Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung aufgrund eines nicht erforderlichen
Umzugs und Ablehnung einer vorherigen Zusicherung
Gründe:
I
Umstritten ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1.6.2007 bis zum 30.4.2009. Die Kläger wenden sich gegen die sogenannte "Deckelung" der Leistungen
nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aufgrund eines nach Ansicht des beklagten Jobcenters nicht erforderlichen Umzugs.
Die im Jahr 1971 geborene Klägerin zu 1 lebte vor dem streitigen Zeitraum mit ihrem im April 1994 geborenen Sohn, dem Kläger
zu 2, in einer Bedarfsgemeinschaft in einer 58 qm großen Wohnung in der P Straße in S, für die ab dem 1.11.2006 monatlich
insgesamt 305,31 Euro zu entrichten waren (Nettokaltmiete 219,94 Euro, Betriebskosten 36,07 Euro, Heizkosten/Warmwasser 44,73
Euro, Wasser/Abwasser 4,57 Euro). Auf ihren Fortzahlungsantrag vom 11.1.2007 bewilligte der Beklagte den Klägern für März
bis August 2007 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Gesamtbedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von
298,60 Euro. Den am selben Tag gestellten Antrag auf Zusicherung für einen Umzug lehnte der Beklagte bestandskräftig ab. Zugleich
wurde darauf hingewiesen, dass im Falle des Umzugs die Leistungen für Unterkunft und Heizung nur noch in der bisherigen Höhe
übernommen würden.
Am 22.3.2007 stellte die Klägerin zu 1 erneut einen Antrag auf Zusicherung zum Umzug in eine 58 qm große Wohnung in der G
straße in S . Als Umzugsgrund gab die Klägerin zu 1 insbesondere die Möglichkeit der Betreuung ihres Kindes durch ihre Mutter
an, die im selben Haus wohne. Mit Bescheid vom 27.3.2007 lehnte der Beklagte den Antrag mangels Erforderlichkeit des Umzugs
ab, der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.5.2007).
Zum 1.6.2007 zogen die Kläger in die Wohnung in der G straße, für die eine Gesamtmiete von 327,59 Euro (Nettokaltmiete 226,59
Euro, Betriebskosten 36 Euro, Heizkosten/Warmwasser 50 Euro, Wasser/Abwasser 15 Euro) zu entrichten war. Mit Änderungsbescheid
vom 6.6.2007 und sodann, jeweils auf Fortzahlungsanträge hin sowie aufgrund weiterer Änderungsbescheide, bewilligte der Beklagte
den Klägern als Leistungen für Unterkunft und Heizung bis April 2009 weiterhin 298,60 Euro und übernahm Nachzahlungen wegen
Nebenkostenabrechnungen sowohl für die Wohnung in der P Straße für die Jahre 2006 und 2007 sowie für die G straße für die
Jahre 2007, 2008 und 2009. Die Miete in dieser Wohnung erhöhte sich bis auf insgesamt 387,70 Euro ab dem 1.12.2008 (Nettokaltmiete
226,59 Euro, Betriebskosten 36,21 Euro, Heizkosten 118,19 Euro, Wasser/Abwasser 6,71 Euro).
Am 26.1.2009 stellte die Klägerin zu 1 einen Überprüfungsantrag, mit welchem sie die Übernahme der vollständigen tatsächlichen
Unterkunftskosten für die Wohnung in der G straße ab dem 1.6.2007 begehrte. Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag unter
Hinweis auf die mangelnde Zusicherung zum Umzug ab (Bescheid vom 3.2.2009, Widerspruchsbescheid vom 12.3.2009).
Die von den Klägern erhobenen Klagen zum Sozialgericht (SG) wurden mit Urteil vom 17.5.2011 abgewiesen, die eingelegten Berufungen zum Landessozialgericht (LSG) wurden zurückgewiesen
(Urteil vom 4.12.2013). Das LSG hat in seinem Urteil ausgeführt, die Kläger hätten wegen § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung als die ursprünglich für die Wohnung in der P Straße bewilligten
298,60 Euro. Eine Zusicherung zum Umzug hätten die Kläger nicht gehabt, der Umzug in die G straße sei auch nicht erforderlich
gewesen. Es gebe keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Wohnungszustand der Wohnung in der P Straße einen Umzug in
eine andere Wohnung erforderlich gemacht habe. Auch im Hinblick auf die Mitbetreuung des Klägers zu 2 durch die Mutter der
Klägerin zu 1 sei der Umzug nicht erforderlich gewesen, Hausaufgabenbetreuung und Mittagessen hätten auch im Haushalt der
Mutter der Klägerin zu 1 erbracht werden können, dem Kläger zu 2 selbst sei die Wegstrecke angesichts seines Alters von 13
Jahren ohne Weiteres zumutbar. Soweit die Klägerin zu 1 auf ihre Hilfe bei der Pflege ihrer Großeltern verweise, sei diese
Pflege zum einen überwiegend durch die Mutter der Klägerin zu 1 realisiert worden, zum anderen habe die Entfernung der Wohnung
der Klägerin zu 1 zu der der Großeltern lediglich 1 km betragen, die Verkürzung der einfachen Wegstrecke auf ca 300 m sei
nicht so erheblich, dass sie einen Umzug erforderlich erscheinen ließe. Rechtsfolge sei die Deckelung der Leistungen für Unterkunft
und Heizung auf die bis dahin zu tragenden Aufwendungen. Dies sei vorliegend die von den Klägern bis zum 31.5.2007 gezahlte
Bruttowarmmiete von 305,31 Euro abzüglich der Kosten der Warmwasserbereitung von 10,11 Euro, mithin eine monatliche Leistung
für Unterkunft und Heizung von 295,20 Euro. Der Beklagte habe jedoch bereits monatlich 298,60 Euro gewährt und zudem für die
Zeit ab Juni 2007 die sich ergebenden Nachzahlungsbeträge auf die Heiz- und Betriebskosten übernommen. Soweit die Kläger geltend
machten, bei der gesetzlichen Regelung würden umzugsunabhängige Kostensteigerungen, insbesondere bei den Heizkosten, nicht
berücksichtigt, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine Dynamisierung des Deckelungsbetrags anhand von Entwicklungsdaten
des allgemeinen Wohnungsmarkts sei vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt. Man teile auch nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken
der Kläger, denn es sei zu berücksichtigen, dass § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II nur eingreife, wenn der Leistungsempfänger gleichsam ohne Not höhere Kosten auslöse und somit seine Situation selbst verschuldet
sei. Im Übrigen könne durch einen weiteren Umzug die Deckelung beendet werden.
Dagegen wenden sich die Kläger mit den vom LSG zugelassenen Revisionen. Sie rügen eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II, soweit darin eine zeitlich unbefristete und starre Vorschrift zur Deckelung der Kosten der Unterkunft und Heizung gesehen
werde. Zumindest sei eine Dynamisierung der individuellen Angemessenheitsgrenze aufgrund allgemeiner Kostensteigerungen notwendig.
Abgesehen davon, dass die Zusicherung zum Umzug hier nicht habe verweigert werden dürfen, entspreche die dauerhafte Deckelung
auch eher einer Sanktionierung sozialwidrigen Verhaltens. Sie berücksichtige weder die Kostenentwicklung in der bisherigen
Unterkunft, noch die fehlende Kausalität zwischen dem Umzug und der Mehrkosten, bezogen auf die Kosten für Heizung und Wasser,
da diese auf Witterungseinflüssen und steigenden Energiekosten beruhten.
Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Dezember 2013 - L 10 AS 285/11 - und des Sozialgerichts Schwerin vom 17. Mai 2011 - S 22 AS 672/09 - sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2009 aufzuheben
und den Beklagten zu verurteilen, ihnen unter Änderung des Bescheides vom 6. Juni 2007 (Bewilligungsabschnitt 1. Juni bis
31. August 2007), des Bescheides vom 31. Juli 2007 (Bewilligungsabschnitt 1. September 2007 bis 29. Februar 2008), zuletzt
geändert durch Bescheid vom 21. Januar 2008, des Bescheides vom 31. Juli 2007 (Bewilligungsabschnitt 1. März 2008 bis 30.
April 2008), zuletzt geändert durch Bescheid vom 22. April 2008, des Bescheides vom 26. März 2008 (Bewilligungsabschnitt 1.
Mai 2008 bis 31. Oktober 2008), zuletzt geändert durch Bescheid vom 22. April 2008, sowie des Bescheides vom 25. September
2008 (Bewilligungsabschnitt 1. November 2008 bis 30. April 2009) Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe ihrer tatsächlichen
Aufwendungen, abzüglich der Warmwasserkostenpauschale, vom 1. Juni 2007 bis zum 30. April 2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die zulässigen Revisionen der Kläger sind im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§
170 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Es konnte nicht abschließend entschieden werden, ob den Klägern für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere Leistungen
für Unterkunft und Heizung zustehen, denn es fehlt insofern an ausreichenden Feststellungen des LSG.
1. Gegenstand der Revisionsverfahren sind neben der Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Aufhebung des Bescheids
des Beklagten vom 3.2.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2009, mit dem die Überprüfungsanträge der Kläger
mit dem Ziel, vom 1.6.2007 bis zum 30.4.2009 die vollen tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu erlangen, abgelehnt
worden sind. Mithin sind streitgegenständlich auch die jeweiligen Leistungsbescheide, mit denen Leistungen für Unterkunft
und Heizung in dem von den Klägern durch ihre Überprüfungsanträge vorgegebenen Zeitraum bewilligt worden sind. Dies sind -
neben den von den Klägern selbst aufgeführten Bescheiden - auch die zur Ermittlung des "wirklich Gewollten" (vgl Leitherer
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
95 RdNr 5) einzubeziehenden Bescheide vom 6.6.2007 (Bewilligungsabschnitt 1.6. bis 31.8.2007), des Bescheids vom 31.7.2007 (Bewilligungsabschnitt
1.9.2007 bis 29.2.2008), zuletzt geändert durch Bescheid vom 21.1.2008, des Bescheids vom 31.7.2007 (Bewilligungsabschnitt
1.3.2008 bis 30.4.2008), zuletzt geändert durch Bescheid vom 22.4.2008, des Bescheids vom 26.3.2008 (Bewilligungsabschnitt
1.5.2008 bis 31.10.2008), zuletzt geändert durch Bescheid vom 22.4.2008, sowie des Bescheids vom 25.9.2008 (Bewilligungsabschnitt
1.11.2008 bis 30.4.2009).
Die vorgenommene Beschränkung auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung ist zulässig (stRspr, siehe BSG Urteil vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 12 mwN). Ihr Begehren haben die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage
geltend gemacht (§
54 Abs
1 und Abs
4 SGG).
2. Als Rechtsgrundlage für den Antrag der Kläger auf Überprüfung der Leistungsbescheide für die Zeit vom 1.6.2007 bis zum
30.4.2009 hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung kommt nur § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden sind.
Der Antrag der Kläger genügt den Anforderungen für einen Überprüfungsantrag eines Leistungsberechtigten nach § 44 SGB X. Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ([BSG] Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28 mwN), dass der Antrag konkretisierbar ist und entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung
- oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung
bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar ist. Dazu muss der Leistungsberechtigte in der Regel in seinem Überprüfungsantrag
einen oder ggf mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen. Dies ist nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver
Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne Weiteres zu ermitteln ist (siehe
dazu auch BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 39/13 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 31 RdNr 15).
Die Klägerin zu 1 hatte vorliegend - wie bereits vom SG und vom LSG ausgeführt - erkennbar auch für den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn, den Kläger zu 2, mit Schreiben
vom 26.1.2009 die Überprüfung "von Leistungsbescheiden ab 1.6.2007 im Hinblick auf die Übernahme der Unterkunftskosten" beantragt
und dem einen Antrag auf Übernahme der vollständigen Unterkunftskosten der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 387,70 Euro beigefügt.
Dies reicht bei objektiver Betrachtung als Anknüpfungspunkt für eine Überprüfung aus, denn es ist bei verständiger Würdigung
der Sachlage klar zu erkennen gewesen, dass die Klägerin zu 1 nach dem Umzug in die G straße zum 1.6.2007 die dort zu zahlenden
tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung für sich und den Kläger zu 2 begehrt.
3. Es kann aber vorliegend nicht abschließend entschieden werden, ob iS des § 44 Abs 1 SGB X das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb durch die vorgenommene "Deckelung" zu niedrige Leistungen für Unterkunft
und Heizung erbracht worden sind. Zwar hat das LSG zutreffend angenommen, dass der Umzug der Kläger nicht erforderlich gewesen
ist (dazu unter 3.c). Es fehlen aber Feststellungen dazu, ob und ggf inwieweit für den streitbefangenen Zeitraum zutreffend
ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenzen als weitere Voraussetzung für die Anwendung von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II bestanden haben (dazu unter 4.).
a) Die Kläger erfüllen aus dem Gesamtzusammenhang der vom LSG zugrunde gelegten Tatsachen die Voraussetzungen des § 7 SGB II für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Hinblick auf das Alter, die Erwerbsfähigkeit, die Hilfebedürftigkeit
und des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch umfasst dem Grunde nach auch Leistungen für
Unterkunft und Heizung. Es ist dabei auf die tatsächlichen Unterkunftskosten abzustellen, soweit sie angemessen sind (vgl
§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II; siehe auch zB BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 20 ff).
b) Die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung in der G straße scheitert nicht an der
fehlenden Zusicherung des Beklagten für einen Umzug (vgl § 22 Abs 2 SGB II in der in der streitigen Zeit geltenden Fassung [SGB II aF], heute: § 22 Abs 4 SGB II). Die vom Beklagten bestandskräftig abgelehnten Anträge auf Zusicherung zur Tragung von Unterkunftskosten nach einem Umzug
stellen jeweils nur eine Entscheidung für diesen konkreten Antrag dar und entfalten keine Dauerwirkung für die Zukunft. Der
Bescheid erschöpft sich in der Ablehnung der Zusicherung für den Einzelfall. Dass die Kläger somit für ihren Umzug in die
G straße keine Zusicherung nach § 22 Abs 2 SGB II aF eingeholt haben, ist insofern ohne Belang, als die Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung darstellt (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 27).
c) Ungeachtet der Frage der Zusicherung liegen die Voraussetzungen von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II für eine mögliche "Deckelung" im hiesigen Fall jedenfalls insoweit vor, als der Umzug der Kläger in die G straße nicht erforderlich
war.
Der Prüfung zugrunde zu legen ist § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II in der im streitigen Zeitraum vom 1.6.2007 bis 30.4.2009 anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706), der unwesentlich mit Wirkung vom 1.1.2009 durch das Gesetz zur Neuausrichtung
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) geändert wurde. Danach werden für den Fall, dass sich
nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen, die Leistungen weiterhin
nur in Höhe der bis dahin zu tragenden (angemessenen) Aufwendungen erbracht. Die Prüfung der Erforderlichkeit eines Umzugs
ist in zwei Schritten daran zu messen, ob der Auszug aus der bisherigen Wohnung notwendig oder aus sonstigen Gründen erforderlich
ist. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob sich die Kosten gerade der von dem Hilfebedürftigen gewählten neuen Wohnung
in Ansehung der Erforderlichkeit eines Umzugs als angemessen darstellen (siehe grundlegend BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 52 RdNr 18).
Eine Notwendigkeit des Umzugs in dem Sinne, dass zB gesundheitliche Gründe einen solchen unerlässlich machen, sind nach den
Feststellungen des LSG (§
163 SGG) nicht gegeben. Aber auch eine Erforderlichkeit des Umzugs im weiteren Sinne ist für den vorliegenden konkreten Fall zu verneinen.
Zwar kann grundsätzlich gerade die Tatsache, dass der Hilfebedürftige alleinerziehend und damit uU besonderen Belastungen
ausgesetzt ist, zu einer Bejahung der Erforderlichkeit führen. Vorliegend würde sich die Lebenssituation der Kläger aber nicht
so verändern, dass diese Veränderung in den persönlichen Umständen eine Neubestimmung der für die Kläger angemessenen Wohnkosten
gerechtfertigt erscheinen ließe. Es ist nicht erkennbar, dass der bereits 13 Jahre alte Kläger zu 2 einer engmaschigen Betreuung
durch seine Großmutter bedurfte. Ebenso wenig ändert sich die Lebenssituation der Klägerin zu 1 wesentlich dadurch, dass sie
wenige hundert Meter kürzere Wege zu bewältigen hat.
4. Ausgehend von der mangelnden Erforderlichkeit des Umzugs sind nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF Leistungen für Unterkunft und Heizung nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen zu erbringen. Zeitlich
ist als Bezugspunkt der Zeitpunkt des Umzugs maßgeblich, hier also der 1.6.2007. Die Gesamtmieten (Kaltmiete/Betriebskosten/Heizkosten)
der alten und der neuen Wohnung zu diesem Zeitpunkt sind dabei zu vergleichen (hM siehe nur Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 22 RdNr 111; aA Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Oktober 2012, K § 22 RdNr 233). Tatbestandsvoraussetzung dieser Deckelung ist aber, dass für den örtlichen Vergleichsraum überhaupt zutreffend
ermittelte abstrakte Angemessenheitsgrenzen bestehen. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, scheidet eine Deckelung aus.
Da es hierzu an Feststellungen seitens des LSG fehlt, kann über die Rechtmäßigkeit der hier streitbefangenen Deckelung nicht
abschließend entschieden werden.
a) Normativer Anknüpfungspunkt für die Voraussetzung des Bestehens einer zutreffend ermittelten abstrakten Angemessenheitsgrenze
ist, dass der Wortlaut der Regelung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II die Erhöhung der "angemessenen" Aufwendungen für Unterkunft und Heizung fordert. Damit ist nach dem Regelungszusammenhang
auf § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II Bezug genommen, wonach Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit
diese "angemessen" sind. Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit der Unterkunft muss der abstrakt
als angemessen anzuerkennende Mietpreis unter Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten ermittelt werden ("Referenzmiete",
vgl BSG Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 RdNr 23). Erforderlich dazu sind überprüfbare Erhebungen und Auswertungen, die eine hinreichende
Gewähr dafür bieten, dass sie die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarkts wiedergeben ("schlüssiges Konzept",
siehe nur BSG Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 RdNr 24). Die Ermittlung abstrakt angemessener Aufwendungen für Heizung begegnet zwar praktischen
Schwierigkeiten (vgl BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 69, RdNr 21), die Möglichkeit ist jedoch vom Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich vorgesehen (§ 22b Abs 1 Satz 2 und 3 SGB II; vgl BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 53/13 R - BSGE 116, 94 = SozR 4-4200 § 22a Nr 2, RdNr 30 ff).
b) Der so näher bestimmte Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II wird in § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aufgegriffen und dazu in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt (BT-Drucks 16/1410 S 23), dass mit der Regelung die
Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, in denen
Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine
Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Dieser Intention nimmt die Änderung durch Einfügung des zweiten
"angemessen" durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) nichts
und fügt ihr auch nichts hinzu. Hierzu ist in der Begründung dieses Gesetzentwurfs ausgeführt (BT-Drucks 16/10810 S 49), dass
die mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende eingeführte Begrenzung der Leistungen für Unterkunft
und Heizung bei einem nicht erforderlichen Umzug auf Anregungen aus der Praxis dahingehend präzisiert werde, dass die Leistungen
für die neue Unterkunft bei einem nicht erforderlichen Umzug auf die bisherigen angemessenen Kosten zu begrenzen seien.
c) Vor diesem Hintergrund hat das BSG den Zweck von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II schon in der Vergangenheit darin gesehen, eine missbräuchliche Leistungsinanspruchnahme durch Ausschöpfung der abstrakten
Angemessenheitsgrenzen zu verhindern und den Kommunen im Hinblick auf die Kostensteigerungen bei Leistungen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II eine Steuerungsfunktion zu belassen (BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 21). Insbesondere hat es entschieden, dass die Vorschrift von vornherein keine Anwendung
findet auf Fallgestaltungen, bei denen ein Umzug über die Grenzen des Vergleichsraums im Sinne der Rechtsprechung des BSG hinaus vorgenommen wird (vgl BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 60/09 R - BSGE 106, 147 = SozR 4-4200 § 22 Nr 35, RdNr 19 ff). Im Hinblick auf diesen Schutzzweck kann die Norm auch bei einem Umzug innerhalb desselben
Vergleichsraums Anwendung nur dann finden, wenn und soweit zutreffend ermittelte kommunale Angemessenheitsgrenzen bestehen.
Vor der Ausschöpfung einer solchen Angemessenheitsgrenze durch nicht erforderliche Umzüge soll auch der örtliche Wohnungsmarkt
geschützt werden (vgl BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 60/09 R - BSGE 106, 147 = SozR 4-4200 § 22 Nr 35, RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 21).
d) Das LSG wird demgemäß zu ermitteln haben, ob eine zutreffend ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenze für die
Unterkunftskosten besteht. Ist dies nicht der Fall, scheidet eine Leistungsdeckelung nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aus. Dies schließt jedoch eine Prüfung der Unangemessenheit im Einzelfall im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II nicht aus. Es könnte dann für die Begrenzung der Nettokaltmiete und der kalten Nebenkosten auf die Werte der Wohngeldtabelle
zuzüglich eines Zuschlags von 10 % abgestellt werden (siehe BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 23; Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 27).
Wenn eine zutreffend ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenze für die Heizaufwendungen nicht besteht, scheidet
auch insoweit eine Deckelung nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aus. Eine Prüfung der Unangemessenheit der Heizkosten im Einzelfall kann, wie auch bei den Unterkunftskosten, im Rahmen des
§ 22 Abs 1 Satz 3 SGB II stattfinden, wobei hierfür eine Orientierung an den Grenzwerten aus bundesweitem oder kommunalem Heizspiegel zu erfolgen
hat (BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 69, RdNr 22).
5. Sollten die Ermittlungen des LSG zu dem Ergebnis führen, dass im vorliegenden Fall rechtmäßig ermittelte abstrakte kommunale
Angemessenheitsgrenzen existieren, wäre die Deckelung durch die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Allerdings wäre dann zu
beachten, dass sich zeitlich nachfolgende Anhebungen dieser Angemessenheitsgrenzen auf die Deckelung auswirken. Die durch
die Anhebung der abstrakten kommunalen Angemessenheitsgrenzen anerkannten Kostensteigerungen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt
sind bei fortdauernder Deckelung zu berücksichtigen ("Dynamisierung"). Der Schutz des Leistungsträgers und des örtlichen Wohnungsmarkts
vor der Ausschöpfung einer Angemessenheitsgrenze durch nicht erforderliche Umzüge ist insoweit von dem Regelungswillen des
Gesetzgebers nicht umfasst, denn er bezieht sich nur auf die Ausschöpfung der Angemessenheitsgrenzen im Einzelfall und nicht
auf Erhöhung der allgemeinen Angemessenheitsgrenzen durch wirtschaftliche Entwicklungen und dadurch bedingte anerkannte Kostensteigerungen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.