Leistung der Rehabilitation für psychisch Kranke
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe:
I
Durch Urteil vom 21.8.2018 hat das Schleswig-Holsteinische LSG einen Anspruch des Klägers auf eine Leistung der Rehabilitation
für psychisch Kranke (RPK) verneint.
Der Kläger und die Beklagte schlossen in dem Rechtsstreit zu dem Aktenzeichen S 19 R 1/12 am 15.4.2015 vor dem SG Itzehoe folgenden Vergleich:
1. Der Kläger stellt heute zur Sitzungsniederschrift einen Antrag auf Bewilligung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation
für Suchtkranke.
2. Die Beklagte sichert dem Kläger daraufhin zu, den heute gestellten Rehabilitationsantrag mit dem Ziel einer RPK-Gewährung
zu bescheiden.
3. Bezogen auf die Reihenfolge der Antragssachbearbeitung stellt die Beklagte die Bescheidung des Widerspruchs zum abgelehnten
Persönlichen Budget zurück und wird den heutigen Antrag des Klägers vorziehen und abschließend bearbeiten.
4. Entsprechend §
195 SGG tragen die Beteiligten die ihnen in diesem Verfahren entstandenen Kosten selbst.
5. ... Widerrufsrecht für den Kläger ...
Der Kläger machte von dem Widerrufsrecht keinen Gebrauch. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom
26.6.2015 für 16 Wochen Leistungen der medizinischen Rehabilitation in der AHG Klinik L. In seinem Widerspruch hiergegen bemängelte der Kläger ein unzutreffendes Antragsdatum sowie die unzutreffende Umsetzung
des gerichtlichen Vergleichs. Es sei keine RPK-Leistung bewilligt worden. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Abänderung
des Antragsdatums zurück (Widerspruchsbescheid vom 3.11.2015).
Im Klageverfahren ist der Kläger ebenso wie im Berufungsverfahren vor dem LSG erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 12.2.2018
und Urteil vom 21.8.2018). Zur Begründung hat letzteres ausgeführt, nach dem Vergleich sei vorrangig über eine Maßnahme für
Suchtkranke zu bescheiden gewesen. Die Entscheidung über eine RPK-Maßnahme sei nach erfolgreichem Abschluss erst als Ziel
formuliert. Darüber hinaus wäre nach der Gutachtenlage die Bewilligung einer RPK-Maßnahme vor einer solchen zur Alkoholentwöhnung
nicht sachgerecht gewesen. Prognostisch sei ein Erfolg der RPK-Maßnahme ohne vorherige Suchtentwöhnung auszuschließen. Erst
nach erfolgreichem Abschluss einer solchen ergäbe sich eine Grundlage für eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die RPK-Maßnahme.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Der Kläger hat gegen das am 19.9.2018 zugestellte Urteil mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben vom 19.10.2018
(Eingang beim BSG am selben Tag) Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Er rügt, das vom LSG verwendete Sachverständigengutachten
sei bei näherer Würdigung unschlüssig und teils widersprüchlich. Die Ausführungen des "Freundeskreises O." als Rehaeinrichtung
seien als ärztliche Einschätzung nicht verwertbar, da es keinen Kontakt zwischen einem Arzt und dem Kläger dort gegeben habe.
Nicht berücksichtigt worden sei zudem, dass der SGB II-Leistungsträger ein unter 15-stündiges Leistungsvermögen in der Woche festgestellt habe. Er sei ferner seit Februar 2010
durchgehend krankgeschrieben. Auch habe das LSG die Diagnose eines Asperger Syndroms durch die Uniklinik E. nicht berücksichtigt.
Insoweit hätte es weiterer medizinischer Abklärung bedurft.
II
Der Antrag auf PKH ist abzulehnen.
Nach §
73a Abs
1 S 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm §
114 Abs
1 S 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für die Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener
Prozessbevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.
Im Verfahren der als Rechtsmittel gegen das LSG-Urteil allein statthaften Nichtzulassungsbeschwerde (§§
160,
160a SGG) geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer
Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs auch unter Berücksichtigung des Schreibens des Klägers vom 19.10.2018
nicht erkennbar.
1. Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass eine Abweichung des Berufungsurteils von höchstrichterlicher Rechtsprechung (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte.
3. Es sind auch keine Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) erkennbar, auf denen die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen könnte.
Anhaltspunkte dafür, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Sachaufklärungsrüge (§
103 SGG) erfolgreich anbringen könnte, sind nicht vorhanden. Denn für den Vorhalt, das Gericht habe seine Verpflichtung zur Amtsermittlung
gemäß §
103 SGG verletzt, bestehen nach §
160a Abs
2 S 3 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 Teils 3
SGG spezifische Erfordernisse. Insoweit muss neben dem gestellten Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, die Entscheidung
des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen (stRspr; vgl zB BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG vom 14.4.2009 - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 8). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
Denn zum einen hat das LSG seine Entscheidung auf zwei selbstständige Begründungsstränge gestützt und für den ersten Begründungsstrang
greift die Rüge der unterlassenen Amtsermittlung nicht durch. Dort befasst sich das LSG ausschließlich mit der Auslegung des
gerichtlichen Vergleichs vom 15.4.2015. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, als erster Schritt sei danach eine Entscheidung
der Beklagten über eine Suchtentwöhnungsbehandlung vereinbart worden, und erst dieser nachfolgend ein Bescheid über eine RPK-Maßnahme.
Aus der Formulierung der Vereinbarung ergebe sich, dass die Durchführung der Suchtentwöhnungsbehandlung erfolgen sollte, um
den Erfolg einer RPK-Maßnahme gewährleisten zu können. Ausgehend hiervon kommt es - wie das LSG auch selbst ausführt - nicht
auf die Diagnose der Erkrankung des Klägers an einem Asperger Syndrom bzw weitere Ermittlungen zum Gesundheitszustand des
Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet an. Denn jede Therapie einer psychischen Erkrankung - auch die des Asperger Syndroms
- setzt nach Auffassung des LSG eine Suchtentwöhnung voraus. Da es allein auf die vergleichsweise Vereinbarung ankommt, ist
es nicht entscheidend, ob - wie der Kläger meint - die verwendeten Sachverständigengutachten unschlüssig oder widersprüchlich
sind.
Soweit der Kläger mit seinen Darlegungen indirekt die Auslegung des gerichtlichen Vergleichs durch das LSG angreift, weil
er im Ergebnis meint, dass bestimmte Umstände bzw rechtliche Gesichtspunkte in einer anderen Weise in die Auslegung durch
das Berufungsgericht hätten einfließen müssen, betrifft dies die Beweiswürdigung im Einzelfall. Hieraus könnte ein zugelassener
Prozessbevollmächtigter keinen die Zulassung der Revision begründenden Verfahrensfehler herleiten. Denn der Kläger zweifelt
damit im Kern an der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung und nicht am äußeren Verfahrensgang (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
144 RdNr 34a). Ein Angriff auf die Beweiswürdigung wird daher ausdrücklich als beachtlicher Verfahrensfehler im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde
durch §
160 Abs
2 Nr
3 Teils 2
SGG ausgeschlossen. Dies gilt auch für eine etwaige Rüge eines Verstoßes gegen Denkgesetze (vgl BSG vom 26.1.1977 - 11 BA 184/76 - SozR 1500 § 160 Nr 26; BSG vom 31.1.2017 - B 3 KR 44/16 B - Juris RdNr 10; BSG vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - Juris RdNr 17).
Auch in einem eröffneten Revisionsverfahren ergäbe sich für den Kläger im Übrigen unabhängig von den vorhergehenden Ausführungen
kein anderes Ergebnis. Zwar hätte das BSG im Revisionsverfahren die Prozesserklärung in Gestalt des Vergleichs ohne Bindung an die Wertung des LSG auszulegen (BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 22). Das LSG hat im vorliegenden Fall jedoch das mit dem Vergleich "wirklich Gewollte" (vgl
BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 70/11 B - Juris RdNr 8; s auch BSG vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21; BSG vom 29.5.1980 - 9 RV 8/80 - Juris RdNr 8; BSG vom 16.4.1964 - 11/1 RA 206/61 - BSGE 21, 13, 14 = SozR Nr 5 zu §
156 SGG, Juris RdNr 13 f), das in seinem Text erkennbar ist, zutreffend ermittelt.
In dem zweiten Begründungsstrang verneint das LSG zum aktuellen Zeitpunkt das Vorliegen der Voraussetzungen für eine RPK-Maßnahme,
weil diese erst als sachgerecht bewertet werden könne, wenn die Alkoholentwöhnung erfolgreich durchgeführt worden sei. Auch
insoweit negiert das LSG nicht die aktuellere Diagnose des Asperger Syndroms, gelangt jedoch in seiner Beweiswürdigung zu
dem Ergebnis, dass diese nichts an der Reihenfolge der Maßnahmen ändere. Es liege neben dem Asperger Syndrom eine Alkoholproblematik
vor, die vorrangig zu behandeln sei, um im Sinne des Rehabilitationsziels positive Effekte auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers
erzielen zu können. Insoweit stützt sich das LSG - wie es selbst darlegt - nicht ausschließlich auf die Ausführungen der "Stiftung
Freundeskreis O." als potenzielle "Rehaeinrichtung", sondern insbesondere auf das Sachverständigengutachten des Dr. G.
Soweit das LSG hier zu einer anderen Bewertung im Hinblick auf die "Rehabilitationsfähigkeit" vor dem Durchlaufen einer Suchtentwöhnungsbehandlung
gelangt als vom Kläger dargetan, greift dieser mit seinen Darlegungen auch hier allenfalls die Beweiswürdigung des LSG an.
Ebenso wenig könnte ein zugelassener Prozessbevollmächtigter aus der vom LSG nicht berücksichtigten und vom Kläger vorgebrachten
Feststellung eines wöchentlich unter 15-stündigen Leistungsvermögens durch den SGB II-Leistungsträger einen die Zulassung der Revision bewirkenden Grund generieren. Unabhängig davon, ob hieraus zulasten des
Klägers zu folgern wäre, dass die persönlichen Voraussetzungen iS des §
10 Abs
1 Nr
2 SGB VI nicht mehr vorlägen, könnte daraus zumindest nicht geschlossen werden, dass vorrangig eine RPK-Maßnahme durchzuführen sei.
Denn die Feststellung des SGB II-Leistungsträgers besagt nicht, aus welchem Grunde der Kläger nach deren Einschätzung erwerbsgemindert ist. Von einer Gefährdung
oder Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Suchterkrankung geht aber auch das LSG aus. Ansonsten hätte es die persönlichen
Voraussetzungen für eine Entwöhnungsbehandlung bereits verneinen müssen.
Nichts anderes gilt soweit der Kläger auf seine durchgehende Arbeitsunfähigkeit verweist. Auch daraus lässt sich für die Rangfolge
der Maßnahmen keine Erkenntnis gewinnen.
4. Da nach alledem die Bewilligung von PKH abzulehnen ist, entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das
Gericht (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).