Auslegung der Einräumung eines Wohnungsrechts mit Pflege- und Leibrentenverpflichtung
Gründe:
I. Mit notariellem Vertrag vom 22. Januar 1972 verpflichtete sich die Antragstellerin, ihren Grundbesitz, bestehend aus einem
Zweifamilienhaus und landwirtschaftlichen Flächen, auf ihren Sohn zu übertragen. Dieser räumte der Antragstellerin als Gegenleistung
u.a. ein lebenslängliches "Altenteil" ein. Dazu gehört ein Wohnungsrecht an zwei Räumen im Erdgeschoß des Zweifamilienhauses
mit einem Mitbenutzungsrecht am Bad, ein Beköstigungsrecht und ein Anspruch auf Erbringung sämtlicher häuslicher Arbeiten
sowie eine Betreuung und Pflege in gesunden und kranken Tagen, "solange kein Krankenhausaufenthalt notwendig wird". Ferner
verpflichtete sich der Übernehmer zur Zahlung einer monatlichen Leibrente. Die Antragsgegnerin, die Ehefrau des zwischenzeitlich
verstorbenen Sohnes der Antragstellerin, übernahm die gesamtschuldnerische Mitverpflichtung hinsichtlich der Altenteilsleistungen.
Seit Dezember 1999 befindet sich die Antragstellerin wegen Altersdemenz in einem Altenheim, wo sie Heim- und Pflegeleistungen
auf der Grundlage der Pflegestufe II erhält.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, daß ihr anstelle der von der Antragsgegnerin nicht mehr zu erbringenden Sachleistungen
ein Anspruch auf Herausgabe der nunmehr ersparten Aufwendungen zustehe. Diese errechnet sie unter Zugrundelegung der sich
aus der Sachbezugsverordnung (vom 19. Dezember 1994, BGBl. I S. 3849) ergebenden Werte der Sachbezüge in der Sozialversicherung zuzüglich der vereinbarten Leibrente mit insgesamt monatlich 982,13
EURO. Seit Januar 2002 zahlt die Antragsgegnerin diesen Betrag. Für den Zeitraum von Dezember 1999 bis Dezember 2001 beträgt
der geltend gemachte Anspruch danach 24.553,25 EURO. Hierauf hat die Antragsgegnerin 3.183,61 EURO gezahlt. Den Differenzbetrag
von 21.369,64 EURO nebst Zinsen möchte die Antragstellerin mit der Klage einfordern.
Das Landgericht hat dem Prozeßkostenhilfeantrag nur in Höhe von 5.137,50 EURO nebst Zinsen (Leibrente für Dezember 1999 bis
Dezember 2001) stattgegeben. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag, soweit ihm nicht entsprochen worden ist, weiter.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, die beabsichtigte Klage biete hinsichtlich
der auf die ersparten Aufwendungen bezogenen Forderung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
114 ZPO), hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Abgesehen davon, daß das Beschwerdegericht Prozeßkostenhilfe schon deswegen
hätte bewilligen müssen, weil es den Rechtsfragen eine Bedeutung zugemessen hat, die es zur Zulassung der Rechtsbeschwerde
veranlaßt hat (Senat, Beschluß v. 21. November 2002, V ZR 40/02, zur Veröffentl. vorgesehen), ist seine Auslegung des notariellen Vertrages vom 22. Januar 1972 dahin, daß der Übernehmer
von den übernommenen Altenteilsleistungen mit Ausnahme der Leibrentenverpflichtung frei werden sollte, wenn die Sachleistungen
nicht mehr erbracht werden konnten, weil die Antragstellerin dauerhaft in einem Pflegeheim unterzubringen war, rechtsfehlerhaft.
1. Der Wortlaut des Vertrages stützt die Auslegung des Beschwerdegerichts nicht. Das Beschwerdegericht erkennt selbst, daß
eine Betreuungs- und Pflegeverpflichtung nur entfallen sollte, wenn und solange ein Krankenhausaufenthalt notwendig würde.
Es nimmt weiter ohne Rechtsfehler an, daß ein dauernder Aufenthalt in einem Pflegeheim nicht mit einem Krankenhausaufenthalt
gleichzusetzen ist. Damit ist der hier vorliegende Fall, daß die Erbringung von Sachleistungen deswegen nicht mehr in Betracht
kommt, weil der Berechtigten Unterbringung, Beköstigung und Pflege in einem Pflege- und Altenheim zuteil wird, nicht geregelt.
2. Soweit das Beschwerdegericht meint, diese Lücke sei nach §§
157,
133 BGB dahin zu schließen, daß in der Regelung zum Krankenhausaufenthalt ein genereller Wille der Parteien erkennbar werde, daß
eine Zahlungspflicht nicht gewollt gewesen sei, soweit Pflegeleistungen objektiv unmöglich geworden seien, widerspricht dies
dem Gebot einer interessegerechten Vertragsauslegung (vgl. Senat, Urt. v. 1. Oktober 1999, V ZR 168/98, WM 1999, 2513, 2514; Urt. v. 21. September 2001, V ZR 14/01, WM 2002, 598, 599, jew. m.w.N.). Das Beschwerdegericht trägt nämlich dem aus der vertraglichen Regelung insgesamt zum Ausdruck gekommenen
Willen der Parteien nicht hinreichend Rechnung, der Antragstellerin durch die Altenteilsrechte eine umfassende Altersversorgung
zu gewähren. Wohnung, Beköstigung, häusliche Dienste, Pflege und Taschengeld (Leibrente) sind geschuldet. Das zeigt, daß die
Antragstellerin nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verwiesen, sondern umfassend von der Familie versorgt werden
sollte. Von der Interessenlage her weist der vorliegende Fall daher keine grundlegenden Unterschiede zu dem Fall auf, den
der Senat mit Urteil vom 21. September 2001 (V ZR 14/01, WM 2002, 598) entschieden hat. Mag hier auch kein Hof übertragen worden sein, aus dem die Altenteilsleistungen zu erwirtschaften waren,
so liegt das Charakteristische hier wie dort darin, daß die Antragstellerin ihren Grundbesitz im Wege vorweggenommener Erbfolge
auf ihren Sohn übertrug, um im Gegenzug wegen aller ihrer Grundbedürfnisse für den Lebensabend abgesichert zu sein. Daß hiervon
die Betreuung und Pflege bei Krankenhausaufenthalten ausgenommen wurde, erklärt sich daraus, daß insoweit die Dienste des
Krankenhauses zur Verfügung stehen und vermutlich - Feststellungen dazu fehlen allerdings - durch eine Versicherung gedeckt
sind. Aus dieser auf den Einzelfall zugeschnittenen Regelung können generalisierende Aussagen nicht hergeleitet werden.
Soweit der Senat in der Entscheidung vom 21. September 2001 (V ZR 14/01, WM 2002, 598, 599) seine Bewertung auch darauf gestützt hat, daß eine Regelung, die den Altenteilsverpflichteten frei werden läßt, wenn
der Berechtigte auf Dauer in einem Pflegeheim untergebracht wird, mit Rücksicht auf die Unzulässigkeit eines Vertrages zu
Lasten Dritter leer liefe, bedarf dies der Richtigstellung. Ein Vertrag zu Lasten Dritten im Rechtssinne steht hier nicht
in Rede. Der Vertrag - wie ihn das Beschwerdegericht auslegt - begründet nicht Verpflichtungen Dritter, also des Sozialhilfeträgers.
Er hätte aber wirtschaftlich die Folge, daß der Sozialhilfeträger, soweit auch gesetzliche Unterhaltsansprüche nicht gegeben
oder nicht durchsetzbar sind, einspringen müßte. Ein solches Ergebnis - so der Kern der früheren Senatsentscheidung - entsprach
nicht dem geäußerten Willen der damaligen Vertragsparteien. Das gleiche gilt, wie dargelegt, im vorliegenden Fall.
Die Vertragslücke ist daher in der Weise zu schließen, daß sich - ursprünglich neben dem Sohn der Antragstellerin - die mithaftende
Antragsgegnerin hinsichtlich der Leistungen, die infolge der Heimunterbringung nicht mehr in Natur erbracht werden können,
in Höhe der ersparten Aufwendungen an den Pflegekosten zu beteiligen hat (vgl. Senat, aaO., 599; Beschl. v. 21. November 2002,
V ZR 40/02, zur Veröffentl. vorgesehen). Darin liegt - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - keine Erweiterung des Vertragsgegenstandes
über die von den Parteien eingegangene Bindung hinaus. An die Stelle der nicht mehr zu erbringenden Sachleistungen treten
Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der Sachleistungen nicht nur nicht überschreiten, vielmehr nur den Wert der ersparten
Aufwendungen für die an sich geschuldeten Sachleistungen abschöpfen.
3. Über die Höhe der ersparten Beträge braucht im Prozeßkostenhilfeverfahren nicht abschließend Stellung genommen zu werden.
Die Festlegung obliegt dem Tatrichter. Von vornherein unschlüssig sind die geltend gemachten Ansätze nicht. Allerdings können
auch hinsichtlich des Wohnungsrechts nur die tatsächlich ersparten Aufwendungen, etwa für Wasser, Strom und Heizung sowie
für in zeitlichen Abständen anfallende Maßnahmen zur Unterhaltung der Wohnung, verlangt werden, nicht hingegen der Sachwert
des Wohnungsrechts selbst. Hier sind Abzüge von dem bisher geltend gemachten Betrag denkbar, die von dem Prozeßgericht im
einzelnen festzulegen sind, die aber im gegenwärtigen Verfahrensstadium einer Bewilligung von Prozeßkosten nicht entgegenstehen,
zumal zweifelhaft ist, ob hierdurch eine Gebührenstufe erreicht wird (vgl. Zöller/Philippi,
ZPO, 23. Aufl., §
114 Rdn. 23 a).