Grundsatzrüge
Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage
Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) ist
als unzulässig zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Nach §
160 Abs
2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil des LSG von einer
Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht (Nr 2). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden
hat, ist nicht zulässig. Weder den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung noch einer Abweichung (Divergenz) hat der
Kläger in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für
die Revisionszulassung nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand
erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen
Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder
Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl
Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse
erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie
die Fragen:
"1. Kann trotz ausdrücklich erklärtem Willen, dass kein wechselseitiger Einstandswille besteht, ein solcher nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II angenommen werden, auch wenn die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nachgewiesen ist, insbesondere weil der andere trotz
Kenntnis rückständige Krankenversicherungsbeiträge nicht übernimmt und der Antragsteller hierdurch nicht mehr krankenversichert
ist?
2. Welche weiteren Anforderungen sind - neben dem ausdrücklich erklärten Willen, füreinander keine Verantwortung zu tragen
und füreinander nicht einzustehen sowie dem Nachweis der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Fehlen eines Krankenversicherungsschutzes
mangels Übernahme rückständiger Krankenversicherungsbeiträge - an das Widerlegen der Vermutensregel des § 7 Abs. 3a SGB II im Konkreten zu stellen?
3. Wie lange hat man als Antragsteller für Leistungen nach dem SGB II Zeit, sich nach einer Trennung von dem ehemaligen Partner eine Wohnung zu suchen, ohne dass der Leistungsanspruch nach dem
SGB II verloren geht?
4. Ist im Falle einer Trennung nicht ehelicher Partner der Umzug in eine eigene Wohnung erforderlich, um die Vermutensregel
des § 7 Abs. 3a SGB II zu widerlegen?"
Des Weiteren erachtet die Beschwerdebegründung die Rechtssache für grundsätzlich, weil
"5. die §§ 7 Abs. 3 und 3a SGB II, soweit sie gegenüber einer Person Einstandspflichten begründen, die tatsächlich nicht erfüllt werden, durch die Anrechnung
fiktiven Einkommens durch Familienunterhalt ohne durchsetzbaren familienrechtlichen Unterhaltsanspruch das Grundrecht auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG i. V. m. Art.
20 Abs.
1 GG verletzen,
6. die §§ 7 Abs. 3 und 3a SGB II eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von ehemaligen Partnern einer nichtehelichen Gemeinschaft gegenüber
den ehemaligen Partnern einer Ehe begründen und zu klären ist,
7. ob das Existenzminimum durch Sachleistungen gedeckt und
8. ein Hilfebedürftiger Anspruch auf ein 'Taschengeld' zu seiner freien Verfügung hat,
9. und ob ein menschenwürdiges Existenzminimum ohne Krankenversicherungsschutz gesichert ist".
Mit den Aussagen zu 5. bis 9. werden bereits keine abstrakt-generellen Rechtsfragen - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich
oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage mit erkennbarem Bezug
zu einer solchen Norm ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge
prüfen kann.
Hinsichtlich der Fragen zu 1. bis 4. erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die Anforderungen an die Formulierung klärungsbedürftiger
und klärungsfähiger abstrakt-genereller Rechtsfragen. Denn diese Fragen bleiben ganz dem vorliegenden Einzelfall verhaftet
und greifen zum einen die vom LSG seiner Einzelfallentscheidung zugrunde gelegten Rechtsmaßstäbe sowie zum anderen im Gewande
der Grundsatzrüge die Tatsachenwürdigung des LSG an. Ersteres läuft auf eine unzulässige Überprüfung der angegriffenen Entscheidung
auf ihre Richtigkeit in der Sache hinaus, letzteres ist als Umgehung von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG unzulässig, wonach ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) gestützt werden kann. Jeweils setzt letztlich die Beschwerdebegründung ihre abweichende
tatsächliche und rechtliche Würdigung des Einzelfalles gegen die des LSG in der angegriffenen Entscheidung, woraus eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache indes noch nicht folgt. Hinzu kommt, dass die Beschwerdebegründung insoweit jede Auseinandersetzung
mit einschlägiger Rechtsprechung des BSG zu den Anforderungen an die Annahme eines wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,
vermissen lässt (vgl insbesondere BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 34/12 R - BSGE 111, 250 = SozR 4-4200 § 7 Nr 32).
Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte,
die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung
rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende
andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung
muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil sich ihr nicht entnehmen lässt, dass das LSG im Widerspruch
zu Rechtssätzen des BSG abweichende eigene Rechtssätze aufgestellt hat. Vielmehr ergibt sich aus der Beschwerdebegründung, dass das LSG für die Prüfung
des Verantwortungs- und Einstandswillens auf Hinweistatsachen abgestellt, auf dieser Grundlage eine fortbestehende Bedarfsgemeinschaft
angenommen und Einkommen innerhalb dieser Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt hat. Dies lässt schon im Ansatz eine Divergenz
zu Rechtssätzen des BSG nicht erkennen.
Prozesskostenhilfe (PKH) ist dem Kläger nicht zu bewilligen, da seine Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung seiner Rechtsanwältin
abzulehnen (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 ZPO).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des §
169 Satz 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.