Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz der ehemaligen DDR; Erfüllung der betrieblichen
Voraussetzungen durch den VEB Dienstleistungskombinat Heiligenstadt
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1
Nr. 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) nach § 8 AAÜG die Beschäftigungszeiten vom 1. September 1976 bis 31. März 1985 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem
und die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.
Der 1952 geborene Kläger erwarb nach dem Besuch der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik in M. das Recht, die
Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (Urkunde vom 30. August 1994). Nach den Eintragungen in den Ausweisen für Arbeit und
Sozialversicherung war er vom 1. September 1976 bis 31. März 1985 Elektroingenieur beim VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb)
H ...
Die Eintragung des VEB Dienstleistungskombinat H. in das Register der Volkseigenen Wirtschaft des Rates des Kreises H. erfolgte
am 12. Dezember 1968 (Handelsregister Abteilung C Band 2 Seite 53 Nummer 259). Laut Änderungsantrag vom 12. Oktober 1982 firmierte
das Unternehmen ab dem 29. November 1982 unter dem Namen VEB Dienstleistungsbetrieb H ...
Eine Versorgungszusage erhielt der Kläger vor Schließung der Versorgungssysteme nicht.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 17. September 1999 den Zeitraum vom 1. April 1985 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit
zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG fest und lehnte den Antrag auf Feststellung der Beschäftigungszeiten vom 1. September 1976 bis 31. März 1985 als Zugehörigkeitszeit
ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2000 zurückgewiesen.
Auf die Klage hat das Sozialgericht Nordhausen diverse Unterlagen beigezogen, u.a. den Funktionsplan der vom Kläger ausgeübten
Tätigkeit, die Bilanz des Unternehmens im Berichtsjahr 1989 und den Gründungsbericht der E.-Service GmbH vom 16. Mai 1990.
Außerdem hat es den Zeugen R. K., ehemalig Betriebsdirektor des VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) Heiligenstadt,
vernommen.
Mit Urteil vom 17. November 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung angeführt, angesichts der Aufgabenstellung
habe es sich bei dem VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) Heiligenstadt nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb
der Industrie oder des Bauwesens gehandelt. Er habe über eine große Elektroabteilung verfügt, die im streitgegenständlichen
Zeitraum auch die umsatzstärkste Abteilung gewesen sei, jedoch seien in diesem Bereich nur circa ein Viertel aller Mitarbeiter
des Betriebes beschäftigt gewesen. Allein durch den Umsatz sei der Hauptzweck des Betriebes nicht zu begründen. Außerdem habe
die Elektroabteilung keine Massenproduktion betrieben. Auch um einen gleichgestellten Betrieb habe es sich nicht gehandelt.
Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, der Betrieb sei nach den Sachkriterien der DDR den volkseigenen Produktionsbetrieben
der Industrie zuzuordnen. Das Sozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass (zumindest) der umsatzstärkste Produktionsteil,
in dem seine konkrete Tätigkeit erfolgte, als Produktion anzusehen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. November 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1999 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeiten vom 1. September 1976
bis 31. März 1985 als Zugehörigkeitszeit zu dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die während dessen erzielten Entgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Die betriebliche Voraussetzung für die
fiktive Einbeziehung des Klägers in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz liege nicht vor, weil der VEB
Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) Heiligenstadt kein volkseigener Produktionsbetrieb im Sinne der Versorgungsordnung
gewesen sei; auch eine Gleichstellung komme nicht in Betracht.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Beschäftigungszeit vom 1. September 1976 bis zum 31. März 1985
als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einschließlich
der in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Das AAÜG ist auf ihn nicht anwendbar.
Der Kläger wird nach § 1 Abs. 1 AAÜG von dem persönlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes aufgrund seiner Ausbildung als Ingenieur Anlage 1 Nr. 1 der Zusatzversorgungssysteme
erfasst. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Kläger dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt (vgl. BSG, Urteile vom 24. April 2008 - Az.: B 4 RS 31/07 R und 24. Juli 2003 - Az.: B 4 RA 40/02 R, nach juris).
Er erfüllt in dem geltend gemachten Zeitraum aber nicht die Voraussetzungen für die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten
zum einem Versorgungssystem und der dabei erzielten Arbeitsentgelte. Allein in Betracht kommt die zusätzliche Altersversorgung
der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben nach der Verordnung vom 17. August 1950
(GBl. I Nr. 93 S. 844; im Folgenden: ZAVO-techInt) i.V.m. der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl.
Nr. 62 S. 487; im Folgenden: 2. DB z. ZAVO-techInt).
Die maßgebende Norm des § 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG regelt die Gleichstellung von Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung ("gelten als"), in denen der "Versorgungsberechtigte"
eine entgeltliche Beschäftigung zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 1. Juli 1990 ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine
zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2008 - Az.: B 4 RS 31/07 R m.w.N., nach juris). Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Berechtigte nach den tatsächlichen Gegebenheiten
1) eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die 2) "entgeltlich" und 3) ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war.
In das Versorgungssystem der technischen Intelligenz waren nach den §§ 1, 5 ZAVO-techInt, § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der 2.
DB z. ZAVO-techInt Beschäftigungen unter folgenden Voraussetzungen einbezogen: Der Beschäftigte musste die Berechtigung gehabt
haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), eine dementsprechende Tätigkeit ausgeübt haben
(sachliche Voraussetzung) und in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in
einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung) beschäftigt gewesen sein (vgl BSG, Urteile vom 24. April 2008, aaO. und 27. Juli 2004 - Az.: B 4 RA 11/04, nach juris).
Mit dem Erwerb des Titels Diplom-Ingenieur erfüllt der Kläger die persönliche Voraussetzung. Ob er die sachliche Voraussetzung
erfüllte, kann der Senat dahingestellt lassen, weil er jedenfalls die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllte. Ein volkseigener
Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder ein gleichgestellter Betrieb lag nicht vor.
Der VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) H. war kein volkseigener Produktionsbetrieb. In seinem Urteil vom
9. April 2002 (Az.: B 4 RA 41/01 R, nach juris) hat das BSG wie folgt ausgeführt: "Der versorgungsrechtlich maßgebliche Betriebstyp ist durch die drei Merkmale "Betrieb", "volkseigen"
und "Produktion (Industrie, Bauwesen)" gekennzeichnet. Er erfasst nach dem letzten maßgeblichen Sprachgebrauch der DDR nur
volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens, war also nicht nur auf den Ausschluss privater Betriebe gerichtet.
Dieses Verständnis fügt sich im Übrigen in den historischen Kontext der DDR-Verhältnisse zwanglos ein. aa) Der Ausdruck "Betrieb"
lässt erkennen, dass es sich um eine Organisationsform handeln musste, die im Wirtschaftsrecht der DDR unter den Oberbegriff
"Wirtschaftseinheit" fiel (vgl insoweit § 2 des Vertragsgesetzes vom 25. März 1982, GBl I 293; nachfolgend: VG). Der Ausdruck
"Betrieb" macht zugleich deutlich, dass "wirtschaftsleitende Organe" (= bestimmte Staatsorgane), die wie die Wirtschaftseinheiten
im DDR-Recht als Wirtschaftsrechtssubjekte qualifiziert wurden (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht,
Staatsverlag der DDR, Berlin 1985, S 65), nicht von der betrieblichen Anwendungsvoraussetzung erfasst wurden. Deshalb wurden
sie in § 1 Abs 2 der 2. DB den VEB gleichgestellt."
Die Zuordnung eines VEB zur industriellen Produktion bzw. zum Bauwesen hängt entscheidend davon ab, welche Aufgabe ihm das
Gepräge gegeben hat. Der verfolgte Hauptzweck (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - Az.: B 4 RA 18/03 R, nach juris) des VEB muss auf die industrielle, massenhafte und standardisierte Fertigung, Fabrikation, Herstellung beziehungsweise
Produktion (sog. fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern oder Bauwerken ausgerichtet gewesen sein. Die Auslegung der
Versorgungsordnung durch die Staatsorgane und deren Verwaltungspraxis in der DDR spielt bei der heutigen Auslegung dagegen
keine Rolle (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 41/01 R, nach juris). Aus diesem Grund war allein die Tätigkeit in einem solchen Massenproduktionsbetrieb von besonderer volkswirtschaftlicher
Bedeutung und rechtfertigte die durch die ZAVO-techInt bezweckte Privilegierung der technischen Intelligenz in solchen Betrieben
(vgl. BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - Az.: B 4 RA 57/03 R, nach juris). Der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft
ermöglichen.
Hauptaufgabe des VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) H. war nicht eine Massenproduktion von Sachgütern oder
Bauwerken, sondern die Reparatur und Installation von Produktionsmitteln. Dies ist bereits aus dem Gründungsbericht der Kapitalgesellschaft
E.-Service GmbH ersichtlich, die 1990 aus dem VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) H. bzw. seinem Rechtsnachfolger
ausgegliedert wurde. In Punkt 1.1. Leistungsarten wird bestimmt, dass die E.-Service GmbH vorrangig Reparaturaufgaben (z.B.
Kühltechnik) wahrnimmt und alle Leistungs- und Kundendienstaufträge des "Altbetriebes" sichert. Wortwörtlich heißt es "und
sichert sich damit den Grundstock für die Service- und Reparaturdurchführung". Die Produktion von Gütern und Waren gehörte
nicht zum Sortiment der E.-Service GmbH, allenfalls noch der Verkauf von technischen Geräten.
Weiterhin ist dem Gründungsbericht der GmbH "Rein-Weiß-E.", welche ebenfalls aus dem VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb)
H. ausgegliedert wurde, zu entnehmen, dass der Bereich Wäscherei des "Altbetriebes" in diese GmbH ausgegliedert wird. Dieser
Bereich gehört ebenfalls nicht zum produzierenden Gewerbe, da dort keine neuen Produkte geschaffen, sondern nur Serviceleistungen
an bereits vorhandenen Produkten erbracht wurden.
Im Übrigen hat der Zeuge R. K., der von 1964 bis 1990 Betriebsdirektor des VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb)
H. war, in seiner Zeugenvernehmung im Rahmen der erstinstanzlichen Sitzung vom 17. November 2008 ausdrücklich erklärt, dass
der "Hauptauftrag" des VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) H. die Dienstleistung sowie Reparatur von verschiedenen
Sachgütern war und Bauaufträge als Einzelaufträge und nicht als Massenproduktion erbracht wurden; im "fordistischen" Sinne
sei keine Massenproduktion erfolgt. Der VEB Dienstleistungskombinat (Dienstleistungsbetrieb) H. deckte vielfältige Leistungsbereiche
ab: Haushaltsgerätereparatur, Bau und Reparatur von Straßenbeleuchtungen, Schneiderei und Wäscherei. Nach den Angaben des
Zeugen K. war der Elektrobereich, in dem der Kläger tätig war, zwar in den Jahren 1976 bis 1985 der umsatzstärkste Betriebsteil,
gab dem Betrieb aber nicht das Gepräge. 1976 waren von den insgesamt ca. 230 Mitarbeitern dort nur ca. 70 bis 80 beschäftigt
und damit deutlich weniger als die Hälfte (ca. 35 v.H.). In diesem Jahr erwirtschafteten die Elektroabteilung vom Gesamtumsatz
(ca. 8,5 Millionen Mark) ca. 3,7 Millionen Mark und die Straßenbeleuchtung ca. 1,2 Millionen Mark; 1986 erzielte die Elektroabteilung
(Installation/Montage) vom Gesamtumsatz (14,8 Millionen Mark) ca. 6 Millionen Mark und die Straßenbeleuchtung ca. 0,6 Millionen
Mark. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Elektroabteilung kein ausschließlicher Produktionsbereich war, denn dort
wurde - so der Zeuge - ein erheblicher Teil der Mitarbeiter mit der Reparatur von Haushalts- und Rundfunkgeräten beschäftigt.
So wurde hier die Straßenbeleuchtung nicht nur gebaut, sondern auch repariert.
Der Kläger hat diese Aussage nicht entkräftet. Sein Vorbringen hat sich lediglich auf Ausführungen zu der Elektroabteilung
beschränkt, in der er beruflich tätig war. Relevant ist aber das Gesamtgepräge des Betriebes.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art.
3 des
Grundgesetzes (
GG) liegt gegenüber denjenigen, die in das Zusatzversorgungssystem einbezogen wurden, nicht vor. Denn der Einigungsvertragsgesetzgeber
war nicht gehalten, bereits in den Versorgungsordnungen angelegte Ungleichbehandlungen nachträglich zu korrigieren (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 - Az.: B 4 RA 21/02 R, nach juris). Er durfte an die am 2. Oktober 1990 vorliegenden Versorgungsordnungen im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen
(vgl. BVerfG in BVerfGE 100, S. 138, 193 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 des
SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.