Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls.
Der 1956 in Ungarn geborene Kläger erlitt am 09.05.2015 während seiner Tätigkeit als selbstständiger Taxiunternehmer einen
Arbeitsunfall, als ihm ein anderes Auto, während er an einer roten Ampel stand, mehrfach ins Heck fuhr. Der noch am Unfalltag
aufgesuchte Durchgangsarzt Dr. B stellte bei dem Kläger eine Halswirbelsäulenzerrung fest. Der am 12.05.2015 aufgesuchte Durchgangsarzt
Dr. M, Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie sowie Orthopädie, diagnostizierte eine HWS-Distorsion bei massivem degenerativem
Vorschaden. Ein im orthopädischen und radiologischen Zentrum im N-Hospital in L durchgeführtes MRT der Halswirbelsäule vom
19.05.2015 ergab keinen Anhalt für eine frische ossäre, ligamentäre oder diskogene Verletzung. Demgegenüber fanden sich mehrsegmentale
Chondrosen/Osteochondrosen sowie Spondylarthrose in den Segmenten C3/C4, C5/C6 und C6/C7 mit Foramenstenosen.
Die im Juni 2015 konsultierten Fachärzte für Nervenheilkunde Dr. E und T E diagnostizierten eine Anpassungsstörung. Die Oberärztin
des Zentrums für Augenheilkunde der Klinik L, Privatdozentin Dr. S, die der Kläger wegen Sehbeschwerden aufgesucht hatte,
stellte im Juli 2015 einen altersentsprechenden Augenbefund ohne Anzeichen einer Traumafolge fest. Sie erachtete die Sehbeschwerden
als Folge einer posttraumatischen Überlagerung zusammen mit möglichen Existenzängsten. Im Juli 2015 diagnostizierte Dr. M
erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung bei dem Kläger, was er in nachfolgenden Untersuchungsberichten wiederholte.
In der Folgezeit begab sich der Kläger unter anderem bei der Diplom-Psychologin V C und dem Facharzt für Neurologie Professor
Dr. I in Behandlung.
Die Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft L über den betreffenden Unfall (Az. xxx), ein Vorerkrankungsverzeichnis
der privaten Krankenkasse des Klägers, die Unterlagen betreffend einen früher gestellten Antrag des Klägers auf Anerkennung
der Berufskrankheiten nach Ziffern 2108 und 2110 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (von der Beklagten mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.11.2010 abgelehnt) sowie ein Gutachten des Orthopäden Dr. X vom
04.05.2012, das dieser im Hinblick auf einen früheren Arbeitsunfall des Klägers vom 21.10.2010 erstattet hatte, bei. In diesem
Gutachten beschrieb Dr. X erhebliche Gesundheitsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule in Gestalt multisegmentaler Verschleißerscheinungen
und Bandscheibenvorfälle, die nach Einschätzung des Gutachters nicht auf den damals streitbefangenen Unfall vom 21.10.2010
zurückzuführen seien. Eine seinerzeit vom Kläger auf Gewährung von Verletztenrente wegen dieses Unfalls gerichtete Klage (Sozialgericht
Köln, Aktenzeichen S 18 U 60/13) hatte der Kläger im Juli 2014 zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 18.12.2015 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der
Folgen des Unfalls vom 09.05.2015. Er gab im Wesentlichen an, seit dem Unfall leide er an Sehstörungen, Taubheitsgefühlen
an Armen und Händen, Schwindelattacken, Schlafstörungen etc.
In einem von der Beklagten angeforderten Befundbericht vom 13.01.2016 führte Frau C aus, sie habe die geäußerte Verdachtsdiagnose
der posttraumatischen Belastungsstörung mittels Fragebögen und Anamnese nicht bestätigen können. Ihrer Ansicht nach liege
eine durch den Unfall ausgelöste dissoziative Sensibilität- und Empfindungsstörung (ICD-10 F 44.6) vor. Diese Diagnose bestätigte
sie in einem weiteren Befund- und Verlaufsbericht vom 02.03.2016.
Der von der Beklagten beratungsärztlich konsultierte Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. G kam in seiner Stellungnahme
vom 16.06.2016 zu der Einschätzung, der Kläger habe durch das Ereignis vom 09.05.2015 eine unfallbedingte Zerrung der Halswirbelsäule
erlitten. Unfallbedingte Behandlungsnotwendigkeit und Arbeitsunfähigkeit seien vom 09.05.2015 bis zum 18.05.2015 anzunehmen.
Unfallunabhängig habe eine vorübergehende hypertensive Blutdruckentgleisung mit Sehstörungen im Sinne von Flimmern sowie eine
hochgradige Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule bestanden.
Die Beklagte ließ den Kläger weiterhin durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C1, den der Kläger im Rahmen der
Gutachterauswahl bestimmt hatte, untersuchen. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 29.06.2016 zu der Einschätzung, es gebe
keine Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, für die das Unfallereignis die wesentliche Ursache
sei. Bei dem Kläger liege eine unfallreaktive Somatisierungs- und dissoziative Störung vor, für die der Unfall zwar Auslöser,
jedoch nicht die Ursache sei. Die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung seien nicht erfüllt. Es gebe bei dem
Kläger keine belastenden Träume, jedenfalls nicht solche, an die er sich erinnern würde. Es gebe auch keine sich aufdrängenden
Bilder über Tag. Der Kläger müsse auch die Unfallstelle nicht meiden. Außerdem könne er sich Unfälle im Fernsehen anschauen,
wenngleich er dies nicht gerne tue. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass es sich bei dem Ereignis vom 09.05.2015 um ein
katastrophales Ereignis gehandelt habe, was das Leben oder die Existenz des Klägers grundsätzlich gefährden würde. Eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet liege nicht vor.
Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.08.2016 die Gewährung einer Verletztenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung ab.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch legte der Kläger ein ärztliches Attest des Arztes für Innere Medizin Dr. H1 vom
04.07.2016 sowie einen Behandlungsbericht von Professor Dr. I vor, in denen dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung
nach Verkehrsunfall am 09.05.2015 mit somatoformen Symptomen und Angststörung bescheinigt wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte unter anderem
zur Begründung aus, auch die behandelnde Psychologin, Frau C, habe die Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung
nicht bestätigt.
Der Kläger hat am 06.12.2016 Klage beim Sozialgericht Köln erhoben. Er hat das Gutachten von Dr. C1 kritisiert und behauptet,
die Tätigkeit als Taxifahrer sei ihm nicht mehr möglich, was auf den Unfall zurückzuführen sei. Er hat deshalb die Auffassung
vertreten, er sei zu 100 % erwerbsgemindert. Es habe sich nicht um einen einfachen Auffahrunfall, sondern um eine kriminelle
Tat gehandelt. Erschwerend sei dabei hinzugekommen, dass er sich in einer für ihn extrem aussichtslosen Situation befunden
habe, da er während des Unfallgeschehens von anderen Autos umringt gewesen sei. Zudem sei er von umherstehenden Personen fotografiert
und dadurch bloßgestellt worden. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger ein "neurologisch-psychiatrisches Gutachten" von Professor
Dr. I vom 30.05.2017, das dieser im Auftrag des Klägers erstattet hat, sowie ein Attest der Diplom-Psychologin C vom 01.07.2017
zu den Akten gereicht. Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2016 zu verurteilen,
ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 09.05.2015 eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 % zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie auf ihre Ermittlungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat den Kläger am 22.03.2017 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S1 untersuchen lassen. Dieser
ist in seinem medizinischen Sachverständigengutachten vom 04.04.2017 zu der Einschätzung gelangt, auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet lägen keine Folgen des Unfalls vom 09.05.2015 vor. Bei dem Kläger bestünden eine leichtgradige somatoforme Störung
mit anklingender, dissoziativ anmutender Symptombildung in Form von flüchtigen Sehstörungen, flüchtigen Schwindelattacken
und Missempfindungen an den Händen, eine leichtgradige depressive Episode, ein degeneratives Cervikalsyndrom und Bluthochdruck.
Das Unfallereignis sei hierfür keine wesentliche Ursache. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Es fehle
sowohl an der Qualität des traumatischen Ereignisses als auch an der notwendigen Symptomausgestaltung, insbesondere einer
Generalisierung von Ängsten, eines weitergehenden Vermeidungsverhaltens sowie spontan auftretender Wiedererinnerungen ohne
Bezug zu dem stattgehabten Unfallereignis.
Nach Einreichung des "Gutachtens" von Professor Dr. I hat das Sozialgericht noch eine ergänzende Stellungnahme von Dr. S1
vom 15.08.2017 eingeholt. Darin hat der Sachverständige ausgeführt, aus den Ausführungen von Professor I gehe nicht hervor,
dass die Eingangsvoraussetzungen für das Störungsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung gegeben seien. Zudem lasse
sich nicht ableiten, dass eine Generalisierung von Ängsten und weitergehendes Vermeidungsverhalten sowie spontan auftretende
Wiedererinnerungen ohne Bezug zu dem stattgehabten Unfallereignis vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das zu den Akten gereichte Sachverständigengutachten sowie die
ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Bezug genommen.
Mit Urteil vom 19.10.2018 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, bei dem Kläger liege keine rentenberechtigende
MdE vor. Auf orthopädischem-chirurgischem Gebiet seien auf den Unfall vom 09.05.2015 keine Gesundheitsstörungen zurückzuführen,
die eine MdE bedingen würden. Durch die erlittene HWS-Distorsion sei, wie Dr. G in seiner von der Beklagten eingeholten beratungsärztlichen
Stellungnahme vom 16.06.2016 nachvollziehbar ausgeführt habe, lediglich eine Behandlungsnotwendigkeit und Arbeitsunfähigkeit
von wenigen Tagen eingetreten. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass im Bereich der Halswirbelsäule ganz
erhebliche degenerative Vorschäden vorlägen, die nicht dem hier in Rede stehenden Unfall anzulasten seien. Diese Vorschäden
ergäben sich bereits aus dem Gutachten von Dr. X vom 04.05.2012, das wegen eines früheren Unfalls eingeholt worden sei. Des
Weiteren habe die am 19.05.2015 durchgeführte MRT-Untersuchung keinen Anhalt für eine frische ossäre, ligamentäre oder diskogene
Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule, wohl aber erhebliche degenerative Leiden ergeben. Auch auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet ließen sich keine Unfallfolgen finden, die die Gewährung einer Verletztenrente rechtfertigen würden. Insoweit hat
sich das Sozialgericht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S1 angeschlossen.
Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 06.11.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.12.2018 Berufung eingelegt
und diese ausdrücklich auf eine "MdE von 50 %" beschränkt. Er meint, das Sozialgericht hätte sich mit der Frage beschäftigen
müssen, welche Folgen der Unfall hinterlassen habe, statt einfach nur festzustellen, dass sich aus dem selbigen keinerlei
MdE herleiten lasse. Schließlich müsse ein Unfall nicht die einzige Ursache für vorliegende gesundheitliche Folgen sein. Er
hat zudem einen weiteren ärztlichen Bericht vom 31.10.2018 und eine "ergänzende gutachterliche, neurologisch-psychiatrische
Stellungnahme" vom 08.01.2019 von Professor Dr. I sowie ein weiteres Attest der Diplom-Psychologin C vom 18.12.2018 zu den
Akten gereicht. Professor Dr. I vertritt darin die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Diagnose einer posttraumatischen
Belastungsstörung seien gegeben, da der Kläger über den gesamten Zeitraum seit dem Unfall ein ausgeprägtes und vollständiges
Vermeidungsverhalten im Hinblick auf das Führen eines PKW (sowohl beruflich als auch privat) zeige, obwohl dies für ihn existenzbedrohend
gewesen sei. Darüber hinaus seien die vom Kläger entwickelten psychosomatischen Störungen in Form von rezidivierenden Schwindelattacken
und Sehstörungen, die hirnorganisch nicht erklärbar seien, als spezifische psychoreaktive Ausdrucksform dieses Vermeidungsverhaltens
zu werten, da Schwindelattacken und Sehstörungen prinzipiell eine Fahruntauglichkeit bedingten. Überdies sei es während des
gesamten Zeitraums der Behandlung seit dem Unfall zur Reaktivierung bedrohlicher Albträume gekommen. Die persistierende posttraumatische
Belastungsstörung mit den assoziierten psychosomatischen Störungen der Schwindelattacken und der rezidivierenden Sehstörung
bedingten eine MdE von 30 %. Die im gesamten Zeitraum behandelte Depression mit Ausprägungsgrad zwischen leicht und mittelschwer
bedinge eine weitere MdE von 20 %. Hieraus resultiere eine Gesamt-MdE von 40 %. Frau C führt aus, sie habe eine dissoziative
Sensibilitäts- und Empfindungsstörung (F 44.6) und Albträume (F 51.5) diagnostiziert. Die im Verlauf der Therapie durchgeführten
Untersuchungen und Beobachtungen sowie ausführliche Anamnese und der Therapieverlauf sprächen für einen kausalen Zusammenhang
zwischen dem erlebten Unfall und diesen Diagnosen. Die aktuell vorhandene Symptomatik bestehe seit dem Tag des Autounfalls
und sei zuvor niemals aufgetreten.
Der Kläger beantragt sinngemäß schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.10.2018 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2016
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2016 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 09.05.2015 eine
Verletztenrente nach einer MdE von 50 % zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat den Kläger am 12.06.2019 durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P untersuchen lassen. In
seinem psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachten vom 20.06.2019 ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, bei
dem Kläger liege auf psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgebiet eine dissoziative Empfindungsstörung (ICD-10: F 44.6)
mit Beschwerdeangabe eines ganz kurzzeitigen, in Sekundenbruchteilen ablaufenden kompletten Sehverlusts, derzeit mit einer
Frequenz von etwa einmal innerhalb von ein bis zwei Wochen auftretend berichtet. Das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung
oder einer anderen psychischen Störung lasse sich nicht gutachterlich objektivieren. Die vorliegende dissoziative Empfindungsstörung
sei nicht im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne mit Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 09.05.2015 zurückzuführen.
Vielmehr seien andere Umstände ursächlich im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, nämlich biologisch-genetische Faktoren,
das Beispiel des Vaters, der nach einem tödlich verlaufenden Verkehrsunfall ins Gefängnis hatte gehen müssen, eine persönlichkeitsbedingt
und biografisch entstandene verminderte Fähigkeit zum Erkennen eigener Gefühlsregungen und Emotionen, weitere biografische
Belastungsfaktoren und Brüche im Lebenslauf, Existenzsorgen sowie weitere Unfälle, die im Sinne einer kumulativen Belastung
hätten wirken können. Eine unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet sei nicht festzusetzen. Unabhängig von der Frage
der Unfallkausalität der verbliebenen dissoziativen Empfindungsstörung auf der diagnostischen Ebene der Objektivierbarkeit
einer Krankheit im Rechtssinne wäre der subklinisch zu beschreibende Ausprägungsgrad für sich genommen nicht geeignet, eine
messbare MdE beziffern zu können. Dazu sei die klinische Symptomatik mit ihren Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Teilhabe
am Erwerbsleben zu gering, selbst wenn man Einschränkungen hinsichtlich des selbstständigen Fahrens zuerkenne. Die Auswirkungen
im allgemeinen Erwerbsleben seien vergleichsweise geringer einzustufen.
Nachdem der Kläger eine weitere "neurologisch-psychiatrische gutachterliche Stellungnahme" von Professor Dr. I vom 22.08.2019
zu den Akten gereicht hat, in der dieser dem Sachverständigen Dr. P hinsichtlich der Verneinung einer posttraumatischen Belastungsstörung
widersprochen und die Auffassung vertreten hat, die Kausalität der beim Kläger vorliegenden Symptome sei für die Beurteilung
der Fahrtauglichkeit und damit die beim Kläger zu 100 % bestehende Berufsunfähigkeit im zuvor ausgeübten Beruf als Taxifahrer
nicht erheblich, und selbst in Abrede gestellt hat, dass die beim Kläger vorliegende Erkrankung ausschließlich auf anderen
Gründen als dem Verkehrsunfall vom 09.05.2015 beruhe, hat der Sachverständige Dr. P unter dem 13.11.2019 zu seinem Gutachten
ergänzend Stellung genommen. Er hat an seiner Einschätzung festgehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das zu den Akten gereichte Sachverständigengutachten und die ergänzende
Stellungnahme des Sachverständigen Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten,
die Gegenstand der Beratungen des Senats gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat durfte über die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit
einverstanden erklärt haben (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
124 Abs.
2 SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet
ist. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert, denn die Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen des Unfalls vom 09.05.2015.
Nach §
56 Abs.
1 S. 1
SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach
dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Unfallfolgen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die
Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern, §
56 Abs.
1 S. 3
SGB VII. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens
die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (sog. Stütztatbestand). Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen
Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger hat zwar am 09.05.2015 einen Arbeitsunfall im Sinne von §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII erlitten und damit einen Versicherungsfall im Sinne von §
7 Abs.
1 SGB VII verwirklicht, denn bei der Ausübung einer Verrichtung (Fahren mit dem Taxi), die im inneren Zusammenhang mit der gemäß §
3 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII i.V.m. §
46 Abs.
1 i.V.m. §
3 Abs. 2 Nr. 1, Ziffer 1.3 der Satzung der Beklagten versicherten Tätigkeit als selbstständiger Taxiunternehmer stand, ist
es zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (Unfallereignis) in Gestalt des mehrmaligen
Auffahrens des Unfallverursachers auf den PKW und der dadurch bewirkten Änderung des physiologischen Körperzustandes des Klägers
in Gestalt einer HWS-Distorsion (siehe zur "Einwirkung" insoweit BSG, Urt. v. 24.07.2012 -B 2 U 9/11 R-, juris Rn. 42) gekommen, das einen Gesundheits(erst-)schaden in Gestalt einer Zerrung der Nackenmuskulatur (HWS-Zerrung)
verursacht hat. Jedoch ist infolge dieses Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht um wenigstens 20 v.H.
gemindert. Ein Stützrententatbestand ist nicht ersichtlich, zumal die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffern 2108
oder 2110 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung ebenso bestandskräftig und damit bindend im Sinne von §
77 SGG abgelehnt wurde wie die Gewährung einer Rente aufgrund des Arbeitsunfalls von 21.10.2010. Im Übrigen ist die Erwerbsfähigkeit
des Klägers aufgrund des hier allein streitigen Arbeitsunfalls vom 09.05.2015 noch nicht einmal um wenigstens 10 v.H. gemindert.
1. a) Für die Feststellung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind zunächst nur solche Gesundheitsstörungen
zu berücksichtigen, die entweder als Gesundheitserstschäden kausal (haftungsbegründende Kausalität) auf das Unfallereignis
selbst oder als Gesundheitsfolgeschäden kausal (haftungsausfüllende Kausalität) auf den Gesundheitserstschaden bzw. die Gesundheitserstschäden
zurückzuführen sind. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt dabei, dass Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschäden, ebenso
wie die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zur Zeit des Unfalls, Unfallereignis im Rahmen der Voraussetzungen des
§
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII, im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber
genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen (haftungsbegründende und haftungsausfüllende
Kausalität) die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R -, juris Rn. 16 m. w. N.).
Soweit, wie hier, psychische Gesundheitsstörungen geltend gemacht werden, die im Übrigen sowohl Gesundheitserstschäden als
auch Gesundheitsfolgeschäden sein können, ist Voraussetzung für ihre Anerkennung als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente
aufgrund von ihnen zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine
Erwerbsfähigkeit mindern. Dazu ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme
(z. B. ICD-10 oder DSM IV, nunmehr DSM V) erforderlich (BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 22).
Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende und/oder haftungsausfüllende
Kausalität) zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre
der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, juris Rn. 12 m.w.N.).
Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven - naturwissenschaftlichen - Verursachung, bei der
es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den
Tod eine Wirkursache war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112,177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz.31 ff; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder
hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der
schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass
der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine
rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach-
und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz.55 ff; BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen
Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen
ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte
Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs
zwischen einem Körper- und/oder einem psychischen Gesundheitsschaden und einem Unfall ist gegeben, wenn nach der geltenden
ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernstliche Zweifel hinsichtlich
einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m. w. N).
Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter
Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer
in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Kriterien zur Beurteilung
der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art
und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild
und Krankengeschichte, also die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.).
b) Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist sodann zu fragen, ob und in welchem Umfang das aktuelle körperliche
oder geistige Leistungsvermögen infolge der kausal auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitsschäden beeinträchtigt
ist und dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt dabei als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung
und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall
bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen
Praxis und unterliegen ständigem Wandel (zum Ganzen BSG, Urt. v. 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund des Arbeitsunfalls vom 09.05.2015 nicht in rentenberechtigendem
Ausmaß gemindert.
a) Wesentlich kausal auf den Arbeitsunfall vom 09.05.2015 zurückzuführen sind nur Gesundheitsstörungen auf orthopädischem-chirurgischem
Fachgebiet, die jedoch keine Beeinträchtigung der Arbeitsmöglichkeiten des Klägers auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens
und damit keine MdE des Klägers begründen. Insoweit ist lediglich eine HWS-Zerrung als Unfallfolge (Gesundheitserstschaden)
zu berücksichtigen, die jedoch folgenlos ausgeheilt ist und keinerlei Auswirkungen mehr auf die Arbeitsmöglichkeiten des Klägers
auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens hat. Die weiteren beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem-chirurgischem
Fachgebiet, namentlich Wirbelsäulenbeschwerden, sind nicht im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne wirkursächlich auf
das Ereignis vom 09.05.2015 zurückzuführen, sondern degenerativer Natur. Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung
den in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil an und nimmt zur Vermeidung
von Wiederholungen auf sie Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
b) Die bei dem Kläger vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen sind nicht kausal auf den Arbeitsunfall vom 09.05.2015
zurückzuführen und vermögen deswegen, aber auch mangels einer nennenswerten Beeinträchtigung der Arbeitsmöglichkeiten des
Klägers auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens eine rentenberechtigende MdE nicht zu begründen.
aa) Auf psychiatrischem Fachgebiet kann mit der gebotenen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit allenfalls eine dissoziative
Empfindungsstörung entsprechend ICD-10: F 44.6 mit Beschwerdeangabe eines ganz kurzzeitigen, in Sekundenbruchteilen ablaufenden
kompletten Sehverlusts, festgestellt werden. Demgegenüber hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass bei dem Kläger
eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) oder eine andere psychische Störung vorliegt.
Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P an, dessen Einschätzung im Übrigen mit der von
der behandelnden Psychotherapeutin des Klägers, Diplom-Psychologin C, gestellten Diagnose übereinstimmt.
Dr. P hat im Einzelnen dargelegt, dass und warum die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nach den anerkannten
Diagnosesystemen (ICD-10; DSM V) nicht erfüllt sind. So fehlt es bereits an dem Eingangskriterium. Die ICD-10-Klassifikation
(F 43.1) fordert ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes,
die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Aufgeführt werden dabei durch Naturereignisse oder von Menschen
verursachte Katastrophen, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer
von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein. Das Kriterium A1 in der DSM-V-Klassifikation verlangt
die Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt durch direktes Erleben.
Das Unfallgeschehen reicht nach der sehr gut nachvollziehbaren Einschätzung von Dr. P nicht an ein solches Ereignis heran.
Darüber hinaus sind nach den Ausführungen von Dr. P auch die weiteren spezifischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung
nicht erfüllt. Sich aufdrängende Wiedererinnerungen in Form von Intrusionen werden vom Kläger an keiner Stelle geschildert.
Vielmehr hat der Kläger lediglich unspezifisch über lebhafte Träume berichtet, die allerdings seinen eigenen Angaben nach
verhältnismäßig spät nach dem Unfallgeschehen aufgetreten sind. Von wiederkehrenden Albträumen kann bei diesen Schilderungen
keine Rede sein. Auch das Wiedererlebenskriterium ist nach Dr. P nicht erfüllt, denn es fehlen eine intensive oder anhaltende
psychische Belastung bei der Konfrontation mit Hinweisreizen und begleitende körperliche Reaktionen. Vielmehr konnte Dr. P
bei der Exploration des Unfallgeschehens während seiner sachverständigen Untersuchung nur einen Normalbefund feststellen,
während bei Probanden mit Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung regelhaft eine tiefe emotionale Erschütterung
auf der Befundebene feststellbar ist. Hinsichtlich des B3-Kriteriums nach der DSM-V-Klassifikation einer dissoziativen Reaktion
bis hin zu kurzfristigem völligem Wahrnehmungsverlust der Umgebung fehlt nach der Einschätzung Dr. P eine Auslösung durch
spezifische Hinweisreize. Ebenso wenig findet sich beim Kläger nach den Feststellungen von Dr. P ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
(C-Kriterium). Dass der Kläger nicht Auto fährt, ist nach Dr. P Resultat einer rationellen Abwägung sowie des Verbots seiner
Ärzte aufgrund der kurzfristigen und kurzzeitigen Sehverluste, um eine Gefährdung anderer auszuschließen. Ebenso wenig findet
sich nach den Feststellungen des Sachverständigen eine typische negative Veränderung der Kognition oder der Stimmung oder
eine deutliche Veränderung des Erregungsniveaus und der Reaktivität, etwa in Form von Hypervigilanz, Schreckreaktionen, riskantem
Verhalten, Reizbarkeit oder Konzentrationsstörungen. Der Kläger habe vielmehr im Rahmen der Exploration vom 12.06.2019 das
Unfallgeschehen völlig sachlich und chronologisch zu schildern vermocht, ohne eine belangvolle emotionale Beteiligung zu zeigen.
Die geklagten Schlafstörungen seien insoweit unspezifisch und erfüllten nur eines der E-Kriterien nach der DSM-V-Klassifikation,
die aber eine Mindestanzahl von zwei Kriterien erfordere
Diese sehr genauen und fundierten, durch Angabe von wissenschaftlichen Schriften belegten Ausführungen hält der Senat für
überzeugend. Nicht zu folgen ist demgegenüber der in mehreren ärztlichen Stellungnahmen bzw. "Gutachten" vertretenen Einschätzung
von Professor Dr. I. Dieser nimmt fortwährend an, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, vermag
diese Diagnose jedoch nicht anhand der anerkannten Diagnosesysteme zu belegen. Vielmehr geht er auf diese Kriterien im Einzelnen
gar nicht ein. Zudem stützt er sich ausschließlich auf die subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers, ohne diese anhand
objektivierbarer Befunde zu überprüfen.
Ob die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in medizinischer Hinsicht darüber hinaus noch eine irgendwie geartete
psychische Erstreaktion (psychischer Erstschaden) verlangt (siehe hierzu die Feststellungen des Senats im Urt. v. 29.08.2019
- L 15 U 511/17 -, juris Rn. 52) und ob diese bei dem Kläger vorliegt, braucht vor diesem Hintergrund nicht entschieden zu werden.
Dr. P hat auch dargelegt, dass eine eigenständige depressive Störung im Sinne einer depressiven Episode oder einer chronifizierten
depressiven Verstimmung im Sinne einer Dysthymie weder zu früheren Zeitpunkten noch aktuell auf der Befundebene habe objektiviert
werden können. Hinsichtlich der Fähigkeit zur Tagesstrukturgestaltung habe der Kläger keine wesentlichen Schwierigkeiten gezeigt.
Auch die Feststellung einer eigenständigen Angststörung im Sinne einer generalisierten Angststörung oder Panikstörung oder
spezifische Phobie gelingt nach seinen Ausführungen ebenfalls auf der Befundebene nicht, wobei hierzu allerdings auch keine
spezifischen Symptome vorgetragen worden seien. Schließlich seien auch die Kriterien der somatoformen Störung nach der ICD-10-Klassifikation
nicht erfüllt. Die spezifischen Beispiele für somatoforme autonome Funktionstörungen, aber auch das vielgestaltige Bild einer
Somatisierungsstörung bilde sich bei dem Kläger nicht ab. Charakteristikum der somatoformen Störung sei die wiederholte Darbietung
körperlicher Symptome i.V.m. hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse
und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründet seien. Hierbei bestehe häufig ein aufmerksamkeitsheischendes
Verhalten. Dies lasse sich aber beim Kläger in dieser Form nicht darstellen. Auch diese Ausführungen, die sich auf die Ergebnisse
der Untersuchung des Sachverständigen stützen, hält der Senat für schlüssig und überzeugend.
Die danach verbleibende Diagnose einer dissoziativen Empfindungsstörung gemäß ICD-10: F 44.6 ist zwar nach Dr. P deshalb mit
Unsicherheiten behaftet, weil auch insoweit objektivierbare Befunde fehlen und diese Diagnose ausschließlich auf Beschwerdeangaben
gestützt werden kann. Der Senat geht aber zu Gunsten des Klägers letztlich in Übereinstimmung mit Dr. P und der Diplom-Psychologin
C davon aus, dass eine entsprechend zu klassifizierende Erkrankung bei dem Kläger vorliegt.
bb) Die bei dem Kläger allenfalls vorliegende dissoziative Empfindungsstörung gemäß ICD-10: F 44.6 ist nicht kausal auf das
Ereignis vom 09.05.2015 zurückzuführen, weder als Gesundheitserstschaden noch als Gesundheitsfolgeschaden. Insoweit fehlt
es bereits an der Wirkursächlichkeit des Unfallereignisses (1. Stufe der Kausalitätsprüfung). Das Unfallereignis vom 09.05.2015
ist nicht mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit conditio sine qua non für die beim Kläger zu unterstellende dissoziative
Empfindungsstörung.
Auch insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P an. Dieser hat nach umfassender Exploration
des Klägers festgestellt, dass andere Umstände im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich für die Erkrankung
des Klägers sind, nämlich biologisch-genetische Faktoren, das Beispiel des Vaters, der nach einem tödlich verlaufenden Verkehrsunfall
ins Gefängnis hatte gehen müssen, eine persönlichkeitsbedingte, biografisch entstandene verminderte Fähigkeit zum Erkennen
eigener Gefühlsregungen und Emotionen, weitere biografische Belastungsfaktoren und Brüche im Lebenslauf, Existenzsorgen sowie
weitere Unfälle, die im Sinne einer kumulativen Belastung haben wirken können. Dr. P hat diese Einschätzung auf den aktuellen
medizinischen Erkenntnisstand gestützt, wonach die Ursache dissoziativer Störungen nicht monokausal bewertet werden kann.
Psychische Störungen, so Dr. P, seien in aller Regel multikausal hervorgerufen. Im Rahmen eines biopsychosozialen Erklärungsmodells
spielten unterschiedliche Faktoren eine prominente Rolle. Zu nennen seien biologische und genetische Faktoren, Persönlichkeitseigenschaften,
psychosoziale Belastungs- und Umwelt- wie auch körperliche Faktoren. In körperlicher Hinsicht sei bei dem Kläger auf Anzeichen
einer Minderdurchblutung des Gehirns mit beidseitiger Carotissklerose hinzuweisen. In biografischer Hinsicht finde sich eine
Reihe von Belastungsfaktoren. So bringe der Kläger von Geburt an das Trauma der Enteignung des "Klassenfeinds" im kommunistischen
System mit. Diesen sozialen Niedergang der Familie im väterlichen Stamm habe er im Rahmen seiner biografischen Anamneseerhebung
mehrfach hervorgehoben. Das ursprüngliche Vorhaben, Bergbauingenieur zu werden, habe er in zweierlei Hinsicht nicht umsetzen
können. In Ungarn sei er von der Universität verwiesen worden, unter anderem aufgrund von Streit mit der Dozentin für marxistische
Theorie. In B habe er das Studium nicht zu Ende gebracht, sondern stattdessen die Taxilizenz erworben. Auch die Beziehungen
des Klägers seien von vielfältigen Brüchen und Diskontinuitäten geprägt. So habe er die eigene Familie durch die Ausreise
nach Deutschland verlassen. Mehrere Beziehungen hätten ohne sein Zutun geendet.
Auch diese sorgfältig abwägenden, dem aktuellen, durch Angabe von Schrifttum belegten wissenschaftlichen Stand entsprechenden
Ausführungen hält der Senat für schlüssig und überzeugend. Soweit der Kläger hiergegen eingewendet hat, es sei ja bei lebensnaher
Betrachtung doch nicht so, dass seine Krankheit ausschließlich auf anderen Gründen als dem Verkehrsunfall beruhe, sondern
nachvollziehbar, dass sich ein Taxifahrer nach einem schweren Unfallgeschehen nicht länger traue, weiterhin die erhöhten Risiken
als Berufsfahrer auf sich zu nehmen, stellt der Kläger lediglich seine laienhafte Sicht gegen die wissenschaftlich fundierten
Ausführungen des Sachverständigen. Vor allem verkennt der Kläger, dass Bezugspunkt für die Kausalitätsprüfung die bei ihm
vorliegende Erkrankung, d.h. die dissoziative Empfindungsstörung, ist und sich bei ihm eine etwaige Angststörung nicht belegen
lässt. Anlass für weitere Ermittlungen oder dafür, die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P in Zweifel zu ziehen, besteht
aufgrund der Ausführungen des Klägers nicht.
Nichts anderes ergibt sich aus der in den eingereichten Attesten niedergelegten Auffassung der Diplom-Psychologin C, die das
Ereignis vom 09.05.2015 für ursächlich für die bei dem Kläger vorliegende psychische Gesundheitsstörung hält. Ihre Einschätzung
hat sie lediglich damit begründet, dass der Kläger vor dem Unfall keine Behandlungen in psychischer bzw. psychologischer Hinsicht
benötigt habe. Eine sorgfältige Analyse, welche Faktoren für die auch von ihr diagnostizierte dissoziative Empfindungsstörung
nach aktuellem wissenschaftlichen Stand ursächlich sein können und gegebenenfalls beim Kläger vorliegen, enthalten ihre Atteste
nicht.
Fehlt es danach bereits an der Ursächlichkeit des Unfallgeschehens vom 09.05.2015 im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinne, kommt es auch nicht darauf an, ob das Unfallereignis vom 09.05.2015 rechtlich wesentlich im Sinne der 2. Stufe der
Kausalitätsprüfung die beim Kläger vorliegende psychische Gesundheitsstörung verursacht hat. Der Senat hat auch nicht zu prüfen,
ob die Gesundheitsstörungen des Klägers auf frühere Arbeitsunfälle zurückzuführen sind. In den angefochtenen Bescheiden hat
die Beklagte nur über die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 09.05.2015 entschieden. Etwaige
frühere Versicherungsfälle stellen davon unabhängige Streitgegenstände dar (vgl. Guttenberger, in: jurisPK-
SGG, §
99 Rn. 9), über die die Beklagte bislang keine (noch) anfechtbaren, für die Erhebung einer Klage nach §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG notwendigen Verwaltungsentscheidungen getroffen hat.
cc) Selbst wenn die beim Kläger vorliegende psychische Störung kausal auf das Unfallereignis vom 09.05.2015 zurückzuführen
wäre, ergeben sich hieraus keine Funktionsstörungen, die eine MdE in Höhe von mindestens 10 v.H. rechtfertigen könnten. Insoweit
kommt es entgegen der augenscheinlich von Professor Dr. I vertretenen Auffassung, wie der Sachverständige Dr. P in seiner
ergänzenden Stellungnahme auch zutreffend klargestellt hat, nicht darauf an, ob der Kläger noch als Taxifahrer arbeiten könnte.
Vielmehr kommt es nach §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII auf das gesamte Gebiet des Erwerbslebens an. Insoweit sind die Arbeitsmöglichkeiten des Klägers nicht nennenswert eingeschränkt.
Auch insoweit schließt sich der Senat den Einschätzungen des Sachverständigen Dr. P an. Dieser hat im Einzelnen dargelegt,
dass die dissoziative Empfindungsstörung des Klägers nur subklinisch ausgeprägt ist. Die klinische Symptomatik mit ihren Auswirkungen
auf die Fähigkeit zur Teilhabe am Erwerbsleben sei gering, selbst wenn man Einschränkungen hinsichtlich des selbstständigen
Fahrens zuerkenne. Auch diese Ausführungen hält der Senat für schlüssig und überzeugend.
c) Weitere Gesundheitsstörungen, die auf den Unfall vom 09.05.2015 zurückzuführen sein und die Arbeitsmöglichkeiten des Klägers
auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens beeinträchtigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.