Erwerbsschaden eines arbeitsunfähig gewordenen Arbeitslosengeldempfängers
Tatbestand:
Die klagende Bundesagentur für Arbeit macht als Sozialversicherungsträger aus übergegangenem Recht ihres Leistungsempfängers
H. Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 6. Oktober 2003 geltend, den der Versicherungsnehmer des beklagten
Haftpflichtversicherers schuldhaft verursacht hat und für den die Beklagte unstreitig in vollem Umfang einstehen muss.
H. war vor dem Unfall arbeitslos und bezog von der Klägerin Arbeitslosengeld. Für die Zeit vom 6. Oktober 2003 bis 16. November
2003, in der H. unfallbedingt arbeitsunfähig war, erbrachte die Klägerin "Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit" im
Sinne des §
126 Abs.
1 Satz 1
SGB III in Höhe von insgesamt 2.123,02 EUR. In entsprechender Höhe verlangt sie mit der vorliegenden Klage aus übergegangenem Recht
des H. Schadensersatz.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert
und der Klage (nebst Zinsen) stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht bejaht einen nach § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 10 SGB X auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzanspruch des H. Zwar sei diesem aufgrund der unfallbedingten Verletzung kein
unmittelbarer Verdienstausfall entstanden, weil er bereits vor dem Verkehrsunfall arbeitslos gewesen sei. Auch komme der hypothetischen
Arbeitskraft kein konkreter Vermögenswert zu. Ein Vermögensschaden wegen des Verlustes seiner Arbeitsfähigkeit entstehe aber
dem Arbeitslosen, der Arbeitslosengeld erhalte, weil das Gesetz ihn wegen seiner Arbeitsfähigkeit und Bereitschaft zur Arbeitsleistung
als weiterhin in den Arbeitsmarkt eingegliedert ansehe und er diesen der Existenzsicherung zugrunde gelegten Status und die
damit verbundenen sozialen Leistungsansprüche verliere. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Arbeitsloser seinen Anspruch auf
Zahlung von Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen gemäß §
126 Abs.
1 Satz 1
SGB III nicht verliere, wenn ihn bezüglich dieses Umstandes kein Verschulden treffe. Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es in erster
Linie, bei Krankheiten von weniger als sechs Wochen Dauer einen Wechsel des Leistungsträgers zu vermeiden. Die nach §
126 Abs.
1 Satz 1
SGB III nach Eintritt der krankheitsbedingten bzw. unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit weiter gezahlte Arbeitslosenunterstützung trete
lediglich an die Stelle des ohne diese Regelung zu zahlenden Krankengeldes. Damit erbringe die Klägerin auch Leistungen aufgrund
des Schadensereignisses, wie es § 116 SGB X voraussetze.
II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin
mit Recht gemäß § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
823 Abs.
1 BGB, §
7 Abs.
1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F. aus übergegangenem Recht ihres Leistungsempfängers H. einen Schadensersatzanspruch gegen den beklagten Haftpflichtversicherer
zuerkannt.
Nach § 116 Abs. 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf den Versicherungsträger
über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der
gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.
1. Entgegen der Auffassung der Revision stand H. nach den gesetzlichen Vorschriften der §
823 Abs.
1 BGB, §
7 Abs.
1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F. ein (übergangsfähiger) Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.
a) Da H. im Zeitpunkt des Unfalles arbeitslos war und mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht davon
ausgegangen werden kann, dass er während der Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in eine Arbeitsstelle hätte vermittelt
werden können, ist ihm allerdings kein konkreter Verdienstausfallschaden entstanden.
b) Ein von der Beklagten zu ersetzender Vermögensschaden kann jedoch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auch darin
liegen, dass ein bis dahin Arbeitsloser aufgrund eines Verkehrsunfalls arbeitsunfähig geworden ist und dadurch seinen Anspruch
auf Arbeitslosengeld verloren hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 90, 334, 338). Der Erwerbsschaden umfasst nämlich alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Verletzte erleidet, weil und
soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann. Zwar kommt der Arbeitskraft als solcher kein Vermögenswert
zu, so dass ihr Wegfall allein deshalb auch bei "normativer" Betrachtung keinen Schaden im haftungsrechtlichen Sinne darstellt.
Aus diesem Grunde entsteht demjenigen, der nur von seinem Vermögen oder seiner Rente lebt, arbeitsunwillig oder arbeitslos
ist, ohne Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beanspruchen zu können, allein durch den Verlust seiner Arbeitsfähigkeit
noch kein ersatzpflichtiger Schaden (Senatsurteile BGHZ 90, 334, 336; 54, 45, 48 ff. und vom 26. Oktober 1976 - VI ZR 216/75 - VersR 1977, 130, 131 m.w.N.). Die Ersatzpflicht greift jedoch ein, wenn durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Verletzten in dessen
Vermögen ein konkreter Schaden entstanden ist. Ein solcher liegt nicht nur in dem Verlust von Arbeitseinkommen; der Erwerbsschaden
umfasst vielmehr alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft
verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt. Ein
derartiger Vermögensschaden entsteht auch einem Arbeitslosen, der Arbeitslosengeld erhält, weil das Gesetz ihn wegen seiner
Arbeitsfähigkeit und Bereitschaft zur Arbeitsleistung als weiterhin in den Arbeitsmarkt eingegliedert ansieht, und er diesen
der Existenzsicherung zugrunde gelegten Status und die damit verbundenen sozialen Leistungsansprüche verliert, wenn er unfallbedingt
arbeitsunfähig wird. Der Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung entsteht nicht schon durch die bloße Tatsache der Arbeitslosigkeit,
er setzt vielmehr u.a. voraus, dass der Arbeitslose arbeitsfähig ist und sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt,
seine Arbeitskraft also dem Arbeitsmarkt anbietet. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird dem Arbeitslosen in Grenzen
das soziale und von ihm regelmäßig nicht beeinflussbare Risiko der Arbeitslosigkeit abgenommen. Die dem Arbeitslosen gezahlte
Unterstützung soll ihm einen (teilweisen) Ausgleich für entgangenen Arbeitsverdienst verschaffen. Der Verlust der Arbeitslosenunterstützung
ist daher im weitesten Sinne als Erwerbsschaden anzusehen (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 90, 334, 337).
c) Auch im Streitfall sind die bis zum Unfallzeitpunkt bestehenden Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nach
den damals geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften entfallen. Da H. in der Zeit vom 6. Oktober bis 16. November
2003 unfallbedingt nicht mehr arbeitsfähig im Sinne des §
119 Abs.
3 Nr.
1 SGB III a.F. war und deshalb nach §
119 Abs.
2 SGB III a.F. den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit nicht mehr zur Verfügung stand, war die Beschäftigungssuche
als Voraussetzung der Arbeitslosigkeit im Sinne des §
118 Abs.
1 Nr.
2 SGB III a.F. und damit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §
117 Abs.
1 Nr.
1 SGB III a.F. nicht mehr gegeben.
Anders als in dem Fall, der dem Senatsurteil BGHZ 90, 334 zugrunde lag, hat der Verletzte im Streitfall jedoch nicht ab dem Zeitpunkt des Unfalls und der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit
Krankengeld von einer aus übergegangenem Recht klagenden Krankenkasse erhalten, vielmehr ist ihm nach der im Unfallzeitpunkt
geltenden Rechtslage nach dem Verkehrsunfall von der klagenden Bundesagentur für Arbeit "Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit"
gemäß §
126 Abs.
1 Satz 1
SGB III gewährt worden. Nach dieser Bestimmung verliert ein Arbeitsloser, der während des Bezugs von Arbeitslosengeld infolge Krankheit
arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der
Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung bis zur Dauer von sechs Wochen (Leistungsfortzahlung).
d) Die Frage, ob entsprechend der Vorschrift des § 4 Abs. 1 LFZG (jetzt: § 6 EFZG) auch ein Schadensersatzanspruch des Arbeitslosen bei Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes statt des an sich zu gewährenden
Krankengeldes nach dem am 1. Januar 1981 in Kraft getretenen und auf den damaligen Fall noch nicht unmittelbar anwendbaren
§ 105b Abs. 1 AFG, der Vorgängerregelung des §
126 SGB III, gemäß § 127 AFG, § 116 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergeht, konnte der Senat in seiner früheren Entscheidung (BGHZ 90, 334) offen lassen. Sie ist nunmehr zu beantworten. Die Frage wird in der Rechtsprechung und in der Literatur teilweise verneint
(vgl. LG Aachen, VersR 1985, 893 - zu § 127 a.F. AFG; AG Münster vom 20. Januar 1987 - 28 C 621/86 - zu § 127 n.F. AFG; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl. 2006, S. 211 XIII Rn. 707; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess,
25. Aufl. 2008, Kap. 30 Rn. 25 Fn. 19; Jahnke, Forderungsübergang im Schadensfall, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft
Verkehrsrecht im DAV - Homburger Tage 1998, S. 55) und teilweise bejaht (AG Cham, MDR 1992, 62; AG Münster, Urteil vom 21. Juli 2006 - 3 C 1356/06). Der Senat schließt sich der bejahenden Auffassung, der auch das Berufungsgericht folgt, an.
e) Für diese Auffassung spricht, dass durch §
126 SGB III ebenso wie durch die Vorgängerregelung des § 105b Abs. 1 AFG lediglich ein Wechsel des Sozialleistungsträgers bei kurzer Krankheit vermieden werden soll; sie ist aus Zweckmäßigkeitserwägungen
in Anlehnung an § 1 LFZG in das Gesetz eingefügt worden, um durch entsprechende Wechsel entstandene Unzuträglichkeiten zu beseitigen (vgl. Senatsurteil
BGHZ 90, 334, 338 unter Hinweis auf BT-Drucks. 8/4022 S. 90; BSGE 57, 15, 21 zu § 105b AFG; Niesel/Brand,
SGB III, 4. Aufl., §
126 Rn. 2; Bartz,
SGB III Praxiskommentar, 2. Aufl., §
126 SGB III Rn. 2). In den ersten sechs Wochen nach Eintritt des Krankheitsfalls tritt nach diesen Vorschriften nunmehr die (weiter gezahlte)
Arbeitslosenunterstützung an die Stelle des ohne diese Regelung zu zahlenden Krankengeldes. Der Sache nach wird das Arbeitslosengeld
im Sinne des §
126 SGB III mithin nicht - wie zuvor - wegen der Arbeitslosigkeit trotz Arbeitsfähigkeit gezahlt, sondern wegen einer während der Arbeitslosigkeit
eintretenden unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit. Dass die Leistung gegenüber der früheren Rechtslage statt von der Krankenkasse
in Form von Krankengeld nunmehr aus Gründen der verwaltungstechnischen Vereinfachung als Arbeitslosengeld weitergewährt wird,
rechtfertigt schadensrechtlich keine unterschiedliche Betrachtungsweise. Die Auffassung, die nach der Differenzhypothese wegen
der Fortzahlung des Arbeitslosengeldes nach dem Unfall einen Schaden verneint, berücksichtigt nicht hinreichend, dass die
Differenzhypothese nach dem normativen Schadensbegriff einer wertenden Korrektur zugänglich ist, die sich aus dem Sinn und
Zweck der heranzuziehenden Normen ergeben kann. Hierzu gehören insbesondere Fälle, in denen der Verletzte während seiner Arbeitsunfähigkeit
seinen Lohn weiterbezieht oder vom Arbeitgeber, Dienstherrn oder Sozialversicherungsträger Leistungen mit Lohnersatzfunktion
erhält. Die entsprechenden Leistungen sollen nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des §
843 Abs.
4 BGB den Schädiger nicht entlasten und werden deshalb beim Vermögensvergleich nicht berücksichtigt (vgl. Senatsurteile BGHZ 10,
107, 108; 21, 112, 114 ff.; 153, 223, 230 f.; vom 29. November 1977 - VI ZR 177/76 - VersR 1978, 249, 250; vom 7. November 2000 - VI ZR 400/99 - VersR 2001, 196, 197 jeweils m.w.N.).
Lohnersatzfunktion hat auch das Arbeitslosengeld; der Wegfall des entsprechenden Anspruchs wegen Arbeitsunfähigkeit stellt
einen ersatzfähigen Schaden dar (vgl. Senatsurteil BGHZ 90, 334, 338). Daran vermag auch die "Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit" im Sinne des §
126 Abs.
1 Satz 1
SGB III, die an die Stelle des Krankengeldes tritt, nichts zu ändern. Ebenso wie nach der Regelung des § 6 Abs. 1 EFZG (früher: § 4 Abs. 1 LFZG) bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit ein (weiter) bestehen bleibender Ersatzanspruch
wegen des Verdienstausfallschadens gegen einen Dritten auf den Arbeitgeber übergeht, bleibt auch der Schadensersatzanspruch
des Arbeitslosen wegen Wegfalls seines bisherigen Anspruchs auf Arbeitslosengeld trotz einer "Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit"
durch die Bundesagentur für Arbeit bestehen und kann nach § 116 SGB X auf diese übergehen. Der Anordnung eines Forderungsübergangs wie in § 6 Abs. 1 EFZG bedurfte es deshalb nicht (vgl. § 116 Abs. 10 SGB X; Senatsurteile BGHZ 108, 296, 298 f.; 127, 120, 123 f.).
2. Die Leistungen der Klägerin nach §
126 SGB III sind auch sachlich und zeitlich kongruent im Sinne des § 116 Abs. 1 SGB X zu dem Erwerbsschaden des H. wegen Wegfalls des bisherigen Anspruchs auf Arbeitslosengeld, weil die Zahlung auf einer anderen
Anspruchsgrundlage beruht als die bisherige, der Behebung eines Schadens der gleichen Art dient und ebenso wenig wie die Entgeltfortzahlung
des Arbeitgebers dem Schädiger zugute kommen soll (vgl. Kasseler-Kommentar-Sozialversicherungsrecht/Kater, § 116 SGB X Rn. 128; Denck, NZA 1985, 377, 381).
III. Nach alledem ist die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichts mit der Kostenfolge des §
97 ZPO zurückzuweisen.