Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags
Recht eines inhaftierten Prozessbeteiligten zur Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Mit vorbezeichnetem Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung des Klägers gegen den erstinstanzlichen
Gerichtsbescheid vom 2.10.2020 zurückgewiesen, mit dem das Sozialgericht Reutlingen die Klagen mangels Zulässigkeit abgewiesen
hatte. Nach Zustellung des Urteils am 24.3.2021 hat der Kläger mit am 13.4.2021 bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangenem Schreiben um Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das vorgenannte
Urteil des LSG nachgesucht und die Beiordnung des Rechtsanwalts R beantragt. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, er
habe zu dem Termin der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht erscheinen können, weil ihm am 19.3.2021 eine Ausführung aus
der Haft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) nicht bewilligt worden sei.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1, §
121 Abs
1 ZPO). Es ist nicht erkennbar, dass ein nach §
73 Abs
4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter hier in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.
Nach §
160 Abs
2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dagegen ist eine allgemeine Überprüfung des vorinstanzlichen Urteils in dem Sinne, ob das LSG unter Würdigung der Angaben
des Klägers richtig entschieden hat, im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft. Ein möglicher Zulassungsgrund
iS des §
160 Abs
2 Nr
1,
2 oder 3
SGG ist weder aufgezeigt worden noch nach Durchsicht der Akten aufgrund der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des
Streitstoffs zu erblicken.
1. Grundsätzliche Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein
praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten und in einem Revisionsverfahren auch klärungsfähig
wären, sind nicht erkennbar.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder
- anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen
zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung
von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 34 mwN). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich.
3. Schließlich ist auch kein möglicher Verfahrensmangel erkennbar, der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Es sind keine Umstände ersichtlich, aus denen geschlossen werden könnte, dass ein
Verfahrensfehler mit Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Soweit der Kläger darauf hinweist, er habe zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.3.2021 vor dem LSG nicht erscheinen
können, weil ihm an diesem Tag eine Ausführung aus der Haft nicht bewilligt worden sei, ist nicht erkennbar, dass ein zugelassener
Prozessbevollmächtigter eine mögliche Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§
62 SGG iVm Art
103 Abs
1 GG) durch das LSG mit Erfolg aufzeigen könnte.
Einem inhaftierten Prozessbeteiligten steht das Recht zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu. Die Gewährleistung wirksamen
Rechtsschutzes iS von Art
19 Abs
4 Satz 1
GG fordert im Bereich des Strafvollzugs Vorkehrungen, dass die inhaftierte Person rechtzeitig Zugang zum Gericht erhält. So
hat die JVA zur Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes ua die Verpflichtung, einen Antrag an ein Gericht beschleunigt,
etwa durch Telefax, weiterzuleiten, sodass sich der Inhaftierte rechtzeitig gegenüber dem Gericht äußern kann. Auch unter
Berücksichtigung der besonderen Situation eines Inhaftierten ist dieser jedoch verpflichtet, durch entsprechende Anträge bei
der Strafvollzugsbehörde alles ihm Zumutbare zu tun, um sich rechtliches Gehör, insbesondere auch durch Teilnahme an der mündlichen
Verhandlung, zu verschaffen. Ein Gericht kann sich daher bei Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zunächst
darauf beschränken, einen Inhaftierten darauf zu verweisen, dass er nach §
36 Abs
2 Satz 1
Strafvollzugsgesetz seine Ausführung zur Teilnahme an dem Termin beantragen könne. Erscheint der Inhaftierte nicht zum Termin zur mündlichen
Verhandlung, so wird er - sofern das persönliche Erscheinen nicht angeordnet ist - wie jeder andere Prozessbeteiligte behandelt,
dem das Erscheinen zur mündlichen Verhandlung freigestellt worden ist. In diesem Fall kann das Gericht die mündliche Verhandlung
auch ohne den ordnungsgemäß geladenen, nicht erschienenen Prozessbeteiligten durchführen, ohne dass dessen Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzt würde. Ein Inhaftierter hat darüber hinaus für die Kontaktaufnahme zum Gericht alle ihm zur Vermeidung anstaltsbedingter
Verzögerungen möglichen Maßnahmen zu ergreifen. Kann die Teilnahme einer inhaftierten Person an der mündlichen Verhandlung,
die alles ihr Zumutbare unternommen hat, um im Termin zur mündlichen Verhandlung erscheinen zu können, nur durch die rechtlich
zulässige Mitwirkung des Prozessgerichts erreicht werden, so ist dieses verpflichtet, durch entsprechende Maßnahmen die Teilnahme
zu ermöglichen. Kommt das Gericht dieser Verpflichtung nicht nach, so leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel (vgl hierzu insgesamt BSG Beschluss vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38 mwN).
Umstände, die hier einen solchen Mangel ergeben können, sind weder dem Vorbringen des Klägers noch dem Akteninhalt zu entnehmen.
Insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, aus denen geschlossen werden könnte, dass das LSG gehalten gewesen sein könnte,
weitere Maßnahmen zu treffen, um die Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung zu sichern, oder aufgrund des Nichterscheinens
des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung diese zu vertagen. Dem Akteninhalt und auch dem Vortrag des Klägers ist nicht
zu entnehmen, dass das LSG Kenntnis davon hatte, dass der Kläger einen Antrag auf Ausführung gestellt haben und dieser abgelehnt
worden sein könnte. Insbesondere ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht darüber informiert gewesen sein
könnte, dass und aus welchen Gründen dem Kläger die Ausführung verweigert worden sein könnte, er aber dennoch am Termin teilnehmen
wollte. Der Akte des LSG ist zu entnehmen, dass die JVA am 16.3.2021 Kontakt mit dem LSG aufgenommen und Formulare übersandt
hatte. Darüber hinaus ist in der Akte des LSG ein Vermerk vom 18.3.2021 über ein fernmündliches Gespräch zwischen einer Mitarbeiterin
der JVA sowie der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle enthalten. Danach teilte die Mitarbeiterin der JVA der Urkundsbeamtin
mit, dass der Kläger nicht erscheinen werde. Aus welchen Gründen er nicht erscheinen würde, ergibt sich hieraus nicht. Aus
dem Akteninhalt ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger sich selbst nochmals mit entsprechenden Anträgen oder Äußerungen
an das LSG gewendet haben könnte, um seine Teilnahme am Termin sicherzustellen bzw eine Vertagung zu erreichen.
Auch soweit dem Kläger der PKH für das Verfahren der Berufung vor dem LSG ablehnende Beschluss des LSG vom 12.3.2021 erst
am 17.3.2021 zugestellt worden ist, ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
oder auf ein faires Verfahren gerügt werden könnte. So ist nicht erkennbar, dass der Kläger einen Antrag auf Verlegung des
Termins oder Vertagung hätte stellen wollen, um selbst einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen (vgl hierzu BSG Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9).
Des Weiteren kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Prozessbevollmächtigter einen Verfahrensmangel dergestalt, dass
das LSG statt die Klage als unzulässig abzuweisen in der Sache hätte entscheiden müssen, hinreichend darlegen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 19 mwN). Wird ein Sachurteil statt eines Prozessurteils oder umgekehrt ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen, so liegt
zwar ein Verfahrensmangel vor, weil es jeweils qualitativ eine andere Entscheidung ist (vgl BSG Beschluss vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 19 mwN). Dass hier das LSG zu Unrecht von der Unzulässigkeit der Klagen ausgegangen sein könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.
Da dem Kläger keine PKH zu bewilligen ist, hat er nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.