(Sozialhilfe - Auskunftsverlangen gegenüber potenziell Unterhaltspflichtigen - Ausschluss des Auskunftsanspruchs nach § 94
Abs 1a SGB 12 - rückwirkende Anwendung der Regelung)
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Kläger zur Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach
§ 117 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) umstritten.
Die 1964 geborene Klägerin zu 1. und der 1965 geborene Kläger zu 2. sind die Eltern der 1984 geborenen D.K. (im Folgenden
Leistungsempfängerin).
Der beklagte örtliche Sozialhilfeträger, in dessen Zuständigkeitsbereich B., der Wohnort der Leistungsempfängerin, liegt,
bewilligte dieser - nach der Einschätzung des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 22. März 2014 zu einer
für einen Zeitraum über sechs Monate, aber nicht auf Dauer bestehenden Erwerbsfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich
- ab dem 1. Januar 2014 Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Bescheid vom 30. September 2014). Gegenstand der Bewilligung in Höhe von 688,12 € für die Monate ab Februar 2014 waren der
Regelbedarf (§ 27a SGB XII) sowie Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 35 Abs. 1 und 4 SGB XII). Unter Berücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung (§ 32 SGB XII) hob der Beklagte mit Wirkung ab dem 1. Januar 2015 den vorgenannten Bescheid zu Gunsten der Leistungsempfängerin mit dem
Ergebnis einer Bewilligung von 860,54 € teilweise auf (Bescheid vom 8. Januar 2015). Vor dem Hintergrund der für den Zeitraum
von Januar bis September 2014 bereits erfolgten Bewilligung und Auszahlung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) erfolgten von Seiten des Beklagten folgende Zahlungen an die Leistungsempfängerin bzw. die Krankenkasse: Oktober 2014 529,00
€, November und Dezember 2014 690,00 € und Januar bis Oktober 2015 860,54 €, November 2015 882,16 € und Dezember 2015 860,54
€ (insgesamt 12.257,10 €). Bezüglich der Aufstellung nach Zahlungsempfängern wird auf Blatt 159 Bd. I der Gerichtsakten Bezug
genommen.
Der zuständige Rentenversicherungsträger lehnte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gegenüber der Leistungsempfängerin
mit Bescheid vom 11. Juli 2014 mit der Begründung ab, dass diese auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig sein könne. Gegen diesen Bescheid legte die Leistungsempfängerin Widerspruch ein. Der Rentenversicherungsträger
stellte auf Ersuchen des Beklagten auf der Grundlage von § 45 SGB XII vom 17. Februar 2015 fest, dass die Leistungsempfängerin erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II sei. Gegen die Einstellung der Leistungen der Sozialhilfe mit Wirkung zum 1. März 2016 erhob die Leistungsempfängerin (vertreten
durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit) Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg (S 19 SO
53/16). Der Beklagte hat im laufenden Rechtsstreit mehrfach mitgeteilt, dass ein Verfahren über die Bewilligung von Eingliederungshilfe
oder Hilfe zur Pflege bei ihr für die Leistungsempfängerin zu keinem Zeitpunkt bestanden hat.
Der Beklagte teilte den Klägern mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 mit, der Leistungsempfängerin ab dem 17. September 2014
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII als laufende Leistungen zu gewähren. Der zivilrechtliche Auskunftsanspruch und die Unterhaltsansprüche gingen, soweit sie
nicht durch laufende Zahlung erfüllt würden, für die Dauer der Sozialhilfegewährung kraft Gesetzes gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialhilfeträger über. Ob und in welchem Umfang Ansprüche gegen die Kläger
bestünden, bestimme sich nach zivilrechtlichen Vorschriften. Sofern Unterhaltsansprüche nach Erachten der Kläger nicht oder
nur eingeschränkt existierten, werde deren Stellungnahme erbeten. Könne über das Bestehen und Höhe der Unterhaltsansprüche
keine Einigung erzielt werden, entscheide sowohl über den Unterhaltsanspruch als auch über den Anspruchsübergang das zuständige
Zivilgericht. Der Anspruchsübergang wäre ausgeschlossen, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Im vorliegenden Fall
seien dem Beklagten derartige Umstände nicht bekannt. Um prüfen zu können, ob und ggf. in welchem Umfang die Kläger zur Zahlung
von Unterhaltsbeiträgen in der Lage seien, würden diese gebeten, den beigefügten „Fragebogen zur Prüfung der Leistungsfähigkeit“
ausgefüllt bis zum 4. November 2014 zurückzusenden. Die Kläger würden gebeten, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse für den
Zeitraum vom 1. November 2013 bis zum 31. Oktober 2014 anzugeben, diese zu belegen und den in dieser Zeit erzielten Arbeitsverdienst
durch Vorlage der Verdienstbescheinigungen, des während dieses Zeitraums erteilten Steuerbescheides und ggf. anderer geeigneter
Unterlagen nachzuweisen. Sofern in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Kläger voraussichtlich in nächster Zeit Änderungen
einträten, werde ein entsprechender Hinweis erbeten. Nachweise würden auch zu Belastungen und ggfs. nicht unterhaltspflichtigen
Ehegatten und Kinder erbeten.
Gegen die Aufforderung, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen, legten die Kläger am 4. November
2014 Widerspruch ein. Sie seien der Leistungsempfängerin gegenüber nicht nach den §§ 1601ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) unterhaltspflichtig. Eine Vermutung der Unterhaltspflicht ergebe sich nicht aus § 39 SGB XII, da die Leistungsempfängerin seit fünf Jahren in einem eigenen Haushalt lebe. Diese sei nicht unterhaltsbedürftig im Sinne
des §
1602 oder §
1610 Abs.
2 BGB, da diese grundsätzlich die Obliegenheit treffe, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, bevor sie einen Verwandten
auf Unterhalt in Anspruch nehme, und ihre Ausbildung weitestgehend abgeschlossen habe bzw. nicht abschließen könne. Die Leistungsempfängerin
sei erkrankt, jedoch nicht erwerbsunfähig. Arbeitslosigkeit könne eine Bedürftigkeit nur in Ausnahmesituationen begründen.
Eine solche Ausnahme sei hier weder vorgetragen noch begründet worden. Die Leistungsempfängerin gestalte seit nun mehr als
fünf Jahren ihren Berufs- und Lebensweg eigenständig, nutze eine eigene Wohnung, habe einen eigenen Hausstand, verschiedene
Arbeitstätigkeiten ausgeübt und damit eigenständig ihre Lebensverhältnisse gestaltet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2015 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Hilfe
zur Selbsthilfe sowie der Vorrang der Hilfe Dritter gehöre zum Prinzip der Sozialhilfe. Dieser Nachranggrundsatz werde im
vorliegenden Fall durch § 94 SGB XII verwirklicht. Die Rechtsmäßigkeit des Auskunftsverlangens nach § 117 SGB XII setze dabei nicht voraus, dass der Unterhaltsanspruch tatsächlich bestehe. Im Fall der Kläger lägen keine offensichtlichen
Ausschlussgründe, bei denen von einer so genannten Negativevidenz auszugehen sei, vor. Die Kläger gehörten als Elternteile
zum Personenkreis, welcher der Leistungsempfängerin gegenüber dem Grunde nach zum Unterhalt verpflichtet sei. Diesen sei es
unbenommen, Einwände gegen das Bestehen einer tatsächlichen Unterhaltspflicht vorzutragen, sobald das Sozialamt die Unterhaltsleistungen
in Anspruch nehme. Ob die Unterhaltspflicht tatsächlich vorliege, könne erst nach Vorlage der geforderten Unterlagen abschließend
geklärt werden. Nach Feststellung einer Unterhaltspflicht sei ggfs. im zivilgerichtlichen Verfahren abschließend zu prüfen,
ob eine Unterhaltszahlung zu tätigen sei. Die Auskünfte über Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen
würden benötigt, um die Prüfung eines Unterhaltsanspruchs vor Erhebung einer möglicherweise aussichtslosen Klage durchführen
zu können. Der Widerspruchsbescheid ist dem auch im Widerspruchsverfahren mandatierten Prozessbevollmächtigten am 15. Dezember
2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Mit ihrer am 15. Januar 2016 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung
die Aufhebung des Bescheides vom 7. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2015 verfolgt.
Sie haben im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, der Leistungsempfängerin gegenüber nicht
zum Unterhalt verpflichtet zu sein. Soweit der Beklagte eine Negativevidenz verneine, handele es sich um eine Behauptung,
welche die bereits im Widerspruchsverfahren vorgebrachten gegenteiligen Anhaltspunkte nicht berücksichtige. Mit Schriftsatz
vom 17. Juli 2017 haben sich die Kläger auf den Terminbericht zu dem - ohne Urteil erledigten - Verfahren vor dem Bundessozialgericht
(BSG) B 8 SO 20/12 R berufen, in dem ihrer Auffassung nach davon ausgegangen werde, „dass der Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII aufgrund seiner normativen Verknüpfung mit § 94 Abs. 2 SGB XII nicht bestehe, solange - wie hier - die Leistungsfähigkeit der Kläger bezüglich des i[n] pauschalierter Form übergegangenen
möglichen Unterhaltsanspruch[s] nicht bestritten wird“. In diesem Fall sei die Kenntnis des Sozialhilfeträgers über die Einkommens-
und Vermögensverhältnisse des möglichen Unterhaltsschuldners nicht erforderlich. Ein solcher Sachverhalt sei hier gegeben,
da die Leistungsempfängerin behindert im Sinne des § 53 SGB XII sei, „im Übrigen die Leistungsfähigkeit der Kläger in grundsätzlicher Art nicht bestritten“ worden sei „und deshalb eine
Auskunftspflicht im Sinne der `Negativevidenz´ gerade nicht“ bestehe. Dass die Leistungsempfängerin zum Personenkreis der
Berechtigten im Sinne des § 53 SGB XII und des § 61a SGB XII gehöre, sei dadurch nachgewiesen, dass die zuständige Krankenkasse dieser mit Bescheid vom 14. Mai 2018, der als Blatt 89
Bd. I zur Gerichtsakte gereicht worden ist, eine stationäre Rehabilitationsleistung von drei Wochen in der Rehaklinik S. (Fachklinik
für Psychosomatische Medizin) in P., bewilligt habe. Zu beanstanden sei auch, dass der Bescheid des Beklagten erst nach Beginn
der Leistungsgewährung gegenüber der Leistungsempfängerin „für weit zurückliegende Zeiträume“ erlassen worden sei. Der Beklagte
habe nicht die konkrete Höhe und Laufzeit der Leistungen angeben. Soweit der Beklagte während des Klageverfahrens die Zahlungen
aufgelistet habe, lägen ihnen Kontoauszüge der Leistungsempfängerin mit geringeren Beträgen vor. Im Übrigen sei zunächst eine
Rückforderung der Leistungen gegenüber der Leistungsempfängerin zu prüfen gewesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Juli 2020 abgewiesen. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides sei
§ 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die Kläger seien hinsichtlich der Leistungsempfängerin Unterhalspflichtige im Sinne dieser Vorschrift. Die Unterhaltspflicht
ergebe sich aus §
1601 BGB, da dieser entgegenstehende Gründe im Sinne des §
1603 Abs.
1 BGB nicht vorgetragen oder ersichtlich seien. Die mit Art. 1 Nr. 8 Buchst. b des Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe
(Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I 2019, S. 2135) in § 94 Abs. 1a SGB XII eingefügte Regelung sei nach Art. 8 Abs. 3 Angehörigen-Entlastungsgesetz am 1. Januar 2020 in Kraft getreten, ohne dass hierzu eine Übergangsvorschrift im Gesetz enthalten
sei. Diese finde damit für einen Leistungszeitraum vor ihrem In-Kraft-Treten keine Anwendung (Hinweis zu der nach dem Willen
des Gesetzgebers „zukünftigen“ Geltung und zu erst ab dem 1. Januar 2020 zu erwartenden Mehrausgaben im Haushalt auf Bundestagsdrucksache
19/13399 S. 5 f. und 32 f.). Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setze nicht voraus, dass der zur Überleitung vorgesehene
Unterhaltsanspruch auch bestehe, es sei denn, er bestehe offensichtlich nicht. Ein offensichtlich ausgeschlossener Unterhaltsanspruch
der Leistungsempfängerin ergebe sich aus dem Vorbringen der Kläger nicht. Die Leistungsempfängerin habe sich mit dem Bezug
von Sozialhilfe gerade nicht im Sinne von §
1602 BGB selbst unterhalten können. Dass ihr zugemutet werden könne, ihre Arbeitskraft zu nutzen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen,
was zum Entfallen der Bedürftigkeit nach dieser Vorschrift führen könne, sei nach materiellem Recht gerade nicht offensichtlich.
Dabei handele es sich um eine den Zivilgerichten vorbehaltene rein unterhaltsrechtliche Frage (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - B 8 SO 75/12 B -, juris, RdNr.
8 m.w.N.). Die Regelung in §
1610 Abs.
2 BGB betreffe lediglich die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs
bestünden nicht. Eine Negativevidenz liege auch nicht hinsichtlich einer Verjährung des Unterhaltsanspruchs vor. Vorliegend
hätten die Kläger nicht erkennbar die Einrede der Verjährung des Unterhaltsanspruchs erhoben. Zum anderen wäre die Verjährung
des Unterhaltsanspruchs gemäß §
203 Satz 1
BGB seit Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides hier gehemmt. Die Kläger hätten eine Erklärung dahingehend, dass sie bezüglich
des übergegangenen möglichen Unterhaltsanspruchs leistungsfähig seien, weder im Vorverfahren noch eindeutig im Klageverfahren
abgegeben. Insoweit fehle es insbesondere an einer Erklärung, dass die Kläger aktuell leistungsfähig seien. Eine solche Erklärung
habe der Prozessbevollmächtigte auf diesbezügliche Nachfrage des Kammervorsitzenden in der mündlichen Verhandlung nicht abgeben
wollen. Auf den genauen Betrag der gewährten Sozialhilfeleistungen, die Umstände des Antrags auf diese Leistungen und einen
Rückforderungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenüber der Leistungsempfängerin, für den eine rechtliche Grundlage fehle,
komme es nicht an.
Die Kläger haben vor Zustellung des Urteils des Sozialgerichts am 27. August 2020 am 21. August 2020 Berufung beim Sozialgericht
eingelegt, die an das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt weitergeleitet worden ist. Abgesehen von der Frage, ob die
Beklagte ihnen gegenüber überhaupt Auskunftsansprüche nach § 117 SGB XII habe, sei zu klären, dass nach „§ 94a Abs. 1 SGB XII neuer Fassung“ der Beklagte zumindest „zum heutigen Stand“ darlegen und beweisen müsste, dass sie Einkünfte über den in der
dortigen Vorschrift genannten Grenzen hinaus verfügten, um überhaupt eine Inanspruchnahme vornehmen zu können. Es sei verfassungsrechtlich
geboten, dass für sie die günstigste Regelung Anwendung fände. Im Übrigen sei die Leistungsempfängerin in Bezug auf die zutreffenden
staatlichen Unterstützungsleistungen mit der Möglichkeit des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II zu verweisen und Rückforderungsansprüche gegenüber dem Jobcenter J. geltend zu machen gewesen. Der Bezug von Leistungen des
Beklagten durch die Leistungsempfängerin habe sich beschränkt auf den Zeitraum vom 17. September 2014 bis zum 29. Februar
2016.
Die Kläger beantragen ausdrücklich,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 21.07.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.12.2015, Letzterer zugegangen am 15.12.2015, aufzuheben und der Beklagten die Kosten des Verfahrens und der Berufung
aufzuerlegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand
der Beratung des Senats gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit
einverstanden erklärt haben (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes nach §§
143,
144 Abs.
1 SGG statthaft. Streitgegenstand ist weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung im Sinne des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG noch ein Erstattungsstreit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG. Die Kläger wenden sich gegen ein Auskunftsersuchen des Beklagten zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Diesem
Auskunftsersuchen kann ein bezifferbarer wirtschaftlicher Wert nicht zugeordnet werden, weil dieses die vorrangige Feststellung
betrifft, ob und ggf. in welcher Höhe ein überleitungsfähiger Zahlungsanspruch der Leistungsempfängerin besteht. Die Kläger
haben die Berufung vor Zustellung der Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils, aber nach Verkündung des Urteilstenors wirksam
einlegen können (allgemeine Meinung: vgl. z.B. Adolf in JurisPK-
SGG, 1. Aufl. 2017, §
151 RdNr. 46).
Eine Beiladung der Leistungsempfängerin hatte nicht zu erfolgen, weil deren berechtigte Interessen im Sinne von §
75 SGG durch den streitigen Auskunftsanspruch nicht berührt werden.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember
2015, mit dem Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger gefordert wird. Die Klage ist als Anfechtungsklage
gemäß §
54 Abs.
1 SGG zulässig, da mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Beschwer der Kläger beseitigt wäre. Die Auskunftspflicht
der Kläger hat sich auch nicht infolge der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Regelung in § 94 Abs. 1a SGB XII erledigt. Denn von der geänderten Rechtslage wird die Auskunftspflicht der Kläger auf Grund der hier bereits mit dem Schreiben
vom 7. Oktober 2014 von dem Beklagten erklärten Anspruchsüberleitung nicht berührt. Derzeit ist auch nicht ersichtlich, dass
von der Überleitung Sozialhilfeansprüche für den Zeitraum nach dem In-Kraft-Treten von § 94 Abs. 1a SGB XII am 1. Januar 2020 betroffen sind. Bezüglich der zeitlichen Geltung dieser Regelung wird auf die zutreffenden Ausführungen
des Sozialgerichts nach §
153 Abs.
2 SGG Bezug genommen, denen nichts hinzuzufügen ist. Eine Kollision verschiedener Regelungen, die nach Maßgabe einer verfassungsrechtlichen
Prüfung gegenüberzustellen wäre, besteht hier nicht. Vielmehr bestimmt der Gesetzgeber entsprechend Art.
82 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz den zeitlichen Anwendungsbereich von Gesetzen. Die Neuregelung ist im Übrigen Ausfluss des sozialpolitischen Gestaltungsspielraums
des Gesetzgebers. Der gesetzlichen Neuregelung lag kein Gesetzgebungszwang, insbesondere in Form einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
zugrunde (vgl. hierzu „A. Problem und Ziel“, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundesrats-Drucksache 395/19 vom 30. August
2019).
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Der Beklagte konnte den angefochtenen Bescheid hier an beide Eltern der Leistungsempfängerin adressieren. Diese haften als
Unterhaltspflichtige nach §
1606 Abs.
3 Satz 1
BGB nur anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Auch die Auskunftspflicht betrifft zunächst nur das dem jeweiligen
Elternteil zukommende Einkommen und Vermögen. Indes umfasst der gesetzliche Auskunftsanspruch den jeweils anderen Elternteil
als Ehepartner. Vor diesem Hintergrund ist der im vorliegenden Rechtsstreit angefochtene Bescheid als Zusammenfassung mehrerer
Bescheide zu sehen, die sich indes in ihrem Regelungsgehalt im Ergebnis decken (vgl. für die Zulässigkeit der Zusammenfassung
mehrerer Bescheide auch bei nicht deckungsgleichen Ansprüchen z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 88/06 -, juris, RdNr. 26).
Der Beklagte kann sein Auskunftsverlangen gegenüber beiden Klägern auf § 117 Abs. 1 SGB XII stützen. Nach dieser Vorschrift haben die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartner
und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben,
soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Durch die Norm wird eine eigenständige öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung begründet, der
ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenübersteht. Dieser wird durch die Vorschrift ermächtigt, die Auskunftspflicht
durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verpflichteten geltend zu machen (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
26. Januar 2015 - L 20 SO 12/14 -, juris, RdNr. 27 m.w.N.; Blüggel, JurisPraxiskommentar zum SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 117 RdNr. 56).
Der Beklagte ist als tatsächlicher Erbringer der Sozialhilfeleistungen an die Leistungsempfängerin für das Auskunftsverlangen
zuständig. Die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit der hier bestandskräftig gewordenen Bescheide über die Bewilligung von
Leistungen der Sozialhilfe gegenüber der Leistungsempfängerin ist für den Auskunftsanspruch nicht entscheidend (vgl. Hessisches
LSG, Urteil vom 17. April 2013 - L 4 SO 285/12 -, juris, RdNr. 31; im Ergebnis nahegelegt auch durch BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - B 8 SO 76/17 B -, juris, RdNr. 8). Es bedarf keiner Auseinandersetzung mit der Behauptung
der Kläger zu einer unterbliebenen Beratung der Leistungsempfängerin zu möglichen Leistungen nach dem SGB II, da diese vor der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII im Bezug von Leistungen des Jobcenters stand, was eine entsprechende Antragstellung und damit Kenntnis der Leistung voraussetzt
(§ 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II). § 117 Abs. 1 SGB XII gibt auch keinen Zeitpunkt vor, bis zu dem ein Auskunftsanspruch geltend zu machen ist. Zeitliche Grenzen der Auskunftspflicht
ergeben sich nur indirekt durch die Beschränkung des Übergangs von Ansprüchen nach § 94 Abs. 4 SGB XII. Soweit in dem angefochtenen Bescheid vom 7. Oktober 2014 die wirtschaftlichen Verhältnisse „für den Zeitraum vom 1. November
2013 bis zum 31. Oktober 2014“ abgefragt werden, bezieht sich dies für den Bescheidadressaten erkennbar darauf, dass nicht
nur die im Monat des Bescheidzugangs maßgebenden Verhältnisse mitzuteilen sind.
Aus den Erwägungen des Sozialgerichts ergibt sich, dass eine Negativevidenz der fehlenden Unterhaltspflicht der Kläger hier
nicht besteht. Der Senat nimmt nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit Bezug auf die Gründe der erstinstanzlichen
Entscheidung (§
153 Abs.
2 SGG).
Verwandte in gerader Linie sind nach §
1601 BGB verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Eine feste Altersgrenze für einen Unterhaltsanspruch eines Kindes besteht nicht
(vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 21. März 1984 - IVb ZR 72/82 -, juris, RdNr. 7). Ein gegenüber den Klägern im Rahmen des Rangverhältnisses nach §
1606 Abs.
1 und
2 BGB vorrangiger Unterhaltspflichtiger ist nicht erkennbar. Im Übrigen setzt ein Unterhaltsanspruch des Kindes nach §
1602 Abs.
1 BGB zwar voraus, dass der Berechtigte außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Erwerbsobliegenheit volljähriger Kinder
richtet sich indes nach den individuellen Verhältnissen des Unterhaltsberechtigten, die hier nicht von dem Sozialhilfeträger
zu prüfen sind (vgl. hierzu ausführlich Langeheine in Münchener Kommentar zum
BGB, 8. Aufl. 2020, §
1602 BGB RdNr. 14ff.). Dass eine Unterhaltsberechtigung der Leistungsempfängerin hier nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich bereits
daraus, dass der Bezug von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für eine gesundheitsbedingte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Kindes spricht (vgl. Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss
vom 2. Oktober 2019 - 4 UF 209/18 -, RdNr. 20f.). Die Verpflichtung zum Unterhalt entfällt nach Maßgabe des §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB nur, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen dieser Norm
erfüllt sein könnten, liegen hier nicht vor. Gesichtspunkte, die der Regelung in §
1611 Abs.
1 Satz 2
BGB zuzuordnen wären, sind hier nicht mitgeteilt worden. Andere Umstände, aus denen eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der
Leistungsempfängerin - z.B. im Rahmen des §
242 BGB - abzuleiten sein könnten, sind nicht vorgetragen worden.
Eine ausreichende und vor allem vollkommen gleiche Leistungsfähigkeit ist von beiden Klägern nicht in der Weise anerkannt,
dass daraus abgeleitet werden könnte, dass die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2. im Rahmen des §
1606 Abs.
3 BGB jeweils genau zur Hälfte im Rahmen einer noch festzustellenden Unterhaltspflicht in Anspruch genommen werden könnten. Eine
unbestrittene Leistungsfähigkeit in diesem Sinne liegt nicht vor. Bei einer teilschuldnerischen Haftung genügt allein die
Annahme, dass ggfs. einer der Unterhaltsschuldner oder beide gemeinsam in der Lage sind, den Unterhalt aufzubringen, nicht,
um genaue Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen beider Unterhaltspflichtigen entbehrlich zu machen. Denn die
Kläger können sich zivilrechtlich darauf berufen, dass anteilig ein Unterhaltsanspruch aus übergegangenem Recht von dem jeweils
anderen gefordert werden muss. Im Berufungsverfahren haben die Kläger vorgetragen, der Beklagte habe darlegen und beweisen
müssen, dass sie Einkünfte hätten, die oberhalb der Grenzen des § 94 Abs. 1a SGB XII lägen. Im Übrigen sind die Angaben der Kläger vor dem Hintergrund zu würdigen, dass sie meinen, materiell-rechtlich stehe
der Leistungsempfängerin gar kein Unterhaltsanspruch zu.
Soweit nach § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger nicht stattfindet, wenn dies eine unbillige Härte bedeutet, handelt es sich
um eine Regelung des öffentlichen Rechts, welche diejenigen Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen des §
1611 Abs.
1 BGB nicht erfüllt sind, gleichzeitig aber besondere sozialhilferechtliche Belange betroffen sind. Besondere Umstände in der Person
der Leistungsempfängerin ergeben sich hier nicht. Bezüglich der Kläger fehlt es bereits an den Informationen zu deren Einkommens-
und Vermögensverhältnissen, um deren Belange vollständig in die Abwägung einbeziehen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Weder die Kläger noch der Beklagte gehören zu dem in §
183 SGG genannten (kostenprivilegierten) Personenkreis. Die Kläger haben auf Grund ihres Unterliegens in beiden Rechtszügen die Kosten
des Klage- und Berufungsverfahrens zu tragen. Obgleich die Kläger Rechtsmittelführer sind, ist der Senat an einer Kostenentscheidung
zu ihren Lasten nicht gehindert, da das Verbot, den Rechtsmittelführer im Berufungsverfahren zu belasten, bei der Kostenentscheidung
nicht gilt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 34/06 R -, juris, RdNr. 38 m.w.N.). Die Kläger haften für die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner. Das ergibt sich für die
Gerichtskosten zwingend aus § 31 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Auch gegenüber dem Beklagten ergibt sich die gesamtschuldnerische Kostenhaftung hier aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
159 Satz 2
VwGO. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die
Kosten mehreren Personen nach dieser Vorschrift als Gesamtschuldner auferlegt werden. Zwar besteht der materiell-rechtliche
Unterhaltsanspruch gegen jeden Elternteil nach §
1606 Abs.
3 BGB nur anteilig. Im Vordergrund des vorliegenden Verfahrens steht indes die Auskunftspflicht, bei der die Kläger gleichzeitig
(individuell) als Elternteile und (auch den jeweils anderen betreffend) als Ehepartner betroffen sind.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.