Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Aufforderung zur Kostensenkung; Bemessung der angemessenen
Unterkunftskosten
Gründe:
I
Streitig ist die Höhe von Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II in der Zeit vom 1.7.2006 bis 31.12.2006.
Die 1971 geborene Klägerin zu 1 sowie ihre 1990 und 1991 geborenen Söhne (Kläger zu 2 und 3) bewohnten im streitigen Zeitraum
eine 94,03 m² große 3-Zimmer-Wohnung, deren Gesamtkosten 625,30 Euro betrugen. Sie setzten sich aus der Kaltmiete in Höhe
von 427,50 Euro monatlich, den Nebenkosten in Höhe von 88,71 Euro monatlich, einem Betrag für Trinkwasser/Schmutzwasser in
Höhe von 28,09 Euro monatlich und Abschlägen für Heizkosten in Höhe von 81 Euro monatlich zusammen.
Die Beklagte bewilligte den seit 1.1.2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Klägern vom 1.7.2005 bis 31.12.2005
weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung ihrer Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung in tatsächlicher Höhe (Bescheid vom 4.7.2005). Der Bescheid enthielt folgenden Zusatz: "Ich weise darauf hin,
dass Ihre Unterkunftskosten/Heizkosten unangemessen i.S. des § 22 Abs 1 SGB II sind. Soweit die Kosten unangemessen sind,
werden sie daher gemäß § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II längstens für den Zeitraum bis zum 30.06.2006 übernommen (danach nur Übernahme
in angemessener Höhe). Während dieser Frist wird Ihnen Gelegenheit gegeben, die Kosten durch Wohnungswechsel etc. abzusenken."
Für die Zeit vom 1.7.2006 bis 31.12.2006 bewilligte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB
II unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von nur noch 502,50 Euro monatlich (Bescheid vom 6.7.2006).
Auf den Antrag der Kläger vom 23.9.2007 auf Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 6.7.2006 bewilligte die Beklagte mit Bescheid
vom 27.8.2008 für die Zeit vom 1.7.2006 bis 31.12.2006 als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ua
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 547,11 Euro monatlich und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück
(Bescheid vom 6.12.2007; Widerspruchsbescheid vom 28.8.2008).
Das SG Braunschweig hat den Bescheid der Beklagten vom 6.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.8.2008 aufgehoben
und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 6.7.2006 und 27.8.2008 verurteilt, "den Klägern zu 1 bis 3 - jeweils für
den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 - Kosten der Unterkunft und Heizung von weiteren 156,38 Euro zu zahlen"
(Urteil vom 9.9.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Beklagte habe bei Erlass des Bescheids vom 6.7.2006 das Recht unrichtig angewandt, weil die Kläger Anspruch
auf Übernahme ihrer tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hätten. Zwar sei die von den Klägern bewohnte Wohnung
zu groß; sie entspreche jedoch dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard, der sich in der Wohnungsmiete niederschlage.
Da für den Kreis Gifhorn keine Mietspiegel, Mietdatenbanken oder ein schlüssiges Konzept der Beklagten zu den örtlichen Wohnraummieten
vorlägen, sei auf die rechte Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) zurückzugreifen. Es sei der für einen Vier-Personen-Haushalt geltende Höchstbetrag der Wohngeldtabelle (505 Euro einschließlich
Nebenkosten ohne Heizung) zu berücksichtigen, weil sich andernfalls die Privilegierung von Alleinerziehenden nach den Wohnraumförderbestimmungen
finanziell nicht auswirke. Dieser Tabellenwert sei um 10 vH zu erhöhen, sodass Unterkunftskosten (ohne Heizung) in Höhe von
555,50 Euro angemessen seien. Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger seien daher in voller Höhe zu übernehmen. Auch die
Heizkosten in Höhe von 81 Euro monatlich seien angemessen, weil diese unter 1 Euro je (angemessenem) Quadratmeter lägen.
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 SGB X. Dessen Anwendung auf die Kosten für Unterkunft und Heizung sei nicht möglich. Das sozialhilferechtliche Prinzip der Gegenwärtigkeit
(keine Sozialhilfe für die Vergangenheit) sei auf das Gebiet des SGB II zu übertragen, soweit keine pauschalierten Leistungen,
sondern tatsächliche Aufwendungen - hier Kosten der Unterkunft und Heizung - bewilligt würden. Insofern hänge die Bewilligung
vom Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage ab. Eine nachträgliche Bewilligung von Leistungen für die Vergangenheit sei ausgeschlossen.
Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche sei der absolute und uneingeschränkte Rückgriff auf die Wohnraumförderbestimmungen
des Landes Niedersachsen zu weitgehend. Auch sei bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche auf die Personenzahl, nicht
jedoch ohne weitere Begründung allein auf die Situation als Alleinerziehende abzustellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Braunschweig vom 9.9.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie halten die Ausführungen des SG für zutreffend.
II
Die zulässige Sprungrevision (§
161 SGG) der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe ihrer tatsächlichen Aufwendungen
zu zahlen. Die Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung war rechtswidrig, weil die Kläger aufgrund des Inhalts der Kostensenkungsaufforderung
in dem Bescheid vom 4.7.2005 in dem hier streitigen Zeitraum keine Kostensenkungsobliegenheit iS des § 22 Abs 1 SGB II traf.
Neben der anfänglichen Rechtswidrigkeit liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 44 SGB X für die Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsbescheide und Nachzahlung der gekürzten Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung vor.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 6.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.8.2008
(§
95 SGG), mit dem die Beklagte die Korrektur der den Zeitraum vom 1.7.2006 bis 31.12.2006 betreffenden bestandskräftigen Bescheide
abgelehnt hat. Streitig sind allein Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II, weil die Kläger ihr Klagebegehren
zulässigerweise auf diese Leistungen beschränkt haben (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18).
Der Anspruch der Kläger auf (teilweise) Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 6.7.2006 und 27.8.2008 ergibt sich aus § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 SGB X. § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen
ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach
den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme
erbracht (§ 44 Abs 4 Satz 1 SGB X).
Die Bewilligungsbescheide vom 6.7.2006 und 27.8.2008 waren anfänglich, dh nach der im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe gegebenen
Sach- und Rechtslage (vgl BSG Urteil vom 1.12.1999 - B 5 RJ 20/98 R - BSGE 85, 151, 153 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, weil die Kläger in dem Zeitraum vom 1.7.2006 bis 31.12.2006 Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung
in tatsächlicher Höhe von 625,30 Euro und nicht nur in reduzierter Höhe von 547,11 Euro hatten. Nach den Feststellungen des
SG waren sie (weiterhin) Berechtigte iS des § 7 Abs 1 SGB II, weil sie das 15. Lebensjahr, nicht jedoch das 65. Lebensjahr vollendet hatten (Abs 1 Satz 1 Nr 1), erwerbsfähig (Abs
1 Satz 1 Nr 2) und in dem streitigen Zeitraum auch durchgehend hilfebedürftig (Abs 1 Satz 1 Nr 3) waren.
Zwar ist der Grundsicherungsträger nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich nur verpflichtet, die angemessenen Unterkunftskosten
zu übernehmen. Es kann hier jedoch dahingestellt bleiben, ob das SG die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zutreffend ermittelt hat, weil die Absenkung dieser Leistungen
von der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen auf die nach Ansicht des Grundsicherungsträgers angemessenen Kosten voraussetzt,
dass den Hilfebedürftigen eine Kostensenkungsobliegenheit trifft (vgl Urteil des Senats vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) bzw - ab 1.8.2006 - § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) sind die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie den
der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der
Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft
nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen
zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Subjektiv möglich im Sinne dieser Regelung sind einem Hilfebedürftigen
Kostensenkungsmaßnahmen jedoch nur dann, wenn er Kenntnis davon hat, dass ihn die Obliegenheit trifft, derartige Maßnahmen
zu ergreifen (BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R - RdNr 15, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Aufgrund des unklaren Inhalts des Zusatzes zur Kostensenkung in dem
Bescheid vom 4.7.2005 ist dies vorliegend nicht der Fall.
Der in dem Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 4.7.2005 enthaltene Zusatz vermittelte die erforderliche Kenntnis von Kostensenkungsmaßnahmen
nicht, weil er keine Angaben der Beklagten zu dem von ihr als angemessen erachteten Mietpreis enthielt. Zwar normiert § 22
Abs 1 Satz 2 SGB II aF bzw § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II keine umfassenden Beratungs- und Aufklärungspflichten der Beklagten über
die Obliegenheiten des Leistungsempfängers bei der Suche nach einer anderen, angemessenen Unterkunft und stellt auch keine
sonstigen überhöhten inhaltlichen oder formellen Anforderungen an diese Erklärung des SGB II-Trägers. Die Aufklärungs- und
Warnfunktion einer Kostensenkungsaufforderung (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 29) erfordert aber, dass der aus Sicht des Grundsicherungsträgers angemessene Mietpreis
angegeben wird, weil dies nach der Produkttheorie der entscheidende Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit ist (BSG Urteil
vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R - RdNr 16, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; vgl auch BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 RdNr 40; vgl auch BSG Urteil vom 7.5.2009 - B 14 AS 14/08 R - RdNr 28, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, zu widersprüchlichen Angaben der Beklagten zur Höhe der angemessenen
Unterkunftskosten). Nur wenn der Hilfebedürftige die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und den Angaben
des Grundsicherungsträgers zu dem von ihm als angemessen angesehenen Mietpreis kennt - dies ist zugleich der rechtfertigende
Grund für eine Kostensenkungsaufforderung mit ggf weitreichenden Folgen bis zum Verlust der bisherigen Wohnung als Lebensmittelpunkt
- kann der Hilfebedürftige entscheiden, welche Maßnahmen einer Kostensenkung er ergreifen kann bzw will (vgl zu den verschiedenen
Kostensenkungsmaßnahmen BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 RdNr 30). Da es sich bei der von der Rechtsprechung näher konkretisierten Kostensenkungsaufforderung wegen ihres engen Zusammenhangs
mit dem Leistungsrecht der Unterkunfts- und Heizungskosten nach dem SGB II um eine Regelung des materiellen Rechts handelt,
kann von vornherein kein im Rahmen des § 44 SGB X nur eingeschränkt korrigierbarer Verfahrensfehler vorliegen (vgl hierzu Steinwedel in Kasseler Komm, § 44 SGB X RdNr 31 ff, Stand Mai 2006; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 45).
Auch die weiteren Voraussetzungen für den sich aus § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 und 4 SGB X ergebenden Anspruch der Kläger auf Rücknahme der teilweise rechtswidrigen Bewilligungsbescheide, auf Neubescheidung nach
§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sowie auf Nachzahlung der anfänglich zu gewährenden höheren Leistungen nach § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X liegen vor. Den Klägern sind iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen der rechtswidrigen Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden.
Hinsichtlich der Miet- und Heizkosten bestand in dem streitigen Zeitraum vom 1.7.2006 bis 31.12.2006 bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit
der Kläger ein tatsächlicher ungedeckter Bedarf in der vom LSG festgestellten (§
163 SGG) mietvertraglich vereinbarten Höhe.
Die in §
40 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB II iVm §
330 Abs
1 SGB III für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit gesetzlich
normierten Ausnahmen liegen nicht vor. Hiernach ist für Fallgestaltungen, in denen der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm
beruht, die nach Erlass des Verwaltungsakts für nichtig oder für unvereinbar mit dem
Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist, bestimmt, dass dieser
Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung
zurückzunehmen ist. Die für eine zeitlich eingeschränkte Rücknahme nach §
40 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB II iVm §
330 Abs
1 SGB III allein in Betracht kommende zweite Alternative scheitert schon daran, dass eine einheitliche Praxis der Leistungsträger des
SGB II bezogen auf den notwendigen Inhalt von Kostensenkungsaufforderungen nicht existiert (vgl zB zu Dienstanweisungen der
Bundesagentur für Arbeit: BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 99/99 R - SozR 3-4100 § 152 Nr 10 S 36 f; siehe hierzu auch Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 57).
Auch soweit § 44 Abs 4 SGB X die Rücknahme und Nachzahlung von Sozialleistungen neben der zeitlichen Begrenzung auf einen Zeitraum von bis zu vier Jahren
vor der Rücknahme durch das jeweilige materielle Sozialleistungsrecht ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses
Gesetzbuches") beschränkt, ergeben sich bei den hier als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bewilligten Leistungen für Unterkunft
und Heizung keine § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 SGB X verdrängenden Besonderheiten des SGB II (§
37 Satz 1 Halbs 1
SGB I), aus denen sich - auch ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers - ableiten lässt, dass die Rücknahme- und Nachzahlungsansprüche
nach § 44 SGB X für die erfassten Sachverhalte (teilweise) eigenständig und abweichend festgelegt werden sollten (vgl zur Sozialhilfe: BSG
Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; siehe auch BSG Urteil vom 31.1.2002 - B 13 RJ 23/01 R - BSGE 89, 151, 154 = SozR 3-1300 § 44 Nr 34 S 73 f). Vielmehr folgt aus der Ausgestaltung des § 40 SGB II, dass der Gesetzgeber des SGB
II den Berechtigten grundsätzlich auch im SGB II so stellen wollte, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden.
Dem Hilfebedürftigen sollen diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten (sog Restitutionsgedanke
vgl zB BSG Urteil vom 1.12.1999 - B 5 RJ 20/98 R - BSGE 85, 151, 159 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - BSG SozR 3-1300 § 44 SGB X Nr 24 S 57).
Zwar sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich von einer aktuellen, nicht anderweitig
zu beseitigenden Hilfebedürftigkeit (§ 3 Abs 3 Satz 1 SGB II, § 9 SGB II) abhängig. Anders als die Leistungen nach dem Zwölften
Buch werden sie aber nur auf Antrag (§ 37 SGB II) erbracht. Die Bewilligung der Kosten für Unterkunft und Heizung für einen
Zeitraum von regelmäßig sechs Monaten (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II) verdeutlicht, dass nicht nur hinsichtlich der pauschalierten
Regelleistung, sondern auch bezogen auf die Kosten für Unterkunft und Heizung eine Bedarfsdeckung nicht nur wegen eines gegenwärtigen,
sondern auch wegen eines prognostischen zukünftigen Hilfebedarfs im Wege der Bewilligung einer Dauerleistung stattfindet und
insofern bereits normativ eine Einschränkung von dem in der Vergangenheit für die Sozialhilfe vertretenen Konzept einer "Nothilfe"
vorliegt (vgl auch Waschull in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB X, 2. Aufl 2007, § 44 RdNr 3c). Vor diesem Hintergrund lässt § 40 Abs 1 SGB II mit seinem ausdrücklichen Verweis auf die Anwendbarkeit der Vorschriften
des Zehnten Buchs (Satz 1) und seiner abschließenden Bezugnahme nicht auf sozialhilferechtliche Grundsätze, sondern auf die
in §
330 SGB III für das Arbeitsförderungsrecht geltenden Besonderheiten für die Aufhebung von Verwaltungsakten (vgl auch Eicher in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 5) weitere, gesetzlich nicht normierte Einschränkungen für eine Rücknahme anfänglich rechtswidriger
Verwaltungsakte nach § 44 SGB X im vorliegenden Zusammenhang der als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht
zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.