Besitzschutzregelung des § 4 Abs. 4 AAÜG
Gründe:
I
Der am 14. Juni 1930 geborene Kläger begehrt die Rücknahme der bisherigen bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung und
die Neufeststellung eines höheren Werts seines Rechts auf Regelaltersrente (RAR) ab dem 1. Mai 1999 unter Zugrundelegung eines
durch den Einigungsvertrag (EV) besitzgeschützten Zahlbetrages oder eines "weiterzuzahlenden Betrages" nach § 4 Abs 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
Der Kläger war in der DDR in die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen
und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss) einbezogen worden (Urkunde vom 4. September 1963).
Die Beklagte erkannte dem Kläger ein Recht auf RAR zu (Bescheid vom 28. August 1995). Den monatlichen Wert dieses Rechts bei
Rentenbeginn am 1. Juli 1995 setzte sie auf der Grundlage der Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) auf DM 2.713,23 fest (Bescheid vom 12. Oktober 1995).
Den Antrag des Klägers vom 8. Juli 1999, die bestandskräftige Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 12. Oktober 1995
nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen und den "besitzgeschützten Zahlbetrag" oder den "weiterzuzahlenden Betrag" als höheren Wert seines Rechts
auf RAR neu festzustellen, lehnte die Beklagte in den Bescheiden vom 20. Januar 2000 und 28. Juni 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2001 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen, die sinngemäß auf Rücknahme der bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung und auf Neufeststellung eines
höheren Werts der RAR ab 1. Juli 1995 unter Zugrundelegung eines (dynamisierbaren) "besitzgeschützten Zahlbetrages" oder eines
(statischen) "weiterzuzahlenden Betrages" sowie Zahlung entsprechend höherer monatlicher Geldbeträge ab demselben Zeitpunkt
gerichtet waren, abgewiesen (Urteil vom 1. November 2004) und ua ausgeführt:
Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, ihre ursprünglichen "Rentenbewilligungen" in den Bescheiden vom 28. August 1995 und
12. Oktober 1995 nach § 44 SGB X teilweise zurückzunehmen und höhere Altersrente zu "gewähren". Denn der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere RAR ab 1.
Juli 1995 unter Berücksichtigung eines besitzgeschützten Zahlbetrages iS von § 4 Abs 4 AAÜG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I 1939). Voraussetzung für die Durchführung einer "Vergleichsberechnung" sei nach § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG, dass die nach den Vorschriften des
SGB VI berechnete Rente spätestens bis zum 30. Juni 1995 beginne. Die dem Kläger zustehende RAR beginne nach §
99 Abs
1 Satz 1
SGB VI jedoch erst am 1. Juli 1995, denn der Kläger habe am 14. Juni 1995 sein 65. Lebensjahr vollendet. Ein Anspruch auf Durchführung
einer "Vergleichsberechnung" ergebe sich auch nicht aus Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 des EV (EV
Nr 9), denn eine Vertrauensschutzregelung sei zum einen für die Personen, die am 3. Oktober 1990 bereits leistungsberechtigt
gewesen seien, und zum anderen für den Personenkreis getroffen worden, der in der Zeit vom 4. Oktober 1990 bis 30. Juni 1995
leistungsberechtigt würde. Diese Regelung stelle nach ihrem eindeutigen Wortlaut darauf ab, dass eine Leistungsberechtigung
aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung entstehe. Seit dem 1. Januar 1992 sei dies das
SGB VI; dessen §
99 lege den Beginn der Leistungsberechtigung fest, die im Falle des Klägers am 1. Juli 1995 eingetreten sei. Es sei auch nicht
verfassungsrechtlich geboten, den Vertrauensschutz im Sinne des Klägers auszulegen.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von EV Nr 9 Buchst b Satz 5. § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG entziehe in verfassungswidriger Weise eine durch den EV eingeräumte Eigentumsposition. Anders als diese Vorschrift stelle
der EV darauf ab, dass der Begünstigte bis zum 30. Juni 1995 leistungsberechtigt werden müsse. Der Eintritt der Leistungsberechtigung
und der Rentenbeginn fielen nicht notwendig zusammen. Eintritt der Leistungsberechtigung bedeute Zeitpunkt des Entstehens
des Rentenanspruchs; Rentenbeginn sei der Zeitpunkt der ersten auf Grund des Anspruchs zu erbringenden Leistung. Sein Rentenanspruch
sei mit Vollendung des 65. Lebensjahres am 14. Juni 1995 entstanden, zu diesem Zeitpunkt sei das Anwartschaftsrecht zum Vollrecht
erstarkt und die Leistungsberechtigung eingetreten. Zudem hätte auch nach den Rentenbestimmungen der DDR die Leistung bereits
ab dem 1. Juni 1995 gefordert werden können. Soweit § 4 Abs 4 AAÜG an Stelle des Eintritts der Leistungsberechtigung den Rentenbeginn gesetzt habe, entziehe diese Bestimmung eine vom EV eingeräumte
Eigentumsposition ohne rechtlichen Grund.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. November 2004 sowie die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom
28. Juni 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2001 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verpflichten, die Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 12. Oktober 1995 für Bezugszeiten ab 1. Mai
1999 zurückzunehmen,
3. sie zu verpflichten, den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente für die Zeit ab Mai 1999 unter Zugrundelegung eines
dynamisierbaren besitzgeschützten Zahlbetrages mit folgenden Maßgaben neu festzustellen: Der besitzgeschützte Zahlbetrag ergibt
sich aus dem Gesamtbetrag der zum 1. Juli 1990 zustehenden Sozialversicherungsrente und 80 vH seines durchschnittlichen Bruttoverdienstes
aus dem Jahr vor dem 1. Juli 1990; er ist zum 1. Januar 1992 um 6,84 vH zu erhöhen und unter Einbeziehung der 3. RAV ab dem 1. Januar 1992 gemäß der Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet zu dynamisieren,
4. die Beklagte zu verurteilen, ab 1. Mai 1999 entsprechend höhere Beträge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch darauf habe, dass der zum 1. Juli 1990 fingierte Garantiebetrag in
der ab 1. Juli 1995 bewilligten Rente Berücksichtigung finde. Der Tatbestand des § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG sei bei ihm nicht erfüllt, denn die ihm nach den Vorschriften des
SGB VI bewilligte Rente habe nicht bis zum 30. Juni 1995 begonnen, sondern am 1. Juli 1995. Zwar habe im Juni 1995 ein Stammrecht
bestanden, ein Anspruch auf Erbringung regelmäßig wiederkehrender Rentenleistungen sei jedoch erst am 1. Juli 1995 entstanden.
§ 4 Abs 4 AAÜG stelle auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns, also des ersten Einzelanspruchs ab. Mit der Regelung des § 4 Abs 4 AAÜG würden auch die "Mindeststandards" des EV Nr 9 Buchst b Satz 5 nicht unterschritten. Im Kontext des EV sei mit "Leistungsberechtigung" nichts anderes gemeint als mit "Rentenbeginn".
Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass nach dem Recht der DDR ein Leistungsanspruch bereits vom Ersten des Kalendermonats
vorgesehen gewesen sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Denn nur bis zum Stichtag der Überführung
am 31. Dezember 1991 sei es rechtens gewesen, die leistungsrechtlichen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme weiter
anzuwenden (EV Nr 9 Buchst b Satz 1 und 2). Der Stichtag des 30. Juni 1995 sei, wie der erkennende Senat (Urteil vom 10. April
2003 - B 4 RA 41/02 R, SozR 4-2600 § 260 Nr 1) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95, BVerfGE 100, 1 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3) schon entschieden hätten, verfassungsgemäß.
II
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG begründet (§
170 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).
1. Gegenstand der Revision ist das Urteil des SG, mit dem dieses die Klagen des Klägers abgewiesen hat. Dieser verfolgt sein Klagebegehren (§
123 SGG) im Revisionsverfahren weiter, allerdings zeitlich beschränkt auf Bezugszeiten ab 1. Mai 1999. Er begehrt nunmehr sinngemäß
erstens, die Ablehnungsentscheidung der Beklagten, bestandsgeschützte Vergleichsbeträge festzusetzen und die bisherige Höchstwertfestsetzung
zurückzunehmen, in den Bescheiden vom 20. Januar 2000 und vom 28. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
6. Dezember 2001 aufzuheben (Anfechtungsklagen), zweitens, die Beklagte zu verpflichten, die bisherige bestandskräftige Rentenhöchstwertfestsetzung
für Bezugszeiten ab 1. Mai 1999 zurückzunehmen (Verpflichtungsklage), drittens, die Beklagte zu verpflichten, für die Zeit
ab Mai 1999 einen höheren Wert seines Rechts auf RAR unter Zugrundelegung eines dynamisierbaren "besitzgeschützten Zahlbetrages"
oder eines (statischen) "weiterzuzahlenden Betrages" nach § 4 Abs 4 AAÜG neu festzustellen, sowie viertens, die Beklagte zu verurteilen, für diese Zeit entsprechend höhere monatliche Geldbeträge
zu zahlen (eine die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung konsumierende Leistungsklage). Diese Kombination von Anfechtungs-,
Verpflichtungs- und Leistungsklagen ist zulässig (§
54 Abs
1 und Abs
4 SGG; vgl auch BSG Urteil vom 10. April 2003 - B 4 RA 56/02 R, SozR 4-1300 § 44 Nr 3 RdNr 8). Das mit der Verpflichtungsklage verfolgte Begehren, die bisherige bestandskräftige Rentenhöchstwertfestsetzung
zurückzunehmen, bezieht sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nur auf die letzte bindend gewordene bisherige Rentenhöchstwertfestsetzung
im Bescheid vom 12. Oktober 1995, denn diese hat die frühere Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 28. August 1995 ersetzt.
2. Ob die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen begründet sind, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
Die bisher vom SG getroffenen Feststellungen erlauben keine Entscheidung über die Höhe des Geldwerts des Stammrechts auf RAR im Zeitpunkt der
Bekanntgabe des Bescheides vom 12. Oktober 1995 für Bezugszeiten ab 1. Mai 1999. Insbesondere kann mangels der für die gebotenen
Vergleichsfeststellungen erheblichen Tatsachen nicht entschieden werden, ob der dem Kläger entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten nach EV Nr 9 Buchst b Satz 5 zustehende "besitzgeschützte Zahlbetrag" oder der sog "weiterzuzahlende Betrag"
höher sind als der nach den allgemeinen Vorschriften festgestellte Monatsbetrag des Rechts auf Altersrente, den sie kraft
Gesetzes in den Kalendermonaten verdrängen, in denen einer von ihnen höher ist. Die bestandskräftige Festsetzung des Höchstwerts,
dessen Rücknahme der Kläger anstrebt, erfolgte ausschließlich unter Zugrundelegung der Vorschriften des
SGB VI. Der Kläger begehrt jedoch eine monatliche "Rente", deren Wert über dem Monatsbetrag der
SGB VI-Rente liegt, unter Zugrundelegung eines besitzgeschützten Zahlbetrages oder weiterzuzahlenden Betrages nach § 4 Abs 4 AAÜG. Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Vorinstanz liegen allerdings die Anwendungsvoraussetzungen des § 4 Abs 4 AAÜG vor. Jedoch hat die Beklagte - rechtswidrig - die ihr gesetzlich vorbehaltenen Feststellungen der beiden "bestandsgeschützten
Beträge", mit denen der
SGB VI-Wert des Stammrechts auf Altersrente zu vergleichen ist, noch nicht getroffen.
a) Ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rücknahme (§ 44 Abs 1 und 2 SGB X) der bindenden Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 12. Oktober 1995 erfüllt sind, kann noch nicht abschließend entschieden
werden. Denn das SG hat die Höhe des "besitzgeschützten Zahlbetrages" und die des "weiterzuzahlenden Betrages", deren Feststellungen kraft Gesetzes
der Beklagten vorbehalten sind, noch nicht berücksichtigen können.
Nach § 44 Abs 1 und 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, stets mit Wirkung für die Zukunft und grundsätzlich für
die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder
von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht
nicht erbracht worden sind. Zu Unrecht hat das SG angenommen, die Beklagte habe im Bescheid vom 12. Oktober 1995 den Wert des Rechts des Klägers auf RAR ohne Anwendung des
von EV Nr 9 Buchst b Satz 5 iVm § 4 Abs 4 Satz 1 und 2 AAÜG "garantierten Zahlbetrages" oder des "weiterzuzahlenden Betrages" festsetzen dürfen, denn diese "Zahlbetragsgarantien" stehen
dem Kläger zu.
b) EV Nr 9 Buchst b, der nur einige der Maßgaben zu den Versorgungssystemen regelt, garantiert im Rahmen der dort geregelten
Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in das Rentenversicherungsrecht des
Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 (dazu grundlegend: BSGE 72, 50, 61 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 1 S 13 ff) den Personen, die am 3. Oktober 1990 aus dem Versorgungssystem "leistungsberechtigt"
waren, also irgendein Vollrecht auf eine Versorgung aus einem Versorgungssystem hatten (sog Bestandsrentner), den vollen Bestandsschutz,
nämlich als Mindestbetrag den Zahlbetrag, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen
war (Satz 4). Denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus dem Versorgungssystem "leistungsberechtigt" waren, also nur
eine Versorgungsanwartschaft innehatten, und erst ab 4. Oktober 1990 wegen Eintritts des Versorgungsfalls ein Vollrecht auf
Versorgungsrente erwarben (sog Zugangsrentner), wurde nur ein zeitlich limitierter Bestandsschutz eingeräumt, nämlich nur,
wenn sie bis zum 30. Juni 1995 den Versorgungsfall erlitten. Auch diesem Personenkreis wurde der Zahlbetrag garantiert, "der
für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen gewesen wäre, wenn der Versorgungsfall am
1. Juli 1990 eingetreten wäre" (Satz 5). Bei der Überleitung des
SGB VI am 1. Januar 1992 auf das Beitrittsgebiet wurde zu Gunsten der Inhaber von überführten Rechten durch §
307b SGB VI (dazu: BSG Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 4 RA 27/04 R, SozR 4-2600 § 307b Nr 5) und zuvor bei der Überleitung von Versorgungsanwartschaften in das Rentenversicherungsrecht des
Beitrittsgebiets durch § 4 Abs 4 AAÜG die Zeitgrenze zwischen den "leistungsberechtigten" Bestandsrentnern und den noch nicht "leistungsberechtigten" Zugangsrentnern
der Versorgungssysteme vom 3./4. Oktober 1990 auf den 31. Dezember 1991/1. Januar 1992 verlegt. Dadurch gelangten auch Inhaber
einer erst zum 31. Dezember 1991 überführten bloßen Versorgungsanwartschaft zusätzlich und sie nur begünstigend in den erstmals
durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) im Jahr 1991 geschaffenen Schutz des sog "weiterzuzahlenden Betrages".
Die als Schranke der im EV der Bundesregierung erteilten Verordnungsermächtigung ausgestaltete Zahlbetragsgarantie des EV
Nr 9 Buchst b Satz 5, die dem "besitzgeschützten Zahlbetrag" Eigentumsschutz vermittelt hat (vgl BVerfGE 100, 1, 51 f = SozR 3-8570 § 10 Nr 3), schützte das Vertrauen der "rentennahen" Inhaber einer Versorgungsanwartschaft in den Erhalt
des Werts dieser Anwartschaft nach dem im Juli 1990 maßgeblichen Versorgungsrecht der DDR, soweit es nach dem EV zu Bundesrecht
wurde, sowie (bei Zusatzversorgten) den Wert der Anwartschaft auf Sozialpflichtversicherungsrente (vgl BSG SozR 3-8570 § 4
Nr 3 S 11 und Nr 4 S 28). Wenn der fiktive Versorgungsfall nach der Versorgungsordnung vor dem 1. Juli 1995 eintritt, wird
er so behandelt, als wäre er am 1. Juli 1990 eingetreten. Maßstab für die Höhe des fiktiven Gesamtanspruchs aus Sozialversicherung
und Zusatzversorgung sind dann die leistungsrechtlichen Regelungen des am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet geltenden Rentenversicherungs-
und Versorgungsrechts, soweit es am 3. Oktober 1990 zu Bundesrecht wurde. Ausgehend hiervon ist zu prüfen, welche Ansprüche,
in welcher Höhe dem Berechtigten nach den im Juli 1990 maßgeblichen Bestimmungen zugestanden hätten. Da den Zugangsrentnern
nur ein zeitlich limitierter Bestandsschutz garantiert wurde, ist - als Anwendungsvoraussetzung des § 4 Abs 4 AAÜG - stets vorab zu prüfen, ob nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des Versorgungssystems der Versorgungsfall bis zum
Ablauf des 30. Juni 1995 eingetreten wäre, also die Versorgungsanwartschaft innerhalb dieses Zeitraums zu einem Vollrecht
auf Versorgung erstarkt wäre. Diese grundlegende Voraussetzung für die Maßgeblichkeit des "besitzgeschützten Zahlbetrages"
oder des "weiterzuzahlenden Betrages" hat § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG seit dem 1. Januar 1992 in verfassungsgemäßer inhaltlich unveränderter Fassung fortgeschrieben.
c) Nach EV Nr 9 und § 4 Abs 4 Satz 1 und 2 AAÜG ist bei dem am 14. Juni 1930 geborenen Kläger die (überführte) Versorgungsanwartschaft bis zum Fristende (Ablauf des 30.
Juni 1995) zum fiktiven Vollrecht auf Versorgung erstarkt. Denn ihm hätte nach § 8 Buchst a der Verordnung über die AVIwiss
vom 12. Juli 1951 (GBl 675) mit Vollendung des 65. Lebensjahres, also am 14. Juni 1995, ein Recht auf zusätzliche Altersversorgung
und damit ein Recht aus dem Zusatzversorgungssystem nach Nr 4 der Anlage 1 zum AAÜG (AVIwiss) zugestanden. Damit ist ihm aber zugleich als Mindestbetrag der "besitzgeschützte Zahlbetrag" nach EV Nr 9 Buchst
b Satz 5 garantiert oder der ihm erstmals vom RÜG gewährte "weiterzuzahlende Betrag" gewährleistet worden.
d) An dieser vom EV vorgegebenen eigentumsgeschützten Zahlbetragsgarantie änderte § 4 Abs 4 AAÜG nichts. Bereits die ursprüngliche Fassung des RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) stellte in Satz 1 aaO für die Maßgeblichkeit
des damals dort - verfassungswidrig allein - geschützten "weiterzuzahlenden Betrages" drei Voraussetzungen auf: Der Berechtigte
musste zum einen in ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem einbezogen worden sein ("Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem/Sonderversorgungssystem");
zum anderen musste er am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt haben. Außerdem
war der Bestandsschutz zeitlich limitiert ("Beginnt eine Rente nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch
in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1993 ..."); zudem wurde in Satz 2 vorausgesetzt, dass die vorgenannten
Voraussetzungen des Satzes 1 nur dann erfüllt sind, wenn der Berechtigte "einen Anspruch aus dem Versorgungssystem gehabt
hätte, wenn die Regelungen der Versorgungssysteme weiter anzuwenden wären".
Soweit die zeitliche Grenze des Bestandsschutzes "bis zum 31. Dezember 1993" verkürzt wurde, ist diese Einschränkung mit Blick
auf die in EV Nr 9 Buchst b Satz 5 insoweit geregelte Zahlbetragsgarantie für rentennahe Jahrgänge ("bis 30. Juni 1995") verfassungswidrig
und nichtig. Sie ist durch das 2. AAÜG-ÄndG dementsprechend wieder in Übereinstimmung mit EV Nr 9 Buchst b Satz 5 so klargestellt worden, dass das Fristende des
zeitlich begrenzten Bestandsschutzes weiterhin der Ablauf des 30. Juni 1995 ist (§
188 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch). Denn die Zahlbetragsgarantie des EV Nr
9 Buchst b Satz 4 und 5 erfüllt eine zentrale Schutzfunktion, sie vermittelt Eigentumsschutz und gleicht zu Gunsten der rentennahen
Jahrgänge die Nachteile aus, die sich aus der Entscheidung des EV für die Überführung der Leistungen aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen
in die Rentenversicherung des Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 und die Überleitung in die gesetzliche Rentenversicherung
des
SGB VI am 1. Januar 1992 ergeben und hat insoweit dem Vertrauensschutz Vorrang eingeräumt (BVerfGE 100, 1, 41, 51 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 3). § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG konnte deshalb ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht die zeitliche Geltungsdauer des Bestandsschutzes für rentennahe Jahrgänge
nicht verkürzen.
e) Für die Auslegung des Satzteils "Beginnt eine Rente nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der Zeit
vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1995" sind entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten in § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG die Vorgaben des EV maßgeblich. Dies gilt unabhängig davon, dass auch nach dem
SGB VI der materiell-rechtliche Rentenbeginn der Zeitpunkt der Entstehung des Vollrechts auf Rente bei Vorliegen des Versicherungsfalls
(vgl § 40 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) mit dem zum Ersten des Kalendermonats nach Eintritt des Versicherungsfalls (endgültig)
gegebenen Geldwert ist, der von keinem "Rentenantrag" iS von §
99 Abs
1 SGB VI (= Leistungsantrag) abhängt. Der irreführend in §
99 SGB VI genannte "Beginn" (nicht: "Rentenbeginn" oder "Beginn der Rente") benennt nur den Zeitpunkt, ab dem der Rentenversicherungsträger
den aus dem Stammrecht monatlich (ohne Antrg) entstehenden Einzelansprüchen nicht (mehr) den anspruchsvernichtenden Einwand
der verspäteten Antragstellung entgegenhalten darf, also unabwendbar seine Schulden begleichen, also "leisten" muss (stellv
BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3, § 99 Nr 5, § 100 Nr 1 mwN). Auch in § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG hat der Ausdruck "Beginnt eine Rente" nur den materiell-rechtlichen Sinn "Beginnt (dh: entsteht) ein Recht auf Rente".
Ab dem 1. Januar 1992 gibt es im ganzen Bundesgebiet - auch für früher (bis zum Ablauf des 30. Dezember 1991) Versorgungsberechtigte
- nur noch Rechte und Anwartschaften auf Renten nach dem
SGB VI. Diese ersetzten - nach Überführung der Rechte und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen in die Rentenversicherung des
Beitrittsgebiets (gesetzliche Novation durch Überführung) zum, nicht: am, 31. Dezember 1991 - die am 31. Dezember 1991 im
Beitrittsgebiet bestehenden Rechte und Anwartschaften ab Beginn des 1. Januar 1992 (gesetzliche Novation durch Überleitung
des Bundesrechts auf das Beitrittsgebiet), auch soweit es sich am 31. Dezember 1991 um "überführte" Rentenversicherungsberechtigungen
handelte. Voraussetzung für den zeitlich begrenzten Bestandsschutz der rentennahen Jahrgänge war, dass die fiktive Anwartschaft
innerhalb der Übergangsfrist zu einem fiktiven Vollrecht auf Versorgung erstarken würde. Der Ausdruck "Beginnt eine Rente"
ist deshalb in § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG von vornherein nur im materiell-rechtlichen Sinn zu verstehen. Es muss - wie hier - bis zum Ablauf des 30. Juni 1995 ein
Stammrecht auf Rente nach dem
SGB VI entstanden sein. Die Auffassung der Beklagten und der Vorinstanz würde dazu führen, dass die Grundrechtsposition aus EV Nr
9 Buchst b Satz 5 "unter der Hand" erneut verfassungswidrig um einen Monat gekürzt würde. Entgegen dem Grundrecht wäre es
dann schlechthin unerheblich, ob die "Leistungsberechtigung" nach der Versorgungsordnung in der Zeit vom Beginn des 1. Juni
1995 bis zum 30. Juni 1995 - fiktiv - entstanden wäre.
3. Der Kläger hat demnach Anspruch darauf, dass bei der Entscheidung über den monatlichen Wert seines Rechts auf RAR von den
drei nach § 4 Abs 4 AAÜG jeweils eigenständig festzusetzenden Werten (Monatsbetrag der
SGB VI-Rente ab Rentenbeginn; statisch "weiterzuzahlender Betrag"; durch EV Nr 9 Buchst b Satz 5 "besitzgeschützter Zahlbetrag")
in jedem Bezugsmonat der höchste Wert als maßgeblicher Wert des Rechts auf Rente festzustellen ist (vgl BSG SozR 3-8570 §
4 Nr 3 S 9 f und Nr 4 S 27 f).
Im Hinblick auf die nicht festgestellten Tatsachen, die für die gebotenen Vergleichsfeststellungen erforderlich sind, ist
das Urteil des SG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.
a) Das SG wird bei der weiteren Sachbehandlung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Rücknahmeanspruchs, von deren Erfolg die
weiteren Klagen des Klägers abhängen, zu beachten haben, dass es gesetzlich dem Rentenversicherungsträger vorbehalten ist,
den Wert des "besitzgeschützten Zahlbetrages" und den des "weiterzuzahlenden Betrages" für Juli 1995 durch Verwaltungsakt
festzusetzen. Der rechtsprechenden Gewalt ist es schlechthin untersagt (Art
20 Abs
2 Satz 2
Grundgesetz), Verwaltungsakte zu erlassen, ebenso, ohne eine vom Gesetz (§
117 SGB VI) der Verwaltung vorbehaltene Erstentscheidung über Rechte und Ansprüche auf Rente selbst als erste staatliche Instanz zu
entscheiden. Da die Rechte auf eine
SGB VI-Rente in Höhe des "besitzgeschützten Zahlbetrages" und des "weiterzuzahlenden Betrages" mit dem Recht auf die aus dem
SGB VI zustehende "Rentenhöhe" konkurrieren ("Anspruchskonkurrenz", keine bloße "Anspruchsgrundlagenkonkurrenz"), müssen ihre Werte
von der Beklagten festgestellt sein, bevor eine abschließende Gerichtsentscheidung ergehen darf, die sich (nach erweiternder
Auslegung des §
96 SGG) dann auch auf diese Verwaltungsakte erstreckt. Insoweit wird das SG die Anwendung des §
114 Abs
2 Satz 1
SGG zu prüfen haben (§
131 Abs
5 SGG ist hier nicht anwendbar).
b) Kommt das SG auf Grund der noch zu treffenden tatsächlichen Feststellungen zu dem Ergebnis, dass der von der Beklagten für Juli 1995 festgesetzte
Höchstwert des Stammrechts auf Altersrente, der sich aus den allgemeinen Regelungen des
SGB VI (ohne die Vorschriften über "geschützte Beträge") ergab, der höchste der drei jeweils gesondert durch Verwaltungsakt zu bestimmenden
Werte war, sind die Klagen schon deshalb abzuweisen, weil die Höchstwertfestsetzung vom 12. Oktober 1995 rechtmäßig war, sodass
das Begehren auf Aufhebung der Feststellung, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Verwaltungsakts, unbegründet
ist; daher sind dann auch die anderen, vom Erfolg dieser Anfechtungsklage abhängigen Klagen unbegründet.
c) Ergibt sich, dass für Juli 1995 der Wert des "besitzgeschützten Zahlbetrages" oder/und der des "weiterzuzahlenden Betrages"
höher waren als der damals nach dem
SGB VI festgesetzte Rentenhöchstwert, sind die Anfechtungsklage und die Verpflichtungsklage auf Rücknahme der Höchstwertfestsetzung
vom 12. Oktober 1995 begründet.
d) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei Vorliegen der unter c) angesprochenen Fallgestaltungen für die Beklagte nach
§ 48 Abs 1 SGB X hinreichend Anlass bestehen dürfte, auch zu Gunsten des Klägers zu prüfen, ob Aufhebungen und Neufeststellungen für Bezugszeiten
nach Juli 1995 zu erlassen sind.
4. Die Kostenentscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - bleibt dem SG vorbehalten.