Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft- und Heizung; Angemessenheit der Aufwendungen bei Umzug aus dem
Bereich des örtlichen Wohnungsmarktes
Gründe:
I
Streitig ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 1.2. bis 30.6.2008.
Der Kläger lebte bis Ende 2006 in B., zog dann nach Ba. um und Anfang 2008 nach B. zurück. Er bezog bereits bei seinem ersten
B.- Aufenthalt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Der in B. für ihn zuständige Grundsicherungsträger,
die Arge E., gewährte ihm bis Dezember 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ohne sanktionsbedingten oder sonstigen
Abzug - in Höhe von 537,52 Euro (Regelleistung: 347 Euro und Leistungen für Unterkunft und Heizung: 190,52 Euro). Durch Bescheid
vom 14.1.2008 hob sie die Bewilligung mit Wirkung ab dem 1.2.2008 wegen des Wechsels der Zuständigkeit auf Grund des Umzugs
des Klägers auf. Am 25.1.2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1.2.2008 bis 30.6.2008 Grundsicherungsleistungen
in Gestalt einer Regelleistung von 347 Euro und für Kosten der Unterkunft von 193,19 Euro.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser ua geltend gemacht hat, dass seine Miete - durch Mietvertrag nachgewiesen - in
B. 300 Euro warm betrage und er sich damit innerhalb der von dem Beklagten gezogenen "Angemessenheitsgrenzen" halte, wies
der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3.3.2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, der Umzug des Klägers aus dem Bezirk
E. nach B. sei nicht erforderlich gewesen. Daher seien auch nur die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in bisheriger
angemessener Höhe von 193,19 Euro von ihm zu erbringen (§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB II).
Mit seiner Klage ist der Kläger insoweit erfolgreich gewesen, als das SG Berlin den Beklagten unter Änderung des Bescheides
vom 25.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.3.2008 verurteilt hat, dem Kläger 100,28 Euro, insgesamt 293,47
Euro (Bruttowarmmiete in Berlin von 300 Euro minus 6,53 Euro Kosten der Warmwasserbereitung) als Kosten der Unterkunft zu
gewähren (Urteil vom 24.7.2008). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG die Klage in Höhe von 6,53 Euro zurückgenommen.
Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG Berlin-Brandenburg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2009). Es hat ausgeführt, die vom Kläger geltend gemachten Kosten für
Unterkunft und Heizung in B. in Höhe von 300 Euro abzüglich der Kosten für die Warmwasserbereitung seien zwar angemessen.
Sie hielten sich unstreitig in den von dem Beklagten gesetzten Angemessenheitsgrenzen. Gleichwohl sei der Beklagte nicht verpflichtet,
sie in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Der Umzug von E. nach B. sei nicht erforderlich gewesen, sodass Leistungen für Unterkunft
und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II nur in der Höhe erbracht werden müssten, wie sie von der Arge E. gewährt worden
seien. Weder habe der Kläger den Umzug im Hinblick auf die Aufnahme einer konkreten Erwerbstätigkeit vollzogen, noch seien
gesundheitliche Gründe oder sonstige Gründe sozialer Art für den Umzug ausschlaggebend gewesen. Der Anwendungsbereich des
§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB II könne auch nicht auf einen Umzug innerhalb des "Vergleichsraums" beschränkt werden. Dieses gäben
weder Gesetzestext noch Gesetzesmaterialien her. Ebenso wenig könne ein Verstoß gegen Art
11 GG angenommen werden. Ein Grundrechtseingriff liege bereits deswegen nicht vor, weil § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht auf die Einschränkung der Freizügigkeit ziele. Daher liege auch keine mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung
vor. Zudem sei der Kläger tatsächlich nicht gehindert gewesen, nach B. umzuziehen, denn er habe für den Preis des Zimmers
an seinem Wohnort in Ba. nach den Ermittlungen des Gerichts ebenfalls ein Zimmer in B. mieten können. Ebenso wenig vermochte
das LSG einen Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG zu erkennen. Der "wichtige Grund" iS des Art
3 Abs
1 GG liege darin, dass zu Gunsten der Finanzlage der öffentlichen Hand an dem bisherigen Wohnstandard festgehalten werden solle.
Auch bei richtiger Beratung des Klägers durch den Beklagten hätte kein Leistungsanspruch bestanden, sodass die Voraussetzungen
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ebenfalls nicht gegeben seien. Damit habe die Beklagte die allein streitigen Leistungen
für Unterkunft und Heizung zutreffend auf 193,52 Euro begrenzt, wobei sie bereits über die von der Arge E. gewährten 190,52
Euro hinausgegangen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II. Er werde durch die vom
LSG gewählte Auslegung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II in der ihm durch Art
11 Abs
1 GG gewährleisteten Freizügigkeit eingeschränkt, ohne dass hierfür ein Rechtfertigungsgrund iS des Art
11 Abs
2 GG vorhanden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. September 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2008 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.
II
Die zulässige Revision ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in dem vom SG ausgeurteilten Umfang. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG waren die Leistungen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nicht der Höhe nach auf den im Zuständigkeitsbereich der Arge E. ihm gewährten Zahlbetrag nach § 22 Abs
1 Satz 2 SGB II zu begrenzen. § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II entfaltet nach der Gesetzesbegründung, seiner systematischen Stellung
innerhalb des § 22 Abs 1 SGB II und seinem Sinn und Zweck nur für Umzüge im Vergleichsraum Wirkung. Eine derartige Reduktion
des Anwendungsbereichs des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II ist zudem verfassungsrechtlich unter Berücksichtigung des allgemeinen
Gleichheitssatzes des Art
3 Abs
1 GG iVm der durch Art
11 Abs
1 GG gewährleisteten Freizügigkeit geboten.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 25.1.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.3.2008. Zutreffend
sind SG und LSG davon ausgegangen, dass die Folgebescheide nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits geworden sind. §
96 SGG greift in diesen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht (s nur BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R, BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 4/06 R; BSG, Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R). Die Beteiligten haben sich zudem in einem schriftlichen Vergleich vor dem SG (Aktenzeichen: S 96 AS 22323/08) darüber geeinigt, dass der Beklagte sich für den Leistungszeitraum vom 1.7. bis 31.12.2008 der rechtskräftigen Entscheidung
für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum unterwerfen wird.
Die Beteiligten haben den Streitgegenstand auch zulässig auf die Kosten der Unterkunft (KdU) beschränkt. Zwar sind nach der
Rechtsprechung des BSG bei einem Streit um höhere Leistungen grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der
Höhe nach zu prüfen (BSG SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr 16; BSG, Urteil vom 16.5.2007 - B 11b AS 29/06 R; BSG, Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 49/06 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 7). Ein Bescheid kann im Einzelfall jedoch gleichwohl mehrere abtrennbare Verfügungen enthalten.
Um eine derartige abtrennbare Verfügung handelt es sich bei dem Betrag, der für die KdU nach § 22 SGB II bewilligt worden
ist (vgl hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 19, 22; s auch BSG, Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 55/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 9).
Der Kläger hat zudem den Streitgegenstand betragsmäßig begrenzt. Er hat die Klage vor dem SG in Höhe von monatlich 6,53 Euro für die Kosten der Warmwasserbereitung zurückgenommen. In Streit steht mithin für den streitigen
Zeitraum der Differenzbetrag zwischen seinen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in B. in Höhe von 300 Euro
monatlich minus 6,53 Euro = 293,47 Euro und den von dem Beklagten als Leistung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II erbrachten 193,19
Euro, also 100,28 Euro monatlich.
2. Der Kläger hat Anspruch auf monatlich weitere 100,28 Euro als Leistungen für Unterkunft und Heizung in dem streitigen Zeitraum.
Er erfüllt die Voraussetzungen des § 7 SGB II für Leistungen der Grundsicherung. Sein Anspruch umfasst dem Grunde nach auch
Leistungen für KdU. Diese werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (vgl § 22 Abs
1 Satz 1 SGB II). Damit lässt sich der Gesetzgeber - anders als bei der pauschalierten Regelleistung - bei den Unterkunftskosten
zunächst vom Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit leiten, indem er anordnet, auf die tatsächlichen Unterkunftskosten abzustellen.
Diese sind im Grundsatz zu erstatten. Allerdings sind die tatsächlichen Kosten nicht in beliebiger Höhe erstattungsfähig,
sondern nur insoweit, als sie angemessen sind. Die Angemessenheitsprüfung limitiert somit die erstattungsfähigen Kosten der
Höhe nach (BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R).
Die vom Kläger in B. getätigten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 300 Euro warm sind unstreitig
angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG hat die angemessenen Mietkosten für einen Alleinstehenden in B. mit 360
Euro warm beziffert. Die dortigen Aufwendungen des Klägers liegen mit 300 Euro unter dieser Grenze. Der Beklagte ist mithin
verpflichtet, die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers als Leistung für Unterkunft und Heizung in dieser Höhe zu übernehmen.
Er kann nicht damit gehört werden, dass die Leistung auf die tatsächlichen angemessenen Aufwendungen am Wohnort des Klägers
im Bezirk der Arge E. zu begrenzen sei.
3. Nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
20.7.2006 (BGBl I 1706) gilt mit Wirkung ab dem 1.8.2006: Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen
erbracht. Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, nach welchen abstrakten Kriterien die Erforderlichkeit eines Umzugs iS
dieser Vorschrift zu beurteilen ist und ob der Umzug des Klägers von Ba. nach B. hier in diesem Sinne erforderlich war. Die
Vorschrift des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II findet auf Fallgestaltungen, bei denen ein Umzug über die Grenzen des Vergleichsraums
iS der Rechtsprechung des BSG (s BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R) hinaus vorgenommen wird, von vornherein keine Anwendung (vgl LSG Baden-Württemberg vom 17.7.2008 - L 7 AS 1300/08; LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.10.2007 - L 13 AS 168/07 ER; Berlit in Münder, LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 22 RdNr 48, 51; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, §
22 RdNr 47b; Knickrehm/Voelzke in Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, DGST Praktikerleitfaden,
2009, S 21; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II Stand IX/2009 § 22 RdNr 95; aA Herold-Tews in Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl 2009,
§ 22 RdNr 27b). Dieses folgt aus der Gesetzesbegründung (a), ihrer systematischen Stellung innerhalb des § 22 Abs 1 SGB II
(b) und dem Sinn und Zweck der Vorschrift (c). Zudem ist die Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm auf den Vergleichsraum
unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art
3 Abs
1 GG und der durch Art
11 Abs
1 GG gewährleisteten Freizügigkeit geboten (d).
a) Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Grenzen des Vergleichsraums mag sich zwar nicht zwingend
aus dem Wortlaut des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II erschließen. Bereits die Begründung im Gesetzentwurf legt jedoch ein Verständnis
der Norm nahe, das auf eine Anwendung innerhalb des Vergleichsraums hinausläuft (vgl Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II,
2. Aufl 2008, § 22 RdNr 47a; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand IX/2009, § 22 RdNr 95). In der Bundestagsdrucksache 16/1410
wird die Einführung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II wie folgt erläutert (S 23, zu Nummer 21 Buchstabe a): Durch die Regelung
seien die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen
Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine
Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Es wird hier also auf die kommunalen Angemessenheitsgrenzen abgestellt.
Diese beziehen sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG jedoch immer auf den Vergleichsraum am Wohnort des Hilfebedürftigen
(vgl BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R, BSGE 102, 263, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen und vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Nur dort ist die abstrakte Angemessenheitsgrenze zu ermitteln. Soweit das
Berufungsgericht dem entgegenhält, eine Begrenzung auf den Vergleichsraum sei nicht mit der weiteren Begründung des Gesetzentwurfs
in Übereinstimmung zu bringen, in der als Beispielsfall für die Erforderlichkeit des Umzugs die Eingliederung in Arbeit benannt
werde, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das LSG nimmt an, ein Umzug innerhalb des örtlichen Bereichs sei bei Eingliederung
in Arbeit im Regelfall nicht erforderlich. Dabei verkennt es, dass der Vergleichsraum in der Rechtsprechung des erkennenden
Senats als ein ausreichend großer Raum (nicht bloß Orts- oder Stadtteil) der Wohnbebauung definiert wird, in dem auf Grund
der räumlichen Nähe, der Infrastruktur und insbesondere der verkehrstechnischen Verbundenheit ein insgesamt betrachtet homogener
Lebens- und Wohnbereich auszumachen ist (BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R, BSGE 102, 263, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Insbesondere um einer Ghettoisierung vorzubeugen, sind die Grenzen des Vergleichsraums
weit zu ziehen. Der Senat hat es deshalb nicht für ausgeschlossen gehalten, das gesamte Stadtgebiet M. als räumlichen Vergleichsmaßstab
anzusehen und hat einen solchen für das Stadtgebiet E., einschließlich des Ortsteils K. angenommen (BSG, Urteil vom 19.2.2009
- B 4 AS 30/08 R, BSGE 102, 263, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). In einem solchen Vergleichsraum ist die Erforderlichkeit eines Umzugs zur
Eingliederung in Arbeit nicht von vornherein ausgeschlossen. Zudem fügt sich die Regelung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II insoweit
in das Konzept des Vergleichsraums ein, als sie den Ausnahmecharakter der Übernahme von höheren Unterkunftskosten als den
bisherigen unterstreicht, weil in der Regel die Aufnahme einer Arbeit im Vergleichsraum keinen Umzug erfordert.
b) Eine Beschränkung der Wirkung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II auf den Vergleichsraum entspricht auch der systematischen Stellung
der Norm innerhalb des § 22 Abs 1 SGB II. Die Vorschrift steht im Zusammenhang mit den Sätzen 1 und 3 des Abs 1. Die Höhe
der angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II wird im Vergleichsraum im Rahmen der "abstrakten
Angemessenheitsprüfung", also im "kommunalen Bereich" ermittelt. Die Verpflichtung zur Kostensenkung bei nicht angemessenen
Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II besteht nur innerhalb des Vergleichsraums; ggf ist sogar ein noch engerer
Raum geschützt, das soziale Umfeld. Kosten müssen jedoch nur bis zu einem Mietpreis gesenkt werden, wie er nach einem "schlüssigen
Konzept" im Vergleichsraum als angemessen ermittelt worden ist. § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II nimmt Elemente beider Regelungen
in sich auf. Einerseits normiert die Vorschrift die Höhe der angemessenen Kosten iS des Satz 1 und andererseits soll sie -
wie auch Satz 3 - der Verpflichtung des Leistungsträgers, unangemessene Unterkunftskosten tragen zu müssen, vorbeugen. Anknüpfungspunkt
der beiden Regelungen, in die § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II eingebunden ist, ist jedoch immer die abstrakt angemessene Miete im
Vergleichsraum. Ein Grund, § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aus diesem systematischen Zusammenhang herauszulösen, ist nicht ersichtlich.
c) Die aus der Systematik folgende Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II wird durch Sinn und Zweck
der Regelung bestätigt. Mit der nur ausnahmsweisen Übernahme von höheren Unterkunftskosten gegenüber den bisher als angemessen
anerkannten - auch innerhalb der Angemessenheitsgrenzen - soll zweierlei vorgebeugt werden. Zum einen soll dem Missbrauch
der Leistungsinanspruchnahme eine Grenze gesetzt werden. Dem Hilfebedürftigen wird es verwehrt, den maximalen Leistungsanspruch
auszuschöpfen, wenn sein existenzsichernder Bedarf bereits angemessen gedeckt ist (vgl Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB
II, 2. Aufl, 2008, § 22 RdNr 47b). Zum Zweiten soll den Kostensteigerungen für Leistungen der Unterkunft innerhalb der kommunalen
Grenzen vorgebeugt werden. Nach einer vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Auftrag gegebenen
Studie "Kosten der Unterkunft und die Wohnungsmärkte. Auswirkungen der Regelungen zur Übernahme der Kosten der Unterkunft
auf Transferleistungsempfänger und Kommunen" besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den für Leistungen für Unterkunft
und Heizung aufgewandten Kosten der Kommunen und der Mietpreisgestaltung der Anbieter von Wohnraum (Forschungen, Heft 142,
Hrsg: BMVBS/BBSR, Bonn 2009, S 104 ff). Auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge weist darauf hin, dass
die kommunalen Angemessenheitsregelungen ein spezifisches Nachfrageverhalten produzieren (Stellungnahme des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge zur Diskussion über eine Pauschalierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung in
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 10.3.2010, DV 01/10 AF III, S 5). Bewohnen Hilfebedürftige daher angemessenen Wohnraum,
für den sie jedoch nur Aufwendungen unterhalb der Angemessenheitsgrenze zu tätigen haben, soll ihnen die Möglichkeit abgeschnitten
werden, neuen Wohnraum unter Ausschöpfung der Angemessenheitsgrenze anzumieten, um den Kommunen ein Steuerungsinstrument im
Hinblick auf die Kostenentwicklung bei Leistungen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu belassen. Ein derartiges Interesse an der
Kostengestaltung besteht für die Kommune über ihren Leistungsbereich hinaus nicht und sie kann von ihr auch über dessen Grenzen
hinweg nicht beeinflusst werden. Ziel der Regelung ist es hingegen nicht, Kommunen, in denen ein hohes Mietniveau gegeben
ist, vor einem weiteren Zuzug von arbeitsuchenden Hilfebedürftigen zu "schützen" (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand IX/2009,
§ 22 RdNr 95). Ebenso wenig ist es Sinn und Zweck der Vorschrift, den Hilfebedürftigen in seiner Dispositionsfreiheit, sich
einen anderen Wohnort außerhalb des bisherigen Vergleichsraums zu suchen, einzuschränken (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand
IX/2009, § 22 RdNr 95). Er soll durch das Grundsicherungsrecht nicht gehindert werden, an einen Ort umzuziehen, von dem er
sich die Verwirklichung seiner beruflichen oder persönlichen Chancen verspricht, nur weil das dortige Mietniveau höher ist,
als an seinem bisherigen Wohnort.
d) Die Reduktion der Begrenzung der Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II auf die des Vergleichsraums ist zudem
nach Art
3 Abs
1 GG iVm Art
11 Abs
1 GG geboten. Prüfungsmaßstab ist insoweit vornehmlich Art
3 Abs
1 GG, weil der spezifische Schutzgedanke des allgemeinen Gleichheitssatzes zu der hier anzuwendenden Regelung die stärkere soziale
Beziehung aufweist (vgl zur Prüfung bei Überschneidung des Gleichheitssatzes mit Freiheitsgrundrechten BVerfGE 64, 229, 238 f; 65, 104, 112 f; 75, 382, 393; 82, 60, 86).
Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen
ihnen nicht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen
können (BVerfG, Beschlüsse vom 7.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG, Beschlüsse vom 11.5.2005 - 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98, 1 BvR 2144/00, BVerfGE 112, 368, 401; BVerfG, Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05, BVerfGE 116, 229, 238). Soweit die Gewährung von Sozialleistungen bedürftigkeitsabhängig ist, hat der Gesetzgeber dabei grundsätzlich einen
weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG, Beschluss vom 2.2.1999 - 1 BvL 8/97, BVerfGE 100, 195, 205; BSG, Urteil vom 3.12.2002 - B 2 U 12/02 R, BSGE 90, 172, 178 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4). Der Gestaltungsspielraum wird jedoch umso enger, je mehr sich die Ungleichbehandlung von Personen
oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfG, Beschluss vom
26.1.1993 - 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92, BVerfGE 88, 87, 96). Ein "wichtiger Grund" alleine ist dann - anders als das LSG meint - nicht mehr ausreichend. Ob die zur Prüfung gestellte
Regelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist, hängt in einem solchen Fall vielmehr davon ab, ob für die getroffene
Differenzierung Gründe von solchem Gewicht bestanden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen konnten (BVerfG, Beschluss
vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160 = SozR 4-5870 § 1 Nr 1).
Dieser Maßstab gebietet es, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zumindest bei den aus § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II folgenden
Umzugsbeschränkungen bei Überschreitung der Grenzen des Vergleichsraums zu begrenzen. Eine Ausweitung der nur begrenzten Übernahme
der Aufwendungen für Unterkunfts- und Heizkosten nach einem Umzug über die Grenzen des bisherigen Vergleichsraums hinaus würde
zu einer unterschiedlichen Behandlung von Hilfebedürftigen führen, die in Bereichen mit niedrigen Mieten wohnen, gegenüber
solchen, in deren Vergleichsraum die Mieten deutlich höher sind. Während letztere ungehindert durch die Beschränkung des §
22 Abs 1 Satz 2 SGB II sich einen neuen Wohnort suchen könnten, weil in dem Bereich des "neuen" Grundsicherungsträgers die
Angemessenheitsgrenze ohnehin niedriger ist als die bisherige angemessene Miete, werden Hilfebedürftige aus Vergleichsräumen
mit niedrigeren Mieten anders behandelt, weil sie an diesem niedrigeren Mietniveau festgehalten würden. Eine verfassungsfeste
Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung gibt es nicht. Soweit das LSG allein darauf abstellt, den Hilfebedürftigen an
seinem bisherigen Wohnstandard festhalten zu wollen, wird die Ungleichbehandlung hierdurch ebenso wenig gerechtfertigt, wie
durch die Benennung des Ziels, die Kosten für Unterkunftsleistungen möglichst niedrig halten zu wollen.
Im Rahmen der Prüfung ist hier zusätzlich Art
11 Abs
1 GG zu beachten, weil die "benachteiligte" Gruppe durch die Begrenzung der Unterkunftskosten am neuen Wohnort mittelbar in ihrem
Recht auf Freizügigkeit (vgl zur mittelbaren Beeinträchtigung BVerfG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 RdNr 35) beeinträchtigt wird. Dies hat zur Folge, dass sich die dem Gesetzgeber im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes
zukommende Gestaltungsfreiheit zusätzlich verengt.
Nach Art
11 Abs
1 GG genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. § 22 Abs
1 Satz 2 SGB II berührt den sachlichen Schutzbereich des Art
11 Abs
1 GG. Er betrifft auch die freie Wohnsitzgründung in einem Bundesland oder einer Gemeinde (BVerfG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 RdNr 33). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II auf die Einschränkung der Freizügigkeit zielt. Das
Grundgesetz bindet den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs oder gibt diesen inhaltlich vor (BVerfGE
110, 177 RdNr 35). Auch wenn staatliche Maßnahmen nur faktische Wirkung entfalten, müssen Grundrechtsbeeinträchtigungen hinreichend
zu rechtfertigen sein. Eine derartige Rechtfertigung ist hier jedoch nicht zu erkennen. Auch die Gruppe der SGB II-Leistungsempfänger,
die am Zuzugsort höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung beanspruchen würde als an ihrem Ausgangsort, würde nur Leistungen
innerhalb der Grenzen der Angemessenheit am Zuzugsort und damit nach einem SGB II-Leistungsempfängern angemessenen Standard
erhalten. Die Belastungen des dortigen Trägers - der neuen zuständigen Kommune - würden sich mithin in den Grenzen seiner
"normalen" Belastung durch Gewährung existenzsichernder Leistungen halten (vgl hierzu Silagi, Zur Festschreibung der Einschränkung
der Freizügigkeit im Wohnortzuweisungsgesetz durch das BVerfG, ZAR 2004, 225, 226 f). Es gehört nicht zu den Funktionen des Grundsicherungsrechts, die aufnehmende Kommune durch § 22 Abs 1 Satz 2 SGB
II vor arbeitsuchenden Hilfebedürftigen zu schützen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.