Rente wegen voller Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger begehrt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der ihm vom beklagten Rentenversicherungsträger ab 1.7.2015
bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Klage und Berufung gegen die ablehnenden Bescheide
der Beklagten sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im angefochtenen Urteil ausgeführt, nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen
Ermittlungen sei der Kläger noch in der Lage, täglich mindestens sechs Stunden körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der
Haltungsarten und unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Eine rentenrelevante
Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe ebenso wenig wie eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine atypische
Leistungseinschränkung infolge Summierung einer Vielzahl von erheblichen Leistungseinschränkungen. Daher sei die ausnahmsweise
Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt Verfahrensmängel und zudem eine Divergenz.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat weder einen
Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) noch eine Rechtsprechungsabweichung (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Er rügt als Verfahrensmangel eine Verletzung
seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG), weil das LSG sich auf die Einschätzungen der Sachverständigen D, H, G und C gestützt und die abweichende Beurteilung des
im erstinstanzlichen Verfahren auf seine Kosten nach §
109 SGG eingeholten Gutachtens des O nicht berücksichtigt habe. Zwar habe das LSG in den Entscheidungsgründen Widersprüche in den
Einschätzungen von O gegenüber den Gutachten von C und G dargestellt. Das Berufungsgericht habe aber darauf verzichtet, die
sich widersprechenden Gutachter anzuhören und gegebenenfalls ein weiteres Gutachten eines Facharztes für Arbeitsmedizin oder
eines Sachverständigen für Berufskunde einzuholen, obwohl er - der Kläger - dies ausdrücklich beantragt habe. Sein rechtliches
Gehör sei verletzt, weil das LSG sich aufdrängende Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft habe. Das sei auch entscheidungserheblich,
da nicht auszuschließen sei, dass das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Damit hat der Kläger eine Gehörsverletzung nicht schlüssig aufgezeigt. Zwar kann das Übergehen eines erheblichen Beweisangebots
oder Beweisantrags Art
103 Abs
1 GG verletzen, wenn dies aus Gründen erfolgt, die im einschlägigen Verfahrensrecht keine Stütze finden (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.12.2020 - 1 BvR 117/16 - juris RdNr 12 mwN). Eine Gehörsrüge, die sich auf das Unterlassen weiterer Sachaufklärung bezieht, muss im sozialgerichtlichen Verfahren aber
zugleich die besonderen Anforderungen an die Rüge einer Verletzung des §
103 SGG erfüllen (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 9 V 18/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 13 R 37/20 B - juris RdNr 14, jeweils mwN). Die Beschränkungen in §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des §
103 SGG dürfen durch das Berufen auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht umgangen werden (vgl BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B - juris RdNr 11).
Dementsprechend ist der Vortrag, das LSG hätte ein weiteres Gutachten eines Facharztes für Arbeitsmedizin oder eines berufskundlichen
Sachverständigen einholen müssen, nicht ausreichend. Der Kläger gibt zwar an, er habe ein solches Gutachten "auch ausdrücklich
beantragt". Doch zeigt er nicht auf, dass er dazu einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt (zu den Anforderungen vgl zB BSG Beschluss vom 13.3.2019 - B 5 R 22/19 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 12) und diesen bis zum Schluss aufrechterhalten hat (vgl dazu grundlegend BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 23.6.2021 - B 13 R 69/21 B - juris RdNr 11).
Entsprechendes gilt für den Vorhalt, das LSG hätte "die sich widersprechenden Gutachter dazu anhören müssen". Soweit er damit
geltend machen will, das Berufungsgericht habe sein Recht auf Befragung dieser Sachverständigen verletzt, hat er in der Beschwerdebegründung
nicht dargestellt, dass er rechtzeitig einen solchen Antrag gestellt, schriftlich sachdienliche Fragen angekündigt und den
Antrag bis zuletzt aufrechterhalten hat (vgl BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 9 V 18/19 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 5 R 298/19 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 13 R 219/20 B - juris RdNr 8).
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang beanstandet, dass das LSG die Ausführungen des in erster Instanz nach §
109 SGG eingeholten Gutachtens des Sachverständigen O nicht ausreichend berücksichtigt habe, greift er im Kern die Beweiswürdigung
durch das Berufungsgericht an. Auf eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) kann ein Verfahrensmangel nach der ausdrücklichen Anordnung in §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG jedoch von vornherein nicht gestützt werden. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört zur Beweiswürdigung.
Hält das Gericht eines oder einige von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesen grundsätzlich anschließen,
ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Etwas anderes gilt nur, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden
sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - aaO RdNr 9; BSG Beschluss vom 22.6.2021 - B 13 R 20/21 B - juris RdNr 7). Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür benennt die Beschwerdebegründung nicht. Sie beschränkt sich lediglich darauf, mittels
eines umfangreichen wörtlichen Zitats die Ausführungen des LSG zur Beweiswürdigung wiederzugeben. Damit zeigt der Kläger lediglich
auf, auf welche Weise das LSG die von ihm erkannten Widersprüche in den gutachtlichen Bewertungen aufgelöst hat.
Schließlich hat der Kläger auch nicht ausreichend dargestellt, inwiefern die Entscheidung des LSG auf den von ihm gerügten
Verfahrensmängeln beruhen kann. Die bloße Behauptung, es sei nicht auszuschließen, dass das Gericht nach Anhörung der Gutachter
oder Einholung eines Obergutachtens "zu einer anderen Einschätzung hinsichtlich der Beurteilung zu den Einschränkungen beim
Kläger gekommen wäre", genügt hierfür nicht.
2. Auch eine Divergenz (Revisionszulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) ist nicht ausreichend bezeichnet. Sie liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz
zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, der GmSOGB oder der BVerfG abweicht. Darüber hinaus erfordert der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung
auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen
(§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht
miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen
Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung
im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz
(stRspr, zB BSG Beschluss vom 15.12.2020 - B 5 R 216/20 B - juris RdNr 6).
Das Vorbringen des Klägers entspricht diesen Erfordernissen nicht. Er entnimmt zwar aus "der Rechtsprechung des BSG" - ohne Angabe einer konkreten Fundstelle - den Rechtssatz, eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liege
vor, "wenn auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen,
zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können, wobei wenigstens zwei ungewöhnliche
Leistungseinschränkungen vorhanden sein müssen". Dem stellt er jedoch keinen abstrakt-generellen Rechtssatz aus der angefochtenen
Entscheidung des LSG als davon abweichend gegenüber. Vielmehr trägt er lediglich vor, das LSG habe "irrtümlich" beim Kläger
das Vorliegen einer Vielzahl erheblicher Leistungseinschränkungen verneint und sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass die
bestehenden Leistungseinschränkungen nicht zu einer besonderen Addierungs- und Verstärkungswirkung und damit zu ernsthaften
Zweifeln an der Einsetzbarkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt führten. Dazu gibt er erneut mit einem umfangreichen wörtlichen
Zitat die entsprechenden Ausführungen aus dem LSG-Urteil wieder. Hieraus wird allerdings ersichtlich, dass das LSG gerade
auch die Rechtssätze aus dem Urteil des BSG vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22) seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Die Rüge des Klägers erschöpft sich damit in der Behauptung, das LSG habe die in
jener Entscheidung aufgestellten Grundsätze zum Prüfungsumfang "nicht erfüllt" und sei bei der Bewertung der von ihm festgestellten
Leistungseinschränkungen zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt. Das geht über eine unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht
hinaus (vgl BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 5 R 46/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 3.3.2021 - B 5 R 282/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.5.2021 - B 13 R 295/20 B - juris RdNr 10).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.