Rente wegen voller Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab
2015.
Die Beklagte lehnte einen solchen Anspruch ab (Bescheid vom 20.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 11.5.2016). Sie stützte sich insbesondere auf das Ergebnis eines internistischen ( T vom 8.6.2015) und eines psychiatrischen Gutachtens
(S1 vom 13.7.2015). Seit April 2020 bezieht die Klägerin eine Altersrente.
Das SG Berlin hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie
S2 vom 21.7.2017 eingeholt. Danach sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten unter qualitativen Einschränkungen
vollschichtig zu verrichten. Auf den Befundbericht von F vom 11.4.2018 hat das SG eine ergänzende Stellungnahme des ärztlichen Sachverständigen S2 vom 7.5.2018 eingeholt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.8.2018). Die Klägerin hat dagegen Berufung eingelegt. Nach Einholung eines orthopädisch-handchirurgischen Gutachtens durch den Facharzt
B vom 7.7.2019, weiteren ergänzenden Stellungnahmen von S2 und B sowie von zusätzlichen zwei Gutachten jeweils nach ambulanter
Untersuchung auf internistischem und psychiatrischem Fachgebiet (Gutachten vom 14.9.2020 und vom 17.1.2021) hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Danach sei die Klägerin noch in der Lage, unter Berücksichtigung von Leistungseinschränkungen
aufgrund der endoprothetisch versorgten Handgelenke leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten (Urteil vom 23.6.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG (zugestellt am 6.7.2021) hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 1.8.2021
Beschwerde eingelegt (eingegangen am BSG am 4.8.2021). Nach einem gerichtlichen Hinweis auf die zwischenzeitlich abgelaufene Begründungsfrist am 6.9.2021 hat der
Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 20.9.2021 eine Fristverlängerung beantragt. Eine Beschwerdebegründung sei ihm aus
gesundheitlichen Gründen bislang nicht möglich gewesen. Mit Schreiben vom 27.9.2021 (eingegangen beim BSG am selben Tag) hat die Klägerin ihre Nichtzulassungsbeschwerde begründet und mit Schriftsatz vom 8.10.2021 die Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand beantragt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen. Sie ist nicht fristgerecht begründet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Darüber
hinaus genügen die Ausführungen im verspäteten Schriftsatz vom 27.9.2021 auch nicht den Anforderungen an eine formgerechte
Begründung iS von §
160a Abs
2 Satz 3
SGG.
1. Die Beschwerdebegründung im Schriftsatz vom 27.9.2021 wahrt die Begründungsfrist von zwei Monaten gemäß §
160a Abs
2 Satz 1
SGG nicht. Das Urteil des LSG ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6.7.2021 zugestellt worden. Somit ist die Frist
zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde am 6.9.2021 abgelaufen (vgl §
64 Abs
2 Satz 1
SGG). Ein Antrag auf Verlängerung dieser Frist wurde erst am 20.9.2021 und damit nicht rechtzeitig vor ihrem Ablauf gestellt (vgl §
160a Abs
2 Satz 2
SGG).
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §
67 SGG wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Klägerin nicht gewährt werden. Der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin hat zwar die versäumte Rechtshandlung innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (Erkrankung im August)
nachgeholt (§
67 Abs
2 Satz 3
SGG). Es fehlt aber an den weiteren Voraussetzungen nach §
67 Abs
1 SGG. Danach ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert
war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dies hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht (§
67 Abs
2 Satz 2
SGG). Krankheit schließt Verschulden nur aus, wenn jemand so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst handeln und auch nicht
einen anderen beauftragen kann. Der Prozessbevollmächtigte trägt vor, eine fristgerechte Begründung sei "aus gesundheitlichen
Gründen" nicht möglich gewesen (Schriftsatz vom 20.9.2021). Er leide an Herzinsuffizienz sowie erheblichen Lenden- und Halswirbelsäulenbeschwerden (Schriftsatz vom 8.10.2021). Nachweise für die in Bezug genommenen Befunde waren dem Schreiben schon nicht beigefügt. Auch datieren die angeführten ärztlichen
Diagnosen einer Fachärztin für Kardiologie sowie die in Bezug genommenen MRT-Befunde der Lenden- und Halswirbel nach den Angaben
des Bevollmächtigten aus den Monaten April 2020 bis März 2021. Schon deshalb sind sie nicht geeignet, ein fehlendes Verschulden
bei Versäumnis der am 6.9.2021 abgelaufenen Begründungsfrist zu begründen. Auch fehlt es an einem Verschulden des Anwalts
in der Regel nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag
gestellt werden konnte (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
67 RdNr 7c). Aus welchem Grund kein solcher Antrag auf Fristverlängerung rechtzeitig gestellt wurde, erläutert die Klägerin ebenfalls
nicht.
3. Im Übrigen erfüllen die Ausführungen im verspäteten Schriftsatz vom 27.9.2021 auch nicht die Anforderungen an eine formgerechte
Begründung iS von §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Die Klägerin hat darin keinen Verfahrensmangel bezeichnet, der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Zulassung der Revision führen kann. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht
auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten
Punkte (vgl §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
403 bzw §
373 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich damit seinem Inhalt nach nicht nur um eine Beweisanregung
gehandelt hat (vgl BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 121/20 B - juris RdNr 6).
Einen solchen Beweisantrag hat die Klägerin nicht hinreichend konkret bezeichnet. Sie trägt lediglich vor, sie habe beantragt,
" F zu laden und ihm in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit für eine argumentative Auseinandersetzung mit den vom Gericht
bestellten Gutachtern zu geben". Ausführungen dazu, über welche Punkte im Einzelnen Beweis erhoben werden sollte, enthält
der Schriftsatz vom 27.9.2021 nicht. Eine pauschale Bezugnahme auf mehrere Schriftsätze aus dem Berufungsverfahren reicht
hierfür nicht aus.
Die Klägerin hat sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich einverstanden erklärt (§
153 Abs
1, §
124 Abs
2 SGG). Soweit sie geltend macht, sie habe die Zustimmung erteilt "in der Erwartung, das Gericht werde den schriftlichen Ausführungen
des F folgen", ist damit kein Verfahrensmangel bezeichnet.
Die Verwerfung des Rechtsmittels erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.