Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung rechtlichen Gehörs
Verhinderte Teilnahme eines Beteiligten an einer mündlichen Verhandlung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren waren erfolglos (Bescheid vom 10.3.2015, Widerspruchsbescheid vom 10.9.2015,
Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 3.11.2016). Mit der gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegten Berufung hat der
Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Mit Schreiben vom 19.3.2018 hat das LSG den Kläger darüber informiert, dass Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 24.5.2018
bestimmt sowie sein persönliches Erscheinen angeordnet sei und ihn zu diesem Termin geladen. Ferner enthält das Schreiben
folgenden Hinweis: "Falls Sie aus zwingenden Gründen nicht erscheinen können, müssen Sie das Gericht unter Angabe des obigen
Aktenzeichens unverzüglich benachrichtigen, die Hinderungsgründe mitteilen und bei Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung
übersenden." Im Anschluss hieran erfolgt der weitere Hinweis an den Kläger, dass auch im Fall seines Ausbleibens Beweis erhoben,
verhandelt und entschieden werden kann.
Mit Fax vom 17.5.2018 - beim LSG eingegangen am selben Tag - hat der Kläger mitgeteilt, den Termin vom 24.5.2018 krankheitsbedingt
nicht wahrnehmen zu können; er sei termin- und transportunfähig erkrankt. Er beantrage die Aufhebung des Termins und die Festsetzung
eines neuen Termins. Zur Glaubhaftmachung seines Antrags füge er den aktuellen Krankenhausentlassungsbericht sowie ein Attest
seines Hausarztes bei. Die angekündigten medizinischen Unterlagen (vorläufiger Arztbrief des V. H. -Klinikums B. vom 12.5.2018
und das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom 17.5.2018) sind nicht mit dem Faxschreiben übermittelt worden, sondern erst am
22.5.2018 zusammen mit dem Originalschreiben vom 17.5.2018 beim LSG eingegangen. Mit Urteil vom 24.5.2018 hat das LSG die
Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und im Übrigen ausgeführt: Das Gericht habe trotz Nichterscheinens des
Klägers zur mündlichen Verhandlung am 24.5.2018 entscheiden können, weil er mit der Ladung vom 19.3.2018 darauf hingewiesen
worden sei, dass auch bei seinem Ausbleiben entschieden werden könne. Die vom Kläger überreichten medizinischen Unterlagen
reichten für eine Terminverlegung nicht aus. Aus dem ausführlichen Arztbrief des V. H. -Klinikums vom 12.5.2018 ergäben sich
keinerlei Einschränkungen, die eine Transport- und Terminunfähigkeit des Klägers auch nur im Ansatz nahelegen würden. Das
Attest des Privatdozenten Dr. S. vom 17.5.2018 lasse überhaupt keine medizinischen Befunde erkennen.
Gegen das ihm am 2.7.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1.8.2018 Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG).
II
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.
Der Kläger hat die Verletzung des §
62 SGG und des Art
103 Abs
1 GG hinreichend bezeichnet. Der Verfahrensmangel liegt auch vor.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu
dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung
entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt
haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5; BSG Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 378/16 B - Juris RdNr 5). Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet
dies grundsätzlich nach §
202 S 1
SGG iVm §
227 Abs
1 S 1
ZPO eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG Beschluss vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 378/16 B - Juris RdNr 5). Wird der Antrag auf Terminverlegung erst kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt und mit
einer Erkrankung begründet, ist eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung
angibt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit des Beteiligten selbst beurteilen
zu können (vgl BSG SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12; BFH Beschluss vom 19.11.2009 - IX B 160/09 - Juris RdNr 4 und 5; BFH Beschluss vom 31.3.2010 - VII B 233/09 - Juris RdNr 7; BFH Beschluss vom 11.8.2010 - VIII B 92/10 - Juris RdNr 2).
Der Kläger hat in seinem Verlegungsantrag vom 17.5.2018 darauf hingewiesen, dass er krankheitsbedingt an dem Termin vom 24.5.2018
nicht teilnehmen könne; zum Nachweis hierfür hat er den vorläufigen Arztbrief des V. H. -Klinikums vom 12.5.2018 und das Attest
des Privatdozenten Dr. S. vom 17.5.2018 überreicht. Zwar lassen sich diesen Unterlagen keine Angaben über eine Erkrankung
entnehmen, die dem Kläger eine Teilnahme am Termin vom 24.5.2018 unmöglich gemacht hätte. Der vorläufige Arztbrief des V.
H. - Klinikums vom 12.5.2018 berichtet über einen dortigen stationären Aufenthalt des Klägers vom 5.5.2018 bis 12.5.2018 und
seine Entlassung an diesem Tag in einem asymptomatischen Zustand. Ferner enthält der vorläufige Arztbrief den Hinweis, dass
wegen des stattgefundenen akut symptomatischen epileptischen Anfalls für die Dauer von drei Monaten keine Eignung für das
Führen von Kraftfahrzeugen in der Gruppe 1 im öffentlichen motorisierten Straßenverkehr bestünde. Eine Verhandlungs- oder
Reiseunfähigkeit für den 24.5.2018 lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen. Das Attest des Privatdozenten Dr. S. vom
17.5.2018 enthält keinerlei Angaben zu Erkrankungen des Klägers.
Gleichwohl durfte das LSG im Termin vom 24.5.2018 nicht in Abwesenheit des Klägers entscheiden.
Der anwaltlich nicht vertretene Kläger hatte mit Überreichung der genannten Unterlagen aus seiner Sicht alles getan, um das
LSG von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu vertagen, um ihm eine Teilnahme hieran zu
ermöglichen, zumal das Gericht die Anordnung seines persönlichen Erscheinens nicht aufgehoben hat. Nach dem Hinweis in dem
gerichtlichen Schreiben vom 19.3.2018 ist für den Fall einer krankheitsbedingten Verhinderung eine ärztliche Bescheinigung
zu übersenden. Diesem Hinweis hat der Kläger Folge geleistet. Dass die ärztliche Bescheinigung jedenfalls bei einem kurzfristig
gestellten Antrag auf Terminverlegung einen Inhalt aufweisen muss, der das Gericht in die Lage versetzt, die Verhandlungs-
und Reisefähigkeit der betreffenden Person selbst beurteilen zu können, ist dem Schreiben vom 19.3.2018 nicht zu entnehmen.
Dies musste der rechtskundig nicht vertretene Kläger auch nicht wissen.
Auf Grund seiner Zweifel an einer krankheitsbedingten Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit des Klägers hätte das LSG bzw der
Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur (weiteren) Glaubhaftmachung seines Vortrags durch Vorlage eines aussagekräftigen
Attestes auffordern (vgl §
202 S 1
SGG iVm §
227 Abs
2 ZPO) oder selbst eine nähere Stellungnahme des Privatdozenten Dr. S. über das Ausmaß der Erkrankung des Klägers einholen müssen
(vgl BSG Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 17; vgl auch BSG Beschluss vom 21.7.2009 - B 7 AL 9/09 B - Juris RdNr 5). Letzteres wäre auch kurzfristig - zwei Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung - schon deshalb möglich
gewesen, weil sich aus dem Attest vom 17.5.2018 die Kontaktdaten des Privatdozenten Dr. S. einschließlich seiner Telefonnummer
ergeben. Der Kläger hat sich mit Erklärung vom 9.11.2015 unter Entbindung dieses Arztes von der ärztlichen Schweigepflicht
ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass die vom Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich gehaltenen
Unterlagen und Auskünfte beigezogen werden.
Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die
daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; eine Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert
worden ist, ist nicht erforderlich (vgl BSG Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 21.6.2011 - B 1 KR 144/10 B - Juris RdNr 5 mwN).
Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach §
160a Abs
5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.