Tatbestandsmerkmals der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten
Tatbestand
Das Amtsgericht sprach den Angeklagten mit Urteil am 13.4.2000 vom Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht frei.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht mit Urteil vom 6.11.2000 als unbegründet.
Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Die Verwerfung der gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts vom 13.4.2000 gerichteten Berufung der Staatsanwaltschaft
durch das Urteil des Landgerichts vom 6.11.2000 hält rechtlicher Überprüfung stand.
1. Bei dem Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (§
170
StGB) wird das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal der Leistungsfähigkeit nicht schon durch die Feststellung erfüllt, der vermögens-
und einkommenslose, arbeitsfähige Angeklagte habe sich pflichtwidrig nicht beim Arbeitsamt als arbeitslos angemeldet.
Wie bei jedem Unterlassungsdelikt ist eine zweite Kausalitätsprüfung vorzunehmen, d. h. im Falle der Unterhaltspflichtverletzung
muss festgestellt werden können, dass pflichtgemäßes Verhalten des Angeklagten, nämlich Anmeldung seiner Arbeitslosigkeit
beim Arbeitsamt, zur - wenigstens teilweisen - Leistungsfähigkeit geführt hätte.
2. Diesen Erfordernissen wird das Urteil des Landgerichts gerecht. Nach den insofern getroffenen Feststellungen konnte allerdings
der Nachweis nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit erbracht werden, dass dem Angeklagten erfolgreich eine
Arbeitsstelle mit ausreichendem Einkommen hätte vermittelt werden können, das zur - zumindest teilweisen - Zahlung des Unterhalts
ausgereicht hätte. Denn es ist nicht ausschließbar, dass die für den Angeklagten wegen seiner Langzeitarbeitslosigkeit aus
verschiedenen, vom Landgericht im einzelnen festgestellten Gründen lediglich eingeschränkt in Frage kommenden Stellen an andere,
geeignetere Bewerber vermittelt worden wären.
3. Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass die Benennung eines bestimmten Arbeitsplatzes, den der Angeklagte durch
Vermittlung des Arbeitsamtes hätte bekommen können, im nachhinein nicht möglich ist. Insoweit können lediglich hypothetische
Betrachtungen herangezogen werden, aus denen sich ohne vernünftige Zweifel ergeben muss, dass der Angeklagte einen durchgehenden
Verdienst hätte erzielen können.
Ob die Aussage der Zeugin hierzu ausreicht, ist die hier maßgebliche Frage; es spricht einiges dafür, dass weitere Aufklärung
in Bezug auf die offenen Stellen und deren Vergabe nötig gewesen wäre, wobei beispielsweise bei den damals in Frage kommenden
Unternehmen nachgefragt hätte werden können. Eine Aufklärungsrüge wurde jedoch nicht erhoben.
Da der Angeklagte selbst nicht zur Aufklärung oder Mithilfe verpflichtet ist, wirkt sich diese Beweisnot zu seinen Gunsten
aus. Auch wenn er absichtlich eine Arbeitslosmeldung nicht abgab und damit gleichzeitig jede Möglichkeit auf Vermittlung einer
Arbeitsstelle durch das Arbeitsamt ausschloss, kann seine Leistungsfähigkeit auch für den Fall des Nachweises zumutbarer Stellenangebote
mit ausreichenden Vergütungen erst dann bewiesen werden, wenn zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht,
dass der Angeklagte in eine solche Stelle vermittelbar gewesen wäre. Denn die Beweisregel des ersten Anscheins (prima facie)
ist im Strafprozess nicht anwendbar; die Tatsache der absichtlich unterlassenen Meldung als Arbeitsloser kann lediglich als
Beweisanzeichen (Indiz) herangezogen werden (§
267 Abs.
1 Satz 2
StPO). Die innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Beurteilungsrahmens liegende Bewertung einer solchen Indiztatsache ist jedoch
vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, auch wenn im Zusammenspiel mit anderen Indiztatsachen, wie
beispielsweise der Erfolgsquote der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen, eine zum entgegengesetzten Ergebnis führende Würdigung
ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre.