Rentenversicherung
Divergenzrüge
Begriff der Abweichung
Einander widersprechende abstrakte Rechtssätze
Entwickeln eigener rechtlicher Maßstäbe
Genügen der Darlegungspflicht
1. Divergenz i.S. von §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
2. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen
abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat.
3. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die
das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
4. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung; darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht.
5. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss,
welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene
Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche
Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird.
Gründe:
Mit Urteil vom 21.4.2016 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch der Klägerin auf Vormerkung der Zeit von Dezember 1998
bis Februar 2000 als Kindererziehungszeit sowie Berücksichtigungszeit für Kindererziehung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG und einen Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 §
160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl 2014, §
160a RdNr 32 ff).
Die Klägerin misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:
1. "Ist es für die 'Verbindung' zwischen der geltend gemachten Kindererziehungszeit und dem deutschen Rentenversicherungssystem
ausreichend, wenn die erziehende Mutter vor der Erziehung im Ausland im Rahmen eines deutsch-indischen Wissenschaftsaustauschs
Forschungsvorhaben durchgeführt hat und dabei 'nur' gesetzlich unfallversichert und privat krankenversichert war, nicht aber
gesetzlich rentenversichert und vor und nach dem Auslandsaufenthalt mit Kindererziehung im Inland Zeiten der Kindererziehung
anerkannt bekommen hat, u. a. auf Basis einer Vereinbarung gemäß Art. 17 VO 1408/71?"
2. "Reicht es für den Tatbestand 'Beschäftigung' gemäß Art. 44 Abs. 2 VO 987/2009 aus, dass die Kindsmutter Jahre vor der
Geburt des Kindes im Rahmen eines Forschungsvorhabens in der Bundesrepublik tätig wurde oder, dass der Ehemann und Kindsvater
in der Zeit vor der Geburt des Kindes im Rahmen eines Promotionsstipendiums ein Forschungsvorhaben durchführte?"
Mit diesen Formulierungen wird die Klägerin bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Sie hat keine abstrakt-generellen
Rechtsfragen zum Inhalt, Anwendungsbereich oder zur Verfassungsgemäßheit einer revisiblen Norm (vgl §
162 SGG) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 -B5R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Vielmehr sind beide Fragen in ihrem Bezug insbesondere auf die Durchführung eines Forschungsvorhabens
im Rahmen eines deutsch-indischen Wissenschaftsaustausches vor der Erziehung im Ausland durch die erziehende Mutter (Frage
1) bzw auf ihre Tätigkeit im Rahmen eines Forschungsvorhabens in der Bundesrepublik Jahre vor der Geburt des Kindes in Verbindung
mit dem Bezug auf die Durchführung eines Forschungsvorhabens im Rahmen eines Promotionsstipendiums des Ehemanns und Kindsvaters
(Frage 2) ersichtlich auf die individuelle Situation der Klägerin zugeschnitten. Darüber hinaus gibt die Beschwerdebegründung
in Frage 1 nicht an, welches Tatbestandsmerkmal welcher revisiblen Norm ausgelegt werden soll. Die Formulierung einer abstrakten,
aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen
der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Es gehört nicht zu
den Aufgaben des BSG, den Vortrag der Klägerin darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
Des Weiteren hat die Klägerin auch nicht die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen schlüssig dargelegt.
Eine Frage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz
ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen,
wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere
höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als
grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage
von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN). Hieran fehlt
es.
Mit der Frage 1 will die Klägerin vermutlich klären lassen, ob unter den von ihr dargelegten Voraussetzungen eine Erziehung
vorliegt, die der Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland iS von §
56 Abs
1 S 2 Nr
2 SGB VI "gleichsteht". Der Senat hat im Urteil vom 11.5.2011 (B 5 R 22/10 R - Juris RdNr 19 ff) sowohl zu den Gleichstellungstatbeständen des §
56 Abs
3 S 2 und 3
SGB VI als auch zu einer Gleichstellung über Art 44 VO (EG) Nr 987/2009 iVm VO (EG) Nr 883/2004 Stellung genommen. Zwar trägt die Klägerin vor, die von ihr formulierte Frage
sei in der genannten Entscheidung nicht beantwortet worden. Dass sich aus dieser zudem noch nicht einmal Anhaltspunkte zur
Beurteilung der Frage ergeben, lässt sich der Beschwerdebegründung dagegen nicht entnehmen.
Aus demselben Grund ist auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage 2 nicht schlüssig dargetan. Der Senat verweist insoweit insbesondere
auf seine Ausführungen in RdNr 24 des Urteils vom 11.5.2011 (aaO). Danach ist im Rahmen des Art 44 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009
zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten zu prüfen, ob der erziehende Elternteil in der Bundesrepublik Deutschland
an dem Tag, an dem das betreffende Kind geboren wurde, eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat,
wobei nicht nur versicherungspflichtige Beschäftigungen, sondern auch versicherungsfreie Beschäftigungen und selbstständige
Tätigkeiten sowie versicherungsfreie geringfügige Beschäftigungen nach §
8 SGB IV sowie geringfügige Beschäftigungen in Privathaushalten gemäß §
8a SGB IV zu berücksichtigen sind.
Schließlich fehlen auch ausreichende Darlegungen zur Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit, die nur auf der Grundlage
des vom LSG festgestellten Sachverhalts beurteilt werden kann, an den das BSG grundsätzlich gebunden ist (vgl §
163 SGG). Welche Tatsachen das Berufungsgericht festgestellt hat, gibt die Beschwerdebegründung nur bruchstückhaft an. So fehlen
etwa Ausführungen dazu, in welchem Staat die Klägerin nach den Feststellungen des LSG gewohnt hat.
2. Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des
LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung
erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil
des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die
oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird
(zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hat bereits keinen tragenden abstrakten höchstrichterlichen Rechtssatz herausgestellt, dem die Berufungsentscheidung
widersprochen haben könnte.
Die Klägerin ist der Ansicht, das LSG sei von dem Urteil des BSG vom 31.1.2008 (B 13 R 64/06 R - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6) abgewichen. Nach dieser, die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 18.10.2005 - B 4 RA 6/05 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 3) fortführenden Entscheidung, steht der Vormerkung von Kindererziehungszeiten für den Personenkreis,
der sich von der Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung
hat befreien lassen, §
56 Abs
4 Nr
2 SGB VI in verfassungskonformer Auslegung nicht entgegen, solange in der berufsständischen Versorgung Zeiten der Kindererziehung
nicht annähernd gleichwertig berücksichtigt werden wie in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Ausweislich der Beschwerdebegründung geht es im Fall der Klägerin aber nicht um die Befreiung von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgung, die Zeiten der Kindererziehung
nicht gleichwertig berücksichtigt, sondern um die Erziehung eines Kindes im Königreich Großbritannien, in dem sich die Klägerin
im streitigen Zeitraum zusammen mit ihrem Kind aufgehalten hat und in dem keine Kindererziehungszeit oder Vergleichbares anerkannt
worden ist. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat das BSG in den herangezogenen Entscheidungen mithin über eine andere Fallkonstellation entschieden. Dies zeigt sich insbesondere
auch in ihrem Vorbringen, die vom BSG vertretene Auslegung des §
56 SGB VI müsse ebenfalls für den hiesigen Fall gelten; eine für eine Divergenz erforderliche Entscheidung des BSG über den hier relevanten Sachverhalt liegt danach nicht vor.
3. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des §
96 SGG. Hierzu trägt sie vor, die Beklagte habe unter dem Datum vom 13.9.2007 und 1.11.2007 weitere Bescheide nach §
149 Abs
5 SGB VI erlassen, die erneut die im Versicherungsverlauf der Klägerin enthaltenen Daten festgestellt hätten, ohne die hier streitgegenständlichen
Zeiten vom 21.11.1998 bis 29.2.2000 aufzuführen. Beide Bescheide seien nach §
86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, jedoch weder vom SG noch vom LSG in das Verfahren mit einbezogen worden.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen einen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts aufgezeigt hat. Sie
hat es jedenfalls versäumt darzutun, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Das ist nur
dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, es also nicht ausgeschlossen
ist, dass das LSG ohne diesen zu einem für den Beteiligten günstigeren Ergebnis gekommen wäre (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 23 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.