Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II; Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich gegen einen Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung
in Arbeit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakt).
Der 1964 geborene Kläger erhält seit Juli 2006 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Unter dem 11.2.2008 legte der Beklagte dem Kläger eine vorformulierte Eingliederungsvereinbarung vor, die bis zum 11.8.2008
gültig sein sollte. Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, diese Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, ersetzte
der Beklagte sie durch einen Verwaltungsakt vom 19.2.2008. Hierin wurde als Geltungsdauer die Zeit vom 19.2.2008 bis zum 31.12.2008
festgelegt, soweit zwischendurch nichts anderes vereinbart werde. Als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit wurden vom Beklagten
ua zugesagt: die Unterstützung bei der Arbeitsuche/-aufnahme durch Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen, durch finanzielle
Leistungen wie zB Bewerbungskosten, Leistungen zur Aufnahme einer Arbeit, zB Mobilitätshilfen, sowie öffentlich geförderte
Beschäftigung und evtl ein Angebot einer außerbetrieblichen Trainingsmaßnahme.
Als Verpflichtung, die der Kläger im Rahmen der Eingliederungsbemühungen zu erfüllen und entsprechend zu dokumentieren habe,
wurde die intensive und initiative Bewerbung auch während einer Arbeitsgelegenheit oder einer Trainingsmaßnahme auferlegt;
der Kläger sollte seine Bewerbungsbemühungen auf den gesamten Helferbereich ausdehnen. Der Kläger wurde verpflichtet, eine
angebotene Arbeitsgelegenheit anzutreten bzw eine außerbetriebliche Trainingsmaßnahme anzunehmen. Er dürfe außerdem während
der Arbeitsgelegenheit oder der Trainingsmaßnahme keinerlei Anlässe dafür bieten, dass aufgrund seines Verhaltens oder seiner
Arbeitsweise die Maßnahme abgebrochen werden müsse. Der Kläger sollte außerdem angebotene Unterstützungen der Fachdienste
(psychologischer Dienst/ärztlicher Dienst) annehmen, ebenso wie weitere individuelle Unterstützung wie Förderung beruflicher
Weiterbildung/Schuldnerberatung/Suchtberatung/psychosoziale Betreuung. Er wurde verpflichtet, alle Termine wahrzunehmen und
bei Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Dem Bescheid war eine Rechtsfolgenbelehrung bezüglich
Grundpflichten, Meldepflicht und "Gemeinsamen Vorschriften" beigefügt.
Gegen diesen Eingliederungsverwaltungsakt legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, der Beklagte habe es versäumt,
Ermessenserwägungen darzulegen. Mit Datum vom 18.3.2008 verfasste der Beklagte erneut eine vorformulierte Eingliederungsvereinbarung.
Bei einer persönlichen Vorsprache am 20.3.2008 lehnte es der Kläger ab, die Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen; die
Unterschrift wurde auch in der Folgezeit nicht nachgeholt. Im Rahmen der Vorsprache bot der Beklagte dem Kläger eine betriebliche
Trainingsmaßnahme als Mitarbeiter in einem landwirtschaftlichen Betrieb an, diese Maßnahme lehnte der Kläger ebenfalls ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.3.2008 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt zurück und
machte geltend, Ermessenserwägungen seien nicht darzulegen. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben.
Mit Bescheid vom 25.4.2008 senkte der Beklagte für die Zeit vom 1.5. bis 31.7.2008 die Leistungen nach dem SGB II um 30 vH der maßgeblichen Regelleistung ab und hob den (Bewilligungs-)Änderungsbescheid vom 4.2.2008 in Höhe von 104 Euro
monatlich für den genannten Zeitraum auf, weil der Kläger seine Pflichten aus "der Eingliederungsvereinbarung vom 20.3.2008"
verletzt habe, da er an einer angebotenen Trainingsmaßnahme nicht teilgenommen habe. Der gegen den Bescheid vom 25.4.2008
eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.5.2008 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das
SG abgewiesen; die Nichtzulassungsbeschwerde ist noch beim Landessozialgericht (LSG) anhängig. Mit erneutem Bescheid vom 30.6.2008
hat der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2008 in Höhe von 588,45 Euro bewilligt.
Das SG hat die gegen den Eingliederungsverwaltungsakt gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 30.7.2009). Das LSG
hat die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.7.2010). Entgegen der Auffassung des SG sei die Klage zwar nicht unzulässig, insbesondere habe sich der Bescheid vom 19.2.2008 nicht durch Abschluss einer nachfolgenden
Eingliederungsvereinbarung erledigt. Der Bescheid vom 25.4.2008, mit dem die bewilligten Leistungen abgesenkt worden seien,
zeige auch, dass der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung noch nicht verloren habe. Die Klage sei allerdings nicht begründet,
denn der angefochtene Bescheid enthalte alle von Gesetzes wegen vorgeschriebenen Elemente. Soweit der Kläger eine unzureichende
Ermessensausübung rüge, sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei § 15 Abs 1 SGB II um eine reine Verfahrensvorschrift handele. Der Grundsicherungsträger treffe insoweit eine nicht justitiable Opportunitätsentscheidung
darüber, welchen Verfahrensweg er zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wähle. Dass
der angefochtene Bescheid nicht im Einzelnen darauf eingehe, was den Beklagten zu den vom Kläger beanstandeten Regelungen
bewogen habe, sei unschädlich. Die Begründungsanforderungen richteten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls.
Es reiche aus, dass dem Kläger hier der dem angefochtenen Verwaltungsakt faktisch zugrunde liegende Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung
vom 11.2.2008 persönlich ausgehändigt worden und dieser mit ihm besprochen worden sei. Dies führe dazu, dass der Kläger seine
Rechte sachgemäß wahrnehmen könne. Im Übrigen würden in dem Bescheid Intensität und Quantität der geforderten Eigenbemühungen
festgelegt und auch der sachliche Umfang der Bewerbungsbemühungen eingegrenzt ("gesamter Helferbereich"). Da zum Zeitpunkt
des Bescheiderlasses die weitere Entwicklung für den zu regelnden Zeitraum nicht in allen Einzelheiten überblickt werden könne,
sei es regelmäßig ausreichend, die Fördermaßnahmen zunächst allgemeiner zu formulieren.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende
Verwaltungsakt sei aus verschiedenen Gründen rechtswidrig. Zunächst sei eine umfassende und gründliche Potentialanalyse zu
erstellen, was nicht geschehen sei. Der Verwaltungsakt sei auch allein schon deshalb rechtswidrig, weil er für eine Dauer
von erheblich mehr als sechs Monate habe gelten sollen, ohne dass hierfür eine Begründung gegeben worden sei. Außerdem sei
die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt rechtswidrig, weil aus diesem nicht ersichtlich sei, welche Eingliederungsleistungen
des Trägers konkret angeboten würden, die ihm auferlegten Verpflichtungen seien so unbestimmt, dass er nicht erkennen könne,
welche Verpflichtungen ihn tatsächlich träfen. Im Übrigen müssten, soweit Ermessensleistungen bewilligt würden, in dem Bescheid
auch Ermessenserwägungen enthalten sein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30.
Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid vom 19. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom
26. März 2008 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Klage bereits für unzulässig, da der angefochtene, eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt seine
Wirkung durch Zeitablauf verloren habe. Im Übrigen sei die festgesetzte Sanktion ausweislich eines Schreibens vom 19.1.2010
an das SG wieder aufgehoben worden. Er erkläre zudem verbindlich, dass auch keine weiteren Rechtsfolgen, wie etwa eine Rückforderung
bereits ausgezahlter Sanktionsbeträge mehr in Betracht komme. Nachdem somit eine Beschwer des Klägers nicht mehr vorliege,
sei die Revision unzulässig.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 19.2.2008 war rechtswidrig,
weil der Beklagte entgegen der gesetzlichen Vorgabe in § 15 Abs 1 Satz 6 iVm Satz 3 SGB II ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat.
1. Die Zulässigkeit der Revision begegnet keinen Bedenken. Insbesondere die Umstellung des Klageantrags auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage
ist auch im Revisionsverfahren zulässig; §
168 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) steht dem nicht entgegen (vgl BSGE 99, 145, 146 = SozR 4-2500 §
116 Nr 4; s auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
131 RdNr 8a und Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, §
168 RdNr 2b; Lüdtke in Lüdtke,
SGG, 4. Aufl 2012, §
168 RdNr 4, jeweils mwN).
Der Kläger hat sich ursprünglich zutreffend mit der Anfechtungsklage gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden
Verwaltungsakt vom 19.2.2008 gewandt. Die mit der Anfechtungsklage angestrebte Aufhebung dieses Verwaltungsaktes war ua erforderlich,
um mögliche Sanktionen abzuwehren. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Bescheid vom 19.2.2008 nicht, wie
das SG angenommen hat, nach § 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) durch den Abschluss einer nachfolgenden Eingliederungsvereinbarung erledigt hatte. Die vom SG angenommene nachfolgende Eingliederungsvereinbarung vom "20.3." (tatsächlich datierte sie vom 18.3.2008) ist nicht zustande
gekommen. Aufgrund der Erklärungen des Beklagten im Revisionsverfahren steht jedoch fest, dass der angefochtene Bescheid keine
Regelungswirkung mehr entfaltet und eine Anfechtungsklage daher nicht mehr in Betracht kam.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß §
70 Nr 1
SGG beteiligtenfähig. Es ist mit Wirkung vom 1.1.2011 als Rechtsnachfolger kraft Gesetzes an die Stelle der bisher beklagten
Arbeitsgemeinschaft getreten (vgl dazu im Einzelnen ua Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 5). Dieser Beteiligtenwechsel stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar, das
Passivrubrum war daher von Amts wegen zu berichtigen.
2. Die zulässige Revision des Klägers ist auch begründet. Der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom
19.2.2008 war rechtswidrig.
a) Die vom Kläger im Revisionsverfahren aufrecht erhaltene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach §
131 Abs
1 Satz 3
SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen
oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung
hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr
bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen
unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl BSG SozR 4-4200 §
22 Nr 4 RdNr 7 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
131 RdNr 10 bis 10 f; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV, RdNr 102). Die Wiederholungsgefahr
ist vorliegend zu bejahen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt, dass der Beklagte wiederholt versucht hat, den Kläger in
Eingliederungsmaßnahmen einzubeziehen. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass auch in der nachfolgenden
Zeit weitere Maßnahmen zu erwarten sind.
b) Der Beklagte hat über Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gegenüber dem Kläger zu Recht durch Verwaltungsakt entschieden.
Zwar legt § 15 Abs 1 Satz 1 SGB II zunächst fest, die Agentur für Arbeit solle im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II bestimmt dann jedoch: Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die in Satz 2 aufgeführten Regelungen
einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt erfolgen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, denn der Kläger hat
nach den tatrichterlichen Feststellungen den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung ohne Begründung abgelehnt. In einem
solchen Fall steht dem Grundsicherungsträger nur die Handlungsform Verwaltungsakt zur Verfügung (Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 24 f).
Der Gesetzeswortlaut legt damit für die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einen Vorrang der konsensualen Lösung gegenüber
dem hoheitlichen Handeln durch Verwaltungsakt nahe (so insbes Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 10; Müller, aaO, § 15 RdNr 13; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 15 RdNr 24). Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte des SGB II. Der Gesetzentwurf zum SGB II betont mehrfach den besonderen Stellenwert, den man der aktiven Mitarbeit des Leistungsberechtigten bei der gemeinsamen Ausarbeitung
einer Eingliederungsvereinbarung beimisst (BT-Drucks 15/1516, S 44, 46). Der Gesetzgeber versprach sich hiervon offensichtlich
eine Steigerung der Motivation des Betroffenen, an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt aktiv mitzuwirken. Dieses gesetzgeberische
Anliegen ist auch nicht deshalb vernachlässigenswert, weil die Durchsetzung der Ansprüche auf Eingliederungsleistungen nicht
davon abhängt, ob diese in einer Eingliederungsvereinbarung oder einem ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden sind und
zudem der jeweilige Sachbearbeiter des Jobcenters womöglich am besten beurteilen kann, welcher Weg am ehesten einen raschen
Eingliederungserfolg verspricht (so aber BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 13/09 R - BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1, RdNr 17). Zum einen stellt das Anliegen, auf der Basis konsensualer Lösungsversuche langfristig
größere Eingliederungserfolge erreichen zu wollen, ein legitimes gesetzgeberisches Ziel dar; zum anderen ist im Schrifttum
zutreffend deutlich gemacht worden, dass die Leistungsangebote des Grundsicherungsträgers wie auch die Selbstverpflichtungen
des Grundsicherungsempfängers - in den Grenzen des § 58 SGB X - vertraglich deutlich weitergehend ausgestaltet werden können, als dies bei einer Entscheidung durch Verwaltungsakt möglich
ist (Siefert, SGb 2010, 612, 616).
Eine Gleichrangigkeit der Handlungsformen Vereinbarung und Verwaltungsakt kann schließlich auch nicht daraus abgeleitet werden,
dass im Gesetzgebungsverfahren zwar die Notwendigkeit einer Einbeziehung des Arbeitsuchenden sprachlich stärker betont worden
sei; dass letztlich jedoch die fehlende Parität zwischen Grundsicherungsträger und Arbeitsuchendem im Ergebnis nicht korrigiert
worden sei; die Eingliederungsvereinbarung bilde vor allem eine Grundlage für Sanktionen bei Nichterfüllung von Pflichten
durch den Arbeitsuchenden und liege damit eher im Interesse des Grundsicherungsträgers (BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1). Zum einen gibt es zahlreiche Lebensbereiche, in denen trotz vergleichbar asymmetrischer Verhandlungspositionen
die Akzeptanz vertraglicher Regelungen nicht in Zweifel gezogen wird (Siefert, SGb 2010, 612, 615); zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber das konsensuale Vorgehen gerade als Konfliktvermeidungsstrategie
gesehen hat (Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 15). Wortlaut, Entstehungsgeschichte (hierzu speziell: Müller, aaO, RdNr 17) und Sinn und Zweck des § 15 Abs 1 SGB II sprechen nach allem eher dafür, dass ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt nur in Betracht kommt,
wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen hat, mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen oder
im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss einer Vereinbarung als nicht sachgerecht erscheinen lassen; was
im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen wäre (Huckenbeck, aaO, § 15 RdNr 11).
Die Rechtswidrigkeit des ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakts, mit dem der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung
ersetzt hat, ergibt sich hier aus der Tatsache, dass der Beklagte entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen
eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat. Zwar verweist Satz 6 des § 15 Abs 1 SGB II wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts allein auf "die Regelungen nach Satz 2". Es ist jedoch
nicht zu erkennen, dass der Grundsicherungsträger die Geltungsdauer eines ersetzenden Verwaltungsakts ohne Bindung an die
Vorgabe des Satzes 3 nach freiem Ermessen festlegen können sollte. Nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Aufgrund des Verhältnisses der Regelungen in Satz
1 und 2 des § 15 Abs 1 SGB II zu Satz 6 dieser Vorschrift gilt dies auch für den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.
Bei der Entscheidung über die Geltungsdauer ist das Ermessen des Grundsicherungsträgers danach gebunden. Für den Regelfall
sieht der Gesetzgeber sechs Monate als angemessen an. Die sechsmonatige Regellaufzeit entspricht dem Bewilligungszeitraum
für Leistungen nach dem SGB II gemäß § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II. Bis zum 31.12.2006 galt als Übergangsregelung zur Entlastung der Verwaltung noch eine Laufzeit von bis zu zwölf Monaten
(vgl dazu Fuchsloch in Gagel, SGB II, Stand Juni 2006, § 15 RdNr 73). Die nunmehr geltende kürzere Frist von sechs Monaten gibt dem Hilfebedürftigen einerseits einen stabilen, verlässlichen
Rahmen, garantiert aber andererseits durch kontinuierliche Beobachtung, dass nicht an Zielen starr festgehalten wird, die
sich als erfolglos erwiesen haben (vgl Fuchsloch, aaO; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011, § 15 RdNr 36 f). Deshalb "soll" nach Satz 4 des § 15 Abs 1 SGB II nach Ablauf von sechs Monaten eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden.
c) Eine Anfrage beim 4. Senat des BSG nach §
41 Abs
3 Satz 1
SGG war nicht geboten. Eine Anfrage kommt danach nur in Betracht, wenn der erkennende Senat mit einem in der zu treffenden Entscheidung
beabsichtigten Rechtssatz von einem in einem früheren Urteil enthaltenen tragenden Rechtssatz eines anderen Senats abweichen
will (BSGE 58, 183, 186 f = SozR 1500 § 42 Nr 10; vgl May, Die Revision, 2. Aufl 1997, Kap V E, RdNr 133, 136). Es ist nicht erkennbar, dass
es für das Urteil vom 22.9.2009 (BSGE 104, 185 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1), in dem allein über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung zu entscheiden war, auf die dort
geäußerte Rechtsauffassung ankam, die Handlungsformen Vereinbarung und Verwaltungsakt seien bei der Gewährung von Leistungen
zur Eingliederung in Arbeit gleichrangig (so auch Siefert, SGb 2010, 612, 615).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.