Beihilfeanspruch für Heimunterbringung eines erwachsenen Kindes
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Beihilfe zu den Kosten der dauernden Anstaltsunterbringung
ihres behinderten, volljährigen Sohnes für den Zeitraum vom 1. Juni 1991 bis zum 31. Dezember 1992 zusteht.
Die Klägerin ist langjährig bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der
Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und der Tarifvertrag über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen an Angestellte, Lehrlinge
und Anlernlinge des Bundes vom 15. Juni 1959, geändert durch Ergänzungstarifvertrag Nr. 1 vom 26. Mai 1964, Anwendung. Durch
§ 1 Nr. 21 des 66. Tarifvertrages zur Änderung des BAT vom 24. April 1991 (66. Änd.-TV) erhielt § 40 Satz 2 BAT mit Wirkung vom 1. April 1991 folgende Fassung:
"Aufwendungen im Sinne des § 9 der Beihilfevorschriften (Bund) sind nicht beihilfefähig."
Der 66. Änd.-TV enthält in § 2 folgende Übergangsvorschrift (fortan: Übergangsvorschrift):
"(1) Innerhalb des über den 31. März 1991 hinaus fortbestehenden Arbeitsverhältnisses ...
c) bleiben Aufwendungen im Sinne des § 40 Satz 2 BAT bis zum 31. Dezember 1992 weiter beihilfefähig,wenn für solche Aufwendungen für dieselbe Person vor dem 1. April 1991 Beihilfe
zu gewähren war;..."
§ 5 Abs. 4 Beihilfeverordnung (fortan: BhV) lautet:
"Nicht beihilfefähig sind
1. Sach- und Dienstleistungen ...
Dies gilt nicht für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, wenn Ansprüche auf den Sozialhilfeträger übergeleitet sind."
Der im Jahr 1962 geborene Sohn der Klägerin ist behindert und pflegebedürftig. Er ist seit 1980 in der Krankenanstalt H untergebracht.
Die Kosten der Unterbringung des Sohnes werden wegen dessen Vermögenslosigkeit vom Landeswohlfahrtsverband (fortan: LWV) als
überörtlichem Träger der Sozialhilfe erbracht. Der LWV informierte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 1980 von der Sozialhilfegewährung.
Seit 1981 wandte sich der LWV in der Regel jährlich zweimal an die Klägerin, zuletzt mit den Schreiben vom 23. März 1992,
14. August 1992 und 29. April 1993 und forderte sie unter Beifügung der entsprechenden Pflegekostenaufstellung auf, Beihilfe
für die Unterbringung ihres Sohnes zu beantragen. Die Klägerin stellte jeweils einen entsprechenden Beihilfeantrag, so am
27. März 1992 für die Pflegekosten vom 1. Juni 1991 bis 30. November 1991, am 1. September 1992 für den Zeitraum vom 1. Dezember
1991 bis 30. Juni 1992 und zuletzt am 13. Mai 1993 für den Zeitraum vom 1. Juni 1992 bis 31. Dezember 1992.
Die Beklagte leistete Beihilfe bis zum 31. Mai 1991. Für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis zum 31. Dezember 1992 lehnte die Beklagte
die Zahlung von Beihilfe mit der Begründung ab, die Klägerin sei vom LWV nicht zur Erstattung der Kosten herangezogen worden.
Mit den Schreiben vom 28. September 1992 und vom 30. November 1993 leitete der LWV den Unterhaltsanspruch des Sohnes gegen
die Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juni 1991 bis 31. Dezember 1992 in Höhe der jeweiligen Unterbringungskosten des Sohnes
auf sich über. Für diesen Zeitraum verlangt die Klägerin vorliegend von der Beklagten die Zahlung von Beihilfe für ihren Sohn
in unstreitiger Höhe von 113.008,68 DM.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der LWV habe sich mit der Überleitung des Unterhaltsanspruches ihres Sohnes gegen
sie eine Rechtsgrundlage verschafft, aufgrund derer sie auf Zahlung in Anspruch genommen werden könne. Die jährlich zweimaligen
Aufforderungen des LWV ihr gegenüber, Beihilfe zu beantragen, hätten deutlich gemacht, daß der LWV zumindest teilweise die
entstandenen Unterbringungskosten nicht habe tragen wollen. Deswegen sei sie bereits vor Überleitung des Unterhaltsanspruches
ihres Sohnes verpflichtet gewesen, ihr gewährte Beihilfe an den LWV weiterzuleiten. Da die Beklagte langjährig ohne jede Beanstandung
Beihilfe gewährt habe, habe sie den Beihilfeanspruch für die Unterbringungskosten des Sohnes der Klägerin anerkannt, zumindest
aber einen Vertrauenstatbestand geschaffen, woraus die Verpflichtung erwachse, auch über den 31. Mai 1991 hinaus entsprechende
Beihilfe zu gewähren.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 113.008,64 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 11. Oktober 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe gegen die Beklagte für die
Zeit vom 1. Juni 1991 bis zum 31. Dezember 1992 keinen Anspruch auf Beihilfe für die Unterbringungskosten ihres Sohnes, da
auch für die Zeit vor dem 1. Juni 1991 dieser Beihilfeanspruch nicht bestanden habe. Die vom LWV an den behinderten Sohn der
Klägerin erbrachten Leistungen seien Sach- und Dienstleistungen im Sinne von § 5 Abs. 4 BhV und deshalb nicht beihilfefähig.
Da eine Überleitung von Ansprüchen auf den LWV für die Zeit vor dem 1. Juni 1991 zu keinem Zeitpunkt stattgefunden habe, sei
für die Unterbringungskosten des behinderten Sohnes der Klägerin vor dem 1. April 1991 keine Beihilfe im Sinne von § 2 Abs.
1 Buchst. c Übergangsvorschrift zu gewähren gewesen. Ohne Bedeutung sei eine irrtümliche tatsächliche Gewährung von Beihilfe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts
zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des eingeklagten Betrages an die Klägerin.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe für den Zeitraum vom 1. Juni 1991 bis zum 31. Dezember 1992
keinen Anspruch auf Beihilfe zu den Kosten der Anstaltsunterbringung ihres behinderten Sohnes. Nach § 40 Satz 2 BAT in der Fassung des 66. Änd.-TV seien seit dem 1. April 1991 Aufwendungen im Sinne von § 9 BhV nicht mehr beihilfefähig. Die
Voraussetzungen der Übergangsvorschrift seien nicht gegeben. Die vom LWV gegenüber dem Sohn der Klägerin erbrachten Leistungen
seien Sachleistungen, da dem Beihilfeberechtigten oder seinem beihilfeberücksichtigungsfähigen Familienangehörigen die medizinische
Leistung als solche zur Verfügung gestellt werde, ohne daß ihm eigene Aufwendungen hierfür entstünden. Da eine Überleitung
von Ansprüchen für die Zeit vor dem 1. Juni 1991 durch den LWV nicht vorgelegen habe, seien von der Beklagten nach § 2 Abs. 1 Buchst. c Übergangsvorschrift zu § 40 Satz 2 BAT auch keine Beihilfe zu gewähren gewesen. Ohne Bedeutung sei es, daß die Beklagte vor dem 1. April 1991 jahrelang tatsächlich
Beihilfe für diese Leistungen gewährt habe.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts haben revisionsrechtlich keinen Bestand.
II. Der Beihilfeanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist in der unstreitigen Höhe von 113.008,64 DM nebst Zinsanspruch
für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis zum 31. Dezember 1992 für entstandene Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung der dauernden
Anstaltsunterbringung des Sohnes der Klägerin begründet.
1. Nach § 40
BAT werden für die Gewährung von Beihilfen im Krankheitsfall die bei dem Arbeitgeber jeweils geltenden Bestimmungen angewendet.
Zwar sind nach § 40 Satz 2 BAT in der Fassung des 66. Änd.-TV seit 1. April 1991 Aufwendungen im Sinne des § 9 BhV nicht mehr beihilfefähig. Diese Neuregelung
gilt im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nach § 2 Abs. 1 Buchst. c Übergangsvorschrift besteht die Beihilfefähigkeit bis zum
31. Dezember 1992 weiter, wenn für solche Aufwendungen für dieselbe Person vor dem 1. April 1991 Beihilfe zu gewähren war.
Dies war vorliegend der Fall.
a) Nach § 9 Abs. 1 BhV sind aus Anlaß einer wegen Pflegebedürftigkeit notwendigen dauernden Unterbringung körperlich oder
geistig Kranker in Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten sowie Pflegeheimen neben anderen beihilfefähigen Aufwendungen abweichend
von § 6 Abs. 1 Nr. 6 BhV die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bis zum niedrigsten Satz in den für die Unterbringung in
Betracht kommenden öffentlichen oder freien gemeinnützigen Anstalten oder Pflegeheimen am Ort der Unterbringung oder in seiner
nächsten Umgebung insoweit beihilfefähig, als sie monatlich bestimmte Beträge übersteigen. Zwischen den Parteien ist unstreitig,
daß diese Voraussetzungen bei der Unterbringung des Sohnes der Klägerin gegeben sind und es sich bei dem Sohn der beihilfeberechtigten
Klägerin um einen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV berücksichtigungsfähigen Angehörigen handelt.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts entfällt der Beihilfeanspruch nicht nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 Satz 1 BhV.
Bei der Unterbringung handelt es sich um keine Sachleistung des LWV an den Sohn der Klägerin. Eine Sachleistung liegt vor,
wenn dem Beihilfeberechtigten oder seinem beihilfeberücksichtigungsfähigen Familienangehörigen die medizinische Leistung als
solche zur Verfügung gestellt wird, ohne daß ihm hierfür eigene Aufwendungen entstehen. Die Beihilfefähigkeit setzt somit
grundsätzlich voraus, daß der Berechtigte zum Erhalt der medizinischen Leistung etwas aus seinem Vermögen aufwenden muß oder
aufgewendet hat, ihm also eine finanzielle Belastung erwächst, die bestimmungsgemäß Beihilfe durch den Arbeitgeber erfährt.
Stellt der Sozialhilfeträger die ihm entstandenen Kosten dem Angestellten ganz oder teilweise in Rechnung, so ist die Rechtslage
in Höhe der geltend gemachten Aufwendungen nicht anders zu beurteilen, als hätte der Angestellte unmittelbar die Rechnung
von dem die medizinische Leistung Erbringenden erhalten (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 1993 - 6 AZR 685/92 - AP Nr. 2 zu Nr. 1 Beihilfevorschriften, zu II 1 e der Gründe und BVerwG Urteil vom 25. Juni 1992 - 2 C 12. 90 -, nicht
veröffentlicht). Dadurch, daß der LWV die Klägerin jährlich zweimal, zuletzt mit den Schreiben vom 23. März 1992, 14. August
1992 und 29. April 1993 unter Beifügung der entsprechenden Pflegekostenaufstellungen in Anspruch nahm und sie aufforderte,
Beihilfe für die Unterbringung ihres Sohnes zu beantragen, ist der Sachleistungscharakter der vom LWV erbrachten Aufwendungen
für die Unterbringung des Sohnes entfallen (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 1993, aaO.).
c) Die beihilfefähigen Aufwendungen für Unterbringung und Verpflegung des Sohnes sind der Klägerin für den Zeitraum vom 1.
Juni 1991 bis 31. Dezember 1992 entstanden. Das Landesarbeitsgericht hat die Schreiben des LWV vom 28. September 1992 und
vom 30. November 1993 dahingehend ausgelegt, daß der LWV die Aufwendungen an Unterbringungskosten für den Sohn der Klägerin
für diesen Zeitraum auf sich übergeleitet hat. Diese Auslegung durch das Landesarbeitsgericht ist rechtlich möglich und damit
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie wird auch von der Revision nicht angegriffen.
2. Der Klägerin war von der Beklagten Beihilfe für die bei ihr entstandenen Aufwendungen für die Zeit vor dem 1. April 1991
nach § 2 Abs. 1 Buchst. c Übergangsvorschrift zu gewähren. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
a) Für diesen Zeitraum kommt es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nur darauf an, daß ein Beihilfeanspruch
der Klägerin besteht, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Nicht entscheidend ist, daß eine Überleitung des Beihilfeanspruchs
der Klägerin auf den LWV für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz nach § 90
BSHG für die Zeit vor dem 1. April 1991 vorliegt. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck von § 2 Abs. 1 Buchst. c Übergangsvorschrift
fordern dies.
Da der LWV als Sozialhilfeträger im vorliegenden Fall den Beihilfeanspruch weder nach § 90
BSHG auf sich übergeleitet hat, noch der LWV sich den Beihilfeanspruch der Klägerin hat abtreten lassen, war nach § 2 BhV allein
die Klägerin beihilfeberechtigt. Ihre Beihilfeberechtigung erstreckte sich nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV auch auf die Aufwendungen
für selbst nicht beihilfefähige Kinder. Diese Aufwendungen sind in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die sie begründende Leistung
erbracht wird (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BhV). Da diese beihilfefähigen Aufwendungen trotz der Vorleistung des Sozialhilfeträgers
nach §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 28
BSHG rechtlich Aufwendungen der unterhaltspflichtigen Klägerin sind (vgl. BAGE 37, 361 = AP Nr. 1 zu Nr. 1 Beihilfevorschriften; BVerwG Urteil vom 22. Oktober 1976 - VI C 55. 72 - DÖD 1977, 63), konnte sie als Beihilfeberechtigte den Beihilfeantrag aber erst stellen, als ihr gegenüber die Rechnung für die Aufwendungen
vom Sozialhilfeträger ausgestellt wurde. Mit der Mitteilung des LWV über die Höhe der Aufwendungen waren die Voraussetzungen
zur Geltendmachung des Beihilfeanspruchs durch die Beihilfeberechtigte in vollem Umfang gegeben und von der Beklagten im Sinne
von § 2 Abs. 1 Buchst. c Übergangsvorschrift zu gewähren.
b) Im übrigen würde die Berufung der Beklagten auf das Fehlen der Überleitung für die Zeit vor dem 1. Juni 1991 sich als widersprüchliches
Verhalten darstellen und damit rechtlich unbeachtlich sein.
Der LWV informierte die Klägerin erstmalig mit Schreiben vom 18. Juni 1980 von der Sozialhilfegewährung. Seit 1981 wandte
sich der LWV in der Regel zweimal jährlich an die Klägerin und forderte sie auf, unter Beifügung der entsprechenden Pflegekostenaufstellung
Beihilfe für die Unterbringung ihres Sohnes zu beantragen. Die Klägerin stellte auch entsprechend den Kostenmitteilungen einen
entsprechenden Beihilfeantrag. Daraufhin zahlte die Beklagte auch bis zum 31. Mai 1991 Beihilfe nach Maßgabe der jeweiligen
Kostenzusammenstellungen des LWV. Bei dieser Sachlage kann sich die Beklagte nicht auf die fehlende Überleitung berufen. Denn
wer über 10 Jahre lang Beihilfe regelmäßig trotz fehlender Überleitung leistet, schafft einen Vertrauensschutztatbestand beim
Beihilfeberechtigten dahingehend, er werde sich ohne entsprechende Vorankündigung auch in Zukunft nicht auf die fehlende Überleitung
berufen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
91 Abs.
1
ZPO.