. Ob, wie
das SG unter Anführung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Dezember 1986 (12 RK 2/85) ausgeführt hat, im Bereich des Versicherungs- und Beitragsrechts Allgemeinverfügungen generell ausscheiden, kann auch dahingestellt
bleiben.
Eine Umdeutung des Antrages in einen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 S. 1
SGG scheidet angesichts des klaren Wortlauts des Antrages aus. Ob ein solcher Antrag statthaft wäre, weil in der Hauptsache eine
Feststellungsklage gegen die Antragsgegnerin zu 1) als Normgeber einer untergesetzlichen Norm zulässig sein könnte, die direkt
Rechte der Antragstellerin verletzt (vgl. zur Zulässigkeit Bundessozialgericht -BSG-, Urt. v. 14. Dezember 2011 -B 6 KA 29/10 R- juris-Rdnr. 20 mit weiteren Nachweisen) bzw. gegen den Erlass eines sogenannten Rechtsetzungsaktes eigener Art (vgl. zur
Zulässigkeit der Feststellungsklage gegen eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung: Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Urt.
v. 28. Januar 2010 -8 C 38/09 juris-Rdnr. 32ff) braucht deshalb nicht entschieden zu werden.
Der Antrag zu 2) ist unbegründet.
Nach §
86b Abs.
2 S. 1
SGG ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, wenn andernfalls die Gefahr besteht, dass ein Recht des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Gemäß §
86 b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz
begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den
Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§
86 b Abs.
2 S. 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte
nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen
eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu
entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005
- 1 BvR 596/05 -).
Hier fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. Ein Bedürfnis einer dringlichen Regelung ist nicht ersichtlich, wie bereits
das SG zutreffend festgestellt hat. Auch eine Folgenabwägung fiele deshalb nicht zu Gunsten der Antragstellerin aus.
Diese kann auf den Hauptsachenrechtsweg verwiesen werden, ohne dass der ihr verfassungsrechtlich in Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) garantierte Rechtsschutz beeinträchtigt wird.
Die Sache ist weder eilbedürftig, noch steht für die Antragstellerin Existenzielles auf dem Spiel. Der Antragstellerin droht
kein irreparabler materieller Schaden. Dies gilt auch unter Einstellung des Umstandes, dass ein möglicher Rechtsverstoß voraussichtlich
gänzlich folgenlos bliebe:
Popularklagen sieht das Gesetz nur in Ausnahmefällen vor. Bei der Aktion "Bild-APO klagt gegen Renten-Klau. Es geht um Millionen von Beitragszahlern und um Milliarden von Rentenbeitragsgeldern" (vgl.http://www.bild.de/politik/inland/apo/bild-apo-klagt-gegen-renten-klau-34356888.bild.html)
handelt es sich primär um eine solche Popularklage. Soweit der Eilantrag aufgrund der möglichen Verletzung eigener Rechte
als Arbeitgeberin eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zulässig ist, tangiert er die Antragstellerin nur ganz
marginal, unabhängig von der Frage, ob das Beitragssatzgesetz 2014 wie in erster Lesung vom Bundestag behandelt in Kraft tritt oder nicht.
Es geht ihr nicht wirklich um die Einsparung konkreter Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) als ihrem
Beschäftigten, sondern ums Prinzip. Sie hat nach Angaben der Antragsgegnerin auch die für Januar geschuldeten Beiträge vollständig
entrichtet und riskiert weder Säumniszuschläge nach Maßgabe des § 24 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, geschweige denn ein Strafverfahren
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach §
266a Strafgesetzbuch.
Ob sie tatsächlich durch eine (mutmaßlich nur vorübergehende) mögliche Missachtung des geltenden §
158 SGB VI in Rechten verletzt ist, kann deshalb auch noch im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Soweit der Antragstellerin insoweit gefolgt würde, bestünden zudem Zweifel an deren Rechtsschluss, aktuell bestünde gar keine
Pflicht zur Leistung eines Rentenversicherungsbeitrages, weil die Höhe nicht wirksam verordnet sei: §
158 Abs.
1 SGB VI setzt einen Rentenversicherungsbeitrag voraus und gebietet lediglich dessen Veränderung durch Absenkung, soweit dies die
Rücklagen nach Maßgabe der Bestimmung erlauben.
Hier kann sich die Antragstellerin maximal darauf berufen, dass eine für sie günstigere Verordnung mit der Festsetzung der
Beitragshöhe auf 18,3 Prozent ab 1. Januar 2014 hätte erfolgen müssen. Gegenstand einer einstweiligen Anordnung im Verhältnis
der Antragstellerin zur Antragsgegnerin zu 2) als Einzugsstelle könnte demnach allenfalls eine Regelung sein, welche die vorläufige
Verpflichtung zu Zahlung eines Gesamtsozialversicherungsbeitrage unter Zugrundelegung lediglich eines Rentenversicherungsbeitrags
von 18,3 Prozent statt 18,9 Prozent ausspräche. Nur insoweit ist eine Rechtsverletzung denkbar. Da die Antragstellerin selbst
einräumt, dass der Bundestag per Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2014 eine davon abweichende Regelung treffen kann und eine
etwaige Rechtsverletzung damit wegfiele, verdeutlicht dies zusätzlich das Fehlen der Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung.
Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung wird auf den Beschluss des SG vom 5. Februar 2014 verwiesen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §177
SGG.