Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Übernahme von Bestattungskosten (§ 74 SGB XII) im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X.
Der am 00.00.1995 geborene Kläger wohnte mit seiner Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft und bezog Leistungen nach dem SGB II. Am 31.04.2013 verstarb sein Vater, der bis zu seinem Tod keine Sozialhilfe bezog, in P (Landkreis Oberallgäu). Das Ordnungsamt
P ermittelte den Kläger als erstattungsfähigen Angehörigen und forderte ihn mit Schreiben vom 24.04.2013 auf, die Beerdigung
in die Wege zu leiten. Denn er sei nach landesrechtlichen Regelungen bestattungspflichtig und möge dieser Pflicht bis zum
25.04.2013, 10:00 Uhr, nachkommen; tue er dies nicht, müsse die Bestattung als ordnungsrechtliche Maßnahme angeordnet und
ihm die Bestattungskosten auferlegt werden. Das Schreiben wies auch auf die Möglichkeit eines Antrags auf Kostenübernahme
durch den Sozialhilfeträger nach § 74 SGB XII hin. Der Kläger beauftrage daraufhin das Bestattungsunternehmen X mit der Beisetzung; dieser stellte ihm dafür unter dem
15.05.2013 einen Betrag von 1.464,40 € in Rechnung. Bis heute hat der Kläger auf die Forderung des Bestatters keine Zahlungen
geleistet.
Am 06.09.2013 beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII.
Mit Bescheid vom 29.06.2015 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Kläger und sämtliche Geschwister hätten das Erbe ausgeschlagen,
jedoch mit Ausnahme eines Bruders Q U. Der Bruder sei als Erbe deshalb vorrangig zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet.
Zwar sei der Bruder angeschrieben und auf seine Verpflichtung, eine Erbausschlagung sowie eine Antragstellung beim Sozialamt
hingewiesen worden; er habe darauf jedoch nicht reagiert. Da die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erben
nicht bekannt seien, könne ein sozialhilferechtlicher Bedarf nicht ermittelt werden.
Mit Schreiben vom 05.07.2016 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers die Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2015 und Übernahme
der Bestattungskosten im Wege des sog. Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X. Das Ordnungsamt habe ihn zu der Bestattung aufgefordert; deshalb sei er vorrangig dazu verpflichtet gewesen. Dass es einen
Erben gebe, stehe einer sozialhilfeweisen Übernahme der Bestattungskosten nicht entgegen; der Beklagte könne ggf. etwaige
Erstattungsansprüche gegen den Erben geltend machen.
Mit Bescheid vom 02.12.2016 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Er sei nicht rechtzeitig gestellt worden. Für die
Übernahme von Bestattungskosten komme es auf den Monat an, in dem der Rechnungsbetrag fällig geworden sei, hier also auf Mai
2013. Da der Überprüfungsantrag erst am 05.07.2016 eingegangen sei, könne eine Überprüfung gem. § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII rückwirkend nur bis zum 01.01.2015 erfolgen. Der Fälligkeitsmonat liege jedoch nicht innerhalb dieser Frist.
Der Kläger legte Widerspruch ein. In der Literatur werde die Ansicht vertreten, die Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII gelte nicht für einmalige Leistungen; bei Letzteren sei unter Beachtung der Verjährungsfrist des §
45 SGB I auch nach mehr als vier Jahren noch eine Korrektur rechtswidriger Entscheidungen möglich. Zwar sei diese Rechtsansicht umstritten;
jedoch stellten selbst diejenigen, die die Verfallsfrist auch bei einmaligen Leistungen für anwendbar hielten, auf den Zeitpunkt
der Ablehnung der einmaligen Leistung als maßgeblichem Anknüpfungspunkt ab. Er habe deshalb die Frist gewahrt, da der Ablehnungsbescheid
vom 29.06.2015 noch innerhalb der einjährigen Verfallfrist ergangen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 (dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 10.08.2017) wies der Beklagte den
Widerspruch des Klägers zurück, ohne zuvor sozial erfahrene Dritte beteiligt zu haben. Die Auffassung, § 44 Abs. 4 SGB X sei auf einmalige Leistungen nicht anwendbar, überzeuge nicht. Dem Gesetzeswortlaut sei keine Beschränkung nur auf laufende
Leistungen zu entnehmen. Unter dem im Gesetz verwandten Begriff "Sozialleistung" seien vielmehr alle in §
11 SGB I legaldefinierten Leistungen zu verstehen; dort werde nicht zwischen laufenden und einmaligen Leistungen unterschieden.
Der Kläger hat am 11.09.2017 (Montag) Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben, die mit Beschluss vom 04.10.2017 an das Sozialgericht
Köln verwiesen worden ist. Der Kläger hat vorgetragen, es könne dahinstehen, ob § 44 Abs. 4 SGB X auf einmalige Leistungen anwendbar sei. Denn jedenfalls komme es bei einmaligen Leistungen für die Berechnung der Verfallsfrist
auf den Zeitpunkt des rechtswidrigen Ablehnungsbescheides an und nicht darauf, wann der Anspruch auf die Sozialleistung entstanden
sei. Bei gegenteiliger Sichtweise könnte eine Behörde durch verzögerte Bearbeitung eines Antrages eine Überprüfung nach §
44 SGB X von vornherein aushebeln; ein derartiges willkürliches Handeln habe der Gesetzgeber nicht gewollt.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Antrag vom 06.09.2013 auf Übernahme der Bestattungskosten für Herrn H U unter Aufhebung
des Bescheides des Beklagten vom 02.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017 sowie unter Rücknahme des
Bescheides vom 29.05.2015 stattzugeben.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, ob die einjährige Verfallsfrist eingehalten sei, entscheide
sich danach, für welche Zeit die Sozialleistung zu erbringen gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
sei bei Bestattungskosten der Fälligkeitsmonat der Bestatter-Rechnung maßgeblich, im Falle des Klägers also - bei Rechnung
vom 15.05.2013 - der Mai 2015.
Im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, hat das Sozialgericht mit Urteil vom 23.07.2018 die Klage abgewiesen.
Es könne dahinstehen, ob der Bescheid vom 29.06.2015 auf einer unrichtigen Rechtsanwendung beruhe. Denn eine Rücknahme sei
jedenfalls nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Wegen des Antrags des Klägers erst vom 05.07.2016 wären Leistungen nur rückwirkend bis zum 01.01.2015 möglich
gewesen. Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme von Bestattungskosten wäre jedoch vor diesem Zeitraum entstanden. Für einen
sozialhilferechtlichen Bedarf komme es auf die Fälligkeit der Rechnung des Bestatters, beim Kläger mithin auf den 15.05.2013,
an. Diese liege außerhalb des nach § 116a Nr. 2 SGB XII maßgeblichen Leistungszeitraums. Die Auffassung des Klägers, dass bei einmaligen Leistungen das Datum des bestandskräftigen
Ablehnungsbescheides maßgeblich sei, stimme weder mit Wortlaut noch mit Sinn und Zweck des Gesetzes überein. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X stelle ausdrücklich darauf ab, dass Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme
erbracht würden. Eine Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X sowohl auf wiederkehrende als auch auf einmalige Leistungen entspreche nahezu einhelliger Auffassung; das Gesetz unterscheide
insoweit gerade nicht. Die anspruchsausschließende Wirkung beziehe sich auf die jeweilige materiell-rechtliche Leistung, nicht
auf eine formale Leistungsfeststellung. Darüber hinaus werde die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen "nach den Vorschriften
der besonderen Teile" des Sozialgesetzbuches erbracht und damit in den Kontext des jeweiligen Leitungssystems gestellt. Im
Recht der Sozialhilfe erfolge die Anspruchsprüfung bezogen auf den jeweiligen Bedarfszeitraum; diesen zu bestimmen hänge wiederum
von der einzelnen Leistung ab. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 74 SGB XII sei Bedarfszeitpunkt die Fälligkeit der Forderung des Bestatters oder öffentlich-rechtlicher Bestattungsgebühren.
Gegen das am 26.07.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.08.2018 Berufung eingelegt und seinen bisherigen Vortrag wiederholt.
Mit Beschluss vom 03.09.2018 hat das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Zulassung der Sprungrevision abgelehnt.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.07.2018 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2016
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 29.06.2015 zurückzunehmen und Sozialhilfe
für Bestattungskosten i.H.v. 1.464,40 € zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag sowie die Urteilsgründe des Sozialgerichts. § 44 SGB X werde durch eine lange Bearbeitungsdauer nicht ausgehebelt. Sinn und Zweck der Norm sei die nochmalige Überprüfung eines
Verwaltungsaktes; eine solche hätte der Kläger auch mit einem Widerspruchsverfahren erreichen können.
Mit Schriftsatz vom 14.11.2019 (Beklagter) bzw. vom 21.11.2019 (Kläger) haben sich die Beteiligten mit einem Urteil ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten
(Leistungsvorgänge des Beklagten, Gerichtsakte des Amtsgericht N VI 00/13) Bezug genommen. Der Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (vgl.
§
124 Abs.
2 SGG).
II. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (vgl. §§
143,
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
a) Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 02.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017 (§
95 SGG). Der Kläger begehrt im sog. Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X die Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 29.06.2015 und die Übernahme von 1.464,40 € Bestattungskosten für seinen Vater.
Er verfolgt dieses Begehren mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach §
54 Abs.
1 und Abs.
4 i.V.m. §
56 SGG (BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R Rn. 13 m.w.N.).
Die Klage ist innerhalb der Monatsfrist erhoben worden (vgl. 87
SGG). Denn nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am 10.08.2017 war die Klage vom Montag, dem 11.09.2017, noch fristgerecht.
Das Fristende fiel rechnerisch (§
64 Abs.
1, Abs.
2 SGG) auf den 10.09.2017; da dies ein Sonntag war, endete die Klagefrist nach §
64 Abs.
3 SGG jedoch mit Ablauf des folgenden Werktages.
Das notwendige Vorverfahren (§
78 SGG) ist durchgeführt worden. Der Verstoß gegen § 116 Abs. 2 SGB XII durch Nichtbeteiligung sozial erfahrener Dritter (dazu weiter unten) ändert daran nichts; §
78 SGG verlangt allein die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens als solchem, nicht jedoch dessen Fehlerfreiheit (vgl. z.B.
Leitherer in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 12. Auflage 2017, § 78 Rn. 2; BSG, Urteil vom 24.03.2015 - B 8 SO 16/14 R).
b) Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 SGB XII. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2017 hat es der Beklagte zu
Recht abgelehnt, den bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 29.06.2015 nach § 44 SGB X zugunsten des Klägers zu ändern. Der Kläger ist nicht beschwert i.S.v. §
54 Abs.
2 S. 1
SGG. Denn seinem Überprüfungsbegehren steht bereits § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. 116a Nr. 2 SGB XII entgegen.
aa) Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig.
(1) Der Beklagte war als die den Bescheid erlassende Stelle örtlich (§ 44 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 98 Abs. 3 SGB XII) zuständig. Seine sachliche Zuständigkeit als örtlicher Sozialhilfeträger des Sterbeortes folgt aus § 97 Abs. 1 SGB XII. Denn der Vater des Klägers verstarb in P; er hatte vor seinem Tod keine Sozialhilfe bezogen (vgl. Art. 97 II SGB XII i.V.m. Art 82 Bay. Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze und Art. 97 III SGB XII).
(2) Zwar ist vor Erlass des Widerspruchsbescheides eine beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach § 116 Abs. 2 SGB XII unterblieben (vgl. zur Anwendbarkeit von § 116 Abs. 2 SGB XII auf Überprüfungsbescheide nach § 44 SGB X Blüggel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, Stand 01.02.2020, § 116 Rn. 31). Dieser Formfehler ist jedoch gemäß § 42 S. 1 HS 2 SGB X unbeachtlich (vgl. dazu Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 42 Rn. 11; Blüggel, a.a.O., § 116 Rn. 42 m.w.N.). Denn der Sozialverwaltung ist nach Verstreichen der Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 SGB i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII kein Ermessen eröffnet (vgl. Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage 2017, Stand 17.02.2020, § 44 Rn. 121); ein Fehler bei der Beteiligung sozial erfahrener Dritter kann deshalb die Entscheidung des Beklagten i.S.v. § 42 S. 1 HS 2 SGB X "offensichtlich in der Sache nicht beeinflusst" haben (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 17/09 R Rn. 13; LSG NRW, Urteil vom 22.06.2015 - L 20 SO 103/13 Rn. 47 ff.).
bb) Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Ablehnungsbescheid
vom 29.06.2015 im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X zurückzunehmen.
Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Der Senat muss die Frage, ob dem Kläger i.S. der Vorschrift Leistungen für Bestattungskosten zu Unrecht nicht erbracht worden
sind, nicht entscheiden. Denn der Beklagte ist von vornherein nicht verpflichtet, seinen Ablehnungsbescheid vom 29.06.2015
zu überprüfen. Er ist an einer Gewährung von Leistungen nach § 74 SGB XII schon wegen Ablaufs der Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII gehindert. Danach werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen
Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen
worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat die Verwaltung schon dann eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen
für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist des 44 Abs. 4 SGB X liegen (BSG, Urteil vom 23.02.2017 - B 4 AS 57/15 R Rn. 23). Denn die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X" steht zugleich einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R), weil diese unter dem Vorbehalt steht, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG, Urteil vom 28.02.2013 - B 8 SO 4/12 R Rn. 10). Dies gilt nicht nur bei alleiniger Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X, sondern in gleicher Weise auch bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen einjährigen Zeitraum gem.
§ 116a Nr. 2 SGB XII (BSG, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R Rn. 16, Urteil vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/12 R Rn. 10).
(1) Der Ablehnungsbescheid vom 29.06.2015 fällt in den Anwendungsbereich des § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII - dazu unter (a) -. Eine nachträgliche Leistungsgewährung durch den Beklagten wäre jedoch nur in der Zeit ab dem 01.01.2015
möglich gewesen - dazu unter (b) -. Ein vom Kläger begehrter Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 SGB XII wäre nämlich bereits vor diesem Zeitraum entstanden gewesen - dazu unter (c) -.
(a) § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII verlangt, dass infolge unrichtiger Rechtsanwendung Sozialleistungen ganz oder teilweise nicht erbracht worden sind und deshalb
rückwirkend erbracht werden sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.10.1999 - 5 C 27/98 Rn. 20). Darum geht es auch dem Kläger. Die mit Bescheid vom 29.06.2015 getroffene ablehnende Entscheidung zur sozialhilfeweisen
Übernahme von Bestattungskosten unterfällt § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII. Nach Ablauf der Verfallsfrist ist eine Leistung auch dann, wenn es um eine Einmalleistung geht, ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R Rn. 17; Schütze, a.a.O., § 44 Rn. 28; Merten in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 04/18, § 44 Rn. 92; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand 106 EL Sep. 2019, § 44 Rn. 51; Siewert in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Auflage 2019, § 44 Rn. 66; offengelassen von BVerwG, Urteil vom 05.10.1999 - 5 C 27/98 Rn. 20; a.A. Heße in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Sozialrecht (BeckOK), 55 Edition, Stand 01.12.2019, § 44 Rn. 27).
Dafür, dass für Einmalleistungen insoweit anderes gelten solle als für laufende Leistungen, bieten weder der Gesetzeswortlaut
noch Sinn und Zweck der Vorschrift irgendeinen Anhaltspunkt.
(b) Eine nachträgliche Leistung des Beklagten wäre nicht für vor dem 01.01.2015 entstandene Bedarfe möglich gewesen. Denn
der Kläger hat den Überprüfungsantrag (erst) mit Schreiben vom 05.07.2015 gestellt. Nach § 44 Abs. 4 S. 2 u. 3 SGB X wird die Verfallsfrist von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme des Verwaltungsaktes beantragt worden ist.
Danach berechnet sich die Verfallfrist ausgehend von dem letzten Tag des Vorjahres (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
187 Abs.
1 BGB) und endet nach einem Jahr mit dem ersten Tag des Jahres (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
188 Abs.
2 BGB).
(c). Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII wäre jedoch allenfalls vor dem 01.01.2015, nämlich bereits im Mai 2013 entstanden.
§ 44 SGB X i.V.m. § 116a Nr. 2 SGB XII begrenzt eine rückwirkende Erbringung auf solche Leistungen, die in die dort normierte Frist (hier: 01.01.2015 bis 05.07.2016)
fallen (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2013 - B 8 SO 4/12 R Rn. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.10.2018 - L 7 R 446/18 Rn. 28). In die Frist fallen allein diejenigen Sozialleistungen, bei denen alle tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen
Anspruchsnorm erfüllt sind und deshalb eine Leistungspflicht des Sozialleistungsträgers unmittelbar ausgelöst wurde (für wiederkehrende
Leistungen BSG, Urteile vom 04.04.2017 - B 4 AS 6/16 R Rn. 17, vom 28.02.2013 - B 8 SO 4/12 R Rn. 13 und vom 01.06.2010 - B 4 AS 78/09 R Rn. 16). Denn es wird - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen
"nach den Vorschriften der besonderen Teile" des Sozialgesetzbuches gewährt und damit an die Voraussetzungen der jeweiligen
Leistungssysteme geknüpft (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R Rn. 12). Im Sozialhilferecht erfolgt die Anspruchsprüfung bei wiederkehrenden Leistungen
bezogen auf einen Bedarfszeitraum und bei einmaligen Leistungen bezogen auf einen Bedarfszeitpunkt. Für eine Übernahme von
Bestattungskosten nach § 74 SGB XII ist Bedarfszeitpunkt nicht die Bestattung als solche, sondern die Belastung des Verpflichteten mit den Kosten (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R Rn. 15). Der Übernahmeanspruch ist daher auf Zahlung der erforderlichen Aufwendungen
an den Leistungsempfänger gerichtet (Siefert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, Stand 01.02.2020, § 74 Rn. 8); der Zahlungsanspruch steht dem Verpflichteten zu, nicht etwa dem Bestattungsunternehmen im Wege eines Schuldbeitritts
des Sozialhilfeträgers (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R). Daraus ergibt sich, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage derjenige der Fälligkeit der Forderung des Bestattungsunternehmers ist (Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 74 Rn. 54).
Nach den vorstehenden Maßstäben war die Forderung des vom Kläger beauftragten Bestattungsunternehmens im Mai 2013 fällig.
Denn die Rechnung vom 15.05.2013 über einen Betrag von 1.464,40 € wies kein Zahlungsziel aus; das Bestattungsunternehmen konnte
die Zahlung des Rechnungsbetrags von 1.464,40 € deshalb sofort - nach Zugang der Rechnung - vom Kläger verlangen (§
271 Abs.
1 BGB).
(2) Der Ansicht des Klägers, Anknüpfungspunkt für die Verfallfrist sei bei Einmalleistungen der Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides,
folgt der Senat aus den zutreffenden Gründen des Sozialgerichts nicht.
(a) Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass eine längere Antragsbearbeitung (etwa wegen notwendiger Amtsermittlungen oder aus
sonstigen Verzögerungsgründen) im Anwendungsbereich des § 116a Nr. 2 SGB XII dazu führt, dass ein Zugunstenverfahren beschränkt wird bzw. im Einzelfall gar nicht erst in Frage kommt. Dies wirkt sich
indes für wiederkehrende Leistungen wie für Einmalleistungen gleichermaßen aus und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
(vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R Rn. 17; BSG, Urteil vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/12 R; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, a.a.O., § 44 Rn. 50 m.w.N.).
Die auf ein Jahr verkürzte Verfallsfrist dient im Grundsicherungs- und Sozialhilferecht dem Grundsatz der Aktualität dieser
Sozialleistungen; allgemein gilt die Verfallsfrist im Übrigen der Schaffung von Rechtssicherheit (so Baumeister in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB X, a.a.O., § 44 Rn. 113). Es besteht von Verfassungs wegen kein Grundsatz, der materiellen Gerechtigkeit einen Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit
einzuräumen; die Beschränkung der Auswirkungen der Bestandskraft durch eine dennoch nach § 44 SGB X eingeräumte Überprüfungsmöglichkeit durch die Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 SGB X kann deshalb von vornherein Verfassungsrecht nicht verletzen (Merten in Hauck/Noftz, SGB X, a.a.O., § 44 Rn. 95). Der Garantie effektiven Rechtsschutzes ist bereits dadurch Rechnung getragen, dass der Adressat eines Ablehnungsbescheides
durch Widerspruch und Klage Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann (BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R Rn. 15). Einer willkürlichen Handhabung durch die Behörde ist ein Antragsteller deshalb
nicht schutzlos ausgeliefert. Sollte die Behörde die Bearbeitung ungerechtfertigt verzögern, steht im Übrigen die Untätigkeitsklage
(§
88 SGG) zur Verfügung, und bei sonstigen Bearbeitungsmängeln ist schließlich auch eine Beschwerde an die Dienstaufsicht möglich.
(b) Soweit der Kläger im Übrigen auf Ansichten in der Literatur verweist, nach denen bei Einmalleistungen auf den Zeitpunkt
der Ablehnungsentscheidung abzustellen sei, so geben die von ihm hierzu benannten entsprechenden Quellen diese Ansicht gar
nicht wieder. Zwar wird dort aufgeführt, dass auch die Nachzahlung einer vor mehr als vier Jahren "abgelehnten einmaligen
Leistung" nach § 44 Abs. 4 SGB X ausgeschlossen sei (vgl. Schütze, a.a.O., § 44 Rn. 28; Steinwedel, a.a.O., § 44 Rn. 51). Diese Formulierung allein bringt jedoch nicht zum Ausdruck, dass bei einmaligen
Leistungen für die Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 SGB X an die formale Ablehnungsentscheidung und nicht an die Anspruchsentstehung angeknüpft werden müsse. Führen die vom Kläger
herangezogenen Quellen nichts weiter dazu aus, aus welchen Gründen bei Einmalleistungen ein anderer Beurteilungsmaßstab gelten
solle als bei wiederkehrenden Leistungen, so ist vielmehr davon auszugehen, dass mit der Formulierung von "abgelehnten einmaligen
Leistungen" lediglich die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X wiedergegeben worden sind, welcher gerade eine ablehnende (Teil-)Entscheidung auch bei Einmalleistungen zwingend voraussetzt.
cc) War nach den vorstehenden Ausführungen der Beklagte nicht verpflichtet, den Ablehnungsbescheid vom 29.06.2015 im Wege
des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X aufzuheben und hat es bei der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung vom 29.06.2015 zu verbleiben (§
77 SGG), so kommt es auf die Frage einer fortbestehenden wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Klägers von vornherein nicht an (vgl.
dazu BSG, Urteile vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 Rn. 13 ff. und vom 28.02.2013 - B 8 SO 4/12 R Rn. 13).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 S. 1
SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG bestehen nicht.