Begriff des Altenteilsvertrages; Verzug mit aufgrund eines gegenseitigen Vertrages geschuldeten Pflegeleistungen
Tatbestand:
Durch notariellen Vertrag vom 23. November 1989 übertrug der Kläger der Beklagten, seiner Tochter, "im Wege vorweggenommener
Erbfolge" das Erbbaurecht an einem Grundstück in W., N. Weg, bebaut mit einem Wohnhaus, in dem der Kläger mit seiner Ehefrau
und die Beklagte mit ihrer Familie wohnte. Dem Kläger und seiner Ehefrau wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht
an zwei Zimmern, Küche und Bad des Hauses eingeräumt. Ergänzend verpflichtete sich die Beklagte zu notarieller Urkunde vom
5. Februar 1990, den Kläger und seine Ehefrau bei Bedarf in gesunden und kranken Tagen "zu pflegen und zu betreuen bzw. kostenlos
pflegen und betreuen zu lassen". Sie wurde als Erbbauberechtigte in das Grundbuch eingetragen. Im Mai 1995 zog sie nach Scheitern
ihrer Ehe aus dem Haus aus. Die Mutter der Beklagten litt zu dieser Zeit bereits an Blutzucker, Herzinsuffizienz und Bluthochdruck;
der Kläger erlitt im Juni 1995 einen Schlaganfall. Pflegeleistungen wurden von der Beklagten trotz Aufforderung nicht mehr
erbracht. Die im Haushalt anfallenden Arbeiten und die Versorgung des Klägers und seiner Ehefrau wurden, soweit nötig, von
den Brüdern der Beklagten und deren Ehefrauen geleistet.
In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über Inhalt und Umfang der von der Beklagten übernommenen Pflegeverpflichtung.
Mit Schreiben seiner Rechtsanwälte vom 8. Juni, 30. Juni und 25. Juli 1995 forderte der Kläger die Beklagte auf, Pflegeleistungen
zu erbringen und setzte ihr dafür eine Frist bis zum 4. August 1995, für deren fruchtlosen Ablauf er ankündigte, zukünftig
Pflegeleistungen abzulehnen. Nachdem die Beklagte der Aufforderung nicht nachkam, erklärte er mit Schreiben vom 17. August
1995 den Rücktritt vom Vertrag. Am 28. Juni 1996 belastete die Beklagte das Erbbaurecht mit einer Grundschuld über 130.000
DM.
Der Klage auf Rückauflassung des Erbbaurechts hat das Landgericht stattgegeben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit
seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils; die Beklagte beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat unter anderem ausgeführt: Ein Rücktrittsrecht des Klägers sei nach § 9 Nds. AGBGB i.V.m. mit Art.
96
EGBGB ausgeschlossen, da ein Altenteilsvertrag vorliege. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folge, scheide ein Rücktritt des
Klägers nach §
326
BGB aus. Zwar sei die Beklagte mit tatsächlich erforderlichen Pflegeleistungen in Verzug gewesen. Der Kläger habe aber das Unterbleiben
der Leistungen in wesentlicher Weise durch unberechtigte Forderungen mitverursacht, was eine eigene Vertragsuntreue darstelle.
II. Die Revision hat Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückauflassung des Erbbaurechts (§ 327 Satz 1; §
346 Satz 1
BGB), weil er wirksam vom Vertrag mit der Beklagten zurückgetreten ist (§
326 Abs.
1
BGB).
1. Zu Unrecht beurteilt das Berufungsgericht das Schuldverhältnis zwischen den Parteien als Altenteilsvertrag. Nach gefestigter
Rechtsprechung des Senats, an der er festhält, wird eine Grundstücksübertragung allein durch eine Wohnrechtsgewährung mit
Pflege- und Versorgungsverpflichtung im Bedarfsfall noch nicht zum Altenteilsvertrag (vgl. z.B. Urteile v. 4. Dezember 1981,
V ZR 37/81, WM 1982, 208, 209; v. 28. Oktober 1988, V ZR 60/87, WM 1989, 70; v. 23. September 1994, V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78). Dieser hat in der Regel die Gewährung des vollen Unterhalts mit Wohnrechtsgewährung zum Inhalt, wobei dem Übernehmer
ein Gut oder Grundstück überlassen wird, kraft dessen Nutzung er sich eine eigene Lebensgrundlage verschaffen und gleichzeitig
den dem Altenteiler geschuldeten Unterhalt gewinnen kann (BGHZ 53, 41, 43). Der Wesenszug eines solchen Altenteils liegt in dem Nachrücken der folgenden Generation in eine die Existenz - wenigstens
teilweise - begründende Wirtschaftseinheit (vgl. Senatsurt. v. 28. Oktober 1988, aaO., m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind
weder behauptet noch festgestellt. Das Berufungsgericht gelangt zu einer anderen Beurteilung nur deshalb, weil es im rechtlichen
Ansatzpunkt von der Senatsrechtsprechung abweicht.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind nach seinen Feststellungen auch die Voraussetzungen eines wirksamen
Rücktritts nach §
326 Abs.
1
BGB erfüllt.
a) Das Schuldverhältnis zwischen den Parteien ist nach seiner Ergänzung um die Pflegeverpflichtung der Beklagten ein gegenseitiger
Vertrag nach §§
320 ff.
BGB. Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe die Pflegeverpflichtung für die Übertragung des Erbbaurechts übernommen. Die
Beklagte ist dem nicht entgegengetreten, sondern geht in ihrer Berufungsbegründung selbst davon aus, daß zwischen den Parteien
ein gegenseitiger Vertrag bestehe, auf den die Regeln der §§
320 ff.
BGB anzuwenden seien. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist unerheblich, ob der Wert der Pflegeverpflichtung den
Wert des Erbbaurechts erreicht. Auch wenn die Parteien im Hinblick auf die objektiven Wertverhältnisse eine teilweise unentgeltliche
Zuwendung beabsichtigten, liegt ein gegenseitiger Vertrag nach §§
320 ff.
BGB vor.
b) Das Berufungsgericht nimmt nach seinen unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen an, daß sich die Beklagte mit den übernommenen
Pflegeleistungen in Verzug befand. Sie hat die unstreitig nötigen Leistungen nach ihrem Auszug trotz Mahnung weder erbracht
noch erbringen lassen und diese auch nicht in der erforderlichen Weise tatsächlich angeboten (§
294
BGB). Auch die Voraussetzungen für ein bloß wörtliches Angebot (§
295
BGB) lagen nicht vor.
c) Rechtsfehlerhaft hält es einen Rücktritt des Klägers wegen eigener Vertragsuntreue für ausgeschlossen. Es sieht diese in
einer angeblich unberechtigten Zuvielforderung des Klägers, weil er mit Schreiben vom 8. Juni 1995 eine 24-stündige Betreuung
der Mutter gefordert habe, die in diesem Umfang nicht erforderlich gewesen sei. Ferner habe er Betreuungsleistungen Dritter
grundsätzlich abgelehnt, obwohl diese nach dem Vertragswortlaut ohne Einschränkung zulässig gewesen seien. Jedenfalls aber
habe der Kläger bei ergänzender Vertragsauslegung im Hinblick auf die veränderten Lebensverhältnisse der Beklagten in einem
zumutbaren Rahmen die Einschaltung von Dritten als Hilfspersonen zur Betreuung und Pflege hinnehmen müssen.
Der vom Berufungsgericht angesprochene Gesichtspunkt einer angeblichen Zuvielforderung des Klägers betrifft allerdings nicht
die aus §
242
BGB abgeleitete ungeschriebene Voraussetzung von §
326
BGB, nämlich die eigene Vertragstreue des Gläubigers (vgl. Palandt/Heinrichs,
BGB, 59. Aufl., §
326 Rdn. 10 m.w.N.), sondern greift in den geschriebenen Tatbestand ein, weil in diesem Zusammenhang nach den Umständen des Falles
zu entscheiden ist, ob eine Zuvielforderung die Wirksamkeit der Mahnung (und damit den Verzug) oder die Nachfristsetzung in
Frage stellt (vgl. auch Hagen/Brambring, Der Grundstückskauf, 6. Aufl., Rdn. 143). Das Berufungsgericht gerät damit in Widerspruch
zu seiner eigenen Auffassung, die Beklagte habe sich mit den Pflegeleistungen in Verzug befunden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt aber eine relevante Zuvielforderung des Klägers nicht vor. Es bestehen
schon erhebliche Zweifel daran, ob er mit Schreiben vom 8. Juni 1995 von der Beklagten eine Betreuung "rund um die Uhr" forderte.
Dies kann jedoch offenbleiben, denn er hat mit Schreiben vom 30. Juni 1995 eine solche Forderung jedenfalls nicht wiederholt,
sondern sich darauf beschränkt, ganz konkrete Betreuungsleistungen, nämlich die Bereitung des Frühstücks und eines warmen
Abendessens sowie die Sauberhaltung der Wohnung und das Wäschewaschen mit Bügeln, zu fordern und im Fristsetzungsschreiben
vom 25. Juli 1995 hierauf Bezug genommen sowie dargelegt, daß die Beklagte diese Leistungen außerhalb ihrer Arbeitszeit erbringen
könne. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger mit Schreiben vom 30. Juni 1995 die Erbringung von Pflegeleistungen
durch Dritte nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern ist der Auffassung der Beklagten entgegengetreten, daß die Pflegeleistungen
generell von Dritten erbracht werden könnten und nahm eine solche Berechtigung nur für Ausnahmefälle (z.B. Krankheit oder
Urlaub der Beklagten) an. Läge darin auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung
eine Zuvielforderung des Klägers, so würde dies jedenfalls nach den Umständen des Falles weder die Wirksamkeit der Mahnung
noch die der Fristsetzung in Zweifel ziehen. Es wäre vielmehr von einer wirksamen Aufforderung zur Erbringung der Leistung
im geschuldeten Umfang auszugehen (§
242
BGB). Die Differenzen der Parteien betrafen die schwierige Frage der Vertragsauslegung. Die Eltern der Beklagten befanden sich
unstreitig in einer gesundheitlich bedrohlichen Situation. Der Kläger hatte einen Schlaganfall erlitten und war gerade eben
aus dem Krankenhaus entlassen worden, seine Frau war ebenfalls nur bedingt einsatzfähig. Eine Betreuung war für die Eltern
der Beklagten von herausragender Bedeutung. Ihr Wunsch, von einer ihnen vertrauten Person gepflegt zu werden, erscheint verständlich
und auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung (Drittleistungen in zumutbarem
Rahmen) ebenfalls nicht unverhältnismäßig und überzogen. Vor diesem Hintergrund mußte die Beklagte die Mahnung und Fristsetzung
jedenfalls als Aufforderung verstehen, nunmehr überhaupt tätig zu werden und konnte nicht davon ausgehen, die Eltern würden
tatsächlich angebotene Pflegeleistungen ablehnen. Demgegenüber hat sie sich nur darauf beschränkt, verbal ihre Pflegebereitschaft
auszudrücken und durch ihr Schreiben vom 14. Juni 1995 auch noch den Eindruck erweckt, es bedürfe zunächst einer Begutachtung
zur Pflegebedürftigkeit. Dies blieb ganz entscheidend hinter ihrer vertraglichen Verpflichtung zurück.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
97 Abs.
1
ZPO.