Feststellung einer weiteren Folge aus einem Arbeitsunfall
Zusammenhangstrennung einer Supraspinatussehne
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines als Arbeitsunfall anerkannten Unfallereignisses vom 17.
März 2017 eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne im Schultergelenk rechts anzuerkennen ist.
Am 17. März 2017 rutschte der 1966 geborene Kläger auf der Holztreppe im Bürogebäude eines Jugendwaldheims ab und versuchte
sich mit dem rechten Arm am Geländer abzufangen. Anschließend verspürte er Schmerzen im Bereich der rechten Schulter. Aufgrund
anhaltender Schmerzen suchte der Kläger am 24. März 2017 einen Durchgangsarzt auf. Dieser diagnostizierte eine Distorsion
der rechten Schulter und veranlasste die Durchführung eines MRT. Der MRT-Befund vom 28. März 2017 erbrachte den Nachweis eines
kleinen Einrisses der Supraspinatussehne, diskrete Zeichen eines Impingementsyndroms und den Nachweis einer ACG-Arthrose mit
geringer Pelottierung des Musculus supraspinatus. Vom 18. bis 21. April 2017 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung
im Krankenhaus Sondershausen. Eine Arthroskopie der rechten Schulter erfolgte. Laut Operationsbericht vom 18. April 2017 war
eine Rekonstruktion der rupturierten Rotatorenmanschette noch möglich. Ausweislich des pathologischen Befundes vom 19. April
2017 ergaben sich Anteile der Supraspinatussehne mit Läsionen unterschiedlichen Alters, überwiegend mit älteren Veränderungen
mit Vernarbung und kleinherdig frischer Nekrose. Der Beratungsarzt der Beklagten M verneinte in einer Stellungnahme vom 29.
Juni 2017 einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Schädigung im Bereich der Rotatorenmanschette. Es sprächen
erhebliche Gesichtspunkte gegen eine Traumagenese. Die Schadensanlagen seien überragend.
Durch Bescheid vom 24. Juli 2017 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 17. März 2017 als Arbeitsunfall mit der Folge einer
Zerrung des rechten Schultergelenks und unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis 21. April 2017
an. Ausdrücklich nicht als Folge des Unfallereignisses anerkannt wurde ein Riss der Rotatorenmanschette im rechten Schultergelenk.
Aufgrund der gesichert vorliegenden erheblichen Schadensanlagen, insbesondere einer Einengung des Subacromialraumes und der
Arthrose des Schultereckgelenkes, sei eine unfallbedingte Schädigung der Rotatorenmanschette zu verneinen. Ein hiergegen durch
den Kläger am 1. August 2017 eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2017 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Nordhausen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Orthopäden und Unfallchirurgen
M1 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser legt in seinem Gutachten vom 22. Mai 2018 dar, dass die Zusammenhangstrennung
der Supraspinatussehne am rechten Schultergelenk auf das Unfallereignis vom 17. März 2017 zurückzuführen sei. Der Sturz und
das Festhalten mit der Hand stellten einen klassischen Hergang zur Belastung der Rotatorenmanschette dar. Die eingetretene
Verzögerung im Hinblick auf die Erstvorstellung beim Durchgangsarzt sei plausibel zu erklären. Der MRT-Befund vom 28. März
2017 zeige eine frische Signalanhebung im Bereich einer Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne. Eine vorbestehende Texturstörung
der Sehne oder eine Atrophie der Muskulatur seien nicht festzustellen. Der pathologische Befund belege sowohl frische als
auch ältere Texturstörungen. In Würdigung sämtlicher Faktoren sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem Zusammenhang
auszugehen. Dieser Einschätzung ist der Beratungsarzt der Beklagten M in einer Stellungnahme vom 16. Juli 2018 entgegengetreten.
Es existierten erhebliche, gegen eine Traumagenese sprechende Faktoren, wie erste ärztliche Konsultation erst nach sechs Tagen,
fehlende Pseudolähmung des rechten Armes und ein Impingementsyndrom des rechten Schultergelenks in Verbindung mit einer Arthrose
desselben. Notwendig sei eine Auswertung des MRT-Befundes vom 28. März 2017 durch einen Radiologen. Daraufhin legte die Beklagte
eine fachradiologische Stellungnahem ihres Beratungsarztes R vom 26. Oktober 2018 vor. Darin führt dieser aus, dass sich ein
Überwiegen frischer traumatisch bedingter Schäden nicht mit ausreichender Sicherheit belegen lasse.
Anschließend beauftragte das Sozialgericht den Radiologen B mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dieser führte
in seinem Gutachten vom 13. Februar 2019 aus, dass zusammenfassend aus radiologischer Sicht keine klare Aussage zur Genese
der vorliegenden Veränderungen im Bereich der Rotatorenmanschette rechts gemacht werden könne. Gegen eine Traumagenese der
Komplettruptur des anterolateralen Anteils der Supraspinatussehne spreche eine Beteiligung gleichzeitig aller wesentlichen
Muskeln der Rotatorenmanschette. Diese sei für ein Trauma ungewöhnlich, jedoch häufig bei degenerativen Veränderungen anzutreffen.
Dazu komme der fehlende Erguss im Gelenk als Reaktion auf einen akuten Riss der Sehne und keine Blut- bzw. Flüssigkeitsansammlungen
in oder um die gerissene Sehne. Ferner sei die Zerklüftung der knöchernen Oberfläche an der Komplettrupturstelle ein eindeutiger
Hinweis auf chronische Umbauprozesse. Für eine traumatische Genese der beschriebenen Veränderungen sprächen die festgestellten
ödematösen Veränderungen an der Subscapularissehne. Diese seien in ihrer Ausprägung ungewöhnlich für eine Degeneration. Der
Befund sei zwar nicht beweisend für eine Traumagenese der Supraspinatussehnenruptur, sei jedoch ein Hinweis darauf, dass überhaupt
ein Trauma an der Schulter stattgefunden habe. Auf der Basis der vorgelegten bildgebenden Befunde könne die Frage nach der
hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht beantwortet werden. Dies müsse der orthopädisch-unfallchirurgischen Bewertung vorbehalten
bleiben.
Mit Urteil vom 5. September 2019 hat das Sozialgericht Nordhausen die Klage abgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen
dem Unfallereignis vom 17. März 2017 und den anschließend festgestellten Gesundheitsstörungen sei nicht hinreichend wahrscheinlich.
Es fehle eine sofortige Arbeitsniederlegung und eine sogenannte Pseudoparalyse des rechten Armes. Gegen eine traumatische
Verursachung sprächen auch die degenerativen Veränderungen im Bereich des rechen Schultergelenks. Das nach den Ausführungen
des radiologischen Sachverständigen B durchaus Hinweise existierten, dass überhaupt ein Trauma an der Schulter stattgefunden
habe, reiche für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht aus. Deshalb sei auch den Ausführungen von M1 nicht
zu folgen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Durch das Unfallereignis vom 17. März 2017 sei eine Zusammenhangstrennung
der Supraspinatussehne am Schultergelenk rechts hervorgerufen worden. Das Sozialgericht habe sich nur unzureichend mit den
Ausführungen des Sachverständigen M1 auseinandergesetzt, wonach die nur wenige Tage verzögert erfolgte ärztliche Vorstellung
plausibel zu erklären sei und erhebliche Einschränkungen im rechten Schultergelenk festzustellen gewesen seien. Die Schmerzen
des Klägers würden nicht hinreichend gewürdigt. Das Sozialgericht beziehe sich überwiegend auf die Ausführungen des radiologischen
Sachverständigen B. Hierbei werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass dieser die abschließende Bewertung des Sachverhalts
einer orthopädisch-unfallchirurgischen Begutachtung vorbehalten habe. Die erforderliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen
des Sachverständigen M1 zur Frage des Umfangs vorhandener Schadensanlagen lasse das Sozialgericht vermissen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. September 2019 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2017
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2017 abzuändern und als weitere Folge des Unfallereignisses vom
17. März 2017 eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne im Schultergelenk rechts festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat ein Gutachten des Handchirurgen St vom 6. Oktober 2020 eingeholt. Dieser verneint in seinem Gutachten nach ausführlicher
Abwägung aller Umstände einen Zusammenhang zwischen der Ruptur der Rotatorenmanschette rechts und dem Unfallereignis vom 17.
März 2017. Ein Treppensturz mit der Hand am Geländer sei ein geeigneter Hergang, um eine Schädigung der Rotatorenmanschette
unfallbedingt zu verursachen und daher ein gewichtiger Aspekt, der für einen solchen spreche. Gegen einen Unfallzusammenhang
spreche, dass der Kläger erst sechs Tage später einen Arzt aufgesucht habe und aus dem primären ärztlichen Untersuchungsbefund
sich keine Pseudoparalyse herleiten lasse. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 24. März 2017 seien die Vorwärtshebung mit 80
Grad und die Abduktion und die Retroversion mit 40 Grad möglich gewesen. Hinsichtlich des radiologischen Untersuchungsbefundes
spreche für einen Unfallzusammenhang die Feststellung ödematöser Veränderungen an der Subscapularissehne und die fehlende
Verfettung in der Muskulatur der Supraspinatussehne. Hingegen sprächen die fehlenden ausgedehnten Einblutungen um die rupturierte
Supraspinatussehne, die fehlenden Begleitverletzungen und die Arthrose des Schultereckgelenks einschließlich der festgestellten
Multizentrizität der Texturstörungen an verschiedenen Sehnen gegen einen Unfallzusammenhang. Der Operationsbericht belege
eine Enge des Subacromialraumes, welcher ein disponierender Faktor für Schädigungen der Rotatorenmanschette darstelle. Nach
dem Operationsbericht sei allerdings auch eine Rekonstruktion der rupturierten Rotatorenmanschette noch möglich gewesen. Dies
sei nur der Fall, wenn die Schädigung noch nicht lange, etliche Jahre zurückliege. In der Gesamtheit sprächen die im Operationsbericht
erwähnten Veränderungen eher für eine Texturstörung an der Supraspinatussehne, als für eine unfallbedingte Schädigung. Der
histologische Untersuchungsbefund spreche gegen einen Unfallzusammenhang, da überwiegend ältere Veränderungen und Vernarbungen
beschrieben würden. In der Gesamtschau würden daher die Gründe gegen einen Unfallzusammenhang überwiegen.
Der Kläger ist der Einschätzung des Sachverständigen St entgegengetreten. Es sprächen mehr Gründe für als gegen einen Unfallzusammenhang.
Auch St nehme eine Abwägung vor und findet zahlreiche Aspekte, die für einen Unfallzusammenhang sprechen würden. Das verspätete
Aufsuchen des Durchgangsarztes könne dem Kläger nicht angelastet werden. Der Kläger habe zwar seine berufliche Tätigkeit über
sechs Tage fortgesetzt. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass nach dem Unfallereignis ein Wochenende bevorgestanden und
der Kläger dies zur Ruhigstellung des Armes genutzt habe. Im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben sei der Kläger auch in der
Lage gewesen, den Arm weitgehend zu schonen. M1 habe in seinem Gutachten ein Korrelat zur sogenannten Pseudoparalyse des Armes
beschrieben. Die sich aus dem radiologischen Befund vom 28. März 2017 und dem Operationsbericht ergebenden Anhaltspunkte für
einen Unfallzusammenhang würden nicht hinreichend gewichtet. Es seien erhebliche Faktoren für einen Unfallzusammenhang gegeben.
Die Beklagte sieht sich durch die Ausführungen des Sachverständigen St in ihrer Einschätzung bestätigt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
2,
4 SGG) erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch
den Berichterstatter durch Urteil entscheiden (§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
2 und
4 SGG).
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg (§§
143,
151 SGG).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Komplettruptur der Supraspinatussehne rechts als Folge des Unfallereignisses
vom 17. März 2017. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober
2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§
54 SGG).
Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach
§
54 Abs.
1 SGG und §
55 Abs.
1,
3 SGG.
Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und
feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und
„Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger
die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige
Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit
wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden
(haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens
(haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, zitiert nach Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen
so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden
kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R, BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, beide zitiert nach Juris).
Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Rotatorenmanschettenruptur im Bereich der rechten Schulter
nicht als weitere Unfallfolge aus dem Ereignis vom 17. März 2017 festgestellt werden kann.
Hinsichtlich der Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur ist zu berücksichtigen, dass sich im Bereich der Schulter das
Schulterhauptgelenk und das wenig bewegliche Schultereckgelenk befinden. Das Schulterhauptgelenk wird von dem Oberarmkopf
und der relativ kleinen Schulterpfanne gebildet. Um den Oberarmkopf fest in der Pfanne zu verankern, gibt es eine Vielzahl
von Muskeln zwischen Schulterblatt und Oberarm. Die Summe der Muskeln, die den Oberarmkopf im Bereich der Schulterpfanne zentrieren,
nennt man zusammengefasst Rotatorenmanschette. Dazu gehört unter anderem der Musculus supraspinatus. Gesichert ist, dass diese
Muskeln und Sehnen erheblichen degenerativen Veränderungen unterliegen. Jenseits des 50. Lebensjahres sind degenerative Veränderungen
der Rotatorenmanschette sehr häufig anzutreffen (Mehrhoff u.a., Unfallbegutachtung, 14. Auflage 2019, Seite 293). Derartige
Sehnenschäden werden häufig zum Beispiel durch ein Engpasssyndrom verursacht. Ist eine Rotatorenmanschettenruptur hingegen
traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen. Nicht geeignet sind eine
direkte Krafteinwirkung auf die Schulter, wie bei einem Sturz, Schlag oder Prellung oder ein Sturz auf den ausgestreckten
Arm (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Unfallbegutachtung, 9. Auflage 2017 S. 433 ff.).
Daraus folgt bezogen auf den vorliegenden Fall, dass der Hergang des Geschehens am 17. März 2017 geeignet ist, eine traumatische
Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Ausweislich des vom Kläger im Rahmen des Verfahrens geschilderten Unfallhergangs
(Abrutschen auf einer Treppe und Festhalten mit der rechten Hand am Geländer) liegt ein grundsätzlich geeigneter Hergang für
eine Schädigung der Rotatorenmanschette vor. Dies hat der Sachverständige St in seinem Gutachten vom 6. Oktober 2020 unter
Bezugnahme auf die medizinische Literatur eingehend dargelegt. Die erforderliche pathologische Gewalteinwirkung auf das gespannte
Muskel-Sehnen-System des Schulterblattmuskels liegt vor. Erforderlich für eine traumatische Rotatorenmanschettenverletzung
ist eine erhebliche Zugbelastung auf die Schultersehnenklappe, wie z. B. bei einem Halteversuch beim Absturz von einem Gerüst.
Der vom Kläger geschilderte Hergang ist einem solchem im Grundsatz vergleichbar. Dennoch bestehen durchgreifende Zweifel am
Vorliegen einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur nach den zuerst erhobenen medizinischen und den bildgebenden Befunden,
dem Operationsbericht und dem histologischen Befund.
Nach der medizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, 9. Aufl. 2017, S. 429 ff.) ist für eine traumatische
Rotatorenmanschettenruptur typisch die sofortige Arbeitsniederlegung und eine sogenannte Pseudolähmung des Armes, d. h. der
verletzte Arm kann aktiv nur minimal angehoben werden. Der Kläger hat nach dem Unfallereignis vom 17. März 2017 jedoch zunächst
weitergearbeitet. Er hat erst am 23. März 2017 seine Hausärztin aufgesucht und erst im Anschluss einen Durchgangsarzt. Dieser
diagnostizierte ausweislich seines Berichts vom 24. März 2017 keine sogenannte Pseudolähmung des verletzten rechten Armes.
Vielmehr waren die Vorwärtshebung des rechten Armes mit 80 Grad, die Abduktion mit 40 Grad und die Retroversion ebenfalls
mit 40 Grad möglich. Damit liegt die erforderliche Pseudoparalyse nicht vor. Soweit M1 in seinem Gutachten vom 22. Mai 2018
anstelle der geforderten Pseudoparalyse andere erhebliche Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten Armes für ausreichend
hält und hierin ein Korrelat zur sogenannten Pseudoparalyse sieht, setzt er sich mit den konkret vom Durchgangsarzt festgestellten
Bewegungsausmaßen sieben Tage nach dem Unfallereignis nicht auseinander. Es erfolgt insoweit auch keine Auseinandersetzung
mit der medizinischen Literatur. Damit bestehen nach wie vor erhebliche Zweifel daran, ob der klinische Erstbefund mit einer
traumatischen Rotatorenmanschettenruptur in Einklang zu bringen ist.
Auch aus den bildgebenden Befunden, dem Operationsbericht und dem histologischen Befund ergeben sich hinreichende Zweifel
am Vorliegen einer traumatisch bedingten Ruptur der Rotatorenmanschette rechts. St beschreibt in seinem Gutachten vom Oktober
2020 zwar durchaus auch Gesichtspunkte, die für eine traumatische Ursache der Rotatorenmanschettenruptur sprechen, wie die
festgestellten ödematösen Veränderungen an der Subscapularissehne und die fehlende Verfettung in der Muskulatur der Supraspinatussehne
bzw. hinsichtlich des Operationsberichts die Möglichkeit, die rupturierte Rotatorenmanschette zu rekonstruieren. Das ist nur
möglich, wenn die Schädigung noch nicht etliche Jahre zurückliegt und noch keine wesentliche Schrumpfung der Sehnen besteht.
Es gibt jedoch auch erhebliche Gesichtspunkte, die gegen einen Unfallzusammenhang sprechen. Radiologischerseits sind dies
die festgestellten fehlenden ausgedehnten Einblutungen oder Flüssigkeitsansammlungen um die rupturierte Supraspinatussehne,
die fehlenden Begleitverletzungen, die bestehende Arthrose des Schultereckgelenks, die Veränderung an der Supraspinatussehne,
der Infraspinatussehne und der Subscapularissehne im Sinne einer Multizentrizität und die zystischen Degenerationen am knöchernen
Ansatz der Supraspinatussehne. Diese Feststellungen des Sachverständigen St befinden sich im Einklang mit den Ausführungen
des radiologischen Sachverständigen B in seinem Gutachten vom 13. Februar 2019. Darin führt dieser insbesondere aus, dass
gegen eine Traumagenese der Veränderungen die Beteiligung gleichzeitig aller wesentlichen Muskeln der Rotatorenmanschette
spricht. Dies ist für ein Trauma ungewöhnlich, jedoch häufig bei degenerativen Veränderungen der Sehnenansätze der Rotatorenmanschetten
anzutreffen. Soweit der Kläger hinsichtlich der Ausführungen des radiologischen Sachverständigen beanstandet, dass dieser
zu Beginn seines Gutachtens ausführt, dass die Bildqualität am unteren Ende der Normenjahre 2017 liege, wird nicht hinreichend
beachtet, dass der Sachverständige zugleich darlegt, dass diese zwar die Diagnostik erschwert, diese jedoch nicht unmöglich
macht. Soweit der radiologische Sachverständige am Ende seines Gutachtens darauf hinweist, dass er die Frage nach der hinreichenden
Wahrscheinlichkeit zwischen Unfallereignis und Ruptur der Rotatorenmanschette rechts aus seiner fachlichen Sicht nicht beantworten
könne, sondern dies der klinisch-unfallchirurgischen Begutachtung vorzubehalten sei, hat der Senat das insoweit erforderliche
neue Sachverständigengutachten von St eingeholt. Aus Sicht des Senats ist daher festzuhalten, dass hinsichtlich der radiologischen
Befunde insbesondere die festgestellten Multizentrizität der Veränderungen an verschiedenen Sehnen, die fehlenden Begleitverletzungen
und die fehlenden ausgedehnten Einblutungen um die rupturierte Supraspinatussehne erhebliche Gesichtspunkte darstellen, die
gegen einen Unfallzusammenhang sprechen.
Gegen einen Kausalzusammenhang spricht im Ergebnis auch der intraoperative Befund. St führt in seinem Gutachten vom 6. Oktober
2020 insoweit aus, dass die vom Operateur beschriebene Enge des Subacromialraumes ein disponierender Faktor für Schädigungen
der Rotatorenmanschette darstellt. Soweit die Rekonstruktionsmöglichkeit der rupturierten Rotatorenmanschette als Aspekt für
einen Unfallzusammenhang anzusehen ist, kommt dem bereits deshalb keine überragende Bedeutung zu, weil St zugleich ausführt,
dass eine solche Möglichkeit auch bei degenerativen Veränderungen bestehen kann, wenn sie noch nicht zu lange zurückliegen.
Der histologische Untersuchungsbefund spricht nach den Darlegungen von St gegen eine traumatische Verursachung der Rotatorenmanschettenruptur.
Denn es werden überwiegend ältere Veränderungen und Vernarbungen beschrieben. Soweit M1 in seinem Gutachten vom 22. Mai 2018
die fehlende Atrophie der Supraspinatusmuskulatur als Zeichen für eine kürzliche ansatznahe Zusammenhangstrennung wertet,
hat dem St nachvollziehbar entgegen gehalten, dass dieser Befund deshalb nicht überbewertet werden darf, weil es nur dann
zur Verschmächtigung der Muskulatur kommt, wenn eine länger vorbestehende komplette Durchtrennung der Supraspinatussehne vorgelegen
hat. Es ist nachvollziehbar, wenn der Sachverständige ausführt, dass der Nachweis einer Verschmächtigung der Supraspinatusmuskulatur
stets gegen einen Unfallzusammenhang angeführt werden kann, eine Umkehrung des Satzes jedoch nicht möglich ist, da eine Verschmächtigung
der Muskulatur dann nicht auftritt, wenn noch einzelne Fasern der Supraspinatussehne vorhanden sind.
Damit bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Rotatorenmanschettenruptur rechts im Fall des Klägers schicksalhafter
Natur ist. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 17. März 2017 kann daher nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit
festgestellt werden. Es verbleibt daher bei der durch Bescheid vom 24. Juli 2017 durch die Beklagte festgestellten Unfallfolge
einer Zerrung des rechten Schultergelenks.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.