Vertragsparteien eines Pflegevertrages unter Geltung des Bayerischen Kinder- und Jugendhilfegesetzes
Tatbestand:
Die am 12. Februar 1990 geborene K. war vom 19. Oktober 1996 bis zum 7. Januar 2002 bei dem Kläger zu 1 (im Folgenden: Kläger)
und dessen Ehefrau, der an dem Revisionsverfahren nicht beteiligten Klägerin zu 2, in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII). Dieser Maßnahme der Jugendhilfe lag ein von dem Jugendamt der beklagten Stadt ausgearbeiteter Hilfeplan zugrunde, der am
9. Dezember 1996 von den Mitarbeitern des Jugendamtes und des Allgemeinen Sozialdienstes der Beklagten, von der damals noch
personensorgeberechtigten Mutter des Kindes sowie von der Ehefrau des Klägers unterschrieben worden war. Bei K. bestand eine
"deutliche Verhaltensproblematik".
Der Kläger hat vorgetragen, K. habe durch aggressives Verhalten Möbel, Türen und Wände in seiner Wohnung beschädigt. Er beansprucht
deswegen von der Beklagten Aufwendungs- und Schadensersatz.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid über 1.514,77 EUR nebst Zinsen erwirkt. Nach teilweiser Klagerücknahme
hat er begehrt, den Vollstreckungsbescheid in Höhe von 1.259,64 EUR (und Zinsen) aufrecht zu erhalten. Das Amtsgericht hat
den Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die - allein von dem Kläger betriebene
- Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er die Aufrechterhaltung des Vollstreckungsbescheids im vorgenannten
Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger könne Aufwendungsersatz (§
670 BGB) mangels vertraglicher Grundlage nicht beanspruchen. Zwischen ihm und seiner Ehefrau einerseits, der Beklagten andererseits
sei weder ein Auftrag noch ein Dienstvertrag abgeschlossen worden. Der Hilfeplan selbst habe aufgrund seiner anders gerichteten
Zielsetzung eine "Auftragsvergabe" (§§
611 ff., 662 ff.
BGB) an die Pflegeeltern nicht zum Inhalt gehabt. Eine "Beauftragung" mit der Vollzeitpflege sei auch nicht mit dem Hilfeplan
einhergegangen. Das Jugendamt der Beklagten sei lediglich vermittelnd tätig geworden. Der "Pflegevertrag" werde, wie Art.
28 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Kinder- und Jugendhilfegesetzes (BayKJHG) vom 18. Juni 1993 (GVBl. S. 392, BayRS 2162-1-A) zu entnehmen sei, zwischen den leiblichen Eltern, gegebenenfalls vertreten
durch das Jugendamt, und den Pflegeeltern vereinbart.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann nicht von der Beklagten Zahlung von 1.259,64 EUR nebst Zinsen fordern.
1. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Jugendhilferechts ist zwischen den Parteien weder ein Dienstvertrag (§
611 BGB) noch ein Auftrag (§
662 BGB) zustande gekommen, der den von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch gemäß §
670 BGB (unmittelbar oder analog) oder einen vertraglichen Schadensersatzanspruch stützen könnte.
a) Die Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) zählt als Hilfe zur Erziehung zu den Leistungen der Jugendhilfe (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII). Der Personensorgeberechtigte kann sie von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. § 69 Abs. 1 SGB VIII) beanspruchten, wenn eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe
für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist (§ 27 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 SGB VIII). Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld
des Kindes oder Jugendlichen einbezogen werden (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Ist die Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich - so liegt es bei der Vollzeitpflege -, sind der Personensorgeberechtigte
und das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen; ihren Wünschen ist möglichst zu entsprechen (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB VIII). Die Entscheidung über die Hilfeart soll, wenn sie wie die Vollzeitpflege voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist,
im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder Jugendlichen
- im Fall der Vollzeitpflege weiter unter Beteiligung der Pflegeperson (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII) - einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen
Leistungen enthält (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 SGB VIII).
b) Bei dem Hilfeplan handelt es sich um ein sozialpädagogisches Instrument, mit dem das Jugendamt - hoheitlich aufgrund der
§§ 27 ff. SGB VIII (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2006 - III ZR 164/05 - NJW 2006, 1121, 1122 Rn. 12, vorgesehen für BGHZ) - den Hilfeprozess steuert und transparent macht. Er dient zur Selbstkontrolle und zur
Koordinierung der Aktivitäten des Jugendamtes und der anderen an der Hilfe Beteiligten. In ihm werden ferner die Vorstellungen
der Personensorgeberechtigten, der Kinder und Jugendlichen sowie der an der Hilfe Beteiligten dokumentiert und die getroffenen
Arbeitsabsprachen in einem von allen Beteiligten häufig unterschriebenen sogenannten "Hilfekontrakt" festgehalten (vgl. Münder
u.a., FK-SGB VIII 5. Aufl. 2006 § 36 Rn. 50 ff.; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht 3. Aufl. >Lfg. 8/2003< § 36 Rn. 44; Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII >Lfg. VIII/00< § 36 Rn. 29, 31; Wiesner/Wiesner, SGB VIII 3. Aufl. 2006 § 36 Rn. 61; siehe auch Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts
BT-Drucks. 11/5948 S. 74). Der Hilfeplan - dessen Rechtsnatur unentschieden bleiben kann (vgl. Jans/Happe/Saurbier/Maas aaO.
Rn. 46 und Stähr aaO. Rn. 40; Wiesner/Wiesner aaO. Rn. 62 ff. jeweils m.w.N.) - bietet das erzieherische Konzept, das für
die Gewährung der Jugendhilfe von Nöten ist (vgl. Münder u.a. aaO. Rn. 51; Jans/Happe/Saurbier/Maas aaO.; Stähr aaO. Rn. 40
f; Wiesner/Wiesner aaO. Rn. 62; siehe auch BVerwGE 109, 155, 166 f.). Dementsprechend ist darin, dass die hier an der Jugendhilfe Beteiligten, d.h. die personensorgeberechtigte Mutter
von Kathrin, die Vertreter der Beklagten und die Ehefrau des Klägers, den Hilfeplan ("Teil C: Kontrakt") unterzeichnet haben,
zunächst nur eine Billigung des in ihm niedergelegten erzieherischen Konzepts zu sehen, in dessen Vollzug Hilfe zur Erziehung
bewilligt und - sofern noch nicht geschehen - ein zivilrechtlicher Pflegevertrag abgeschlossen werden konnte (vgl. Stähr aaO.
Rn. 22; s. auch Schellhorn, SGB VIII § 33 Rn. 16; OVG Münster, Urteil vom 23. Januar 1986 - 8 A 1600/84 - Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1986, 410, 411 und OVG Berlin, Urteil vom
21. Oktober 1982 - 6 B 35.81 - Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1983, 91, 92 zum Pflegevertrag zwischen Jugendbehörde
und Pflegeeltern).
c) Der Abschluss des Pflegevertrages oblag nach dem im Streitfall anwendbaren Bayerischen Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht der Beklagten, sondern der personensorgeberechtigten Mutter von K.. Das ergibt sich aus Art. 28 BayKJHG. Danach soll das Jugendamt darauf hinwirken, dass zwischen den Personensorgeberechtigten und der Pflegeperson - hier also
zwischen der Mutter von K. und dem Kläger und seiner Frau - eine vertragliche Vereinbarung über die Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses
abgeschlossen wird (Pflegevereinbarung - Art. 28 Abs. 1 BayKJHG). Diese Pflegevereinbarung soll insbesondere Regelungen enthalten über die Entgegennahme von Leistungen zum Unterhalt des
Kindes oder des Jugendlichen nach § 39 SGB VIII (vgl. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 BayKJHG). Auf Verlangen soll das Jugendamt die Personensorgeberechtigten und die Pflegeperson in bestimmten Fällen auch beraten und
beim Abschluss einer Pflegevereinbarung unterstützen (vgl. Art. 28 Abs. 3 Satz 1 KJHG). Nach dem gesetzlichen Leitbild soll das Jugendamt mithin nicht selbst die Pflegevereinbarung schließen, sondern lediglich
fördern, dass sie zwischen den Personensorgeberechtigten und den Pflegepersonen zustande kommt (vgl. Steding ZfJ 1993, 576, 578). Es ist nicht ersichtlich, dass das Jugendamt der Beklagten hiervon abgewichen wäre.
d) Die Revision verweist - außer auf den schon angesprochenen Hilfeplan - darauf, dass nach dem Vorbringen des Klägers die
Beklagte sich bei der Bayerischen Versicherungskammer "gegen derartige Schäden" versichert habe. Darin kann indes ein hinreichender
Anhaltspunkt für eine - vom Gesetzgeber als Ausnahme gedachte - Pflegevereinbarung zwischen dem Jugendamt und den Pflegeeltern
nicht gesehen werden. Der Abschluss der Versicherung konnte sich, wovon die Revision selbst auszugehen scheint, allein auf
die Beratungspflichten des Jugendamtes im Zusammenhang mit dem Hilfeplan sowie auf sein vermittelndes Wirken gemäß Art. 28 BayKJHG beziehen. Selbst wenn die Versicherung weiter die Inanspruchnahme der Beklagten aus einer von ihr mit der Pflegefamilie getroffenen
Pflegevereinbarung umfasste, handelte es sich bloß um die Absicherung eines Risikos; es besagte nichts darüber, ob im Streitfall
ein solcher Vertrag gegeben war.
2. Zwischen den Parteien bestand auch kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, das die Beklagte verpflichtete, dem Kläger
analog §
670 BGB Aufwendungsersatz für Schäden zu leisten, die er durch das Verhalten des Pflegekindes erlitt.
Zwar ist ein Fürsorgeverhältnis zwischen dem Jugendamt und dem Pflegekind und ein auf Hilfe zur Erziehung gerichtetes (§§
27 ff. SG VIII) sozialrechtliches Verhältnis zwischen dem Jugendamt und dem Personensorgeberechtigten anzunehmen. Daraus folgt aber
nicht - ebenso wenig wie das Jugendamt uneingeschränkt für das Verhalten der Pflegeeltern einzustehen hat (vgl. insoweit Senatsurteil
vom 23. Februar 2006 aaO. S. 1123 f Rn. 18) -, dass das Jugendamt im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses
stets für die Schäden haftete, die das Pflegekind den Pflegeeltern zufügt. Bei der Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) unterscheidet sich das Verhältnis der Pflegeeltern zum Pflegekind, soweit hier von Bedeutung, nicht von dem zu den leiblichen
Eltern. Geht es um die gewöhnliche Betreuung und das Leben des Kindes in der Pflegefamilie, handelt es sich um einen Bereich,
der zwar weiterhin der Aufsicht des Jugendamtes unterliegt, grundsätzlich aber in die Verantwortung der Pflegeeltern gegeben
ist (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2006 aaO. S. 1123 Rn. 15). Dementsprechend sind die Pflegeeltern, die Schäden durch
das Pflegekind erleiden, - nicht anders als leibliche Eltern - auf die allgemeinen Vorschriften (§§
823 ff.
BGB) verwiesen; sie könnten allerdings, wie die Revision ausführt, durch den Abschluss einer Sammelhaftpflichtversicherung zum
Schutze der Pflegestellen das Schadensrisiko jedenfalls mindern.
3. Eine verschuldensabhängige Haftung der Beklagten (§
839 BGB i.V.m. Art.
34 GG; §§
31,
89,
823; 831
BGB) kommt nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat - unangegriffen - ein Auswahlverschulden von Seiten der Bediensteten der
Beklagten verneint. Soweit die Revision geltend macht, die Bediensteten des Jugendamtes hätten es versäumt, dem Kläger den
Abschluss einer "entsprechenden Haftpflichtversicherung" nahe zu legen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag; dieser
kann im Revisionsrechtszug nicht berücksichtigt werden.