Zahlung von Pflegeversicherungsleistungen nach der Pflegestufe II
Vorliegen einer privaten Pflegeversicherung
Notwendigkeit eines Höherstufungsantrags für die Zahlung eines höheren Pflegegeldes
Anwendbarkeit des Meistbegünstigungsprinzips auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung (hier mit der Möglichkeit der
Wertung eines Schreibens des Versicherungsnehmers über die Verschlechterung der Alltagskompetenzen des Versicherten als Höherstufungsantrag)
Berücksichtigung von Treu und Glauben und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Annahme einer Pflicht der privaten Versicherung zur Beratung im Sinne des Hinweises auf die Notwendigkeit eines Höherstufungsantrags
auch ohne Nachfrage seitens des Versicherten
Pflicht zur Spontanberatung
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Pflegeversicherungsleistungen nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010 bis 28.02.2011.
Die am 00.00.2007 geborene Tochter des Klägers (T) leidet unter partieller Trisomie mit Entwicklungsverzögerung. Bis zum 30.09.2009
war sie über ihre Mutter in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei der DAK familienversichert und bezog seit
dem 01.09.2009 Pflegeversicherungsleistungen der Pflegestufe I. Dem lag ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
Westfalen-Lippe (MDK) vom 31.03.2009 zugrunde, wonach im Vergleich zu einem gesunden Kind ein erhöhter Hilfebedarf in der
Grundpflege von 103 Minuten täglich (Körperpflege 25 Minuten, Ernährung 40 Minuten, Mobilität 38 Minuten) bestand. Prognostisch
wurde ausgeführt, dass kurz- bis mittelfristig keine Änderung des gegenwärtig ermittelten grundpflegerischen Hilfebedarfs
zu erwarten sei. Langfristig könne keine sichere Prognose abgegeben werden, da die weitere Entwicklung stark von der Selbständigkeitsentwicklung
in den lebenspraktischen Bereichen abhängig sei. Hier seien sowohl eine Zu- als auch eine Abnahme des Hilfebedarfs möglich.
Eine Wiederholungsbegutachtung wurde nach Ablauf von zwei Jahren vorgeschlagen.
Seit dem 01.10.2009 ist T über ihren Vater, den Kläger, bei der Beklagten nach dem Tarif PVB für Beihilfeberechtigte pflegeversichert.
Dem liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegeversicherung - Bedingungsteil MB/PPV 2008
- zugrunde. Unter Bezugnahme auf die Feststellungen in dem MDK-Gutachten vom 31.03.2009 zahlte die Beklagte seit dem 01.10.2009
Pflegegeld der Stufe I. In der Leistungszusage vom 29.01.2010 befristete sie die Zahlungen entsprechend der in dem MDK Gutachten
angeregten Wiederholungsbegutachtung bis zum 31.03.2011.
Mit Schreiben vom 15.01.2010 beantragte der Kläger Leistungen der Verhinderungspflege sowie zusätzliche Betreuungsleistungen.
Seit der letzten Begutachtung im März 2009 habe sich die Alltagskompetenz von T verschlechtert. Der Entwicklungsabstand zu
gleichaltrigen Kindern sei deutlich größer geworden. Auch sei eine schwere Augenerkrankung hinzugekommen. Nach Einholung von
Gutachten der Firma N vom 19.03.2010 und 13.07.2010 sagte die Beklagte mit Schreiben vom 09.08.2010 zusätzliche Betreuungsleistungen
ab 01.03.2010 zu.
Auf Veranlassung der Beklagten im Rahmen der Überprüfung des Leistungsfalls erstellte die Firma N am 03.03.2011 ein Pflegegutachten,
aus dem sich ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 219 Minuten (Körperpflege 42 Minuten, Ernährung 122 Minuten, Mobilität
55 Minuten) ergab. Die Pflegestufe II bestehe seit dem 30.04.2010, dem dritten Geburtstag des Kindes, da der natürliche Pflegebedarf
mit diesem Zeitpunkt geringer angesetzt werde. Mit Leistungszusage vom 14.04.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass
ab 01.03.2011 Leistungen nach der Pflegestufe II für T gezahlt würden. Die Leistungszusage sei bis zum 31.03.2013 befristet,
da nach Ablauf von 24 Monaten eine erneute Begutachtung durchzuführen sei.
Mit Schreiben vom 26.04.2011 machte der Kläger Leistungen nach der Pflegestufe II auch für die Zeit von April 2010 bis 28.02.2011
geltend. Die gesetzliche Krankenkasse seiner Frau habe bestätigt, dass sie Leistungen in vergleichbaren Fällen immer rückwirkend
auszahle. Dies ergebe sich aus der in § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) getroffenen Regelung. Mit Schreiben vom 19.05. und 31.08.2011 lehnte die Beklagte die Zahlung höherer Leistungen vor dem
01.03.2011 ab. Pflegegeld sei nach § 6 Abs 1 AVB erst ab Antragstellung zu zahlen. Über dieses Procedere sei der Kläger während
einer Pflegeberatung im Dezember 2009 aufgeklärt worden. Entsprechend habe er sich mit Schreiben vom 15.01.2010 hinsichtlich
der Betreuungsleistungen an die Beklagte gewandt. Weder diesem Schreiben noch dem nachfolgenden Schriftverkehr sei zu entnehmen,
dass eine grundsätzlich geänderte Pflegesituation vorgelegen habe. Erst eigene Ermittlungen in Form des N-Gutachtens vom 03.03.2011
hätten zur Feststellung der Pflegestufe II geführt.
Am 28.09.2011 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Detmold (SG) erhoben. Er habe bereits bei Eintritt in die private Krankenversicherung einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt. Die
Beklagte habe den Versicherungsfall anerkannt und dementsprechend Leistungen, zunächst der Pflegestufe I, erbracht. Ein weiterer
Antrag sei nicht erforderlich gewesen. Das Antragserfordernis gemäß § 6 Abs 1 S 2 der MB/PBV 2010 solle in erster Linie dafür
Sorge tragen, dass keine Leistungen für Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger mangels Antragstellung
vom Versicherungsfall noch keine Kenntnis hatte. Entsprechend dem Grundsatz, dass Leistungen der Pflegeversicherung Dauerleistungen
sind, sähen deshalb folgerichtig weder die Regelung der allgemeinen Versicherungsbedingungen noch die entsprechenden gesetzlichen
Vorschriften des
Elften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB XI) eine Pflicht zur wiederholenden Antragstellung, zum Beispiel für bestimmte Bewilligungsabschnitte, vor. Dies ergebe sich
auch aus § 6 Abs 2 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach in angemessenen Abständen ärztliche Feststellungen einzuholen
sind, um Änderungen in der Pflegebedürftigkeit feststellen zu können. Diese Regelung sei überflüssig, wenn der Versicherungsnehmer
verpflichtet wäre, jegliche Änderungen selbst zu ermitteln und entsprechende Anträge zu stellen. Zu berücksichtigen sei auch,
dass es sich bei der Verringerung des natürlichen Pflegebedarfs von T mit dem dritten Geburtstag um einen gutachterlichen
"Automatismus" handele. Dies habe der Beklagten bekannt sein müssen, so dass sie von sich aus die Leistungen ab April 2010
hätte erhöhen müssen. Zu berücksichtigen seien auch die in §
23 Abs
1,
3 und
4 SGB XI getroffenen Regelungen, wonach vertraglich vereinbarter Versicherungsschutz in der privaten Pflegeversicherung dem der sozialen
Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig sein müsse. Die gesetzliche Pflegeversicherung sei gemäß § 48 SGB X zur rückwirkenden Leistungserbringung bei Änderungen des Hilfebedarfs ohne erneute Antragstellung verpflichtet. Aufgrund
des Gleichwertigkeitsgebots müsse dies auch für die private Pflegeversicherung gelten.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung könnten nur auf Antrag gewährt werden.
Dies entspreche der gesetzlichen Regelung des §
33 Abs
1 SGB XI. Ein entsprechender Antrag sei unstreitig nicht gestellt worden. Der geltend gemachte Anspruch bestehe deshalb nicht. Zwar
habe die Beklagte im Rahmen ihrer Leistungszusage vom 29.01.2010 konkludent auf eine erneute Antragstellung zum Ablauf der
bis zum 31.03.2011 befristeten Leistungszusage verzichtet. Dies bedeute jedoch nicht, dass für andere oder höhere Leistungen
zu einem früheren Zeitpunkt eine Antragstellung entbehrlich wäre. Es habe sich bei der Begutachtung im März 2011 auch nicht
um eine "turnusmäßige" Begutachtung gehandelt. Diese sei vielmehr aufgrund der Befristung der Leistungszusage erfolgt. Zweck
des Antragserfordernisses sei es nicht alleine, dem Versicherer Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls zu verschaffen,
sondern darüber hinaus zeitnah die Feststellung des tatsächlichen Pflegebedarfs zu ermöglichen, da dies rückwirkend regelmäßig
problematisch sei. Gerade bei einem Kind könne die Entwicklung zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen. Schon deshalb könne
es keine "automatische" Veränderung einer Pflegestufe bei Erreichen eines bestimmten Alters geben. Es gebe keine Erfahrungssätze,
dass zu einem bestimmten Zeitpunkt "automatisch" eine Erhöhung des Pflegebedarfs bei einem Kind eintrete. Vielmehr könne eine
Änderung des Pflegebedarfs im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind jederzeit eintreten. Dies sei im Einzelfall
durch eine zeitnahe ärztliche Begutachtung festzustellen. Die Regelung des § 48 SGB X sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf die Beklagte als privatrechtliches Unternehmen nicht anwendbar. Dem widerspreche auch die in §
23 SGB XI getroffene Regelung nicht, da diese nicht verlange, dass privat pflegeversicherte Personen im Ergebnis gesetzlich Krankenversicherten
gleichzustellen sind. Es werde lediglich eine Gleichwertigkeit der Versicherungsleistungen vorgeschrieben. Vorliegend gehe
es aber nicht um die Gleichwertigkeit von Vertragsleistungen, sondern um eine Vereinbarung zum Vertragsablauf. Dieser könne
von der Beklagten frei geregelt werden und müsse sich nicht an den Vorschriften der sozialen Pflegeversicherung orientieren.
Mit Urteil vom 02.07.2014 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von Versicherungsleistungen der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 28.02.2011 nebst
Zinsen verurteilt. T erreiche nach dem Gutachten der Firma N seit dem 01.04.2010 den erforderlichen zeitlichen Mindestaufwand
für die Pflegestufe II. Die Beklagte sei verpflichtet, entsprechende Leistungen ab diesem Zeitpunkt zu zahlen. Einer erneuten
Antragstellung bedürfe es insofern nicht. Das Antragserfordernis solle in erster Linie Sorge dafür tragen, dass keine Leistungen
für solche Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger mangels Antragstellung von dem Versicherungsfall noch
keine Kenntnis hatte. Folgeanträge seien nach erstmaliger Antragstellung nicht mehr von Nöten. Insbesondere ergebe sich aus
§ 6 Abs 2 der MB-PPV 2010, dass in angemessenen Abständen ärztliche Feststellungen einzuholen seien, um Änderungen in der
Pflegebedürftigkeit festzustellen. Der Kläger habe im Jahr 2010 den Antrag auf Gewährung von Pflegeversicherungsleistungen
für seine Tochter gestellt. Die Beklagte habe insofern Kenntnis von dem Versicherungsfall gehabt. Der Antrag gelte in der
Zukunft fort. Sofern die Beklagte Kenntnis davon erlange, dass sich die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegestufe
geändert haben, obliege ihr die Verpflichtung, diese Kenntnis auch gegen sich gelten zu lassen. Aufgrund des Gutachtens der
Firma N vom 03.03.2011 habe sie Kenntnis davon gehabt, dass sich der Pflegebedarf der T ab dem 01.04.2010 erhöht hatte. Hieraus
ergebe sich die Verpflichtung zur Zahlung von Pflegeversicherungsleistungen ab diesem Zeitpunkt. Dies gelte insbesondere vor
dem Hintergrund, dass den Pflegeversicherern allgemein bekannt sein dürfe, dass bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr häufig
eine höhere Einstufung in Betracht komme, weil bei gesunden Kindern der Hilfebedarf im Alter von drei Jahren abnehme.
Gegen das am 05.08.2014 versandte Urteil hat die Beklagte am 29.08.2014 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Frage der Notwendigkeit
der Antragstellung auf Erhöhung von Leistungen habe grundsätzliche Bedeutung. Auch liege eine Abweichung von der Rechtsprechung
des BSG vor, wonach eine Wiederholungsbegutachtung nur dann als angemessen anzusehen sei, wenn Gründe für die Annahme bestünden,
der Umfang der Pflegebedürftigkeit könnte sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben. Eine Nachuntersuchung
sei bei gesetzeskonformer Auslegung des § 6 Abs 2 AVB nur dann angemessen, wenn Gründe für die Annahme einer entsprechenden
Änderung bestünden. Solche Gründe ergäben sich nicht in ausreichend angemessener Weise, nur weil ein Kind älter werde. Es
gebe keine allgemein bekannte Erkenntnis, wonach bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr häufig eine höhere Einstufung in Betracht
komme.
Mit Beschluss vom 24.11.2014 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Die Beklage bezieht sich zur Begründung der Berufung auf ihre Beschwerdeschrift.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.07.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Zahlung von Versicherungsleistungen der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.04.2010
bis 28.02.2011 nebst Zinsen verurteilt. Die durch den Kläger als Versicherungsnehmer erhobene isolierte Leistungsklage war
die richtige Klageart (§
54 Abs
5 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). In der privaten Pflegeversicherung erfolgt die Entscheidung des Versicherungsträgers nicht durch Verwaltungsakt, so dass
der Klage ein Vorverfahren nicht vorgeschaltet ist. Rechtsschutz gegen die Ablehnung der beantragten Leistung kann dem Kläger
nur durch Beschreitung des Klagewegs gewährt werden (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2004, B 3 P 7/0 R, in [...] Rn 14).
Anspruchsgrundlage für die mit der Klage geltend gemachte Leistung ist § 190 Abs 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag über eine private Pflegeversicherung und den diesen
Vertrag zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB und MB/PPV). Der nach § 1 Abs 2 MB/PPV 2008 erforderliche
Pflegefall ist eingetreten. Der Kläger unterhält für die T bei der Beklagten eine Pflegeversicherung nach Tarif PVB für Beihilfeberechtigte.
Als Versicherungsnehmer ist der Kläger gemäß § 194 Abs 3 S 2 VVG aktiv legitimiert. Aufgrund der bei der T vorliegenden Behinderungen liegen die Voraussetzung der Gewährung von Leistungen
nach der Pflegestufe II gemäß § 1 Abs 6b und Abs 8b, § 4 Abs 2 MB/PPV 2008 sowie Nr 2.1b des Tarif PV vor. Danach sind Pflegebedürftige
der Pflegestufe II Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen
Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
Der erforderliche Zeitaufwand muss in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege
mindestens zwei Stunden entfallen. Gemäß § 1 Abs 7 MB/PPV 2008 ist bei Kindern für die Zuordnung zu einer Pflegestufe der
zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Den für die Pflegestufe II erforderlichen
zeitlichen Mindestaufwand im Bereich der Grundpflege von mehr als 120 Minuten erreicht die T jedenfalls seit dem 01.04.2010.
Der Senat schließt sich den zutreffenden Feststellungen in dem Gutachten der N vom 03.03.2011 an. Der Grundpflegemehraufwand
gegenüber einem gesunden Kind betrug zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 03.03.2011 nach den maßgeblichen Vorgaben
in den Beurteilungsrichtlinien bereits 219 Minuten. Daraus hat der Sachverständige der N zu Recht rückgerechnet, dass der
Grundpflegemehraufwand der T gegenüber einem gesunden Kind bereits ab deren dritten Geburtstag die Annahme der Pflegestufe
II gerechtfertigt hat. Die Feststellungen in dem Gutachten vom 03.03.2011 sind zutreffend und nachvollziehbar und zwischen
den Beteiligten iÜ unstreitig. Der Pflegeaufwand eines gesunden Kindes zwischen anderthalb und zwei Jahren ist ausweislich
der Begutachtungsrichtlinien mit 208 bis 169 Minuten zu bewerten. Da die T zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den MDK am
31.03.2009 einen Monat vor der Vollendung des zweiten Lebensjahres stand, errechnet sich bei einem gleichaltrigen gesunden
Kind ein Hilfebedarf von 176 Minuten (die Bewertungsvorgaben auf Monate heruntergebochen). Demgegenüber wird der Pflegeaufwand
für ein gesundes Kind im dritten und vierten Lebensjahr pauschal zwischen 138 und 88 Minuten geschätzt. Ausgehend vom Höchstwert
von 138 Minuten zu Beginn des dritten Lebensjahres beträgt die Differenz zum Hilfebedarf eines gleichalterigen gesunden Kindes
gegenüber dem Zeitpunkt der Erstbegutachtung 38 Minuten. Rechnet man diese 38 Minuten zu dem am 31.03.2009 ermittelten Mehrbedarf
in der Grundpflege von 103 Minuten hinzu, so betrug der Mehrbedarf am dritten Geburtstag rechnerisch bereits 141 Minuten.
Dafür, dass sich der tatsächliche Grundpflegemehrbedarf in der streitigen Zeit anders dargestellt haben könnte, liegen keine
Anhaltspunkte vor. Prognostisch war in dem Gutachten vom 31.03.2009 festgestellt worden, dass kurz- und mittelfristig keine
Änderung zu erwarten seien. Tatsächlich dürfte auch keine Besserung, sondern eine zunehmende Verschlechterung eingetreten
sein. Denn im Rahmen der Begutachtung am 03.03.2011 war ein erhöhter Hilfebedarf gegenüber einem gesunden Kind von bereits
219 Minuten festgestellt worden. Auch die Tatsache, dass die T bei dieser Begutachtung fast vier Jahre alt war, verdeutlicht
den überproportionalen Anstieg des Hilfebedarfs. Den vermehrten Hilfebedarf hatte der Kläger bereits in seinem Schreiben vom
15.01.2010 angesprochen, mit dem er zusätzliche Betreuungsleistung beantragt hatte. Schließlich spricht auch die weitere Entwicklung
dafür, dass spätestens im Mai 2010 die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorgelegen haben dürften. So ist in dem Gutachten
der N vom 26.06.2012 ein Mehrbedarf in der Grundpflege von bereits 265 Minuten festgestellt worden und der Kläger erhält für
seine Tochter entsprechend Pflegegeld nach Stufe III.
Der Einwand der Beklagten, dass die Leistungen der Pflegeversicherung gemäß § 6 Abs 1 S 2 MB/PPV 2008 ab Antragstellung zu
erbringen seien, der Kläger aber erst mit Schreiben vom 26.04.2011 ausdrücklich Leistungen nach der Pflegestufe II für den
streitbefangenen Zeitraum geltend gemacht hat, greift nicht.
Ob bereits in dem Schreiben des Klägers vom 15.01.2010 ein Antrag auf Höherstufung zu sehen ist, braucht der Senat nicht zu
entscheiden. Grundsätzlich ist unter Berücksichtigung des objektiven Erklärungswertes und der recht verstandenen Interessenlage
des Leistungsberechtigten davon auszugehen, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt,
was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R, in [...] Rn 16 zum Meistbegünstigungsprinzip). Der Senat geht davon aus, dass
das für den Bereich gesetzlicher Sozialleistungen entwickelte Meistbegünstigungsprinzip zur Vermeidung der Ungleichbehandlung
Privatversicherter unter Berücksichtigung der vertraglichen Fürsorgepflichten auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung
Anwendung findet. Der Kläger hat mit Schreiben vom 15.01.2010 zwar nicht ausdrücklich die Höherstufung der T beantragt. Er
hat jedoch vorgetragen, die Alltagskompetenz von T habe sich deutlich verschlechtert. Der Entwicklungsabstand zu gleichaltrigen
Kindern sei deutlich größer geworden. Insofern liegt es nahe, bereits das Schreiben vom 15.01.2010 als Höherstufungsantrag
zu werten.
Soweit das SG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, eines ausdrücklichen Antrags habe es im laufenden Leistungsfall nicht bedurft,
teilt der Senat diese weitgehend vertretene Ansicht nicht. Für diese Ansicht, nach der §
33 Abs
1 S 2 und 3
SGB XI keine Anwendung finde, weil der ursprüngliche Leistungsantrag insofern fortwirke, sprechen sich die Spitzenverbände der Pflegekassen
aus (vgl. Gemeinsames Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des PflegeVG vom 17.04.2013, §
33 SGB XI, Seite 5). Dem folgt der überwiegende Teil der Literatur (vgl. Trésoret in [...] PK -
SGB XI, §
33 Rn 43; Höfer in LPK -
SGB XI, §
33 Rn 6; Dalichau - Grüner - Müller - Alten,
SGB XI, §
33 Ziff 2.2) und das SG Stade (vgl Urteil vom 14.02.1995, S 12 P 40/95). Schließlich hat auch das BSG in einem Urteil zu höheren Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 61 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ausgeführt, weil der Bewilligungszeitraum in die Zukunft reiche, begründe der Verwaltungsakt ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis.
Höhere Leistungen seien daher unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab Änderung der Verhältnisse zu gewähren (Urteil
vom 02.02.2012, B 8 SO 5/10 R, [...] Rn 12 f). Die Bewilligung höherer Leistungen vor der entsprechenden Antragstellung wird
im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei dem ursprünglichen Leistungsbescheid um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
handele, in dessen Rahmen § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X mit der Konsequenz anzuwenden sei, dass ausschließlich der Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse als maßgeblich
anzusehen sei. §
33 Abs
1 S 2 und 3
SGB XI finde keine Anwendung. Vielmehr wirke der ursprüngliche Leistungsantrag fort. Der Senat neigt demgegenüber -unabhängig von
der Frage, ob diese für den Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung vertretene Auffassung ohne weiteres auf die private
Pflegeversicherung übertragen werden kann- jedenfalls dazu, dem Höherstufungsantrag materiell-rechtlich Bedeutung beizumessen,
weil der früher gestellte Antrag, der zur Gewährung der niedrigeren Pflegestufe geführt hat, mit Eintritt der Bestandskraft
des Bewilligungsbescheides verbraucht ist (vgl. hierzu Kolmetz in Jahn,
SGB XI, §
33 Rn 9; Udsching,
SGB XI, 3. Auflage München 2010, §
33 Rn 3). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum der Erstantragsteller schlechter gestellt werden soll, als derjenige,
der eine höhere Pflegestufe beantragt. Gerade der Leistungsberechtigte wird regelmäßig am besten wissen, wann sich der Hilfebedarf
erhöht hat. Wenn er in dieser Kenntnis den Leistungsantrag nicht zeitnah stellt, muss dies grundsätzlich zu seinen Lasten
gehen. Für die Notwendigkeit einer erneuten Antragstellung spricht auch der Beschluss des BSG vom 21.03.2013 (B 3 P 15/12 B, in [...] Rn 11 ff), in welchem dieses offensichtlich davon ausgeht, dass höhere Leistungen von einem Höherstufungsantrag
abhängen. Ob das BSG bei dieser Entscheidung die vorliegende Fallkonstellation im Auge hatte, lässt sich dem Urteil allerdings nicht entnehmen.
Ob die Zahlung des höheren Pflegegeldes an den Kläger nach §
6 MB/PPV 2008 bzw. §
33 SGB XI eines Höherstufungsantrags bedarf, kann aber vorliegend dahinstehen. Der Beklagten ist es angesichts der konkreten Fallgestaltung
unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie des auch im Rahmen des vorlegenden privatrechtlichen Vertragsverhältnisses
zumindest entsprechend anwendbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verwehrt, sich auf fehlende bzw. verspätete Antragstellung
zu berufen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund
des Gesetztes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft, verletzt hat.
Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein
ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil
durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 29/10 R, in [...] Rn 12 mwN). Der Senat verkennt nicht, dass das Institut des Herstellungsanspruchs ganz wesentlich auf die (gesetzlichen)
Nebenpflichten im Sozialrechtsverhältnis abstellt und insofern keine unmittelbare Anwendung auf das vorliegende private Versicherungsverhältnis
finden kann. Gleichwohl obliegen der Beklagten auch im Rahmen des privatrechtlichen Vertragsverhältnisses Fürsorge- und Beratungspflichten,
deren Verletzung und die hieraus resultierenden Nachteile entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
durch Herstellung des Zustandes, der bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung des Versicherungsträgers bestünde, zu kompensieren
sind. Dies ergibt sich für den Bereich des Zivilrechts auch aus dem in §
242 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) verankerten Prinzip von Treu und Glauben. Dieses Prinzip bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen
sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtmissbräuchlich erscheint,
kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden (vgl. BGH, Urteil vom
16.02.2005, IV ZR 18/04, in [...] Rn 25 mwN). Grundsätzlich kann sich das Berufen des Versicherers auf den Ablauf einer Frist bzw. auf die Verspätung
einer Antragstellung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erweisen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn dem Versicherer ein
Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird, er aber gleichwohl
eine solche Belehrung unterlässt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2005, IV ZR 154/04, in [...] Rn 8). Nach Auffassung des Senats ist ein verspäteter Antrag zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete
Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies ist der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden
an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht
der Beklagten zurückzuführen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006, L 8 AL 2899/04, in [...] Rn 23).
Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Beklagten zur Beratung im Sinne des Hinweises auf die Notwendigkeit eines Höherstufungsantrags
auch ohne Nachfrage seitens des Klägers (Pflicht zur Spontanberatung). Bereits zum Zeitpunkt der Leistungszusage am 29.01.2010
war für die Beklagte bei sachgerechter Bearbeitung des Pflegefalls absehbar, dass sich voraussichtlich eine wesentliche Änderung
des Hilfebedarfs der T vor dem Zeitpunkt der geplanten Wiederholungsbegutachtung im Jahr 2011 ergeben würde. Aus dem Gutachten
des MDK vom 31.03.2009, auf das die Beklagte bei der Leistungszusage vom 29.01.2010 Bezug genommen hat, war ohne weiteres
erkennbar, dass die T bei gleichbleibendem Hilfebedarf in die Pflegestufe II hereinwachsen würde. Änderungen im Gesundheitszustand
der T waren nach den gutachterlichen Feststellungen weder kurz- noch mittelfristig zu erwarten. Sicherlich kann nicht ohne
weiteres von einem "Automatismus" der Höherstufung mit Eintritt eines bestimmten Lebensjahres ausgegangen werden, weil sich
der Hilfebedarf in der Folgezeit tatsächlich auch verringern kann. Allerdings besteht ein gewisser Automatismus in der Beurteilung
des abzuziehenden Hilfebedarfs eines gesunden Kindes. Zudem gab es für die Beklagte nach dem Antrag des Klägers vom 15.01.2010
erkennbar konkrete Hinweise dafür, dass der Hilfebedarf von T angestiegen war. Die Beklagte konnte daher ohne weiteres erkennen,
dass sich der Grundmehrbedarf auch nach den Vorgaben in den Beurteilungsrichtlinien erheblich erhöht haben dürfte. Es hätte
sich ihr aufgrund des Lebensalters der T, aber erst recht nach dem Antrag des Klägers vom 15.01.2010 aufdrängen müssen, beratend
auf eine Antragstellung hinzuwirken, so dass sie dem Kläger unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben das
Erfordernis der Antragstellung nicht mehr entgegenhalten kann.
Hinsichtlich der Höhe der zugesprochenen Leistungen nimmt der Senat auf die zutreffende Berechnung der Bevollmächtigten des
Klägers mit Schriftsatz vom 31.05.2012 vollinhaltlich Bezug. Im Hinblick auf den konkreten Leitungsantrag besteht für den
Senat auch keine Veranlassung zu entscheiden, ob die Schnittstelle zur Pflegestufe II mit 120 Minuten bereits zu einem früheren
Zeitpunkt als dem 01.04.2010 erreicht war. Dies ist nicht streitig.
Der Zinsanspruch besteht in der geltend gemachten Höhe für die geltend gemachten Zeiträume nach §
288 Abs
1 i.V.m. §
286 Abs
2 Nr
1 BGB. Der Senat hat das angefochtene Urteil im Tenor entsprechend dem Klageantrag neu gefasst und konkretisiert, weil die Nachzahlung
ausgehend von der Fälligkeit des jeweiligen Leistungsmonats zu verzinsen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1
GG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.