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BAG, Urteil vom 31.01.2019 - 2 AZR 426/18
Verdacht einer Pflichtverletzung als personenbedingter Kündigungsgrund Strenge Anforderungen an eine ordentliche Verdachtskündigung Verwirkung des Kündigungsrechts bei längerem Zuwarten des Arbeitgebers mit dem Ausspruch der Verdachtskündigung Einsichtnahme des Arbeitgebers in die auf einem Dienstrechner gespeicherten und nicht als privat gekennzeichneten Dateien des Arbeitnehmers
1. Der dringende Verdacht einer Pflichtverletzung kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen.
2. Die Einsichtnahme in auf einem Dienstrechner des Arbeitnehmers gespeicherte und nicht als "privat" gekennzeichnete Dateien setzt nicht zwingend einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung voraus.
Orientierungssätze:
1. Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die "Tat" begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen. Der durch den Verdacht bewirkte Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit kann einen Eignungsmangel begründen (Rn. 20 f.).
2. Eine ordentliche Verdachtskündigung ist nur dann durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers "bedingt", wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte (Rn. 29).
3. Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht keine starre Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber das Recht zur ordentlichen Verdachtskündigung ausüben müsste. Allerdings kann ein längeres Zuwarten zu der Annahme berechtigen, die Kündigung sei nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens "bedingt" (Rn. 30). Daneben kommt eine Verwirkung des Kündigungsrechts nach § 242 BGB in Betracht (Rn. 81).
4. Weniger intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen können nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts - zumal einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung - zulässig sein. So kann es liegen, wenn der Arbeitgeber aus einem nicht willkürlichen Anlass prüfen möchte, ob der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten vorsätzlich verletzt hat, und er - der Arbeitgeber - dazu auf einem Dienstrechner gespeicherte Dateien einsieht, die nicht als "privat" gekennzeichnet sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahme offen erfolgt und der Arbeitnehmer zuvor darauf hingewiesen worden ist, welche Gründe eine Einsichtnahme in - vermeintlich - dienstliche Dateien erfordern können und dass er Dateien durch eine Kennzeichnung als "privat" von einer Einsichtnahme ohne "qualifizierten" Anlass ausschließen kann (Rn. 54).
Fundstellen: AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 38, ArbRB 2019, 200, AuR 2019, 386, BAGE 165, 255, BB 2019, 1395, EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 7, EzA-SD 2019, 3, MDR 2019, 1262, NZA 2019, 893, NZA-RR 2019, 456, NZA-RR 2020, 450
Normenkette:
GG Art. 12 Abs. 1
,
EMRK Art. 6 Abs. 2
,
GRC Art. 7
,
KSchG § 1 Abs. 2
,
KSchG § 6 S. 1
,
BGB § 241
,
BGB § 242
,
BGB § 622
,
BGB § 626
,
BDSG in der bis zum 24.05.2018 geltenden Fassung (BDSG a.F.) § 32 Abs. 1
,
BetrVG § 102
,
ZPO § 138
,
ZPO § 286
,
ZPO § 551
,
ZPO § 554
,
ZPO § 559
,
ZPO § 564
, ,
MTV für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden § 4.5.2
Vorinstanzen: LAG Baden-Württemberg 06.06.2018 21 Sa 48/17 , ArbG Stuttgart 31.07.2017 24 Ca 2/17
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. Juni 2018 - 21 Sa 48/17 - wird zurückgewiesen.
2. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. Juni 2018 - 21 Sa 48/17 - wird als unzulässig verworfen.
3. Der Kläger hat 70 % und die Beklagte 30 % der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!

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