Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Höhe der Regelleistung bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft mit Bezieher von Grundleistungen
nach AsylbLG
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe der bei der Klägerin zu 1 zu berücksichtigenden Regelleistung im Rahmen der zu erbringenden
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006.
Die 1983 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der 2000 und 2001 geborenen Klägerinnen zu 2 und 3. Im streitigen Zeitraum
lebte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Vater der Klägerinnen zu 2 und 3, in einer Wohnung in Hamburg. Die Klägerin zu
1 erzielte monatliche Einnahmen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 165 Euro, die Klägerinnen zu 2 und 3 verfügten über Einkommen
aus Kindergeld in Höhe von monatlich jeweils 154 Euro. Der Ehemann der Klägerin zu 1 erhielt Grundleistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) in Höhe von monatlich 199,40 Euro zuzüglich anteiliger Unterkunftskosten.
Bei der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den streitgegenständlichen Zeitraum legte die Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters bei der Klägerin zu 1 eine Regelleistung
in Höhe von 311 Euro, entsprechend 90 % der Regelleistung, zugrunde. Unter Berücksichtigung eines Bedarfes für die Kosten
der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich jeweils 175,12 Euro sowie des Kindergeldes und eines anzurechnenden Erwerbseinkommens
der Klägerin zu 1 in Höhe von monatlich 52 Euro ermittelte sie den Leistungsanspruch der Klägerin zu 1 mit 459,30 Euro und
der Klägerinnen zu 2 und 3 mit jeweils 215,33 Euro monatlich (Bescheid vom 15.5.2006).
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 12.10.2006) begehrten die Klägerinnen mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht
(SG) die Berechnung der Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Ansatz einer ungekürzten Regelleistung
bei der Klägerin zu 1. Das SG hat der Klage stattgegeben.
Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 2.9.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass der Beklagte verurteilt wurde, den Klägerinnen unter Abänderung des Bescheides vom 15.5.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.10.2006 für die Zeit vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 34 Euro nachzuzahlen, wobei auf die Klägerin zu 1 33,12 Euro und auf die Klägerinnen zu 2 und 3 jeweils 0,44
Euro entfielen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Vorschrift des § 20 Abs 3 SGB II, wonach zwei volljährige Partner jeweils 90 vH der Regelleistung erhalten sollen, passe nicht auf Bedarfsgemeinschaften,
in denen ein volljähriger Partner Leistungen nach dem SGB II, der andere aber lediglich Grundleistungen nach §
3 AsylbLG erhalte. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut. Die Festlegung eines Betrags von insgesamt 180 vH der Regelleistung setze
voraus, dass beide Partner Leistungen nach dem SGB II erhielten. Hinsichtlich gemischter Bedarfsgemeinschaften gebe es eine Regelungslücke, die nicht im Wege der analogen Anwendung
des § 20 Abs 3 SGB II zu schließen sei, weshalb die Klägerin zu 1 einen Anspruch auf die ungekürzte Regelleistung habe.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen, die der Beklagte eingelegt hat.
Er ist der Ansicht, die gesetzgeberische Absicht, unterstellte Einsparungen von zusammen wirtschaftenden Partnern gegenüber
Alleinstehenden bei der Höhe des Regelsatzes zu berücksichtigen, gelte auch für Partner, die selbst keine Leistungen nach
dem SGB II erhielten. Weder das SGB II oder Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) noch das
AsylbLG normierten einen Anspruch aller Familienangehörigen auf Gewährung familieneinheitlicher existenzsichernder Leistungen. Daraus
ergebe sich, dass sich der jeweilige individuelle Anspruch eines Leistungsbeziehers innerhalb seines Leistungssystems errechne.
Im Übrigen führe eine Erhöhung der Regelleistung bei der Klägerin zu 1 faktisch zu einer Erhöhung der Leistungen für den Ehemann,
dies bedeute eine ungerechtfertigte Privilegierung ua gegenüber anderen Leistungsbeziehern nach dem
AsylbLG.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Februar 2008 und des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. September 2010 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die rechtzeitig eingelegte und auch ansonsten zulässige Revision des Beklagten (§§
160,
164 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist im Wesentlichen unbegründet. Das LSG hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, den Klägerinnen für den
Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 30.11.2006 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der vollen Regelleistung bei der Klägerin zu 1 in Höhe von damals 345 Euro zu zahlen.
1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß §
70 Nr 1
SGG beteiligtenfähig. Bei dem Jobcenter (§ 6d SGB II idF des Gesetzes vom 3.8.2010, BGBl I 1112) handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II, ebenfalls idF des Gesetzes vom 3.8.2010), die mit Wirkung vom 1.1.2011 kraft Gesetzes entstanden ist und im Laufe des gerichtlichen
Verfahrens als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft (vgl § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II) tritt. Dieser kraft Gesetzes eingetretene Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar. Das Passivrubrum war daher von Amts wegen zu berichtigen
(vgl dazu insgesamt Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 5).
Die Klägerinnen zu 2 und 3 werden als nicht prozessfähige Minderjährige (§
71 Abs
1 und
2 SGG) durch die Klägerin zu 1 vertreten, die die elterliche Sorge allein ausübt (§
1629 Abs
1 Satz 3
Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; vgl BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2 RdNr 21).
2. Streitgegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Klägerinnen auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende, die der
Beklagte mit Bescheid vom 15.5.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2006 bewilligt hat.
3. Die Klägerin zu 1 erfüllt nach den Feststellungen des LSG (§
163 SGG) als 1983 geborene erwerbsfähige hilfebedürftige deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, die Klägerinnen zu 2 und 3 gehören der Bedarfsgemeinschaft über § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II an. Aufgrund der Verteilungsregelung des § 9 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 SGB II profitieren die Klägerinnen zu 2 und 3 dabei auch von einer Erhöhung der Regelleistung bei der Klägerin zu 1. Diese hat einen
Anspruch auf Berücksichtigung der vollen Regelleistung in Höhe von seinerzeit 345 Euro aus der analogen Anwendung des § 20 Abs 2 SGB II in der bis zum 30.6.2006 gültigen Fassung. Die maßgebliche hier anzuwendende Gesetzesfassung ergibt sich aus der Übergangsregelung
des § 68 Abs 1 SGB II idF des Änderungsgesetzes vom 24.3.2006 (BGBl I 558). Danach war die neue Gesetzesfassung erst für Bewilligungszeiträume
anzuwenden, die ab dem 1.7.2006 begannen. Da sich der Bewilligungszeitraum vorliegend vom 1.6.2006 bis 30.11.2006 erstreckte,
war - anders als es das LSG getan hat - noch das Gesetz in der vorangegangenen Fassung anzuwenden, in der ua der Begriff "Angehörige"
statt "Partner" verwendet wird. Die Prüfung der unzutreffenden Gesetzesfassung wirkt sich aber nicht aus, weil die Änderungen
für die hier zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung sind.
§ 20 Abs 2 SGB II in der maßgeblichen Fassung ist allerdings nicht direkt anzuwenden (dazu unter a). Die vorhandene Lücke ist auch nicht durch
§ 20 Abs 3 Satz 1 SGB II zu schließen (dazu unter b). Der Anspruch der Klägerin zu 1 ergibt sich im Ergebnis aus der analogen Anwendung des § 20 Abs 2 SGB II (dazu unter c).
a) Gemäß § 20 Abs 2 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung (vgl oben) beträgt die monatliche Regelleistung für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend
sind oder deren Partner minderjährig ist, in den alten Bundesländern einschließlich Berlin (Ost) 345 Euro, in den neuen Bundesländern
331 Euro (der letzte Satzteil wurde zum 1.7.2006 aufgehoben). Einer direkten Anwendung dieser Norm steht ihr Wortlaut entgegen.
Die Interpretation des Begriffs "alleinstehend" in § 20 Abs 2 SGB II in dem Sinne "ohne Partner mit Leistungsbezug nach dem SGB II" kommt nicht in Betracht. Dem steht bereits die grundsätzlich nicht nach persönlicher Anspruchsberechtigung differenzierende
gesetzliche Definition der Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs 3 SGB II entgegen. Die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft zwischen Partnern wird unabhängig davon bestimmt, ob die einbezogene
Person selbst leistungsberechtigt nach dem SGB II ist (vgl Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, §7 RdNr 57). Die Ansprüche auch der Mitglieder einer mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaft sind im SGB II als Individualansprüche ausgeformt. Ein familieneinheitlicher Leistungsanspruch ist im Gesetz nicht angelegt, wie die Kodifikation
von Leistungsausschlüssen für Altersrentner und der Vorrang der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
nach dem Vierten Kapitel des SGB XII vor dem Sozialgeld zeigen (§ 28 Abs 1 Satz 1 SGB II). Der Gesetzgeber hat bewusst in Kauf genommen, dass innerhalb einer Familie unterschiedlich geartete Existenzsicherungsansprüche
bestehen (vgl BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 14).
b) Die bestehende Regelungslücke kann entgegen der Ansicht des Beklagten nicht im Wege einer direkten (dazu unter aa) oder
analogen (dazu unter bb) Anwendung des § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II geschlossen werden mit dem Ergebnis, dass die Klägerin zu 1 nur 90 vH der Regelleistung erhalten würde. Dem stehen Wortlaut,
Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Norm entgegen.
aa) Nach § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung beträgt die Regelleistung bei zwei Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben, jeweils 90 vH der Regelleistung nach Abs 2. Bereits in der damaligen Fassung waren Partnerschaftsregelsätze
gemeint (vgl dazu Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl 2005, § 20 RdNr 98), obwohl der Begriff "Angehörige" erst in der ab 1.7.2006 geltenden Fassung durch "Partner" ersetzt wurde. Die Verwendung
des Begriffs "jeweils" im Zusammenhang mit der Bestimmung der anteiligen Regelleistung von 90 vH kann in diesem Zusammenhang
nur so verstanden werden, dass beide Partner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen können, die rechnerisch
bei der Bedarfsermittlung in Höhe von insgesamt 180 vH anzusetzen sind.
Diese Auslegung entspricht der Begründung des Entwurfs des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vgl
BT-Drucks 15/1516 S 56). Danach sollte durch § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II klargestellt werden, dass die Regelleistung für zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet
haben, jeweils 90 vH beträgt. Die Norm zielt damit auf die einheitliche Bemessung der Regelleistung für den genannten Fall.
Es sollte dadurch berücksichtigt werden, dass Frauen in Paarbeziehungen in der Regel nicht als Haushaltsvorstand gelten und
daher ohne Durchschnittsermittlung nur die geringere Regelleistung von 80 vH für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft
erhalten würden. Durch die "90 vH-Regelung" wird der in § 1 Abs 1 Satz 3 SGB II enthaltene gesetzgeberische Wille umgesetzt, wonach die Gleichstellung von Mann und Frau als durchgängiges Prinzip zu verfolgen
ist. Nach Verzicht des Gesetzgebers auf die Figur des Haushaltsvorstands (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 6/06 R - BSGE 97, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 2, RdNr 19) werden dem Wortlaut nach zwei volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft bei Berücksichtigung
identischer (Regel-)Bedarfe auch gleich behandelt. Die Gleichartigkeit der Bedarfe lässt sich auf zwei volljährige Angehörige
(Partner) der Bedarfsgemeinschaft, die Leistungen nach dem SGB II beziehen können, also dem Grunde nach Anspruchsberechtigte sind, herabbrechen (vgl BSG Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 2/06 R - BSGE 99, 131 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1, RdNr 13).
Andere Personengruppen, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls nicht aus eigener finanzieller Kraft decken können, stehen zB
Leistungen nach dem SGB XII oder dem
AsylbLG zur Verfügung. Ziel des SGB II ist aber nur die Sicherung des Lebensunterhalts für nach dem SGB II leistungsberechtigte Personen. Dementsprechend kann § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II grundsätzlich nur Konstellationen erfassen, in denen beide volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft dem Leistungssystem
des SGB II unterfallen. Eine analoge Anwendung von § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II auf nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige, die mit Partnern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, kommt jedoch, wie das BSG bereits entschieden hat (vgl BSG Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 2/06 R - BSGE 99, 131 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1, RdNr 19), bei einer Anspruchsberechtigung nach dem SGB XII in Betracht. Im Fall einer "gemischten Bedarfsgemeinschaft" zwischen einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II mit einem nach dem SGB XII leistungsberechtigten Partner sind die Regelungen nach dem SGB XII lückenhaft. Auf gemischte Bedarfsgemeinschaften, in denen kein Anspruch auf jeweils 90 vH der Regelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II besteht, wie dies bei der hier vorliegenden Bedarfsgemeinschaft zwischen einem nach SGB II Leistungsberechtigten und einem Leistungsberechtigten nach §
3 AsylbLG der Fall ist, ist dagegen § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II nicht anwendbar.
bb) Die genannte Norm ist auch nicht entsprechend heranzuziehen. Eine analoge Anwendung eines Gesetzes auf gesetzlich nicht
umfasste Sachverhalte kommt nur in Betracht, wenn die Regelung wegen der Gleichheit der zugrunde liegenden Interessenlage
auch den nicht geregelten Fall hätte einbeziehen müssen. Wegen der Vorrangigkeit des gesetzgeberischen Willens gegenüber der
richterlichen Rechtsetzung ist für eine Analogie schon dann kein Raum, wenn es nur zweifelhaft erscheint, ob die verglichenen
Sachverhalte nicht doch derart unterschiedlich sind, dass durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt
würde (BSG Urteil vom 27.1.1987 - 6 RKa 28/86 - BSGE 61, 146, 147 = SozR 2200 § 368h Nr 4).
Nach der Konzeption des SGB II sollen Asylbewerber und ausreisepflichtige geduldete Personen als Leistungsberechtigte nach dem
AsylbLG keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten. Der Gesetzgeber hat mit dem
AsylbLG für den betroffenen Personenkreis ein besonderes Sicherungssystem geschaffen, das eigenständige und abschließende Regelungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts enthält (vgl BT-Drucks 15/1516 S 52). Systemprägend im Asylbewerberleistungsrecht ist die
konkretindividuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen (§
3 Abs
1 Satz 3
AsylbLG; vgl Frerichs in jurisPK-SGB XII, §
3 AsylbLG RdNr
30). Wegen der Abhängigkeit vom konkreten Bedarf des Leistungsberechtigten lässt sich ein der pauschalierten Regelleistung vergleichbarer
monatlicher Wert der Leistungen nicht feststellen. Selbst wenn - wie im vorliegenden Fall - die Hilfe nach dem
AsylbLG als Geldleistung gewährt wird, führt dies nicht zu einer Vergleichbarkeit der Regelungen des SGB II und des
AsylbLG. Dies folgt daraus, dass die Beträge des §
3 Abs
2 Satz 2
AsylbLG weder mit noch ohne Taschengeld gemäß §
3 Abs
1 Satz 4
AsylbLG einen im Vergleich zum SGB II identischen Prozentsatz abbilden. Eine Gleichbehandlung von zwei nach dem SGB II leistungsberechtigten Partnern mit zwei Partnern, von denen einer nach dem
AsylbLG anspruchsberechtigt ist, entspricht dem gesetzgeberischen Gesamtkonzept erkennbar nicht.
c) Im Ergebnis folgt der Anspruch der Klägerin zu 1 auf die Berücksichtigung der vollen Regelleistung aus der analogen Anwendung
des § 20 Abs 2 SGB II, denn die wirtschaftliche Situation des Leistungsberechtigten nach dem SGB II, der mit einem Leistungsberechtigten nach §
3 AsylbLG zusammenlebt, ist mit derjenigen eines Leistungsberechtigten vergleichbar, der alleinstehend ist oder dessen Partner jedenfalls
nicht in den Genuss der vollen Regelleistung für Erwachsene kommt.
Die Regelleistung (jetzt: Regelbedarf, vgl Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) im Rahmen des Arbeitslosengeldes II bildet das soziokulturelle Existenzminimum der insoweit als
Referenzsystem für alle bedarfsorientierten und bedürftigkeitsabhängigen staatlichen Fürsorgeleistungen fungierenden Sozialhilfe
ab (BT-Drucks 15/1516 S 56). Zwar vermeidet das SGB II die Verwendung des Begriffs "Eckregelsatz" als Bezugspunkt, der Sache nach ist § 20 Abs 2 SGB II aber nichts anderes (vgl Lang, aaO, § 20 RdNr 78). § 20 Abs 2 SGB II ist ebenso wie der Eckregelsatz im SGB XII Ausgangspunkt für die Ableitung der Regelleistungen der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II bzw der Haushaltsgemeinschaft nach dem SGB XII für den Fall, dass diese dem jeweiligen Leistungssystem unterfallen (vgl Begründung des Entwurfs der Regelsatzverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 12.3.2004, BR-Drucks 206/04 S 6). Von diesem "Eckregelsatz"
abgeleitete Prozentsätze rechtfertigen sich in der durch § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II zugrunde gelegten Lebenssituation, in der beide Partner gleichwertige Existenzsicherungsleistungen erhalten. Ist ein Lebenssachverhalt
dagegen nicht unter § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II zu subsumieren, ist auf § 20 Abs 2 SGB II als Grundtatbestand für die Erbringung pauschalierter existenzsichernder Leistungen zu regelleistungsrelevanten Bedarfen
iS des § 20 Abs 1 SGB II abzustellen.
§ 20 Abs 2 SGB II ist auch aus der Erwägung heraus anwendbar, dass durch die gesetzlichen Regelungen in § 20 SGB II mit der Kombination von 100 vH und 80 vH des Regelsatzes bzw jeweils 90 vH des Regelsatzes der Gesichtspunkt der Berücksichtigung
von Haushaltsersparnissen betont wird. Die Annahme, dass durch eine gemeinsame Haushaltsführung Kosten erspart werden, setzt
die Vergleichbarkeit der in den Bedarfen angesetzten Positionen voraus. Eine solche Vergleichbarkeit besteht zwischen SGB II-Leistungen und den Grundleistungen nach dem
AsylbLG schon deshalb nicht, weil in dem genannten Rahmen nur Leistungen miteinander vergleichbar sind, die von dem Konzept pauschalierter,
also abstrakter Bedarfsdeckung ausgehen, während dem
AsylbLG - wie dargestellt - das Sachleistungsprinzip zugrunde liegt.
4. Entgegen der Auffassung des Beklagten führt die Berücksichtigung einer nach § 20 Abs 2 SGB II bemessenen Regelleistung für die Klägerin zu 1 auch nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung deren Ehemannes gegenüber
anderen Grundleistungsberechtigten nach dem
AsylbLG. Der Ehemann hat dadurch keinen höheren Leistungsanspruch. Weder das SGB II noch das
AsylbLG kennen einen Gesamtleistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft. Die Klägerinnen sind auch nicht verpflichtet, den Ehemann der
Klägerin zu 1 an ihren höheren Leistungsansprüchen teilhaben zu lassen. Aus der Verklammerung von Personen zu Mitgliedern
einer Bedarfsgemeinschaft im SGB II entstehen keinerlei Rechtsansprüche der zusammen veranlagten Personen auf Unterhaltsleistungen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 23).
Der Beklagte hat daher grundsätzlich bei der Klägerin zu 1 die volle Regelleistung zu berücksichtigen. Auf seine Revision
hin war das angefochtene Urteil nur insoweit zu korrigieren, als das LSG die Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II nicht beachtet hat. Die Endzahlbeträge der errechneten Leistungen sind getrennt nach den Individualansprüchen der Mitglieder
der Bedarfsgemeinschaft zu runden (vgl BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 23/06 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25; Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 15 RdNr 13). Da die Revision nur von dem Beklagten eingelegt wurde, ist eine Tenorierung zugunsten
der Klägerinnen zu 2 und 3 ausgeschlossen. Für die Klägerin zu 1 ergibt sich hingegen ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 492
Euro. Das Urteil des LSG ist daher dahingehend zu ändern, dass lediglich weitere 32,70 Euro monatlich zu zahlen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.