Arbeitnehmerüberlassung - Jugendhilfe nach dem SGB VIII
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zustandegekommen
ist.
Die Klägerin war seit dem 8. Dezember 1986 aufgrund von insgesamt 12 befristeten Arbeitsverträgen als Familienhelferin bei
der A. (im folgenden: A.) angestellt. Die befristeten Verträge bestanden zum Teil nebeneinander; die wöchentliche Arbeitszeit
variierte zwischen 7 und 20 Stunden. Die Arbeitsverträge wurden für die Dauer der Durchführung einer vorher vom Jugendamt
der beklagten Stadt bewilligten Maßnahme zur sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31
SGB VIII abgeschlossen. Die Klägerin wurde jeweils in einer bestimmten (sozial schwachen) Familie eingesetzt, die aufgrund unterschiedlicher
erzieherischer Defizitsituationen von der Beklagten ambulante erzieherische Hilfe nach dem SGB VIII beanspruchen konnte.
Die Beklagte selbst beschäftigt keine Familienhelfer. Den Einsätzen der Klägerin bei der Beklagten liegt ein sog. "Kooperationskonzept"
vom 21. Januar 1983 zugrunde, in dem sich die A. gegenüber der beklagten Stadt bereit erklärte, ''die vom Jugendamt vorgeschlagenen
Familienhelfer mit entsprechend befristeten Arbeitsverträgen - bezogen auf den jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung
einer vorzeitigen Auflösungsklausel, wenn die Maßnahme oder der Familienhelfer sich nicht eignen - zu beschäftigen". Die A.
erklärte sich ferner bereit, ''durch eine Arbeitsanweisung für die betroffenen Familienhelfer sicher(zu)stellen, daß eine
Weisungsgebundenheit gegenüber dem für die Maßnahme zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes besteht". Für den tatsächlich
geleisteten Einsatz des Familienhelfers berechnet die A. einen mit der beklagten Stadt ausgehandelten Stundensatz.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie stehe in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Allen Beteiligten
sei von Anfang an klar gewesen, daß sie nur für die Beklagte tätig werden solle, die mit der Beschäftigung von Familienhelfern
der A. und anderer freier Träger einen Dauerbedarf an entsprechenden Arbeitskräften abdecke. Sie habe sich direkt bei der
Beklagten auf eine Zeitungsanzeige des Jugendamtes hin beworben. Die A. habe den Arbeitsvertrag mit ihr gleichsam im Auftrag
der Beklagten abgeschlossen und sei lediglich im Vertrag als Arbeitgeber erschienen. Alle Arbeitgeberfunktionen seien hingegen
von der Beklagten ausgeübt worden, in deren Betrieb sie auch voll integriert gewesen sei. Die Beklagte habe ihr gegenüber
das Direktionsrecht ausgeübt. Ein Sozialhelfer des Jugendamtes habe den zeitlichen und örtlichen Einsatz, die Art und Dauer
der Tätigkeit sowie die Arbeitsabläufe bestimmt. Krankmeldungen seien an die Beklagte erfolgt, die auch über ihre Urlaubswünsche
entschieden habe. Sie habe sich an einer Supervisionsgruppe beteiligen müssen sowie die Weisung und Genehmigung erhalten,
zur optimalen Betreuung der betroffenen Familien ihr privates Telefon auch dienstlich zu benutzen. Nach den tatsächlichen
Umständen liege daher eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vor.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht, in dem die Klägerin als sozialpädagogische
Familienhelferin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt wird.
Die beklagte Stadt hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin die Zurückweisung der
Revision beantragt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Klägerin stehe aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in einem
Arbeitsverhältnis zur beklagten Stadt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die A. habe die Klägerin im
Sinne des Art. 1 §
1 Abs. 2
AÜG der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen. Die Durchführung der Jugendhilfe sei eine originäre Aufgabe der Beklagten;
innerhalb deren Organisation erbringe die Klägerin ihre Arbeitsleistung und sei daher in deren Betrieb eingegliedert. Da die
Überlassungsdauer den in Art. 1 §
1 Abs. 2
AÜG bestimmten Zeitraum von neun Monaten überschritten habe, werde vermutet, daß der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibe.
Zwar sei diese Vermutung im Falle der hier vorliegenden nicht gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung widerlegbar; diese Widerlegung
sei der Beklagten indessen nicht gelungen. Dies führe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Senatsurteil
vom 26. April 1995 - 7 AZR 850/94 - BAGE 80, 46 = AP Nr. 19 zu §
1
AÜG, m.w.N.) wegen §
13
AÜG zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem entliehenen Arbeitnehmer und dem Entleiher.
II. Diese Würdigung hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
findet das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf den Streitfall keine Anwendung. Das Zusammenwirken von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe ist im SGB VIII spezialgesetzlich geregelt. Auf der Grundlage dieser Regelung vollzog sich im Entscheidungsfall die Zusammenarbeit zwischen
der beklagten Stadt, der A. und den eingesetzten Familienhelfern.
1. Gemäß § 3 Abs. 1
SGB VIII ist die Jugendhilfe durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden
und Arbeitsformen gekennzeichnet. Gemäß § 3 Abs. 2
SGB VIII werden die Leistungen der Jugendhilfe von freien und öffentlichen Trägern erbracht; zur Leistung verpflichtet sind nur die
Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Gemäß § 4
SGB VIII soll die öffentliche Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien partnerschaftlich
zusammenarbeiten. Sie hat aber die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe zu achten und von eigenen Maßnahmen abzusehen, soweit
geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder
rechtzeitig geschaffen werden können; die öffentliche Jugendhilfe soll die freie Jugendhilfe im Rahmen des Gesetzes fördern
und dabei die verschiedenen Formen der Selbsthilfe stärken. Nach § 79 Abs. 1
SGB VIII obliegt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe.
2. Diese gesetzlichen Vorgaben für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe (vgl.
dazu auch BVerfGE 22, 180) erlauben und erfordern es, daß der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Erfüllung der ihm obliegenden Leistungsverpflichtung
(hier der Hilfe zur Erziehung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. §§ 27 ff. SGB VIII) einen freien Träger einschaltet, der aufgrund einer besonderen Vereinbarung die Jugendhilfemaßnahme als eigene Aufgabe durchführt.
Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe verbleibt insoweit die Fachaufsicht.
Die sich daraus ergebende Wahrnehmung einzelner Funktionen durch den öffentlichen Träger gegenüber den Familienhelfern, die
regelmäßig einem Arbeitgeber, nicht aber einem Dritten zustehen, beruht damit auf der spezialgesetzlichen Regelung des SGB VIII. Sie ist nicht an den allgemeinen Vorschriften des
AÜG zu messen.
3. Eine Anwendung des
AÜG auf den Entscheidungsfall hätte allenfalls dann in Betracht kommen können, wenn es sich bei der Einschaltung der A. durch
die beklagte Stadt nicht mehr um das im SGB VIII geregelte Zusammenwirken von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe handeln würde. Dies hätte insbesondere dann
der Fall sein können, wenn die Beklagte über Maßnahmen der Fachaufsicht hinaus das alleinige Weisungsrecht ausgeübt, den Arbeitnehmer
auch mit Arbeiten außerhalb der von seinem Vertragsarbeitgeber übernommenen Jugendhilfemaßnahme beauftragt und sich dieser
auf eine Funktion als bloße Abrechnungsstelle zurückgezogen hätte. Hierfür liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.
a) Aufgrund seiner in § 79
SGB VIII bestimmten Gesamtverantwortung auch für die Leistungserbringung durch freie Träger der Jugendhilfe, muß der öffentliche Träger
die laufende Tätigkeit des freien Trägers auf ihre Gesetzeskonformität hin überwachen (vgl. z.B. Hauck, SGB VIII, § 79 Rdn. 6). Es widerspricht daher nicht der Konzeption des SGB VIII, daß der öffentliche Träger zur Gewährleistung einer gesetzeskonformen Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen durch einen
freien Träger dessen Personal die dafür erforderlichen Weisungen erteilt. Daher durfte in dem sog. "Kooperationskonzept" vom
21. Januar 1983 vorgesehen und auch arbeitsvertraglich umgesetzt werden, daß der Arbeitnehmer verpflichtet ist, Weisungen
dieses Inhalts durch den öffentlichen Träger zu beachten. Es ist nicht erkennbar, daß der beklagten Stadt weitergehende Weisungsrechte
als dem SGB VIII zulässig eingeräumt worden wären.
b) Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht festgestellt, daß die beklagte Stadt ein umfassendes Weisungsrecht tatsächlich
ausgeübt hätte. Es hat vielmehr festgestellt, der Arbeitseinsatz der Klägerin werde nach Ort, Zeit und konkreter Aufgabenstellung
durch den Bedarf bzw. die aktuellen Defizite der jeweils zu betreuenden Familie bestimmt. Es hat zwar weiter festgestellt,
daß die Beklagte Arbeitsunfähigkeitsmeldungen entgegennimmt und Urlaub erteilt. Jedoch erkennt es selbst die sachliche Notwendigkeit,
daß das Jugendamt zur organisatorischen Sicherstellung der Hilfe für die betroffene Familie von krankheitsbedingten Ausfallzeiten
der Klägerin erfährt und daß die Urlaubswünsche der Klägerin mit dem Jugendamt abgestimmt werden.
c) Das Landesarbeitsgericht spricht zwar von einem ''Bewußtsein des Jugendamtes", autonom und selbständig die praktische Durchführung
der Familienhelfertätigkeit bestimmen zu können. Auf dieses Bewußtsein schließt das Landesarbeitsgericht unter anderem aus
der Zeitungsanzeige des Jugendamtes, auf die sich die Klägerin beworben hatte, und aus der Klägerin vom Jugendamt erteilten
Zeugnissen. Abgesehen von der fehlenden rechtlichen Relevanz eines derartigen "Bewußtseins" kann indessen auch aus den angeführten
Verhaltensweisen des Jugendamtes nicht auf die Inanspruchnahme eines umfassenden Weisungsrechts geschlossen werden.
Es mag sein, daß Angehörige des Jugendamtes in Einzelfällen ihre Befugnisse nach dem SGB VIII überschritten haben. Ein solches Fehlverhalten müßte mit den Mitteln des SGB VIII korrigiert werden; es ergibt sich daraus aber nicht, daß sich die Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und der A. nicht
mehr auf der Grundlage des SGB VIII vollzogen hätte und damit am
AÜG zu messen wäre.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
91
ZPO.