Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge einer Gehörsverletzung
Anspruch auf Terminverlegung
Gründe
Den Klägern ist Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren (vgl §
67 SGG) wegen der fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags durch sie und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung
ihrer Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.
Die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung
der Sache begründet (§
160a Abs
5 SGG).
Das Urteil des LSG vom 13.12.2018 beruht auf einem von den Klägern hinreichend bezeichneten (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG. Das LSG hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) verletzt, indem es trotz Antrags der Kläger auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung und der Entziehung der Vollmacht
ihres Prozessbevollmächtigten mit dem sodann nicht mehr vertretungsberechtigten Rechtsanwalt verhandelt hat.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu
dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung
entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt
haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches
Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§
110 Abs
1 Satz 1
SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung
aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens
verhandelt und entschieden werden kann (vgl nur BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - RdNr 6 mwN).
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß §
202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren §
227 Abs
1 Satz 1
ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden
ist. Die Entscheidung hierüber liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BVerwG vom 22.8.1985 - 3 C 17/85 - Buchholz 310 §
108 VwGO Nr
175 juris RdNr
21). Allerdings begründet ein iS des §
227 Abs
1 Satz 1
ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminverlegungsgrund
grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung. Die Behandlung von Anträgen auf Terminverlegung
hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches
Gehör zu genügen (BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 59/13 B - RdNr 16). Dies gilt erst recht, wenn - wie vorliegend - eine mündliche Verhandlung vor dem SG nicht stattgefunden hat (vgl nur BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - RdNr 7 mwN).
Vorliegend hat das LSG den Klägern für das Berufungsverfahren PKH bewilligt und einen Rechtsanwalt beigeordnet. Die Kläger
wandten sich in der Folge an das LSG, berichteten über "Kommunikationsschwierigkeiten" mit ihrem Rechtsanwalt und rügten,
dieser habe keine Berufungsbegründung verfasst. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat das LSG das persönliche Erscheinen
(nur) des Klägers zu 1 angeordnet. Am Vormittag des Vortags der mündlichen Verhandlung ging beim LSG ein Schreiben der Kläger
ein, wonach sie die ihrem Prozessbevollmächtigten erteilte Vollmacht widerrufen hätten und dieser somit nicht mehr als Prozessvertreter
zur Verfügung stehe. Zugleich haben sie einen Antrag auf Verlegung des Termins gestellt. In der mündlichen Verhandlung erschien,
neben dem Vertreter des beklagten Jobcenters, allein der ehemalige Prozessbevollmächtigte der Kläger. Das LSG lehnte den Antrag
auf Terminverlegung in der mündlichen Verhandlung ab und erörterte die Sach- und Rechtslage mit dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten
der Kläger, der für diese auch Sachanträge stellte.
Die Entscheidung des LSG, den Antrag auf Terminverlegung abzulehnen, erfolgte vorliegend bereits deshalb ermessensfehlerhaft,
weil es im Anschluss mit dem nicht mehr vertretungsberechtigten ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger mündlich verhandelt
hat. Das LSG hat sich insoweit dagegen entschieden, bei Ausbleiben der Kläger (einseitig) zu verhandeln und sich damit selbst
gebunden. Es hat stattdessen die Sach- und Rechtslage mit dem Vertreter des Beklagten und dem (ehemaligen) Prozessbevollmächtigten
der Kläger erörtert und auf der Grundlage der von ihnen im Termin gestellten Sachanträge am selben Tag eine Entscheidung verkündet.
Dabei ging es unzutreffend davon aus, dass die angezeigte Kündigung der Vollmacht die Stellung des Rechtsanwalts als vertretungsberechtigter
Prozessbevollmächtigter aufgrund der gemäß §
121 ZPO erfolgten Beiordnung unberührt lässt. Vertretungsmacht erlangt der beigeordnete Anwalt aber erst dadurch, dass ihm der Betroffene
eine Vollmacht iS des §
167 BGB erteilt (BFH vom 30.3.2011 - X B 12/10 - juris RdNr 10 mwN; Schultzky in Zöller,
ZPO, 33. Aufl 2020, §
121 ZPO RdNr 12). Wenn das LSG aber meinte, mit dem vollmachtlosen (ehemaligen) Prozessbevollmächtigten der Kläger verhandeln zu dürfen, erfolgte
die Ablehnung des Terminverlegungsantrags in einem wesentlichen Punkt auf Grundlage einer falschen rechtlichen Annahme und
damit ermessensfehlerhaft.
Objektivierbare Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass der Antrag der Kläger auf Terminverlegung durch die Absicht der
Prozessverschleppung getragen sein könnte, sind weder vom LSG festgestellt noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Nichtverlegung
des Termins stellt sich deshalb als Verstoß gegen die Verpflichtung des Berufungsgerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs
dar. Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen,
die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert
worden ist, bedarf es dabei nicht (vgl nur BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - RdNr 11 mwN).
Auf die weiteren Rügen, wonach das LSG durch die Verwerfung der Berufungen der Kläger zu 1 und 3 zu Unrecht durch Prozessurteil
entschieden habe, kommt es nicht mehr an.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.