Nachehelicher Unterhaltsanspruch bei Teilerwerbstätigkeit
Tatbestand:
Die im Dezember 1948 geborene Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung nachehelichen Unterhalts in Anspruch.
Die Parteien schlossen im Dezember 1974 die Ehe, aus der ein im Juli 1975 geborener Sohn hervorging. Nach seiner Geburt gab
die Klägerin, die in ihrem erlernten Beruf als Hauswirtschaftsgehilfin nach der Prüfung zwei Jahre gearbeitet und dann andere
Tätigkeiten ausgeübt hatte, ihre Berufstätigkeit auf. Im Jahre 1981 wandte sich der Beklagte einer anderen Frau zu. Darauf
kam es im März 1984 zur Trennung der Parteien. Durch Verbundurteil vom 15. Januar 1985 wurde die Ehe geschieden und die elterliche
Sorge für den Sohn auf die Klägerin übertragen.
Nach der Scheidung zahlte der Beklagte, der von Beruf Kraftfahrer ist, an die Klägerin für sie und den Sohn einen Gesamtunterhalt
von monatlich 480 DM. Daneben bezog die Klägerin Sozialhilfe. Mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 10. November
1987 begehrte sie von dem Beklagten neben dem (weitergezahlten) Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 290 DM für sich selbst
monatlich 439,16 DM Unterhalt. Der Beklagte kam ihrer Aufforderung nicht nach.
Im Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht vom 8. März 1988 vereinbarten die Parteien, daß für den Sohn ein Tabellenunterhalt
von monatlich 345 DM abzüglich 25 DM anteiliges Kindergeld gezahlt und dem Kindesunterhalt unterhaltsrechtlicher Vorrang eingeräumt
wird.
Ihren eigenen Unterhaltsanspruch machte die Klägerin in Höhe von monatlich 359,16 DM für die Zeit vom 1. November 1987 an
geltend, abzüglich für November 1987 gezahlter 229 DM (insoweit wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt).
Das Amtsgericht - Familiengericht - gab der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand
der Klägerin nur in Höhe von monatlich 260 DM statt, wobei es davon ausging, daß die Klägerin zur Ausübung einer halbschichtigen
Tätigkeit imstande sei, durch die sie monatlich 600 DM verdienen könne.
Auf die Berufung des Beklagten, der sich, wie schon im ersten Rechtszug, auf den Standpunkt stellte, die Klägerin könne ihren
Bedarf durch zumutbare Erwerbstätigkeit voll selbst befriedigen, änderte das Oberlandesgericht das amtsgerichtliche Urteil
teilweise ab und verurteilte den Beklagten, an die Klägerin für Dezember 1987 einen Betrag von 42,52 DM, für die Zeit vom
1. Januar bis zum 31. Dezember 1988 monatlich 229,79 DM und ab Januar 1989 monatlich 222,29 DM Unterhalt zu zahlen.
Hiergegen wendet dieser sich mit der zugelassenen Revision, mit der er sein Begehren auf volle Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
I. Die Klägerin war trotz rechtzeitiger Bekanntmachung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist über den Revisionsantrag
des Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden, §§
557,
331 ZPO (vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ aaO S. 82).
II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache in die Vorinstanz.
1. Das Berufungsgericht hat der Klägerin gemäß §
1570 BGB nachehelichen Unterhalt zugebilligt, wobei es davon ausgegangen ist, daß sie sich auf ihren Unterhaltsbedarf nach den ehelichen
Lebensverhältnissen einen erzielbaren Verdienst aus halbschichtiger Erwerbstätigkeit von monatlich 668,96 DM anrechnen lassen
müsse.
Zu der aus §
1570 BGB hergeleiteten Anspruchsgrundlage hat das Oberlandesgericht ausgeführt: Die Betreuung des Sohnes der Parteien habe der Aufnahme
einer halbschichtigen Erwerbstätigkeit der Klägerin seit Beginn des Anspruchszeitraumes im November 1987 nicht entgegengestanden,
da der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits 12 Jahre alt gewesen sei; eine erhöhte Betreuungsbedürftigkeit des Kindes sei nicht
behauptet worden. Nach dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten stünden einer halbschichtigen Erwerbstätigkeit
der Klägerin gesundheitliche Gründe nicht entgegen. Schließlich habe sie nicht dargelegt, daß sie trotz rechtzeitiger und
ausreichender Bemühungen keinen Arbeitsplatz habe finden können. In den für sie in Betracht kommenden Tätigkeitsbereichen
teilschichtiger Aushilfs- und Anlerntätigkeiten seien keine besonderen Kenntnisse erforderlich, um die sich sonst immer mehr
ausweitende Technisierung des Arbeitslebens bewältigen zu können. Das Fehlen solcher Kenntnisse habe der Klägerin daher bei
ihren Bemühungen um einen Arbeitsplatz nicht zum Nachteil gereichen können.
2. Diese Ausführungen werden - als dem Beklagten günstig - von der Revision nicht angegriffen und lassen auch keinen Rechtsfehler
erkennen.
Soweit das Berufungsgericht den Unterhaltsanspruch der Klägerin ausschließlich auf §
1570 BGB und nicht - daneben - teilweise auf §
1573 Abs.
2 BGB gestützt hat, hält dies unter den gegebenen Verhältnissen der rechtlichen Nachprüfung stand.
Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 13. Dezember 1989 (IVb ZR 79/89 = BGHR
BGB §
1573 Abs.
2, Ergänzungsanspruch 4 = FamRZ 1990, 492) - nach Erlaß des Berufungsurteils - unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung ausgesprochen, daß in Fällen, in denen der
unterhaltsberechtigte Ehegatte durch Kinderbetreuung nur teilweise an einer Erwerbstätigkeit gehindert wird, der Anspruch
aus §
1570 BGB u.U. durch einen solchen nach §
1573 Abs.
2 BGB ergänzt werden kann. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Denn das Einkommen, das die Klägerin aus einer ihr (ohne
die Kinderbetreuung) zumutbaren Vollerwerbstätigkeit erzielen könnte, würde nach den von dem Berufungsgericht getroffenen
Feststellungen ausreichen, um ihren vollen Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu decken.
III. 1. Für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Klägerin nach §
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB hat das Berufungsgericht zutreffend das Einkommen des Beklagten als des während der Ehe allein verdienenden Ehegatten zugrunde
gelegt. Es ist dabei von einem Bruttoarbeitslohn von 29.926 DM für Februar bis Dezember 1987 zuzüglich einen Monat Arbeitslosengeld
in Höhe von 1.069,20 DM für das Jahr 1987 und von einem Bruttoarbeitslohn von 33.140 DM für die Jahre 1988 und 1989 ausgegangen.
Zur Ermittlung des Nettoeinkommens hat es sodann nicht die tatsächlich vom Beklagten entrichteten Lohn- und Kirchensteuern
abgesetzt, sondern Steuerlasten nach Klasse III/1 berücksichtigt, wie sie der Veranlagung des Beklagten während bestehender
Ehe entsprachen. Auf diese Weise hat das Berufungsgericht - nach entsprechenden Abzügen der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-
und Krankenversicherung sowie unter Berücksichtigung einer Lohnsteuererstattung - einen Monatsnettoverdienst des Beklagten
für 1987 von 1.767,96 DM errechnet und für 1988 von 2.142,51 DM, den es auch für 1989 angenommen hat. Aus diesen Beträgen
hat das Oberlandesgericht nach Vorwegabzug des zwischen den Parteien vereinbarten Kindesunterhalts von monatlich 345 DM durch
Halbierung den Unterhaltsbedarf der Klägerin mit monatlich 711,48 DM für 1987 und monatlich 898,75 DM für 1988 gebildet. Abzüglich
des der Klägerin angerechneten Verdienstes von monatlich 668,96 DM hat es hieraus einen verbleibenden Bedarf von 42,52 DM
für Dezember 1987 und von monatlich 229,79 DM für 1988 ermittelt, für den der Beklagte aufzukommen habe; ab Januar 1989 hat
sich die Bedarfslücke wegen des auf 360 DM erhöhten Kindesunterhalts nach der Berechnung des Oberlandesgerichts auf monatlich
222,29 DM ermäßigt.
Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen dieser Bedarfsbemessung - sowohl bei der Frage der anzusetzenden Steuerklasse als
auch bei der Bestimmung des Bedarfs der Klägerin - unter eingehender Darlegung seines Standpunkts mit der Rechtsprechung des
erkennenden Senats auseinandergesetzt, von der es in beiden Punkten abweicht. Denn es berücksichtigt einerseits nicht die
Einkommensminderung, die der unterhaltspflichtige Ehegatte durch die höhere Steuerbelastung infolge des Wegfalls des Splittingsvorteils
erleidet; zum anderen bemißt es den Bedarf des während der Ehe nicht erwerbstätigen Ehegatten - ohne schon hierbei einen Erwerbstätigenbonus
für den Verpflichteten zu berücksichtigen - strikt mit der Hälfte des maßgeblichen Einkommens des unterhaltspflichtigen Ehegatten.
2. Zu diesen beiden Punkten erhebt die Revision mit Recht Bedenken.
Der Senat hat nach Erlaß des angefochtenen Urteils den eigenen Rechtsstandpunkt in mehreren Entscheidungen überprüft und dabei
seine frühere Rechtsprechung unter Auseinandersetzung mit den teilweise abweichenden Meinungen, auch des Berufungsgerichts,
bestätigt und weiterentwickelt (vgl. Senatsurteile vom 26. April 1989 - IVb ZR 59/88 = BGHR
BGB §
1578 Abs.
1 Satz 1, Unterhaltsbemessung 16 = FamRZ 1989, 842; vom 24. Januar 1990 - XII ZR 2/89 = BGHR aaO, Unterhaltsbemessung 17 = FamRZ 1990, 499; vom 31. Januar 1990 - XII ZR 35/89 = BGHR aaO, Unterhaltsbemessung 21 = FamRZ 90, 503; vom 31. Januar 1990 - XII ZR 21/89 = BGHR aaO, Unterhaltsbemessung 20; vom 11. Juli 1990 - XII ZR 85/89; vom 20. Juli 1990 - XII ZR 73/89 und XII ZR 74/89).
Der Senat ist hiernach zum einen dabei geblieben, daß bei der Ermittlung der ehelichen Lebensverhältnisse auf das tatsächliche
Nettoeinkommen abzustellen ist, wie es sich unter Berücksichtigung der gesetzlich bestimmten Abzüge - Steuern, Sozialabgaben
usw. - nach den jeweiligen persönlichen Verhältnissen des Einkommensbeziehers ergibt. Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs
der Klägerin nach dem Maßstab der ehelichen Lebensverhältnisse (§
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB) ist deshalb entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts das Nettoeinkommen zugrunde zu legen, das der Beklagte aufgrund
der tatsächlichen Besteuerung nach Steuerklasse I zur Verfügung hat (Senatsurteile vom 20. Juli 1990 - XII ZR 73/89; vom 24. Januar 1990 - XII ZR 2/89 aaO). Ebenso hat der Senat - zum anderen - daran festgehalten, daß bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen
Lebensverhältnissen dem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen ein die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens maßvoll übersteigender
Betrag verbleiben muß; hiermit soll unabhängig von den speziellen Gegebenheiten des einzelnen Falles dem erhöhten Aufwand,
der typischerweise mit der Berufstätigkeit verbunden ist, Rechnung getragen und zugleich der Anreiz zur (weiteren) Ausübung
einer Erwerbstätigkeit gesteigert werden (Senatsurteile vom 20. Juli 1990 aaO; vom 26. April 1989 aaO).
Diese Gesichtspunkte gelten grundsätzlich für jeden erwerbstätigen Ehegatten. Daher muß auch dem unterhaltsberechtigten Ehegatten,
der nach der Scheidung seinerseits eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat oder dem, wie hier, ein erzielbares Eigeneinkommen
aus zumutbarer Erwerbstätigkeit angerechnet wird, von seinem Einkommen ein entsprechender Teil anrechnungsfrei belassen werden
(Senatsurteile vom 16. Dezember 1987 - IVb ZR 102/86 = BGHR aaO, Unterhaltsbemessung 8 = FamRZ 1988, 265, 267 unter II 3; vom 24. Januar 1990 - XII ZR 2/89 aaO).
Da das angefochtene Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, kann es nicht bei Bestand bleiben.
IV. Der Senat ist zu einer abschließenden eigenen Entscheidung nicht in der Lage.
Der Bedarfsberechnung wird - als Folge der anzusetzenden tatsächlichen Steuerbelastung nach Steuerklasse I - ein geringeres
Nettoeinkommen des Beklagten als bisher zugrunde zu legen sein. Seine Höhe ist nicht festgestellt. Das Berufungsurteil nennt
außer Nettoeinkommenszahlen auf der Grundlage einer fiktiven Besteuerung nach der Steuerklasse III/1 nur Bruttoeinkünfte für
die Jahre 1987 und 1988, denen jedoch keine - vollzählig zu den Akten gereichten - Verdienstbescheinigungen zugrunde liegen.
Den Bruttoarbeitslohn des Beklagten für 1987 hat das Berufungsgericht ersichtlich dem Jahresausgleichsbescheid über Lohn-
und Kirchensteuer des Finanzamts Gelsenkirchen vom 26. August 1988 entnommen; den Gesamtbruttoarbeitslohn für 1988 hat es
offenbar durch Hochrechnung anhand der Verdienstbescheinigung für November 1988 ermittelt. Nachdem aber eine Bemessung des
Unterhaltsbedarfs der Klägerin nach dem tatsächlichen Einkommen des Beklagten zu geringeren Beträgen führen wird, sind die
genauen Einkommenswerte festzustellen, damit entschieden werden kann, ob und in welcher Höhe sich ein Unterhaltsanspruch der
Klägerin ergibt. Die insoweit gebotenen Feststellungen sind dem Tatrichter vorbehalten.
Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.