Feststellung des vollständigen Wegfalls von Alg II wegen Verstoßes gegen Mitwirkungsobliegenheiten
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist zurückzuweisen, weil sie zumindest
unbegründet ist.
Im Streit stand ursprünglich die Feststellung des vollständigen Wegfalls des vom Kläger bezogenen Alg II für Oktober 2015
bis Dezember 2015 wegen Verstoßes gegen Mitwirkungsobliegenheiten(Bescheid vom 15.9.2015, Widerspruchsbescheid vom 17.12.2015). Nach erfolglos gebliebener Klage (Urteil vom 20.2.2017) hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 12.12.2018).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die auf die Grundsatzrüge nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus -
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Nach den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb
deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren
eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt(vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX, RdNr 56 ff).
Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt
für die Beurteilung der zuvor aufgezeigten Voraussetzungen ist der Zeitpunkt der Entscheidung des BSG über die Nichtzulassungsbeschwerde. Dies bedeutet, dass die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, die zum Zeitpunkt der
Einlegung der Beschwerde gegeben war, durch zwischenzeitliche Entscheidungen des BSG oder des BVerfG über diese Rechtsfrage bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde wegfallen kann(stRspr; vgl nur BSG vom 15.12.1976 - 4 BJ 1/76 - SozR 1500 § 160 Nr 25 S 20; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX, RdNr 71 ff ).
In seiner Beschwerdebegründung vom 8.4.2019 hat der Kläger als klärungsbedürftig bezeichnet, ob Pflichtverletzungen nach §
31a SGB II mit Verfassungsrecht und insbesondere mit dem sich aus Art
1 Abs
1 GG iVm Art
20 Abs
1 GG ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar seien.
Diese Fragen sind durch das Urteil des BVerfG vom 5.11.2019 (1 BvL 7/16 - BVerfGE 152, 68)umfassend beantwortet worden. Danach ist § 31a Abs 1 Sätze 1, 2 und 3 SGB II mit Art
1 Abs
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art
20 Abs
1 GG unvereinbar, soweit die Höhe der Leistungsminderung bei einer erneuten Verletzung einer Pflicht nach § 31 Abs 1 SGB II die Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt, soweit eine Sanktion nach § 31a Abs 1 Sätze 1 bis 3 SGB II zwingend zu verhängen ist, auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit § 31b Abs 1 Satz 3 SGB II für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer
von drei Monaten vorgibt. Maßgebend hierfür waren nach den Leitsätzen des Urteils folgende tragenden Erwägungen: "1. Die zentralen
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.
1 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde
steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich 'unwürdiges' Verhalten nicht verloren. Das
Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden,
also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche
Bedürftigkeit vorliegt. 2. Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz selbst
zu sichern und die deshalb staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, abverlangen, selbst zumutbar an der Vermeidung oder Überwindung
der eigenen Bedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Er darf sich auch dafür entscheiden, insoweit verhältnismäßige Pflichten mit
wiederum verhältnismäßigen Sanktionen durchzusetzen."
Ausweislich der vom Beklagten zur Prüfung des Fortbestehens der Prozessvoraussetzungen vorgelegten Auskünfte und Bescheide
wurde dem Kläger für Dezember 2015 Alg II ohne Minderung des Regelbedarfs gezahlt. Für Oktober und November 2015 wurde die
fortbestehende Minderung auf einen weiteren Bescheid vom 20.8.2015 gestützt, den der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht
angegriffen hat. Von Seiten des Klägers sind insofern trotz Nachfrage des Senats keine Einwände vorgebracht worden. Er hat
nur darauf hingewiesen, dass wegen des Bescheids vom 20.8.2015 noch ein Gerichtsverfahren anhängig sei.
Angesichts dessen sind die Voraussetzungen für eine fortbestehende entscheidungserhebliche Klärung der vom Kläger formulierten
Fragen im vorliegenden Verfahren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht mehr gegeben. Soweit der Beklagte
für Dezember 2015 Alg II ohne Minderung gezahlt hat, ist der Kläger nicht (mehr) beschwert. Hinsichtlich des vollständigen
Wegfalls der Leistungen für Oktober und November 2015 ist im vorliegenden Verfahren keine für den Kläger durchgreifende günstige
Entscheidung möglich, weil der Beklagte diese Minderung auf den weiteren Bescheid vom 20.8.2015 gestützt hat, der nicht Gegenstand
dieses Verfahrens ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.