Heimunterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung
Gründe:
I. Der 1949 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit seiner Geburt körperlich und mental behindert. Ihm ist
vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von 60 v.H. bescheinigt worden. Seine Defizite sind nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) augenfällig, er ist jedoch nicht hilflos (Merkzeichen: "H") oder pflegebedürftig i.S. von §
15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB XI).
Der Kläger lebt mindestens seit 1991 in einer betreuten Wohngruppe, die der vollstationären Unterbringung volljähriger Menschen
mit Behinderungen dient und ein Heim i.S. des §
1 des Heimgesetzes (
HeimG) ist. Aufgenommen werden Menschen mit geistiger und mit geistiger und mehrfacher Behinderung.
Der Leistungsplan des Heimes bietet direkte und indirekte Leistungen, deren Zielsetzung in Anlehnung an die §§ 39, 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bestimmt ist. Die Kosten werden als Eingliederungshilfe gemäß § 39 BSHG vom Landessozialamt getragen. Das Betreuungsgeld betrug im Streitjahr 1997 entsprechend der Pflegesatzvereinbarung zwischen
Sozialamt und dem Träger des Heimes (ohne zusätzlichen Barbetrag und Taschengeld für die Bewohner) monatlich 4 781,90 DM.
Der Heimträger erstellt über den Kläger regelmäßig mehrseitige Folgeberichte für das Landesamt für Rehabilitation. Die Notwendigkeit
der Betreuung des Klägers in der Wohngruppe ist durch --undatiertes-- ärztliches Zeugnis bescheinigt worden.
Während alle anderen Mitbewohner in einer beschützenden Werkstatt tätig sind, ist der Kläger seit etwa 30 Jahren als Abpacker
beschäftigt. Nachdem er zunächst 20 Jahre in Vollzeit gearbeitet hatte, wurde seine Arbeitszeit vor ca. 10 Jahren infolge
ärztlichen Verlangens auf halbschichtige Tätigkeit reduziert.
Der Nettoarbeitslohn des Klägers wird vom Sozialamt vollständig zur Bezahlung der Heimkosten eingesetzt; im Streitjahr waren
dies 11 792,55 DM. Darüber hinaus hat das Sozialamt eine seit 1. Oktober 1995 bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers
--im Streitjahr 17 389 DM-- auf sich übergeleitet. Der Kläger erhält --wie andere Mitbewohner auch-- vom Heimträger ein Taschengeld
und einen zusätzlichen Barbetrag von monatlich 225,75 DM (= 2 709 DM im Jahr).
Im Einkommensteuerbescheid 1997 gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) einen Behindertenpauschbetrag
nach §
33b Abs.
3 des Einkommensteuergesetzes (
EStG) in Höhe von 1 410 DM. Der Kläger beantragte im Einspruchsverfahren, zusätzlich 17 182 DM als außergewöhnliche Belastung
zu berücksichtigen. Diesen Betrag errechnete er, indem er von der Summe des an das Landessozialamt überwiesenen Betrages --Nettoarbeitslohn
11 792,55 DM zuzüglich Rente 17 389 DM = 29 181,55 DM-- eine Haushaltsersparnis von 12 000 DM abzog. Der Kläger legte eine
vom Landessozialamt unter dem 11. Februar 1999 erstellte "Bescheinigung zur Vorlage beim Finanzamt" vor, in der es heißt,
dass er "die Voraussetzung gemäß § 14 SGB" erfülle und einen Teil der Heimkosten selbst trage. Der Einspruch blieb erfolglos,
da das FA der Auffassung war, der Nachweis sei nicht entsprechend R 188 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1997 erbracht.
Die dagegen gerichtete Klage, mit der nur noch außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 14 182 DM geltend gemacht wurden --als
Haushaltsersparnis wurden nunmehr 15 000 DM angerechnet--, war erfolgreich.
Das FG, dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1372 veröffentlicht ist, ermittelte unter Anrechung der Haushaltsersparnis, des Taschengeldes und der zumutbaren Belastung einen
nach §
33 EStG abziehbaren Betrag in Höhe von 10 154 DM. Ob der vom FA gewährte Behindertenpauschbetrag daneben zu gewähren sei, ließ das
FG offen, da auch bei Wegfall des Pauschbetrags das zu versteuernde Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags läge.
Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung des §
33 Abs.
1 EStG.
Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die Kosten für die Unterbringung des Klägers in der betreuten Wohngemeinschaft
als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.
1. Nach §
33 Abs.
1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer
Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen.
Ziel des §
33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit
einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des §
33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag
abgegolten sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).
Zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung rechnen die Kosten für die Unterbringung und die Verpflegung, gleichgültig
in welcher Höhe sie tatsächlich anfallen. Unterschiede der Lebenshaltungskosten, z.B. in Ballungs- und ländlichen Gebieten,
sind grundsätzlich unbeachtlich. Entstehen aber einem Steuerpflichtigen durch außergewöhnliche und zwangsläufige Umstände
höhere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse, können ausnahmsweise
auch die Mehrkosten für Unterbringung und Verpflegung nach §
33 EStG abziehbar sein. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies insbesondere bei einer behinderungs- oder krankheitsbedingten
Unterbringung in einem Heim (vgl. Urteil vom 24. Februar 2000 III R 80/97, BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294, m.w.N.). Den Steuerpflichtigen erwachsen in diesen Fällen aufgrund ihrer Erkrankung oder Behinderung zwangsläufig höhere
Lebenshaltungskosten als im Grundfreibetrag nach §
32a Abs.
1 EStG berücksichtigt sind.
2. a) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Unterbringung eines jüngeren Menschen in einem Heim außergewöhnlich
ist. Zwar rechnen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH die Kosten für die Unterbringung in einem Altersheim zu den üblichen
Aufwendungen der Lebensführung. Leitend hierfür ist die Erwägung, dass derartige Aufwendungen, mögen sie wegen altersbedingter
Hilfsbedürftigkeit auch zwangsläufig sein, ihrer Art und dem Grunde nach nicht außergewöhnlich sind, weil sie anderen in vergleichbaren
Verhältnissen lebenden Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass ein älterer Mensch in
einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder will (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in
BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und in BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294, m.w.N.). Derartige Kosten sind durch die allgemeinen Freibeträge abgegolten und fallen, soweit sie diese übersteigen, unter
das Abzugsverbot des §
12 EStG. Für Menschen im arbeitsfähigen Alter ist dagegen die Unterbringung in einem Heim außergewöhnlich, da diese in der Regel
entweder allein oder mit anderen, etwa Ehegatten oder Familienangehörigen, leben.
b) Die Unterbringung im Heim ist für den Kläger auch zwangsläufig. Die Schlussfolgerung des FG, der Heimaufenthalt sei ausschließlich
durch die körperliche und mentale Behinderung des Klägers veranlasst, ist nicht zu beanstanden. Durch den Schwerbehindertenausweis
des Klägers, die ärztliche Bescheinigung, den Folgebericht des Heimträgers und vor allem durch die teilweise Übernahme der
Unterbringungskosten als Eingliederungshilfe gemäß § 39 BSHG ist hinreichend nachgewiesen, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung im Heim wohnt.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG soll Hilfe in einem Heim nur gewährt werden, wenn dies erforderlich ist und andere Hilfen nicht möglich sind oder nicht ausreichen.
§ 3a BSHG bestimmt hierzu ergänzend, die erforderliche Hilfe solle soweit wie möglich außerhalb des Heimes gewährt werden. Übernimmt
der Sozialhilfeträger diese Kosten, ist dies daher ein wesentliches Indiz für die Notwendigkeit der Heimunterbringung. Dass
sich die im Heim erbrachten Leistungen zum Teil mit denen eines Vormundes decken, steht einer Berücksichtigung dieser Kosten
nicht entgegen. Entscheidend für den Abzug ist nicht die Art der im Heim erbrachten Leistungen, sondern ob der Kläger aufgrund
seiner Behinderung in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen, oder ob er der Betreuung in einem Heim bedarf. Entgegen der
Annahme des FA ist das Urteil des Senats vom 14. September 1999 III R 39/97 (BFHE 190, 309, BStBl II 2000, 69) schon deshalb nicht einschlägig, weil dort die Aufwendungen für den Vormund zweier minderjähriger Vollwaisen ihrer Art nach
Werbungskosten waren und deshalb dem Abzugsverbot des §
33 Abs.
2 Satz 2
EStG unterlagen.
Das FG hat zu Recht kein amtsärztliches Attest verlangt. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 7.
Juni 2000 III R 54/98, BFHE 193, 79, BStBl II 2001, 94, und vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543) ist bei Aufwendungen, die ihrer Art nicht eindeutig und unmittelbar der Linderung einer Krankheit oder Behinderung dienen,
ein amtsärztliches Zeugnis erforderlich, in dem die medizinische oder behinderungsbedingte Notwendigkeit der Maßnahme festgestellt
wird. Verwaltung und Gerichten fehlt in diesen Fällen regelmäßig die Fachkunde, diese Abgrenzung selbst vorzunehmen. Hierdurch
soll die Inanspruchnahme ungerechtfertigter Steuervorteile verhindert werden, mit der bei Aufwendungen zu rechnen ist, die
auch dem Bereich der allgemeinen Lebensführung zugerechnet werden können. Diese Gefahr besteht aber bei der Unterbringung
in einer betreuten Wohngemeinschaft nicht.
Der Gesetzgeber hat den Sozialhilfeträger in § 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG und § 3a BSHG verpflichtet, die Kosten für eine Heimunterbringung nur zu übernehmen, wenn diese notwendig ist und eine ambulante Hilfe
nicht ausreicht. Da der Sozialhilfeträger als staatliche Behörde der Gesetzestreue und der Wirtschaftlichkeit verpflichtet
ist, kann regelmäßig von einer sorgfältigen, ordnungsmäßigen Prüfung und von der Richtigkeit seiner Entscheidung ausgegangen
und deshalb von einer Überprüfung durch eine weitere neutrale staatliche Stelle abgesehen werden. Entsprechend verlangt der
Senat bei Kurreisen dann kein amtsärztliches Attest, wenn eine gesetzliche Krankenkasse die medizinische Notwendigkeit der
Kur geprüft und positiv durch einen Zuschuss zu den Kosten für Unterkunft und Verpflegung beschieden hat (Urteil vom 30. Juni
1995 III R 52/93, BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614).
Hinzu kommt, dass nach der Lebenserfahrung niemand ohne Not aus persönlichen Gründen der Lebensführung in ein Heim für Menschen
mit geistiger oder mit geistiger und mehrfacher Behinderung ziehen wird. Anders als eine Kurreise oder der Besuch eines Internats
scheiden hier Gründe der gesundheitlichen Vorbeugung und Erholung oder sonstige Motive der persönlichen Lebensführung aus.
c) Offen bleiben kann, ob der Kläger neben den Kosten der Heimunterbringung zusätzlich den Behindertenpauschbetrag nach §
33b Abs.
3 EStG beanspruchen kann. Wie das FG in seinem Urteil zu Recht ausführt, liegt das zu versteuernde Einkommen des Klägers auch ohne
den Pauschbetrag unter dem Grundfreibetrag.