Rente wegen Erwerbsminderung
Selbständige Anfechtung der Nichtzulassung der Revision
Beschwerdefrist und Zustellungsfiktion
Gründe:
Mit Urteil vom 15.1.2015, das dem Kläger am 28.1.2015 durch Einlegen in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt
worden ist, hat das Bayerische LSG einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, verneint.
Dagegen hat der Kläger am 17.3.2015 beim BSG privatschriftlich "Nichtzulassungsbeschwerde" erhoben, um "Prozesskostenhilfe" nachgesucht und "Fristverlaengerung wegen
falscher Rechtsmittelbelehrung und Krankheit" beantragt. Die "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe" hat er am 2.4.2015 vorgelegt und nach Hinweis des Senats am 19.5.2015 an Eides statt
versichert, er habe seinen Briefkasten vor dem 6.3.2015 krankheitsbedingt weder öffnen noch leeren können. Ärztliche Bescheinigungen
über seine Erkrankung existierten nicht; er habe zur Zeit keinen behandelnden Arzt, der ihm ein entsprechendes Attest ausstellen
könne.
I. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 S 1, §
121 Abs
1 ZPO). Es ist bereits nicht erkennbar, dass ein nach §
73 Abs
4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Bayerischen LSG vom 15.1.2015 fristgerecht einzulegen. Vielmehr müsste eine solche in den Blick genommene Nichtzulassungsbeschwerde
des Klägers als unzulässig verworfen werden (§
160a Abs
4 S 1, §
169 SGG), weil sie verfristet (1.) und Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist (2.) nicht zu gewähren ist.
1. Nach §
160a Abs
1 S 2
SGG ist die Beschwerde beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Wie aus der Zustellungsurkunde hervorgeht, hat die Postbedienstete
das Urteil des LSG, das mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung (§
66 SGG) versehen ist, am 28.1.2015 in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt, weil die Übergabe an ihn oder
eine Empfangsperson iS des §
178 Abs
1 ZPO nicht möglich war. Gemäß §
63 Abs
2 S 1
SGG iVm §
180 S 2
ZPO gilt (Fiktion) das Urteil mit der Einlegung in den Briefkasten als zugestellt (§
135 SGG), so dass unerheblich ist, wann der Adressat das zugestellte Schriftstück tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Folglich
begann die einmonatige Beschwerdefrist, die nicht verlängert werden kann (Umkehrschluss aus §
65 S 1
SGG), am 29.1.2015 (§
64 Abs
1 SGG) und lief am Montag, dem 2.3.2015 ab (§
64 Abs
2 S 2, Abs
3 SGG). Innerhalb dieses Zeitraums ist keine Beschwerde eingelegt worden.
2. Um gleichwohl die Erfolgsaussicht der damit an sich verfristeten Nichtzulassungsbeschwerde zu bejahen, müsste sich der
Kläger auf einen Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§
67 Abs
1 SGG) berufen können. Nach dieser Vorschrift ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne
Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Im Falle der Bedürftigkeit ist ein Beschwerdeführer
aber nur dann ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdeeinlegungsfrist gehindert, wenn er innerhalb dieser Frist
den Prozesskostenhilfeantrag stellt und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem vorgeschriebenen
Vordruck einreicht (vgl zB BSG SozR 1750 § 117 Nr 1 und 3; BVerfG SozR 1750 § 117 Nr 2), sofern er daran nicht wiederum ohne sein Verschulden gehindert gewesen ist (vgl BSG SozR 1750 § 117 Nr 1 und Beschlüsse vom 6.6.1989 - 1 BA 33/89 - Juris RdNr 3 und vom 5.2.2010 - B 2 U 287/09 B - Juris RdNr 3; s auch BFH Beschluss vom 3.4.1987 - VI B 150/85 - BFHE 149, 409). Der Kläger hat bis zum Ablauf der Beschwerdeeinlegungsfrist am 2.3.2015 weder Prozesskostenhilfe beantragt noch die Erklärung
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben. Er behauptet jedoch, hieran krankheitsbedingt wegen einer
"schweren Depression" und Fußproblemen aufgrund einer Peroneusparese bis zum 6.3.2015 gehindert gewesen zu sein. Eine Erkrankung
rechtfertigt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand indes nur, wenn sie in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die
Entschluss-, Urteils- oder Handlungsfähigkeit des Betroffenen genommen hat (BVerfG Kammerbeschluss vom 17.7.2007 - 2 BvR 1164/07 - NJW-RR 2007, 1717; BGH Beschluss vom 24.3.1994 - X ZB 24/93 - NJW-RR 1994, 957). Die Erkrankung und die daraus resultierenden Fähigkeitsstörungen müssen gemäß §
67 Abs
2 S 2
SGG glaubhaft, dh überwiegend wahrscheinlich sein (BSG Beschlüsse vom 21.8.2000 - B 2 U 230/00 B - SozR 3-1500 § 67 Nr 19 und vom 11.11.2003 - B 2 U 293/03 B - Juris RdNr 9). Das Vorliegen einer "Krankheit" und darauf beruhende Fähigkeitsstörungen können aber grundsätzlich nur durch
ärztliche Feststellung glaubhaft gemacht werden; die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, er habe seinen Briefkasten
vor dem 6.3.2015 krankheitsbedingt weder öffnen noch leeren können, reicht zur Glaubhaftmachung allein nicht aus. Das ärztliche
Attest der niedergelassenen Ärzte für Allgemeinmedizin Dr. R. und D. aus S. vom 19.3.2013 und die Bescheinigung des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Dipl. Psychologe P. aus S. vom 14.4.2009, die der Kläger vorgelegt hat, genügen weder
zeitlich noch inhaltlich. Folglich ist nicht glaubhaft, dass der Kläger über den Fristablauf am 2.3.2015 hinaus tatsächlich
so schwer erkrankt war, dass er weder selbst Prozesskostenhilfe beantragen noch einen Dritten damit beauftragen konnte. Die
vorliegend allein gebotene Prüfung lässt es zudem als praktisch ausgeschlossen erscheinen, dass ein Revisionszulassungsgrund
im Übrigen zulässig und begründet vorgetragen werden könnte.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde, die der Kläger privatschriftlich eingelegt hat, ist unzulässig, weil sie weder frist- noch
formgerecht eingelegt worden ist. Der Kläger konnte, worauf er in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils zutreffend
hingewiesen worden ist, die Beschwerde nur durch zugelassene Prozessbevollmächtigte innerhalb der Beschwerdefrist einlegen
lassen (§
73 Abs
4, §
160a Abs
1 S 2
SGG). Soweit die Nichtzulassung der Revision gemäß §
160a Abs
1 S 1
SGG "selbständig" durch Beschwerde angefochten werden kann, ist dies keine Ausnahme vom Vertretungszwang durch zugelassene Prozessbevollmächtigte,
wie der Kläger meint, sondern verdeutlicht lediglich, dass die Nebenentscheidung des LSG über die Nichtzulassung der Revision
eigenständig, dh unabhängig von der Entscheidung in der Hauptsache, angefochten werden kann.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.