Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung im Jahre 2005
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe der den Klägern im Zeitraum vom 1.1. bis zum 30.4.2005 zu gewährenden Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die Eltern der Kläger sind verheiratet und leben mit ihren Kindern, den Klägern zu 1 (geboren am 29.3.1997) und zu 2 (geboren
am 11.1.2000) gemeinsam in einer Wohnung. Die Mutter der Kläger bezog bis Januar 2004 Arbeitslosengeld (Alg) nach dem Sozialgesetzbuch
Drittes Buch (
SGB III). Anschließend erhielt sie Arbeitslosenhilfe (Alhi). Der Vater der Kläger erzielte im streitigen Zeitraum ein Erwerbseinkommen
aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von monatlich 853,32 Euro netto. Für die Wohnung waren 380,99 Euro Grundmiete, 129,35
Euro Betriebskostenvorauszahlung und 76 Euro Heizkosten monatlich zu zahlen.
Die Beklagte bewilligte den vier Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (Vater, Mutter und die beiden klagenden Kinder) mit Bescheid
vom 2.12.2004 für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.4.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe
von insgesamt 716,88 Euro monatlich. Dabei setzte sie für die Eltern je 311 Euro, die Kläger je 207 Euro als Regelleistung
und insgesamt Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 572,66 Euro an, was einen Gesamtbedarf von 1608,66 Euro ergab.
Als Einkommen berücksichtigte sie bei den Klägern je 154 Euro Kindergeld. Vom Erwerbseinkommen des Vaters der Kläger setzte
sie 583,78 Euro ab.
Den hiergegen am 31.1.2005 eingelegten Widerspruch, mit dem die Kläger insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die
Höhe der gewährten Leistungen geltend machten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.3.2005 als unbegründet zurück.
Mit der dagegen beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage haben sich die damals ebenfalls noch klagenden Eltern maßgeblich zunächst nur gegen die Absenkung
der Regelleistung für zwei Partner einer Bedarfsgemeinschaft auf 90 % der Eckregelleistung (311 Euro) gemäß § 20 Abs 3 SGB
II gewandt. Eine im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens von der Beklagten durchgeführte Überprüfung ua der angefochtenen
Bescheide hat für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.7.2005 einen Nachzahlungsbetrag von 114,58 Euro ergeben. Das SG hat die weitergehende Klage mit Urteil vom 24.7.2006 abgewiesen.
Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 1.2.2007 zurückgewiesen.
Das LSG hat in seiner Entscheidung zunächst festgestellt, dass auf Klägerseite Beteiligte des Verfahrens die damaligen Kläger
zu 1 bis 4 seien, weil jedes einzelne Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft seinen eigenen Leistungsanspruch verfolge. Sowohl
die Vorschrift des § 20 Abs 3 SGB II zur Höhe der Regelleistung für Partner in Höhe von 90 % der Eckregelleistung (311 Euro)
als auch § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II zur Höhe der Regelleistung für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres in Höhe
von 60 % der Eckregelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II (207 Euro) seien mit dem
Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber trage mit der Regelung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II den mit zunehmendem Alter der Kinder wachsenden Bedürfnissen in vertretbarer und damit verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise Rechnung. Es sei zulässig, Bedarfe gruppenbezogen zu erfassen und bei Massenverfahren eine Typisierung
vorzunehmen. Auch bei der Festlegung der Regelleistung für Kinder sei dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen.
Es sei daher auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Sozialgeld nicht in Höhe der Ausgaben von Kindern in Haushalten
mit Durchschnittseinkommen gewähre, sondern hiervon einen erheblichen Abschlag vornehme. Ebenso wenig sei der Gesetzgeber
gehalten gewesen, sich an die bisherigen Altersabstufungen des § 2 Abs 3 der Regelsatzverordnung nach dem Bundessozialhilfegesetz zu halten.
Gegen diese Entscheidung wenden sich nur die Kläger zu 1 und 2 mit ihrer Revision. Sie rügten zunächst insbesondere die Verfassungswidrigkeit
des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II und trugen vor, mit einer Regelleistung in Höhe von 60 % der Eckregelleistung eines Erwachsenen
könne der Bedarf eines Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres nicht gedeckt werden. Die Regelleistung für Minderjährige
werde lediglich durch ein prozentuales Herabrechnen der Eckregelleistung für Erwachsene gewonnen. Dass minderjährige Angehörige
einen geringeren Bedarf hätten, finde weder in der Ermittlungsmethode des Gesetzgebers einen Rückhalt, noch werde dies vom
Gesetzgeber näher begründet.
Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 27.1.2009 das Verfahren nach Art
100 Abs
1 Grundgesetz (
GG) ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt (Beschluss vom 27.1.2009 - B 14/11b AS 9/07 R). Das BVerfG hat durch Urteil vom 9.2.2010 in dieser Sache entschieden (Az 1 BvL 4/09) und den Rechtsstreit an das Bundessozialgericht (BSG) zurückverwiesen. Die Kläger sind auch nach dem Urteil des BVerfG in
dieser Sache der Auffassung, dass ihnen höhere Regelleistungen für den streitigen Zeitraum zustehen. Insbesondere machen sie
geltend, das BVerfG habe zu dem (vom BSG gerügten) Gleichheitsverstoß nach Art
3 Abs
1 GG noch keine Stellung bezogen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1.2.2007 sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.7.2006
aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 2.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 2.3.2005 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.4.2005 höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, hilfsweise weiter, das
Verfahren auszusetzen und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
Die Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
II
Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG gemäß §
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) begründet. Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist es dem Senat nicht möglich, abschließend zu entscheiden,
ob den Klägern höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen. Insbesondere fehlt es an nachvollziehbaren
Feststellungen zu dem Einkommen des Vaters der Kläger und zur Höhe der Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II (sogleich unter
1.). Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen nach der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (aaO) hingegen mehr dagegen,
dass die Beklagte für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.4.2005 die Regelleistung der beiden Kinder gemäß § 28 Abs
1 Satz 3 Nr 1 SGB II mit 207 Euro festgesetzt hat (hierzu unter 2.). Die weiteren prozessualen Anregungen der Kläger ("Hilfsanträge")
blieben ebenfalls ohne Erfolg (hierzu unter 3.).
1. Streitgegenstand des Rechtsstreits sind - nachdem die Eltern der Kläger zu 1 bis 2 keine Revision eingelegt haben - nur
noch die Ansprüche der zu Beginn des Jahres 2005 sieben bzw fünf Jahre alten Kläger. Diese Ansprüche umfassen alle den Klägern
nach dem SGB II rechtlich möglichen Leistungen, hier insbesondere die Regelleistung gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II und
als Sozialgeld im weiteren Sinne die anteiligen Kosten der angemessenen Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II. Die Höhe der Einzelansprüche
der Kläger hängt nach dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft gemäß §§ 7, 9 Abs 2 SGB II grundsätzlich von dem gesamten Bedarf
der Bedarfsgemeinschaft und dessen Deckung durch Einkommen und Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ab (grundlegend
BSGE 97, 217, 219 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 11 ff; vgl zum Konzept der Bedarfsgemeinschaft Spellbrink, NZS 2007, 121; Karola Stephan, Die Ansprüche zusammenlebender Personen nach SGB II und SGB XII, 2008). Nach § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II (in
der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I, 2954) ist bei minderjährigen
unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen
zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen
der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II bestimmt weiterhin: Ist in einer Bedarfsgemeinschaft
nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des
eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. Hieraus folgt, dass der gesamte ungedeckte Bedarf in einer Bedarfsgemeinschaft
anteilig auf die einzelnen Mitglieder proportional verteilt wird, jeweils in Abhängigkeit von ihrem Anteil am Gesamtbedarf
(zur Verfassungswidrigkeit dieser Regelung Labrenz, ZfF 2008, 217; kritisch auch Brühl/Schoch in Münder, LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 9 RdNr 54). Ergänzt (und verkompliziert) wird die Einkommens-
und Leistungsberechnung in der Bedarfsgemeinschaft durch die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II (ebenfalls in der Fassung des
Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, aaO: jetzt § 19 Satz 3 SGB II). Hiernach mindert das zu berücksichtigende
Einkommen und Vermögen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit. Nur soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen
ist, mindert es die Geldleistungen der kommunalen Träger (kritisch zu den Folgen des § 19 Satz 3 SGB II für die kommunalen
Träger vgl Gerenkamp, ZfF 2007, 106; anders Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2008, 10).
Hieraus folgt, dass auch die Höhe des gemäß §§ 11, 30 SGB II zu berücksichtigenden Erwerbseinkommens der Eltern die Leistungshöhe
(den ungedeckten Bedarf) der Kinder beeinflusst. Wäre das im Rahmen der § 11 Abs 2 SGB II und § 30 SGB II zu bereinigende
Elterneinkommen niedriger anzusetzen, so würde der - ungedeckte - Bedarf der Bedarfsgemeinschaft insgesamt und damit auch
der Bedarf der Kläger steigen. Diese Zusammenhänge erhellt die in den in Bezug genommenen Verwaltungsakten vorliegende sog
Horizontalberechnung der Beklagten für den Monat Januar 2005. Zunächst war gemäß § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II das Kindergeld schon
bei der Errechnung des Bedarfs der Kinder abzusetzen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts
benötigt wird (zur Verfassungsgemäßheit dieser Regelung vgl bereits BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 30; sowie Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 61/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 12). Als Erwerbseinkommen seitens des Vaters wurden ausweislich dieses Bescheides monatlich 607,15
Euro berücksichtigt, was mit den im Urteil des LSG wiedergegebenen "Absetzbeträgen" von 583,78 Euro in Einklang zu bringen
ist. Unter Anwendung des § 19 Satz 2 SGB II wurde von der Beklagten dieses Einkommen sodann zunächst bei den Leistungen der
Bundesagentur für Arbeit (BA) berücksichtigt. Die den vier Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zustehenden Regelleistungen
in Höhe von 2 x 311 Euro (§ 20 Abs 3 Satz 1 SGB II) und 2 x 207 Euro (§ 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II) minderte die Beklagte
um das anteilig auf die vier Köpfe der Bedarfsgemeinschaft umgelegte Einkommen des Vaters in Höhe von 607,15 Euro. Entsprechend
den Anteilen am Gesamtbedarf wurde von der Beklagten sodann ein Berücksichtigungsbetrag von 212,01 Euro bei den Eltern und
von je 91,57 Euro bei den Kindern aus den 607,15 Euro Einkommen errechnet. Mithin überstieg nach dieser Berechnung das zu
berücksichtigende Einkommen der beiden Kinder (je 91,57 Euro anteilig aus dem Einkommen des Vaters und das ihnen zustehenden
Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich) ihren Bedarf an Leistungen bei der BA in Höhe der Regelleistung nach § 28 Abs 1
Satz 3 Nr 1 SGB II (Sozialgeld) von 207 Euro monatlich.
Die Kläger haben bislang im streitigen Zeitraum ausweislich der in Bezug genommenen Bescheide wegen der Rangfolge der Berücksichtigung
von Einkommen gemäß § 19 Satz 2 SGB II überhaupt keine Regelleistungen gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II erhalten, sondern
nur anteilige Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II. Der erkennende Senat hat deshalb in seinem Vorlagebeschluss an das
BVerfG vom 27.1.2009 ausgeführt, dass den Klägern im vorliegenden Fall unter drei Voraussetzungen höhere Leistungen zustehen
könnten. Dies wäre der Fall:
a) wenn das zu berücksichtigende Einkommen des Vaters bzw der Eltern im Rahmen des SGB II gemäß §§ 9, 11, 30 SGB II falsch
berechnet worden wäre, was zur Folge hätte, dass der ungedeckte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft insgesamt höher würde;
b) die angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II (auf der Bedarfsseite) in unzutreffender Weise berechnet
oder festgesetzt worden wären und schließlich
c) die Höhe der den Grundbedarf festlegenden Regelleistungen in § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 (bzw § 20 Abs 2) SGB II vom Gesetzgeber
in verfassungswidriger Weise falsch festgesetzt worden wäre, was ebenfalls den Bedarf in der Bedarfsgemeinschaft insgesamt
erhöhen würde.
Der Senat hat seinerzeit auch darauf hingewiesen, dass er über die Möglichkeiten für die Kläger zu einer höheren Leistung
zu gelangen, die unter a) und b) genannt sind, auf Grund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend
entscheiden kann. Das LSG hat sich in dem angefochtenen Urteil lediglich auf eine Prüfung der Verfassungsgemäßheit der Festsetzung
der Höhe der Regelleistung gemäß § 20 SGB II beschränkt und zu der Höhe und Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gemäß
§ 22 Abs 1 SGB II ebenso wie zu den Nebeneinkünften der Eltern der Kläger gemäß §§ 11, 30 SGB II keinerlei Feststellungen
getroffen. Insofern ist der Rechtsstreit jetzt an das LSG zurückzuverweisen, das abschließend über die Höhe der Ansprüche
der Kläger unter Berücksichtigung dieser beiden Sachverhaltselemente zu entscheiden haben wird.
2. Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen hingegen mehr dagegen, dass die Beklagte die Regelleistungen der Kläger
für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.4.2005 gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II mit jeweils 207 Euro festgesetzt
hat. Das BVerfG hat in dem zitierten Urteil vom 9.2.2010 zwar § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II für mit dem
Grundgesetz unvereinbar erklärt. Zugleich hat es jedoch deutlich gemacht (Bl 74 des Originalurteils, RdNr 211 der elektronischen Fassung),
dass nicht festgestellt werden könne, dass die zum damaligen Zeitpunkt gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident
unzureichend sind. Der Gesetzgeber sei daher auch nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, rückwirkend höhere
Leistungen festzusetzen. Weiterhin hat das BVerfG auf Bl 76 (RdNr 217) des Urteils deutlich gemacht, dass eine rückwirkende
Neufestsetzung etwaiger höherer Leistungen für den gesamten Zeitraum ab dem 1.1.2005 auch unvertretbare fiskalische Wirkungen
hätte. Von einer Rückwirkung der Neuregelung könne der Gesetzgeber daher absehen, weil im Hinblick auf die beanstandeten Vorschriften
eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist, sondern diesen allein ein nicht
realitätsgerechtes Verfahren der Ermittlung des Existenzminimums zu Grunde liege. Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon
auszugehen, dass die den Klägern im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 207 Euro für den hier streitigen Zeitraum
hinzunehmen ist, weil eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar ist. Das BVerfG
hat in seinem Urteil den ihm vom Senat vorgelegten Sachverhalt umfassend verfassungsrechtlich gewürdigt. Eine solche verfassungsrechtliche
Prüf- und Verwerfungskompetenz steht nach der Rechtsordnung des
GG ausschließlich dem BVerfG zu (vgl Art
93 GG iVm Art
100 GG). Entgegen der Rechtsansicht der Revision ist es dem Senat deshalb auch verwehrt, nunmehr selbst auf den Prüfungsgesichtspunkt
des Art
3 Abs
1 GG abzustellen, nur weil das BVerfG einen anderen verfassungsrechtlichen Prüfungsschwerpunkt (Art
1 GG) gewählt hat. Würde der Senat weiterhin einen Gleichheitsverstoß gemäß Art
3 Abs
1 GG als gegeben erachten, so hätte er gemäß Art
100 GG erneut den Rechtsstreit dem BVerfG vorlegen müssen.
3. Hierzu besteht aber keinerlei Veranlassung, ebenso wenig wie die von den Klägern hilfsweise angeregte "Vorlage" an den
Europäischen Gerichtshof (EuGH) bzw an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Betracht kommt.
Es ist nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht vorgetragen, dass die spezifischen Voraussetzungen des Art 267 (vormals
Art 234 EG) der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (- VAEU -, Abl EU 2010 Nr
83/47 vom 30.3.2010) vorliegen. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des EuGH, Urteile des BVerfG als letzte Instanz zu überprüfen,
wovon die Revision offenbar ausgeht. Eine "Vorlage" eines innerstaatlichen Gerichts an den EGMR ist nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl II 2002, 1054) ohnehin nicht vorgesehen. Die EMRK kennt in Art
33 und
34 nur die Staaten- bzw die Individualbeschwerde. Ein Verfahren, wie es Art
100 GG und Art 267 VAEU vorsehen - Aussetzung des Verfahrens durch Beschluss und Vorlage an das kompetenzmäßig zur Klärung der verfassungs-
oder europarechtlichen (Vor)Frage durch das hierfür zuständige Gericht - kennt die EMRK nicht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits unter Beachtung des gesamten Verfahrensgangs zu entscheiden haben. Hierbei
wird auch zu berücksichtigen sein, dass das BVerfG (Bl 77 des Urteils; RdNr 219) davon ausgegangen ist, dass die Verfassungswidrigkeit
des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II bei Kostenentscheidungen zu Gunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen
ist.