LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2012 - 4 KA 13/10
Vorinstanzen: SG Kiel 12.05.2010 S 16 KA 137/09
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 249.000,00 EUR festgesetzt.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Nachfolge bei der Besetzung eines Vertragsarztsitzes.
Der am 1944 geborene Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Er war vom 1. Juli 1976 bis zum 31. März 2004
zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Wirkung zum 1. April 2004 verzichtete er auf seine Zulassung und übertrug
seine im Kreis Pl gelegene Arztpraxis im Wege der Nachfolge auf seinen Sohn St, dem die Zulassung erteilt wurde. Im Kreis
Pl bestehen für das Fachgebiet des Klägers Zulassungsbeschränkungen. In der Folge übte der Sohn des Klägers seine vertragsärztliche
Tätigkeit in Berufsausübungsgemeinschaft mit anderen Ärzten - zunächst in der Praxis "Frauenärzte H" und später in der Gemeinschaftspraxis
A und Partner - aus. Der Kläger war vom 1. April bis zum 30. September 2006 in der Gemeinschaftspraxis "Frauenärzte H" und
ab dem 1. Oktober 2006 in der Gemeinschaftspraxis A und Partner in Kiel als angestellter Arzt tätig.
Im Jahr 2007 bewarb sich der Kläger erfolgreich um die Praxisnachfolge der Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr.
W in Kiel. Auf die ihm zum 1. April 2007 erteilte Zulassung verzichtete er mit Wirkung ebenfalls zum 1. April 2007 und brachte
die Zulassung in die Gemeinschaftspraxis A und Partner ein, um dort weiterhin als angestellter Arzt tätig zu sein.
Im April 2009 bewarb sich der Kläger um die Praxisnachfolge des Arztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. L in P (Beigeladener
zu 8)), Kreis Pl, nachdem dessen Vertragsarztsitz von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (Beigeladene zu
5)) im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt ausgeschrieben worden war. Neben dem Kläger bewarben sich die am 1961 geborene
Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. Pf (Beigeladene zu 7)) sowie der Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Dr. Sch.
Der Kläger schloss am 5. Juni 2009 mit dem Beigeladenen zu 8) einen Praxisübergabevertrag unter der aufschiebenden Bedingung
der rechtskräftigen Zulassung des Klägers als Vertragsarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in P. Zur Praxisübergabe wurde
u. a. Folgendes vereinbart: "Herr Dr. V beabsichtigt, die Praxis nach Übernahme in anderen Räumen fortzuführen. Hierzu wird
er sich mit der ortsübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft "A und Partner - Frauenärzte" zusammenschließen und den Sitz
der Praxis nach "Am Markt ..." in P verlegen." Außerdem wird in dem Vertrag die Übernahme des Praxisinventars, der Patientenkartei
sowie die Übernahme von zwei der drei in der Praxis beschäftigten Arbeitnehmer vereinbart.
Gegenüber dem Zulassungsausschuss erklärte der Kläger, dass er auf die ihm als Nachfolger des Dr. L erteilte Zulassung gegebenenfalls
verzichten wolle, um diese in die überörtliche Gemeinschaftspraxis A und Partner einzubringen und anschließend an deren Standort
in P als angestellter Arzt tätig zu werden.
Mit Beschluss vom 17. Juni 2009 wählte der Zulassungsausschuss die Beigeladene zu 7) als Nachfolgerin aus und erteilte ihr
die Zulassung. Gleichzeitig lehnte er den Antrag des Klägers sowie des Dr. Sch auf Zulassung ab. Zur Begründung führte der
Zulassungsausschuss im Wesentlichen aus, dass Dr. Sch nicht als Nachfolger in Betracht komme, da er ausdrücklich erklärt habe,
nicht bereit zu sein, den Verkehrswert für die Praxis zu zahlen. Bezogen auf die in § 103 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V) genannten Auswahlkriterien ergebe sich bezogen auf die verbliebenen beiden Bewerber folgendes Bild: Die Beigeladene zu 7)
sei seit dem 1. Februar 1991 approbiert, 232 Monate ärztlich tätig gewesen und seit dem 17. März 2009 in die Warteliste eingetragen.
Der Kläger sei seit dem 30. April 1970 approbiert, 433 Monate ärztlich tätig gewesen und nicht in die Warteliste eingetragen.
Die wesentlich längere Dauer der ärztlichen Tätigkeit des Klägers könne nicht ausschlaggebend sein, weil es nicht Sinn und
Zweck der gesetzlichen Regelung sei, jüngeren Bewerbern den Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung durch den Wegfall der
Altersgrenze dauerhaft zu verwehren. Der Gesetzgeber habe es versäumt, die gesetzlichen Kriterien für die Entscheidung über
die Praxisnachfolge den gesetzlichen Änderungen insbesondere in Gestalt der Aufhebung der Altersgrenze von 68 Jahren sowie
der Beschränkung der Zulassung auf Vertragsärzte bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres anzupassen. Ausschlaggebend für die
Entscheidungsfindung sei letztlich gewesen, dass bei der Beigeladenen zu 7) von einer langen kontinuierlichen Betreuung der
Patientinnen ausgegangen werden könne, während der Kläger nur noch eine absehbare Zeit zur Verfügung stehe und die Angestelltenstelle
dann - in welcher Weise auch immer - durch einen oder mehrere angestellte Ärzte der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft
nachbesetzt werde. Ferner sei die Eintragung der Beigeladenen zu 7) in die Warteliste maßgeblich. Hilfsweise stütze sich der
Zulassungsausschuss darauf, dass er im vorliegenden Fall eine Frau als geeigneter für die Nachfolge ansehe und durch die Zulassung
der Beigeladenen zu 7) ein Vertragsarztsitz für die Freiberuflichkeit erhalten bleibe.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Beschluss vom 29. Oktober 2009, ausgefertigt mit Bescheid
vom 1. Dezember 2009, zurück und führte zur Begründung aus: Für die Entscheidung sei nicht ausschlaggebend gewesen, dass der
Kläger von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen wolle, den ihm zugesprochenen Praxissitz in die vorhandene
überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft alsbald einzubringen, so wie er dies bereits am 1. April 2007 getan habe. Denn der
Gesetzgeber unterscheide im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht zwischen der Tätigkeit eines in Einzelpraxis zugelassenen
Vertragsarztes oder eines im Rahmen einer größeren Praxiseinheit tätigen angestellten Arztes. Er unterscheide auch nicht zwischen
den Leistungserbringungsmöglichkeiten eines männlichen oder weiblichen Gynäkologen. Grundsätzlich seien nach der Rechtsprechung
alle Ärzte einer Fachrichtung gleichmäßig gut geeignet, die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen.
Das gelte auch in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das gegenwärtige Verhältnis von zwei im Kreis Pl zugelassenen Gynäkologinnen
zu 10,5 männlichen Gynäkologen sei daher irrelevant. Obwohl danach auf den ersten Blick alles für den Antrag des Klägers spreche,
habe der Berufungsausschuss mit Blick auf den Charakter der Regelungen über die Zulassung von Ärzten den Widerspruch zurückweisen
müssen. Denn die Bestimmungen des § 103 Abs. 4 SGB V beträfen einen staatlich regulierten Markt und seien Berufsausübungsregelungen. Dabei enthalte § 103 Abs. 4 SGB V eine Bestimmung darüber, wie der Zugang zum Beruf in einem gesperrten Bereich ausnahmsweise möglich sei. Diesen Zugang habe
der Kläger bereits inne. Dass er formal als Angestellter einer Berufsausübungsgemeinschaft an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehme, ändere nichts daran, dass er über die von ihm in diese Gemeinschaft eingebrachte Zulassung unmittelbar an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehme. Demgegenüber habe die Beigeladene zu 7) bisher keinen Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung. Sie
sei daher gehindert, den von ihr angestrebten Beruf tatsächlich auszuüben. In diesem Verhältnis zwischen der gesetzlich zulässigen
angestrebten Möglichkeit des weiteren Einbringens eines Vertragsarztsitzes in die bestehende Berufsausübungsgemeinschaft und
dem erstmaligen Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung werde Art. 12 des Grundgesetzes nur dann hinreichend beachtet, wenn
die bereits bestehende Zulassung als Ausschlusskriterium zu Lasten des bereits Tätigen gewertet werde. Ein gegenwärtig angestellter
Facharzt, der den Angestelltenstatus deshalb innehabe, weil er eine zuvor von ihm innegehaltene Zulassung in eine überörtliche
Praxis eingebracht habe, sei zwingend wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Verständnisses der Nachfolgeregelung des §
103 Abs. 4 SGB V nachrangig im Verhältnis zu einem Bewerber, der bisher in der vertragsärztlichen Versorgung nicht habe tätig werden können.
Dieser Nachrang bestehe unabhängig von besonderen Qualifikationen oder den in § 103 Abs. 4 SGB V erwähnten Ermessenskriterien.
Gegen die Zurückweisung seines Widerspruchs mit Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2009 hat sich der Kläger mit der am
23. Dezember 2009 erhobenen Klage gewandt, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorgetragen hat, dass sowohl der Zulassungs-
als auch der Berufungsausschuss mit ihren Entscheidungen sehenden Auges von bindenden gesetzlichen Regelungen abgewichen seien
und an deren Stelle eigene gesetzesferne Kriterien aufgestellt hätten. Die angegriffenen Entscheidungen seien offensichtlich
rechtswidrig.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2009 aufzuheben und ihn als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe als Nachfolger
von Herrn Dr. L zuzulassen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 7) haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1) bis 6) und 8) haben keine Anträge gestellt.
Der Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, dass er nicht einen generellen Nachrang der Tätigkeit des angestellten Arztes
gegenüber einem nicht zugelassenen Arzt ausgesprochen habe, sondern nur im konkreten Falle. Maßgeblich sei gewesen, dass der
Kläger bereits zweimal auf eine Zulassung verzichtet habe, um diese in die Berufsausübungsgemeinschaft einzubringen. Dies
sei erneut beabsichtigt. Der Kläger habe sich wegen seines höheren Approbationsalters als älterer Kollege auf den Vertragsarztsitz
beworben. Das Ziel seiner Zulassung sei nicht für ihn selbst angestrebt, sondern für die Mehrung der Vertragsarztsitze der
Berufsausübungsgemeinschaft. Sein Verhalten sei widersprüchlich und die erstrebte Nachfolgebewerbung unlauter und vorgeschoben.
Zwar seien die Absichten offengelegt worden. Dies stelle sich aber als ein Ausnutzen formaler Rechtspositionen dar.
Die Beigeladene zu 7) hat geltend gemacht, dass der Kläger allein das Interesse seines Arbeitgebers verfolge, um eine Verbesserung
der Marktstellung des Unternehmens zu erreichen. Es werde versucht, monopolartige Strukturen bei niedergelassenen Gynäkologen
im Großraum Kiel zu etablieren. Die in § 103 Abs. 4 SGB V für die Praxisnachfolge geregelten Kriterien seien nicht abschließend. Wegen des Wegfalls der Altersgrenze sei die Annahme,
dass ältere Kollegen vorrangig zu berücksichtigen seien, nicht mehr sachgerecht. Der Kläger sei nicht schutzwürdig, da er
die Rechtsposition, die er mit diesem Verfahren anstrebe, bereits tatsächlich innehabe. Im Übrigen spräche auch sein fortgeschrittenes
Alter gegen die Erteilung einer Zulassung.
Mit Urteil vom 12. Mai 2010 hat das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen aus den im Bescheid des Zulassungsausschusses
und den im angefochtenen Bescheid des Beklagten genannten Gründen abgewiesen. In der Vergangenheit hätten die Zulassungsgremien
die Auswahl unter mehreren Bewerbern vorrangig danach getroffen, wer seit der Approbation am längsten ärztlich tätig gewesen
sei. Dies wäre hier der Kläger. Dennoch sei die Entscheidung, die Beigeladene zu 7) als Nachfolgerin auszuwählen, nicht ermessensfehlerhaft.
Der Kläger strebe tatsächlich keine eigene vertragsärztliche Zulassung an und er sei deshalb auch nicht in grundrechtlich
relevanter Weise betroffen. Demgegenüber würde der Beigeladenen zu 7) mit einer Zulassungsentscheidung zugunsten des Klägers
der Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit genommen. Die in § 103 Abs. 4 SGB V genannten Kriterien seien nur unzureichend an die mit der Einführung medizinischer Versorgungszentren und dem Wegfall der
Altersgrenzen geänderte Rechtslage angepasst worden. Ein gegenwärtig angestellter Facharzt, wie der Kläger, der den Angestelltenstatus
innehabe, weil er zuvor auf eine Zulassung verzichtet und diese in eine überörtliche Praxis eingebracht habe, sei zwingend
wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Verständnisses der Nachfolgeregelung des § 103 Abs. 4 SGB V nachrangig im Verhältnis zu einem Bewerber, der bisher in der vertragsärztlichen Versorgung nicht habe tätig sein können.
Dieser Nachrang bestehe unabhängig von besonderen Qualifikationen oder den in § 103 Abs. 4 SGB V erwähnten Ermessenskriterien. Die Zulassungsgremien benötigten angesichts der genannten gesetzlichen Neuregelungen eine Ergänzung
der Kriterien für die Entscheidungsfindung. Bis zur Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen sei die Auswahlentscheidung nach
pflichtgemäßem Ermessen zwischen den Bewerbern unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen vorzunehmen.
Gegen das ihm am 12. Oktober 2010 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 9. November 2010 beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: Sein bisheriger Arbeitgeber,
die Partnerschaftsgesellschaft A und Partner, Frauenärzte, hätten sich zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aus 11 Partnern mit
Vertragsarztsitz und drei angestellten Vertragsärzten zusammengesetzt. Die Praxissitze der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft
hätten sich zu diesem Zeitpunkt in Kiel im und in der Straße, in H sowie in Kr befunden. Nebenbetriebsstätten hätten sich
in D und S befunden. Zeitgleich mit seiner Bewerbung für die Praxisnachfolge des Dr. L habe die Partnerschaftsgesellschaft
einen Vertragsarztsitz von H nach P verlegt und hierzu Räumlichkeiten in P angemietet. Er beabsichtige auf seine Zulassung
nach deren Erhalt im Wege des hier streitgegenständlichen Nachbesetzungsverfahrens zugunsten der Anstellung zu verzichten,
um gemeinsam mit dem weiteren Arzt aus der Partner-schaftsgesellschaft, der seinen Vertragsarztsitz von H nach P verlegen
wolle, in der neuen Betriebsstätte in P als Angestellter zu arbeiten. Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts sei
fehlerhaft. Das Sozialgericht durchbreche die in der demokratischen Grundordnung vorgesehene Gewaltenteilung zwischen Exekutive
und Legislative und verkenne seine Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG. Es stehe dem Gericht nicht zu, sich in die Position des Gesetzgebers aufzuschwingen und mit der Begründung, dass es die
derzeitigen Bestimmungen in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V in Anbetracht der zwischenzeitlich ergangenen Gesetzesänderungen nicht mehr für zeitgemäß erachte, neue Kriterien für die
Ermessensausübung festzulegen, die von denjenigen des Gesetzgebers nachhaltig abwichen. Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber
§ 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V keiner Änderung unterzogen habe und dass es sich dabei um derzeit geltendes Recht handele. In diesem Zusammenhang sei auch
darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber im Rahmen des in den wesentlichen Teilen zum 1. Januar 2012 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstrukturgesetzes
an den bisherigen Auswahlkriterien festgehalten und keine grundlegende Änderung bzw. Anpassung an gesetzliche Neuregelungen
vorgenommen habe. Auch in der Begründung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz fänden sich keine Ausführungen, die die Ansicht
des Sozialgerichts untermauerten. Folglich halte der Gesetzgeber die bestehenden Auswahlkriterien des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V trotz der Aufhebung der Altersgrenzen im Vertragsarztrecht und der Möglichkeit, auf die vertragsärztliche Zulassung zum Zweck
der Anstellung zu verzichten sowie der Einführung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften - für sach- und zeitgemäß.
Das vom Sozialgericht geschaffene Ausschlusskriterium des Angestelltenstatus eines Bewerbers unterscheide sich erheblich von
den gesetzlich vorgegebenen Auswahlkriterien, die sich an dem Ziel der Bestenauslese orientierten. Dagegen sei das vom Sozialgericht
geschaffene Ausschlusskriterium allein gesundheitspolitisch motiviert und diene dazu, die freiberufliche ärztliche Tätigkeit
in den Vordergrund zu stellen. Dies entspreche jedoch nicht dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers. Das Sozialgericht verkenne,
dass der Gesetzgeber kein Stufenverhältnis zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten der Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung entweder als Vertragsarzt in Einzelpraxis, als Vertragsarzt in einer Berufsausübungsgemeinschaft oder in einem
medizinischen Versorgungszentrum oder als angestellter Arzt in einer Berufsausübungsgemeinschaft oder einem medizinischen
Versorgungszentrum geregelt habe. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei der Auswahlentscheidung nach §
103 Abs. 4 Satz 4 SGB V um eine reine Ermessensentscheidung handele. Vielmehr habe der Gesetzgeber durch die Vorgabe der gesetzlich fixierten Auswahlkriterien
das Ermessen eingeschränkt und klare Entscheidungskriterien vorgegeben, die bei der Auswahlentscheidung zwingend zu berücksichtigen
seien. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei verfehlt, soweit es § 103 Abs. 4 SGB V unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform auslege. Die Praxisnachfolgeregelung in § 103 Abs. 4 SGB V trage in erster Linie dem Eigentumsgrundrecht des Praxisinhabers aus Art. 14 GG Rechnung und nur daneben auch der Berufsfreiheit der sich um die Zulassung als Praxisnachfolger bewerbenden Ärzte nach Art.
12 GG. Außerdem verkenne das Sozialgericht, dass die vom Gesetzgeber in § 103 Abs. 4 SGB V geregelten Schranken des Art. 12 GG abschließend kodifiziert seien. Die ständige Rechtsprechung im Zulassungsrecht gehe deshalb zutreffend davon aus, dass bei
der Einhaltung dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Beurteilungskriterien ein Grundrechtsverstoß nicht gegeben sei. Für eine
verfassungskonforme Auslegung des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V bestehe auch deshalb kein Raum, weil der Beigeladenen zu 7) - ebenso wie dem Kläger - der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung
jederzeit freistehe, indem sie sich bei einem MVZ, einer Berufsausübungsgemeinschaft oder einem niedergelassenen Vertragsarzt
für eine Anstellung bewerbe. Gegen die Auslegung des Sozialgerichts mit dem Ausschlusskriterium des Anstellungsverhältnisses
eines Bewerbers spreche auch die Tatsache, dass Anstellungsverhältnisse kündbar seien. Durch die vom Gesetzgeber geschaffene
Möglichkeit, Vertragsarztsitze in die Organisation von größeren Berufsausübungsgemeinschaften zu integrieren, werde der Zugang
zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung im Übrigen nicht verwehrt. Das Gegenteil sei richtig. Angesichts der extremen
Unwägbarkeiten in der vertragsärztlichen Versorgung sei es immer schwieriger geworden, junge ärztliche Kollegen für die selbstständige
Tätigkeit in freiberuflicher Praxis zu gewinnen. Um gleichwohl entsprechenden Nachwuchs auch für die ambulante vertragsärztliche
Versorgung zu gewinnen, sei es zunehmend erforderlich, dass diesen Ärzten eine wirtschaftliche Absicherung durch eine entsprechend
gut dotierte nicht selbstständige Tätigkeit angeboten werde. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich Berufsausübungsgemeinschaften,
anders als MVZ in der Vergangenheit, nicht auf ausgeschriebene Vertragsarztsitze hätten bewerben können. Sie hätten also nur
im Wege der hier monierten Vorgehensweise wachsen können. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz sei auf Vorschlag des Bundesrates
geregelt worden, dass niedergelassene Ärzte einen im Wege der Nachfolge übernommenen (weiteren) Vertragsarztsitz auch in der
Form weiterführen könnten, dass die vertragsärztliche Tätigkeit durch einen angestellten Arzt weitergeführt werde. Zur Begründung
habe der Bundesrat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Vertragsarzt einen Sitz nach der bisher geltenden Rechtslage
durch einen zusätzlichen angestellten Arzt nur fortführen könne, indem sich der angestellte Arzt auf die Praxisnachfolge bewerbe
und die Zulassung für eine juristische Sekunde innehabe, bevor er auf sie zugunsten einer Anstellung verzichte. Da er in der
Zeit vor Inkrafttreten des Versorgungsstrukturgesetzes in genau dieser Weise habe verfahren wollen, könne er damit unter Berücksichtigung
der dargestellten Motive des Gesetzgebers nicht von der Nachfolge ausgeschlossen werden. Das Sozialgericht übersehe, dass
das in den vergangenen Jahren sinnvollerweise modernisierte Zulassungsrecht die Bildung großer und überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften
nicht nur ausdrücklich zulasse, sondern diese Form der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung auch fördere. Die Entscheidung
des Sozialgerichts weiche von der ständigen sozialgerichtlichen Rechtsprechung ab, nach der die Zulassungsgremien nur dann
eine Nachfolgeentscheidung nicht anhand der Beurteilungskriterien des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V ausrichten müssten, wenn nach diesen die vorhandenen Bewerber gleichwertig seien. Es seien also grundsätzlich keine weiteren
Kriterien in die Auswahlentscheidung einzustellen, sofern nicht aufgrund der Gleichwertigkeit mehrerer Bewerber kein Nachfolger
gefunden werden könne. Da er hier erkennbar vorzugswürdig gewesen sei, habe er nicht durch das vom Sozialgericht entwickelte
Negativkriterium eines bestehenden Anstellungsverhältnisses ausgeschlossen werden dürfen. Auch ein bereits zugelassener Vertragsarzt
habe die Möglichkeit, sich auf einen anderen Vertragsarztsitz zu bewerben. Deshalb dürfe auch ihm sein vertragsarztrechtlicher
Status als Angestellter nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8.
Dezember 2010 (B 6 KA 36/09 R), nach der das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit keinen zusätzlichen Vorzug mehr begründeten, soweit
ein Zeitraum von fünf Jahren überschritten werde, überzeuge nicht. In der Regel dauere bereits die Facharztausbildung mindestens
fünf Jahre. Erst mit abgeschlossener Facharztausbildung sei die Eintragung ins Arztregister möglich und ein solcher Eintrag
sei wiederum Voraussetzung für eine mögliche Nachbesetzung in einen Vertragsarztsitz. Die Entscheidung des BSG hätte zur Folge,
dass ein Bewerber, der seine Facharztausbildung noch nicht oder gerade absolviert habe, gleich geeignet sei wie derjenige
Bewerber, der nach erfolgreicher Facharztausbildung tatsächlich weitere fünf Jahre ärztlich tätig gewesen sei. Hinzu komme,
dass die Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit darauf abzielten, einen gewissen Erfahrungsstand und
den dadurch erworbenen Standard zu berücksichtigen. Dabei beziehe sich der erworbene Standard naturgemäß auf den jeweiligen
Facharztstandard. Hinzu komme, dass nach § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung Zeiten der Erziehung von Kindern oder der Pflege von nahen Angehörigen der
ärztlichen Tätigkeit gleichgestellt würden, sodass im Ergebnis Bewerber ohne jegliche Berufserfahrung als gleich geeignet
wie Bewerber mit einer langjährigen Berufserfahrung anzusehen wären. Selbst wenn man davon ausginge, dass er und die Beigeladene
zu 7) bezogen auf das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit gleichzustellen wären, sei er gegenüber der
Beigeladenen zu 7) hinsichtlich seiner beruflichen Eignung vorzugswürdig. Er verfüge über die Fachkundenachweise für spezielle
Geburtshilfe, Perinatalmedizin und spezielle operative Gynäkologie sowie für gynäkologische Exfoliativ-Zytologie. Daneben
besitze er die Genehmigung zur Erbringung von Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung, der Sonographie und der Sonographie
in der Schwangerschaftsdiagnostik. Demgegenüber sei dem Vorbringen der Beigeladenen zu 7) zu entnehmen, dass sie über keine
weitere vergleichbare Qualifikation neben ihrer Facharztbezeichnung verfüge. Sein Alter von inzwischen 68 Jahren dürfe ihm
nicht zum Nachteil gereichen, weil dies gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstieße. Es sei auch unerheblich,
dass die Beigeladene zu 7) in der Warteliste eingetragen gewesen sei, weil dieser Eintrag über die Qualifikation der Bewerber
am Wenigsten aussage. Aus diesem Grunde habe die Eintragung in die Warteliste im Rahmen der Auswahlentscheidung nur dann ausschlaggebende
Bedeutung, wenn sich aus den übrigen Kriterien kein Vorrang zugunsten des einen oder anderen Bewerbers ergebe. Dies sei hier
jedoch aufgrund seiner weitaus höheren Qualifikation nicht der Fall.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. Mai 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2009 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, ihn als Nachfolger für Herrn Dr. L als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in P zuzulassen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 7) beantragten,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich der Beklagte auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides sowie sein Vorbringen im erstinstanzlichen
Verfahren.
Die Beigeladene zu 7) führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Der Kläger gehe unzutreffend davon aus, dass die Zulassungsgremien
keine Ermessensentscheidung, sondern eine bindende Entscheidung zu treffen hätten. Die im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens
zu berücksichtigenden Kriterien seien in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht abschließend aufgezählt. Vielmehr sei eine sachgerechte Entscheidung im Einzelfall gefordert. Die Zulassungsgremien
müssten bei ihrer Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern nicht zwingend einem bereits im Rentenalter befindlichen
Arzt nur aufgrund des höheren Lebensalters und dessen damit einhergehender längerer ärztlicher Tätigkeit den Vorrang vor einem
im Berufsleben stehenden, erstmalig eine Vertragsarztzulassung anstrebenden Arzt geben. Die einfachgesetzliche Interpretation
des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V sei durch eine an den Wertsetzungen des Grundgesetzes orientierte verfassungskonforme Interpretation zu ergänzen. Der Wortlaut
des § 103 Abs. 4 SGB V lasse eine solche an Art. 12 Abs. 1 GG orientierte Interpretation zu. Dem Gesetz könne nämlich nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber trotz der Aufhebung
der Zulassungsschranke mit Vollendung des 55. Lebensjahres und der Altersgrenze für die vertragsärztliche Tätigkeit mit Vollendung
des 68. Lebensjahres zwingend dem älteren, weil länger zugelassenen und länger approbierten Arzt bei der Zulassungsentscheidung
den Vorrang habe einräumen wollen. Die verfassungskonforme Interpretation der Auswahlregelung in § 103 Abs. 4 Satz 4 und 5 SGB V zwinge dazu, in die Entscheidung die unterschiedliche grundrechtliche Beeinträchtigung der Bewerber einzubeziehen. Während
der geltenden altersmäßigen Zulassungsgrenzen sei der länger approbierte und zugelassene Bewerber, der noch nicht 55 Jahre
habe alt sein dürfen, gegenüber dem jüngeren, kürzere Zeit approbierten und kürzer tätigen Bewerber in der grundrechtlichen
Betroffenheit grundsätzlich stärker belastet und daher vorrangig zu berücksichtigen gewesen. Dies habe sich mit Wegfall der
Altersgrenzen vollständig geändert. Das werde gerade im vorliegenden Fall deutlich. Heute konkurrierten Bewerber mittleren
Alters mit solchen Bewerbern, die bereits Vertragsarzt seien und ihre Tätigkeit aufgegeben hätten und die nur noch die Bewerbung
vornähmen, um den Sitz alsdann in eine größere unternehmerische Einheit einzubringen. Der Kläger erstrebe nicht etwa eine
Veränderung seines Rechtsstatus im Hinblick auf seine vertragsarztrechtliche Stellung. Es gehe ihm erklärtermaßen überhaupt
nicht um den Erwerb der vertragsärztlichen Zulassung, um sie alsdann wahrzunehmen. Vielmehr wolle er die Zulassung nur deshalb
erwerben, um sie anschließend in die Partnerschaftsgesellschaft A und Partner einzubringen, damit diese den Vertragsarztsitz
durch einen oder mehrere angestellte Ärzte besetzen könnten. Er selbst wolle weiterhin als angestellter Arzt für die Partnerschaftsgesellschaft
tätig sein. Dagegen gehe es ihr - der Beigeladenen zu 7) - um den erstmaligen Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Die
Zulassungsregelung entfalte daher für sie einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit mit berufswahlregelndem
Gewicht. Der Hinweis, dass sie sich doch um eine Angestelltentätigkeit bemühen möge, führe nicht weiter, weil der Beruf eines
selbstständigen Arztes in eigener Praxis einen anderen Beruf darstelle, als der des angestellten Arztes. Im Ergebnis halte
sich die Entscheidung des Beklagten im Rahmen des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens. Er habe die unterschiedliche
grundrechtliche Betroffenheit beider Bewerber zutreffend bei der Entscheidung berücksichtigt. Die Entscheidung des BSG vom
8. Dezember 2010 (B 6 KA 36/09 R) führe dazu, dass der Versuch des Klägers, allein gestützt auf sein Alter und die Dauer seiner ärztlichen Zulassung einen
weiteren Vertragsarztsitz für die von seinen beiden Söhnen betriebene Partnerschaftsgesellschaft A und Partner zu vereinnahmen,
fehlschlagen müsse.
Die Beigeladenen zu 1) bis 6) und 8) stellen keine Anträge.
Die Beigeladene zu 5) trägt vor, dass die Entscheidung der Beklagten auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts
vom 8. Dezember 2010 (B 6 KA 36/09 R) nicht zu beanstanden sei, weil die Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit nach dieser Entscheidung
keinen Vorzug eines der Bewerber begründen könnten, soweit ein Zeitraum von fünf Jahren überschritten sei.
Die den Zulassungsantrag des Klägers betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten, die Gerichtsakte des Sozialgerichts Kiel
zum Aktenzeichen S 16 KA 127/09 ER sowie die Prozessakte haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden,
dass die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm anstelle der
Beigeladenen zu 7) die Zulassung als Vertragsarzt erteilt wird.
Die Klage, bei der es sich um eine offensive Konkurrentenklage handelt, ist zulässig, da der Kläger als übergangener Bewerber
geltend machen kann und geltend macht, dass die Auswahlentscheidung zu seinen Lasten fehlerhaft sei (BSG, Urteil vom 5. November
2003 - B 6 KA 11/03 R -, BSGE 91, 253 = SozR 4-2500 § 103 Nr. 1). Dass die von dem Beklagten als Nachfolgerin ausgewählte Beigeladene zu 7) ihre vertragsärztliche
Tätigkeit als Nachfolgerin des Beigeladenen zu 8) bereits ausübt, nachdem der Kläger die Aufhebung der Anordnung der sofortigen
Vollziehung im Eilverfahren vor dem Sozialgericht nicht erreichen konnte, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen
(BSG, aaO.).
Nach § 103 Abs. 4 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-OrgWG vom 15. Dezem-ber 2008 (BGBl. I S. 2426) haben die Zulassungsgremien unter mehreren Bewerbern um einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz den Nachfolger nach pflichtgemäßem
Ermessen auszuwählen. Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben sind nach Satz 7
nur insoweit zu berücksichtigen, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswertes der Praxis nicht übersteigt.
Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V handelt es sich bei der Entscheidung der Zulassungsgremien über die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen um eine Ermessensentscheidung,
bei der die in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten Kriterien (berufliche Eignung, Approbationsalter, Dauer der ärztlichen Tätigkeit, u.a.) zu berücksichtigen sind
(vgl. BSG Urteil vom 5. November 2003, aaO.; LSG Schleswig-Holst Urteil vom 28. Juni 2007, L 4 B 269/06 KA ER, NZS 2008, 390). Ferner geht der Senat mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 81/03 R, BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr. 2; vgl. auch Pawlita in jurisPK- SGB V § 103 Rz 61) davon aus, dass die in § 103 Abs. 4 SGB V normierten Auswahlkriterien auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sind. Daran hat sich auch durch
die Aufhebung der Altersgrenze von 55 Jahren für den Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz
vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I S. I 3439) und der Aufhebung der Altersgrenze von 68 Jahren für die Ausübung der vertragsärztlichen
Tätigkeit mit dem GKV-OrgWG vom 15. Dezember 2008 nach Auffassung des Senats im Grundsatz nichts geändert. Soweit das BSG
in einem Urteil vom 8. Dezember 2010 (B 6 KA 36/09 R, BSGE 107, 147 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 9), das die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung zum Gegenstand hatte, ausgeführt hat, dass die
Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit bei der Entscheidung über eine Nachfolge nur noch bis zur Dauer
von fünf Jahren zu berücksichtigen seien, weil ein darüber hinausgehendes Alter eines Bewerbers und eine noch längere ärztliche
Tätigkeit keinen zusätzlichen qualitativen Vorzug mehr begründen könnten, kann sich der Senat dem nicht vollständig anschließen,
weil ein Arzt die Eintragung in das Arztregister und damit die Voraussetzungen für die Praxisnachfolge gem. § 95a Abs. 1 Nr. 2 SGB V regelmäßig erst nach erfolgreichem Abschluss einer Weiterbildung von wenigstens fünfjähriger Dauer erfüllen kann. Wenn das
zu berücksichtigende Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit auf fünf Jahre begrenzt würden, wären praktisch
alle Ärzte, die die Voraussetzungen für die Praxisnachfolge erfüllen, bezogen auf diese beiden Kriterien gleich zu behandeln.
Im Ergebnis würden beide gesetzlich vorgegebenen Auswahlkriterien regelmäßig bedeutungslos. Mit dem Wortlaut des Gesetzes,
nach dem bei der Auswahl der Bewerber neben der beruflichen Eignung auch das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen
Tätigkeit zu berücksichtigen sind, wäre dies nach Auffassung des Senats nicht zu vereinbaren. Sachgerecht und mit dem Wortlaut
des Gesetzes zu vereinbaren wäre nach Auffassung des Senats dagegen eine Begrenzung des Approbationsalters und der Dauer der
ärztlichen Tätigkeit die ein bestimmtes Maß an praktischer Erfahrung nach Abschluss der Weiterbildung zum Facharzt umfasst.
Im Ergebnis kommt es darauf jedoch nicht an. Der Kläger erfüllt aus den nachfolgend genannten Gründen die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes nicht. Da auch der Bewerber Dr. Sch die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt,
weil er sich ausdrücklich nicht bereit erklärt hat, einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswertes der Praxis des Beigeladenen
zu 8) zu zahlen, kommt als Nachfolgerin ausschließlich die Beigeladene zu 7) in Betracht. Ein Ermessensspielraum der Beklagten
hat somit tatsächlich nicht bestanden, sodass es auf Fehler bei der Ermessensausübung durch den Beklagten nicht ankommen kann
und die Entscheidung für die Beigeladene zu 7) als Praxisnachfolgerin im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
Aus der gesetzlichen Regelung in § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V, nach der Voraussetzung für die Auswahl eines Nachfolgers ist, dass die Praxis "von einem Nachfolger fortgeführt werden soll"
und der Regelung in § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V, nach der der Zulassungsausschuss den Nachfolger unter mehreren Bewerbern "die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger
des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen" auszuwählen hat, folgt, dass Ärzte, die die Praxis nicht fortführen wollen
oder können, auch nicht als Nachfolger in Betracht kommen.
Die Praxisnachfolge setzt danach voraus, dass überhaupt eine fortführungsfähige Praxis besteht (vgl. BSG Urteil 28. November
2007 - B 6 KA 26/07 R -, BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr. 3; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Mai 2008 - L 4 B 369/08 KA ER, GesR 2008, 432; Klass, MedR 2004, 248, 249) und dass der Bewerber diese Praxis fortführen möchte. Praxisfortführung in diesem Sinne verlangt zwar nicht notwendig,
dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit Unterstützung
desselben Praxispersonals und unter Nutzung derselben medizinisch-technischen Infrastruktur behandelt oder behandeln will
(BSG Urteil vom 29. September 1999 - B 6 KA 1/99, BSGE 85, 1 = SozR 3-2500 § 103 Nr. 5). Ein Vertragsarzt der erklärtermaßen nur an dem Vertragsarztsitz des ausscheidenden Vertragsarztes
interessiert ist und dessen Praxis nicht fortführen möchte, kann jedoch nicht im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens auf einen
Vertragsarztsitz zugelassen werden (BSG Urteil vom 5. November 2003, aaO.; BSG Urteil vom 29. September 1999, aaO.; Fiedler,
NZS 2003, 574, 575).
An der Existenz einer fortführungsfähigen Praxis bestehen vorliegend keine Zweifel, da die Praxis bis zur Auswahl der Nachfolgerin
von dem Beigeladenen zu 8) geführt wurde und seitdem von der Beigeladenen zu 7) fortgeführt wird. Nach dem Inhalt des vorliegenden
Praxisübergabevertrages wollte der Kläger den Patientenstamm und die Patientenkartei der Praxis des Beigeladenen zu 8) und
außerdem zwei der drei Angestellten der Praxis übernehmen. Als neuen Sitz der Praxis hat er die Anschrift "Am Markt ..." in
P angegeben. Diese Anschrift befindet sich fußläufig etwa 190 m vom ursprünglichen Praxissitz des Beigeladenen zu 8) entfernt,
sodass gegen eine Praxisfortführung durch den Kläger insoweit keine Bedenken bestünden.
Dem erforderlichen Willen des Klägers zur Fortführung der Praxis steht jedoch entgegen, dass er beabsichtigt, auf die ihm
im Wege der Praxisnachfolge erteilte Zulassung sofort wieder zu verzichten, um diese in die Berufsausübungsgemeinschaft einzubringen,
für die er bereits als Angestellter tätig ist. Wie der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, beabsichtigt
er weiterhin als angestellter Arzt - aller-dings an dem neuen Standort in P - für diese Berufsausübungsgemeinschaft in dem
rechtlich bereits zuvor innegehabten Rahmen tätig zu sein.
Nach Auffassung des Senats steht damit fest, dass der Kläger nicht - wie gesetzlich gefordert - die Nachfolge des Dr. L antreten
möchte. Zulassung und privatrechtlich übertragbare Arztpraxis greifen bei der Praxisnachfolge eng ineinander, weil die Übernahme
der Arztpraxis einschließlich des Patientenstammes bezogen auf die gesetzlich versicherten Patienten voraussetzt, dass die
Zulassung auf den Nachfolger übergeht. Danach schließt sich der Kläger mit der beabsichtigten sofortigen Weitergabe der ihm
erteilten Zulassung an die Berufsausübungsgemeinschaft A und Partner auch von der Fortführung der Praxis aus. Die im vorgesehenen
Praxisübergabevertrag vorgesehene Übernahme des Patientenstamms kann ohne die Zulassung nicht mehr auf ihn als Vertragsarzt
erfolgen. Nur die Gemeinschaftspraxis A und Partner könnte die ganz überwiegend gesetzlich versicherten Patienten der Praxis
des Beigeladenen zu 8) übernehmen. Auch wenn der Kläger Patienten des die Praxis abgebenden Beigeladenen zu 8) als angestellter
Arzt der Berufsausübungsgemeinschaft A und Partner weiter behandeln sollte, würde er damit nicht zum Praxisnachfolger. Als
Angestellter hätte er rechtlich keinen Einfluss darauf, ob er tatsächlich an dem vorgesehenen Praxissitz in P eingesetzt wird
und die Patienten behandelt. Vielmehr könnte die Berufsausübungsgemeinschaft als sein Arbeitgeber im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis
über den Einsatz des Klägers entscheiden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die im Praxisübernahmevertrag vereinbarte
Übernahme von zwei der drei Angestellten der Arztpraxis des Beigeladenen zu 8) durch den Kläger mit der Weitergabe der Zulassung
und damit des Patientenstammes an seinen Arbeitgeber, die Berufsausübungsgemeinschaft A und Partner, in Frage gestellt würde,
weil einiges dafür spräche, dass die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen
gem. § 613a Abs. 1 BGB nicht auf den Kläger, sondern auf die Berufsausübungsgemeinschaft als Nachfolger übergingen (vgl. BAG, 22. Juni 2011 8 AZR 107/10, GesR 2011, 695).
Dass die vom Kläger geplante Einbringung der Zulassung in die Gemeinschaftspraxis einer Fortführung der Praxis durch ihn selbst
entgegensteht, folgt nach Auffassung des Senats auch aus dem Wortlaut des § 103 Abs. 4b Satz 1 SGB V. Die Regelung hat folgenden Wortlaut: "Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen
angeordnet sind, auf seine Zulassung, um bei einem Vertragsarzt als nach § 95 Abs. 9 Satz 1 angestellter Arzt tätig zu werden,
so hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen; eine Fortführung der Praxis nach Abs. 4 ist nicht möglich." Danach
schließen sich der vom Kläger geplante Verzicht auf die Zulassung bzw. die "Einbringung" der Zulassung in eine andere Praxis
und die Fortführung der bisherigen Praxis aus. Der Gesetzgeber sieht die Einbringung einer Zulassung in eine bestehende Praxis
nicht als Praxisfortführung an.
Im Ergebnis geht der Senat danach davon aus, dass nicht der Kläger, sondern die Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft
A und Partner den Willen zur Fortführung der Praxis des Beigeladenen zu 8) haben, dass diese jedoch von der Nachfolge ausgeschlossen
sind, weil sie sich nicht darum beworben haben. Der Kläger hat sich zwar um die Nachfolge beworben. Er hat jedoch nicht die
nach § 103 Abs. 4 Satz 1 und 4 SGB V zu fordernde Absicht, die Praxis fortzuführen.
Zwar trifft der in der mündlichen Verhandlung erörterte Einwand des Klägers zu, dass der Gesetzgeber durch die Einfügung des
§ 103 Abs. 4b Satz 2 SGB V mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. S. 2983) m. W. v. 1. Januar 2012 geregelt hat, dass nicht nur wie bisher medizinische Versorgungszentren, sondern auch Vertragsärzte
einen Vertragsarztsitz im Wege der Praxisnachfolge übernehmen können, indem sie die Tätigkeit durch einen angestellten Arzt
in ihrer Praxis weiterführen. Auch weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass die Einfügung dieser Regelung auf einen Vorschlag
des Bundesrates zurückgeht und dass dazu in der Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drucks. 456/11 S. 49) Folgendes ausgeführt
wird: "MVZ können sich nach § 103 Abs. 4a SGB V auf ausgeschriebene Vertragsarztsitze im gesperrten Planungsbereich bewerben und diese mit angestellten Ärzten übernehmen.
Den Praxisübernahmevertrag schließt das MVZ mit dem Praxisabgeber. Analog muss es auch Vertragsärzten möglich sein, ausgeschriebene
Sitze zu übernehmen und mit Angestellten fortzuführen, was bisher aber nicht explizit im Gesetz angeführt wird. Dadurch wird
die Fortführung von Sitzen durch angestellte Ärzte unnötig erschwert. Will ein Vertragsarzt einen (weiteren) Sitz übernehmen
und mit einem Angestellten besetzen, muss sich der anzustellende Arzt bewerben, den Praxisübernahmevertrag schließen und die
Zulassung für eine juristische Sekunde innehaben, bevor er zugunsten einer Anstellung verzichten kann. Dies bedeutet einen
unnötigen Zwischenschritt, einen vermeidbaren Verwaltungsaufwand und eine unnötige Verunsicherung inklusive haftungsrechtlicher
Risiken für den Arzt, der ausschließlich angestellt arbeiten möchte, obwohl das Ergebnis - die Anstellung - gleich bleibt.
Das Tätigwerden als angestellter Arzt für einen Vertragsarzt wird dadurch erschwert."
Dieser Stellungnahme des Bundesrates liegt erkennbar die Annahme zu Grunde, dass einem Arzt, der sich - wie der Kläger - um
einen Praxissitz mit dem Ziel bewirbt, die Zulassung sofort an einen anderen Arzt weiterzugeben, der ihn dann anstellt, nach
§ 103 Abs. 4 SGB V eine Zulassung als Praxisnachfolger bereits nach bisherigem Recht erteilt werden könnte. Diese Auffassung teilt der Senat
aus den oben genannten Gründen nicht. Auch der Ausschuss für Gesundheit, auf dessen Empfehlung § 103 Abs. 4b Satz 2 SGB V eingefügt wurde, hat sich der Stellungnahme des Bundesrates insoweit nicht angeschlossen, sondern den Änderungsvorschlag
nur im Ergebnis und mit der Begründung aufgegriffen, dass damit Vertragsärzte bei der Übernahme einer Praxis "künftig den
medizinischen Versorgungszentren" gleichgestellt werden. Zudem wurde die erforderliche Genehmigung der Anstellung durch den
Zulassungsausschuss unter den Vorbehalt gestellt, dass Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen.
Mit der gesetzlichen Neuregelung ist danach die in der Stellungnahme des Bundesrates angegebene Verfahrensweise, nach der
sich der später anzustellende Arzt auf die Praxisnachfolge bewirbt, nicht legitimiert und in das geltende Recht übernommen
worden. Bewerber um die Praxisnachfolge kann auch nach dem seit dem 1. Januar 2012 geltenden Recht nur der Arzt sein, der
als Vertragsarzt tätig ist und auch bleiben möchte und der einen anderen Arzt anstellen möchte, nicht jedoch der künftig anzustellende
Arzt. Damit hat sich derjenige um die Nachfolge zu bewerben, gegenüber dem auch die Genehmigung zur Anstellung zu erteilen
ist. Zudem folgt aus der Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, dass es um eine "künftige" Gleichstellung
von Vertragsärzten mit Medizinischen Versorgungszentren geht. Bei der Gesetzesänderung handelt es sich danach nicht um eine
bloße Klarstellung und ihr kommt auch keine Rückwirkung zu. Die in der Stellungnahme des Bundesrates beschriebene und nach
Auffassung des Senats weder mit dem bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Recht noch mit dem ab 1. Januar 2012 geltenden Recht
zu vereinbarende Verfahrensweise wird damit nicht rückwirkend für rechtmäßig erklärt.
Die Revision hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und dabei berücksichtigt, dass Entscheidungen
des Bundessozialgerichts zu der Frage, ob die zeitnahe Weitergabe der nach § 103 Abs. 4 SGB V erteilten Zulassung einer Praxisnachfolge entgegensteht und ob eine Praxis durch einen angestellten Arzt als Nachfolger fortgeführt
werden kann, bisher nicht vorliegen.
Mit der Entscheidung über den Streitwert folgt der Senat der Entscheidung des Sozialgerichts aus dem Beschluss vom 18. No-vember
2010 mit der Maßgabe, dass der vom Sozialgericht ermittelte Betrag von 248.608,80 EUR auf 249.000,00 EUR gerundet wird. &8195;
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