Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner; Verfassungsmäßigkeit der Erhebung der Beiträge und der
unterbliebenen Rentenanpassungen in den Jahren 2004 und 2005
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten die Tragung des hälftigen Pflegeversicherungsbeitrags über
den 31.3.2004 hinaus verlangen kann, ob der von ihm zu tragende Krankenversicherungsbeitrag ab 1.7.2005 allein nach der Hälfte
des allgemeinen Beitragssatzes ohne Erhebung eines zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags zu berechnen und seine Bruttoaltersrente
ab 1.7.2005 zumindest in Höhe der Inflationsrate anzupassen ist.
Der im Mai 1930 geborene Kläger bezieht seit Juni 1993 von dem beklagten Rentenversicherungsträger eine Altersrente für langjährig
Versicherte. Er ist in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert und Mitglied
der beigeladenen Krankenkasse sowie deren Pflegekasse. Von seiner Rente wurden die Hälfte der nach dem allgemeinen Beitragssatz
berechneten Krankenversicherungsbeiträge und ab dem 1.1.1995 die Hälfte der an die Pflegeversicherung zu zahlenden Beiträge
einbehalten. Die anderen Beitragshälften trug die Beklagte und führte die Gesamtbeiträge ab.
Mit Bescheid vom 8.3.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, für die Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung sei
ab dem 1.4.2004 ein Beitragssatz von 14,7 vH statt bisher 15,2 vH zugrunde zu legen. Zudem seien ab dem 1.4.2004 von den Rentnern
die Beiträge zur Pflegeversicherung nach dem Beitragssatz von 1,7 vH nicht mehr nur zur Hälfte, sondern in voller Höhe zu
tragen und aus der Rente einzubehalten. Sie setzte für die Zeit ab 1.4.2004 unter Berücksichtigung der Bruttorente von 1.906,36
Euro den vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag mit 140,11 Euro und den von ihm zu tragenden Pflegeversicherungsbeitrag
mit 32,41 Euro fest. Der Zahlbetrag der Rente betrug 1.733,84 Euro. Den Widerspruch, mit dem sich der Kläger gegen seine Belastung
mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag und die Berechnung des Krankenversicherungsbeitrags nach dem allgemeinen statt dem
ermäßigten Beitragssatz wandte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.10.2004 zurück.
Der Kläger hat am 4.11.2004 Klage erhoben und sich weiter gegen seine Belastung mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag
und gegen die Anwendung des allgemeinen statt des ermäßigten Beitragssatzes zur Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge
gewandt. Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte mit der dem Kläger am 18.6.2005 zugegangenen undatierten "Mitteilung
zur Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.07.2005" (iF: Mitteilung 2005) für die Zeit ab Juli 2005 den Rentenbruttobetrag
unverändert mit 1.906,36 Euro, den vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag aber mit 148,70 Euro fest. Der zuletzt
genannte Betrag ergab sich aus dem vom Kläger hälftig zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag nach einem Beitragssatz von
nunmehr 13,8 vH statt vorher 14,7 vH und dem vom Kläger allein zu tragenden zusätzlichen Beitrag nach einem Beitragssatz von
0,9 vH (= 131,54 Euro + 17,16 Euro). Den vom Kläger zu tragenden Pflegeversicherungsbeitrag stellte sie unverändert mit 32,41
Euro fest. Der Zahlbetrag der Rente ab 1.7.2005 betrug nunmehr 1.725,25 Euro. Im anhängigen Klageverfahren wandte sich der
Kläger auch gegen diesen Bescheid und machte geltend, die Höhe der von ihm zu tragenden Krankenversicherungsbeiträge sei verfassungswidrig.
Die Beklagte wertete seine Ausführungen als Widerspruch gegen die Erhebung des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags in
der Mitteilung 2005 und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 23.8.2005 zurück. Die Erhebung des zusätzlichen Beitrags
zur Krankenversicherung sei rechtmäßig. Der Kläger hat sich mit der hiergegen am 21.9.2005 erhobenen Klage gegen die Tragung
höherer monatlicher Beiträge zur Pflegeversicherung als der Hälfte des Beitrags, nämlich 16,20 Euro, und höherer Krankenversicherungsbeiträge
als der Hälfte der nach dem ermäßigten für Versicherte ohne Krankengeldanspruch geltenden Beitragssatz von 12,9 vH berechneten
Beiträge von 122,96 Euro sowie die unterbliebene Rentenanpassung ab 1.7.2005 gewandt und eine monatliche Nettorente von mindestens
1.767,20 Euro begehrt. Das Sozialgericht (SG) hat nach Verbindung der Verfahren die Klagen mit Urteil vom 19.5.2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt,
die Klage auf Zahlung eines monatlichen Rentenbetrags von 1.767,20 Euro sei wegen bereits bestehender Rechtshängigkeit teilweise
unzulässig. Im Übrigen seien die Klagen unbegründet, weil die Beklagte die Beiträge entsprechend den gesetzlichen Vorschriften
berechnet habe und ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich sei. Auch die unterbliebene Rentenanpassung sei nicht verfassungswidrig.
Mit seiner vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung der Art
3, Art
14 und Art
20 GG durch die Auferlegung des vollen Pflegeversicherungsbeitrags gemäß §
59 Abs 1
SGB XI, die Erhebung des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags nach §§ 241a, 249a
SGB V, die Anwendung des allgemeinen statt des ermäßigten Beitragssatzes gemäß §§
247,
241 SGB V und die unterbliebene Rentenanpassung ab 1.7.2005 aufgrund der §§
68,
255e SGB VI. Die Erhebung des vollen Pflegeversicherungsbeitrags verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip,
weil es nicht gerechtfertigt sei, Rentner anders zu behandeln als pflichtversicherte Arbeitnehmer. Auch sei der rechtsstaatliche
Vertrauensschutzgrundsatz verletzt und werde die Rente dadurch sozial nicht gerechtfertigt gekürzt. Dies gelte auch für die
Erhebung des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags. Die Anwendung des allgemeinen statt des für Versicherte ohne Krankengeldanspruch
geltenden ermäßigten Beitragssatzes auf Rentner stelle eine sachwidrige Ungleichbehandlung dar, weil Rentner keinen Anspruch
auf Krankengeld hätten. Bei sachgerechter Interessenabwägung habe der Gesetzgeber den Rentnern weitere Belastungen nicht zumuten
dürfen. Durch die unterbliebene Rentenanpassung im Jahre 2005 werde in Art
14 Abs
1 GG eingegriffen. Durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors werde eine positive Anpassung auf Jahre hinweg vermindert,
so dass der reale Wert von Rentenanwartschaften und Rentenansprüchen sinke. Die vermögensrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten
für Rentner seien hierdurch zunehmend eingeschränkt. Die Regelungen dienten nicht mehr dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit
des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu verbessern oder zu erhalten, sondern dem politischen
Ziel, eine langfristige Beitragssatzstabilität von 22 Prozentpunkten zu gewährleisten. Die Vielzahl gesetzgeberischer Maßnahmen
seit dem 1.1.2004 habe nicht unerhebliche und nicht verfassungskonforme Auswirkungen auf den Zahlbetrag seiner Altersrente
sowie seiner Gesamteinkünfte, da seit dem 1.1.2004 von ihm auch auf seine Versorgungsbezüge der volle Krankenversicherungsbeitrag
zu entrichten sei. Auch würden Beiträge auf Einmalzahlungen von Versorgungsbezügen erhoben und Renten zunehmend besteuert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19.5.2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8.3.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 1.10.2004 und die "Mitteilung zur Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.07.2005"
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2005 aufzuheben, soweit ab dem 1.4.2004 ein vom Kläger zu tragender Pflegeversicherungsbeitrag
von mehr als 16,20 Euro monatlich (hälftiger Pflegeversicherungsbeitrag), ab dem 1.7.2005 ein vom Kläger zu tragender Krankenversicherungsbeitrag
von mehr als 131,54 Euro monatlich (hälftiger Beitrag nach dem allgemeinen Beitragssatz) und die Bruttorente (Wert des Rentenrechts)
ab dem 1.7.2005 unverändert festgesetzt sind, und die Beklagte zu verurteilen, die Bruttorente ab dem 1.7.2005 zumindest in
Höhe der Inflationsrate anzupassen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klagen abgewiesen. Soweit der Kläger sich gegen die unterbliebene Rentenanpassung gewandt hat, war die Klage bereits
unzulässig, weil es an dem erforderlichen Vorverfahren fehlte. Im Übrigen sind die Klagen unbegründet. Zutreffend hat die
Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 8.3.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.10.2004 und mit der Mitteilung
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2005 für die Zeit ab 1.4.2004 festgestellt, dass der volle Beitrag
zur Pflegeversicherung in Höhe von 32,41 Euro aus der Rente allein vom Kläger zu tragen ist, und für die Zeit ab 1.7.2005
den Bruttobetrag der Altersrente in unveränderter Höhe und den vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag in Höhe
von 148,70 Euro festgesetzt.
1. Der erkennende Senat ist für die Entscheidung über die Revision des Klägers zuständig. Wird eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers
über die Tragung und Höhe aus der Rente zu bemessender Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung
angegriffen, hat nach der Geschäftsverteilung des Bundessozialgerichts (BSG) der 12. Senat zu entscheiden (vgl Urteile des
Senats vom 23.5.1989, 12 RK 66/87, SozR 2200 § 393a Nr 3 vom 18.12.2001, B 12 RA 2/01 R, SozR 3-2500 § 247 Nr 2, und vom 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1). Allerdings umfasst die Senatszuständigkeit keine Streitigkeiten über die Höhe der Rente. Nach der
Geschäftsverteilung ist jedoch dann, wenn in einem Revisionsverfahren mehrere Ansprüche im Streit sind, für die verschiedene
Senate zuständig sind, derjenige Senat insgesamt zuständig, in dessen Aufgabenbereich der Anspruch fällt, bei dem nach dem
Revisionsbegehren der Schwerpunkt liegt. Hier liegt der Schwerpunkt beim Streit über die Tragung der Beiträge zur Kranken-
und Pflegeversicherung sowie über die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge.
2. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung sein Anfechtungsbegehren hinsichtlich der von ihm zu tragenden Krankenversicherungsbeiträge
auf den Zeitraum ab 1.7.2005 beschränkt hat, war über den angefochtenen Bescheid vom 8.3.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1.10.2004 nur noch insoweit zu entscheiden, als darin der von der Rente einzubehaltende, allein vom Kläger zu tragende
Beitrag zur Pflegeversicherung ab 1.4.2004 in Höhe von nunmehr 32,41 Euro statt bisher 16,20 Euro festgestellt worden ist.
Darüber hinaus war über die Anfechtungsklage gegen die Mitteilung 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2005
insoweit zu entscheiden, als die Beklagte mit diesem Bescheid festgestellt hat, dass ab 1.7.2005 die vom Kläger zu tragenden
und von seiner Rente einzubehaltenden Krankenversicherungsbeiträge mehr als 131,54 Euro, nämlich insgesamt 148,70 Euro, betrugen
und dass sich die Bruttorente nicht erhöhte.
3. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist unzulässig, soweit der Kläger sich gegen die zum 1.7.2005 festgesetzte Höhe
der Bruttorente wendet und eine Rentenanpassung mindestens in Höhe der Inflationsrate begehrt. Es fehlt insoweit an der Durchführung
des gemäß §
78 Abs
1 und
3 SGG erforderlichen Vorverfahrens. Dieses war nicht gemäß §
96 SGG (in der hier maßgebenden bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung) entbehrlich, denn eine Festsetzung der Bruttorente war nicht
Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 8.3.2004. Die Höhe der Bruttorente ab 1.4.2004 hatte
der Kläger zu keinem Zeitpunkt beanstandet. Die Feststellung der Bruttorente in der Mitteilung 2005 änderte oder ersetzte
damit jedenfalls keine mit der Klage gegen den Bescheid vom 8.3.2004 angefochtene Feststellung zur Höhe der Bruttorente. Gegen
die in der Mitteilung 2005 in unveränderter Höhe festgesetzte Bruttorente und die darin enthaltene Ablehnung einer höheren
Bruttorente hat der Kläger keinen Widerspruch erhoben. Er hat zunächst nur die zusätzliche Belastung durch den von ihm allein
zu tragenden zusätzlichen Beitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 0,9 vH neben der Tragung des vollen Pflegeversicherungsbeitrags
angegriffen. Soweit er außerdem geltend gemacht hat, der in der Einführung des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags liegende
Verfassungsverstoß wiege umso schwerer, als es zu keiner Rentenerhöhung gekommen sei, ist dies Begründung für die Behauptung
des Verfassungsverstoßes. Damit hat der Kläger jedoch die Entscheidung der Beklagten zur unterbliebenen Rentenanpassung gerade
nicht angefochten. Folgerichtig hat er auch die Festsetzung einer höheren Bruttorente mit seinem Widerspruch nicht begehrt.
Zu Recht ist daher die Beklagte insoweit nicht von einem Widerspruch des Klägers in Bezug auf die Höhe der Bruttorente ausgegangen
und hat im Widerspruchsbescheid vom 23.8.2005 über die unterbliebene Rentenanpassung auch nicht entschieden. Als der Kläger
erstmals mit seiner am 21.9.2005 erhobenen Klage die Rechtswidrigkeit der unterlassenen Rentenanpassung geltend machte, war
die am 18.6.2005 beginnende Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs gegen die in der Mitteilung 2005 enthaltenen Feststellungen
bereits verstrichen.
4. Hinsichtlich der seiner Ansicht nach zu hohen Festsetzung der Pflege- und Krankenversicherungsbeiträge kann der Kläger
sein Begehren zulässig mit der Anfechtungsklage verfolgen (BSG, Urteile des Senats vom 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1, und vom 18.7.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1). Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zu Recht hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden den ab 1.4.2004 vom Kläger
zu tragenden Beitrag zur Pflegeversicherung mit 32,41 Euro statt bisher 16,20 Euro festgesetzt (hierzu unten a.), ab 1.7.2005
den vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag aus dem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 131,54 Euro und den vom
Kläger allein zu tragenden zusätzlichen Beitragsteil nach einem Beitragssatz von 0,9 vH in Höhe von 17,16 Euro festgesetzt
(hierzu unten b.). Einer Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bedurfte es nicht,
weil der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften in ihrer Anwendung auf den Kläger überzeugt ist. Dies
gilt auch, wenn die den Kläger insgesamt treffenden Beitragslasten sowie die nicht erfolgte Rentenanpassung im Jahre 2005
mitberücksichtigt werden (dazu unten c.).
a. Die Beklagte als Rentenversicherungsträger war bei dem in der gesetzlichen Krankenkasse als Rentner pflichtversicherten
Kläger für die Entscheidung über die Tragung und Höhe der Pflegeversicherungsbeiträge sachlich zuständig (vgl Urteil des Senats
vom 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 §
59 Nr 1). In Anwendung der Vorschriften des
SGB XI hat die Beklagte den vom Kläger zu tragenden und von der Rente einzubehaltenden Pflegeversicherungsbeitrag ab 1.4.2004 zutreffend
mit 32,41 Euro berechnet. Gemäß §
55 Abs
1 Satz 1
SGB XI waren die aus der Rente zu zahlenden Pflegeversicherungsbeiträge für den Zeitraum ab dem 1.4.2004 nach einem Beitragssatz
von 1,7 vH zu berechnen. Der nach §
20 Abs
1 Satz 1 und Satz 2 Nr
11 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherte Kläger hatte nach §
59 Abs
1 Satz 1 Halbsatz 2
SGB XI idF des Art 6 Nr
1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 27.12.2003 (BGBl I S 3013)
ab 1.4.2004 den aus der Rente zu zahlenden Pflegeversicherungsbeitrag allein zu tragen.
Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelung über die Beitragstragung in Anwendung auf den Kläger überzeugt.
Die Neufassung des §
59 Abs
1 Satz 1
SGB XI hat für den Kläger ab 1.4.2004 faktisch eine Verdoppelung der aus der Rente zu tragenden Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung
und insoweit eine Erhöhung der von der monatlichen Bruttorente vorzunehmenden Abzüge um 0,85 vH gegenüber dem bis zum 31.3.2004
geltenden Recht bewirkt, weil nach §
59 Abs
1 Satz 1
SGB XI in der zuvor geltenden Fassung die Hälfte des Beitrags vom Rentenversicherungsträger übernommen wurde. In seiner Entscheidung
vom 29.11.2006 (B 12 RJ 4/05 R, BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1) hat der Senat ausgeführt, dass er die ab 1.4.2004 geltende Regelung nicht für verfassungswidrig
hält. Er hat dabei offengelassen, ob bei Personen, deren Erwerbsphase erst nach Einführung der Pflegeversicherung endete und
die deshalb mit ihren während der Erwerbsphase entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen an der Finanzierung der Pflegeversicherungslasten
noch beteiligt waren, die Änderung des §
59 Abs
1 Satz 1
SGB XI überhaupt in den Schutzbereich des Art
14 Abs
1 GG eingreift, auch für diesen Fall jedoch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung angenommen und eine Verletzung des
Art
14 Abs
1 GG auch unter Vertrauensschutzerwägungen - wie der Kläger sie geltend macht - verneint. Von einer - hier vom Kläger ebenfalls
geltend gemachten - Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art
3 Abs
1 GG war der Senat auch nicht überzeugt. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen
(BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.10.2008, 1 BvR 2995/06, 1 BvR 740/07). Es hat ua ausgeführt, die hälftige Beitragstragung durch den Rentenversicherungsträger unterfalle nicht dem Schutz des
Art
14 Abs
1 GG. Soweit es sich um nur kurze Zeiträume handele, in denen der Rentner während seiner Erwerbstätigkeit durch die Zahlung von
Rentenversicherungsbeiträgen auch zur Finanzierung der Pflegeversicherung für Rentner beigetragen habe, fehle es für die Anerkennung
einer dem Eigentumsschutz unterfallenden Leistung an einer erheblichen Eigenleistung. Zudem setze die Einbeziehung sozialversicherungsrechtlicher
Positionen in den Eigentumsschutz voraus, dass diese für den Berechtigten von solcher Bedeutung seien, dass ihr Fortfall oder
ihre Einschränkung die freiheitssichernde Funktion der Eigentumsgarantie wesentlich berühre. Bei den zusätzlich zu tragenden
Beiträgen handele es sich um Beträge, welche für die existentielle Sicherung des Einzelnen nicht von Bedeutung seien und nicht
zu wesentlichen Einschränkungen in der privaten Lebensführung zwängen. Die Abschaffung der hälftigen Beitragstragung durch
den Rentenversicherungsträger sei von dem gewichtigen öffentlichen Interesse bestimmt gewesen, einem Finanzierungsdefizit
der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenzuwirken. Der Gesetzgeber habe in Ansehung des erzielten dauerhaften Einspareffekts
unter Ausschöpfung des ihm bei der Gestaltung des Sozialrechts zukommenden Spielraums die angegriffene Maßnahme als geeignet
und erforderlich ansehen dürfen. Auch Art
2 GG sei deshalb nicht verletzt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Anwendung der Vorschriften über die Beitragstragung auf den
Kläger zu einem anderen Ergebnis führt. Der Kläger bezieht seit dem Jahr 1993 eine Altersrente und hat damit zu keinem Zeitpunkt
über seine Beiträge zur Rentenversicherung den Pflegeversicherungsschutz von Rentnern mitfinanziert.
b. Die Beklagte war auch für die Entscheidung über die Höhe der vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeiträge sachlich
zuständig (vgl Urteile des Senats vom 18.12.2001, B 12 RA 2/01 R, SozR 3-2500 § 247 Nr 2, und vom 18.7.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1). Die Beklagte hat in Anwendung der Vorschriften des
SGB V zutreffend den vom Kläger zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag nunmehr mit 148,70 Euro festgesetzt. Seit dem 1.7.2005
waren aufgrund der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des §
247 SGB V die Beiträge zur Krankenversicherung aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr nach dem bis zum 30.6.2005
geltenden allgemeinen Beitragssatz (§
241 SGB V) ihrer Krankenkasse - bis dahin bei der Krankenkasse des Klägers 14,7 vH -, sondern nach dem nunmehr geltenden allgemeinen
Beitragssatz (§
241 SGB V) von 13,8 vH und aufgrund von § 241a
SGB V nach einem Beitragssatz von 0,9 vH als weiterem Beitragsteil ("zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag") zu erheben. Letzterer
war anders als der Beitragsteil nach dem allgemeinen Beitragssatz nach dem ebenfalls am 1.7.2005 in Kraft getretenen §
249a Halbsatz 2
SGB V vom Rentner allein zu tragen. § 241a
SGB V war durch Art 1 Nr 145 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003 [BGBl
I S 2190]) eingefügt und mit Wirkung zum 1.7.2005 durch Art 1 Nr 1 Buchst c) des Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von
Zahnersatz vom 15.12.2004 (AnpassungsG, BGBl I S 3445) neu gefasst worden. Auch §
247 Abs
1 SGB V wurde mit Wirkung zum 1.7.2005 angepasst, §
249a Halbsatz 2
SGB V wurde zum 1.7.2005 eingefügt. Die Gesetzesänderungen haben faktisch für den Kläger zu einer Erhöhung des von ihm zu tragenden
Krankenversicherungsbeitrags und insoweit zu einer Erhöhung der von der monatlichen Bruttorente vorzunehmenden Abzüge gegenüber
dem bis zum 30.6.2005 geltenden Recht in Höhe von zusätzlichen 0,45 Beitragssatzpunkten geführt. Die rechnerische Aufspaltung
des Beitragssatzes diente letztlich dazu, gesetzestechnisch einen Anknüpfungspunkt für die Änderung der Regelung über die
Beitragstragung zu schaffen. Diese bewirkt eine Verschiebung der Beitragslast zum Nachteil der Versicherten (vgl zum Ganzen
Urteil des Senats vom 18.7.2007, B 12 R 21/06 R, BSGE 99, 19 RdNr 15 bis 17 = SozR 4-2500 § 241a Nr 1; vgl die nunmehr ab 1.1.2009 geltende Fassung der §§
249,
249a SGB V, neu gefasst durch das Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften vom 14.6.2007, BGBl I S 1066).
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Regelungen der §§
247 Abs
1 Satz 1, 241a, 249a
SGB V in der Fassung des AnpassungsG in Anwendung auf den Kläger verfassungswidrig sind. Bereits in seinem Urteil vom 18.7.2007 (B 12 R 21/06 R, BSGE 99, 19 = SozR 4-2500 § 241a Nr 1) hat der Senat ua ausgeführt, dass Rentner, die wie der Kläger mit ihren während der Erwerbsphase
entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen an der Finanzierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligt
waren, durch die Regelung zur alleinigen Tragung des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags selbst bei Heranziehung des
Art
14 GG als Maßstabsnorm in ihrem Eigentumsgrundrecht nicht verletzt sind, weil für die Inhalts- und Schrankenbestimmung legitimierende
Gründe bestehen. Die Beitragsverschiebung zu Lasten von Arbeitnehmern und Rentnern stand nicht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Finanzierung der Aufwendungen für das - im Wesentlichen von den Arbeitnehmern - in Anspruch genommene Krankengeld.
Vielmehr wurde das auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtlich legitime Anliegen verfolgt, die
Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten ökonomischen
und demographischen Bedingungen anzupassen. Es durften insbesondere die nachteiligen Folgen von Beitragserhöhungen für Wachstum
und Beschäftigung als bedeutsam angesehen und die Auswirkungen steigender Arbeitskosten auf die Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung entsprechend gewichtet werden. Soweit es die Rentner betrifft, durften sie in angemessenem Umfang an der
Finanzierung der auf sie entfallenden Leistungsaufwendungen beteiligt und entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung
der gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden. Der Senat hat die Beitragsverschiebung zu Lasten der Rentner auch
im engeren Sinne als verhältnismäßig angesehen und darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den Gedanken der Solidarität und
des sozialen Ausgleichs grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Anpassung rentenrechtlicher Positionen besteht
(vgl im Einzelnen Urteil des Senats vom 18.7.2007, aaO, RdNr 18 ff). Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt auch die
Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes statt des ermäßigten Beitragssatzes nach §
247 Abs
1 SGB V nicht gegen Art
3 Abs
1 GG. Zwar war nach §
243 Abs 1
SGB V der Beitragssatz zu ermäßigen, wenn kein Anspruch auf Krankengeld bestand oder die Krankenkasse aufgrund von Vorschriften
des
SGB V für einzelne Mitgliedergruppen den Umfang der Leistungen beschränkte. Der Kläger hat als Rentner auch keinen Anspruch auf
Krankengeld. Die Vorschriften der §§
241 bis
243 SGB V, die eine Differenzierung des Beitragssatzes nach dem Risiko der Inanspruchnahme von Krankengeld vorsahen, mussten nicht
auch auf Personen, die als Rentner nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V versicherungspflichtig sind und als solche mangels versicherungspflichtiger Beschäftigung keinen Anspruch auf Krankengeld
erwerben können, erstreckt werden. Vielmehr konnte - wie der Senat im Zusammenhang mit der Beitragserhebung auf Versorgungsbezüge
bereits in seinem Urteil vom 24.8.2005 (B 12 KR 29/04 R, SozR 4-2500 §
248 Nr 1) ausgeführt hat - für die versicherungspflichtigen Rentenbezieher mit §
247 SGB V eine beitragsrechtliche Sonderregelung geschaffen werden. Der Senat hat zur Begründung darauf hingewiesen, dass seit Einführung
der Krankenversicherung der Rentner im Jahr 1956 die Rentner stets als besondere Gruppe behandelt und die Beitragssätze besonders
geregelt wurden (vgl im Einzelnen BSG, Urteil vom 24.8.2005, aaO, RdNr 20 bis 23).
c. Die im Revisionsverfahren überprüften "Verschlechterungen" im Beitragsrecht der gesetz lichen Kranken- und der sozialen
Pflegeversicherung stellen gemessen an Art
14 GG, auch im Kontext anderer Beitragserhöhungen der letzten Jahre, der "Einschnitte" im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung
wie dem Unterbleiben von Rentenanpassungen in den Jahren 2004 und 2005 sowie der ab 2005 schrittweise beginnenden Besteuerung
von Renten entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung keine Überforderung der Rentner dar. Vor dem Hintergrund der
sich verändernden ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen, mit dem Ziel der Stabilisierung des Beitragssatzes in
der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung und, um dem sich vertiefenden Finanzierungsdefizit in der gesetzlichen Rentenversicherung
im Übrigen entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber in den Jahren 2004 und 2005 bei Rentnern punktuell und situativ Maßnahmen
ergriffen, die den monatlichen Rentenzahlbetrag sukzessive minderten. Soweit die Minderung der monatlichen Nettorente in den
vergangenen Jahren auf einer Erhöhung der Beitragslast beruht, hat der Senat diese in seinem Urteil vom 18.7.2007 (B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 RdNr 29) im Rahmen einer auch kumulative Effekte einbeziehenden verfassungsrechtlichen Betrachtungsweise
als nicht so gewichtig angesehen, dass sie die Legitimation des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich
in Frage stellt. Der Senat hat hierzu ausgeführt, dass er bei der Summierung nur im Hinblick auf das Eigentumsrecht relevante
"Verschlechterungen" im Beitragsrecht für Rentner in den Blick nimmt, solche in der Überbürdung der zweiten Beitragshälfte
in der sozialen Pflegeversicherung zum 1.4.2004 und in der Einführung eines zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags zum
1.7.2005 gesehen und beide Maßnahmen als typischerweise nicht derart niveausenkend betrachtet, dass die Rente dadurch ihre
prinzipielle Struktur und ihre Funktion als freiheits- und existenzsichernde Leistung verliert. Kriterien dafür, ob und ggf
welche weiteren Belastungen, die bei Rentnern durch gesetzliche Regelungen eingetreten sind, bei der verfassungsrechtlichen
Beurteilung der Zulässigkeit von Beitragslasterhöhungen mitzuberücksichtigen sind, hat der Senat nicht. Solche sind bisher
auch nicht ersichtlich. Selbst wenn aber die im Unterbleiben der Rentenanpassungen liegenden nachteiligen Veränderungen im
Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung in eine "additive" Betrachtung einzubeziehen wären, hielte der Senat an
seiner bisherigen Beurteilung fest. Ob Rentenanpassungen überhaupt von Bedeutung für das Eigentumsrecht an der hierdurch geschützten
Anwartschaft sein können, oder vielmehr (nur) eine - nicht durch Art
14 Abs
1 GG geschützte - bloße Erwartung auf zukünftige Teilhabe an steigenden Einkünften der Rentenbeitragszahler betreffen, ist nicht
entschieden (vgl zur Aussetzung der Rentenanpassung im Jahr 2005 Urteil des BSG vom 13.11.2008, B 13 R 13/08 R, Umdruck RdNr 25, mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; auch zur Aussetzung der Rentenanpassung im Jahr 2004 Beschluss
des BVerfG vom 26.7.2007, 1 BvR 824/03 ua, Umdruck RdNr 53). Soweit die Revision in ihre Gesamtschau miteinbezieht, dass Rentner ab dem Jahr 2005 verstärkt zur
Einkommensteuer herangezogen werden, erscheint es besonders offen, ob dieser Umstand überhaupt als ein kumulativer Effekt
berücksichtigt werden könnte oder außerhalb einer insoweit verfassungsrechtlich maßgeblichen "additiven" Betrachtung läge
(vgl zum Begriff des additiven Grundrechtseingriffs BVerfG, Urteil vom 12.4.2005, 2 BvR 581/01, BVerfGE 112, 304, und Beschluss vom 13.9.2005, 2 BvF 2/03, BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9, sowie Lücke, DVBl 2001, 1469, 1476). Diese steuerlichen Belastungen der Rentner sind Folge verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (BVerfG, Urteil vom
6.3.2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 = SozR 3-1100 Art 3 Nr 176), mit der eine bisher unterschiedliche steuerliche Belastung verschiedener Gruppen von Steuerpflichtigen
am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes beanstandet wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.