Kürzung einer Altersrente durch Verrechnung
Missverstehen oder Übersehen eines höchstrichterlichen Rechtssatzes
Verkennung der Tragweite einer höchstrichterlichen Entscheidung
Darlegung einer Divergenz
Gründe:
Mit Urteil vom 8.10.2014 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Altersrente ohne Kürzung durch Verrechnung
wegen einer gegen ihn gerichteten Forderung der Beigeladenen abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er beruft sich auf Rechtsprechungsabweichung (Divergenz), grundsätzliche Bedeutung und einen Verfahrensfehler.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des
LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung
erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil
des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die
oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird
(zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hat schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des
BSG widersprochen habe. Er macht vielmehr geltend, das Berufungsgericht gehe davon aus, es könne offenbleiben, "ob die Verrechnung
als sogenannte öffentlich rechtliche Willenserklärung vorgenommen werden" dürfe. Das BSG (Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 13/12 R) lege "eindeutig fest, dass eine Verrechnung nur einseitig durch Verwaltungsakt erfolgen" dürfe, "was hier nicht geschehen"
sei.
Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb
das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung
einer Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt.
Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich
verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).
Darüber hinaus zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz
beruht. Denn sie legt nicht dar, dass das BSG in dem herangezogenen Urteil auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die
mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt
es keinesfalls, der bundesgerichtlichen Entscheidung isoliert einzelne Sätze zu entnehmen und - völlig losgelöst von ihrem
Bezugsrahmen - zu behaupten, es handele sich dabei um tragende höchstrichterliche Rechtssätze (Senatsbeschluss vom 13.2.2013
- B 5 R 398/12 B - BeckRS 2013, 66978 RdNr 8). Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem die herangezogenen
bundesgerichtlichen Rechtssätze stehen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der BSG-Entscheidung ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt
das BSG zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen
ggf auf einer Interpretation des Klägers beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der BSG-Entscheidung gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können.
Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den
dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.
Auch die Grundsatzrüge hat keinen Erfolg. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage
aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine
Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte
Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen,
eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie
die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen
(zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
(1) Unterliegen alle bestandskräftigen Beitragsansprüche der 30-jährigen Verjährung oder nur Verwaltungsakte?
(2) Genügt eine einfache Verrechnungserklärung der Voraussetzung des § 52 Abs 1 SGB X als Verwaltungsakt in diesem Sinne?
(3) Ob zum Nachweis der Bedürftigkeit zwingend, wovon das Landessozialgericht rechtsfehlerhaft ausgeht, die Vorlage einer
Bedürftigkeitsbescheinigung des Grundsicherungsträgers erfolgen muss, wofür eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich ist,
oder ob die Bedürftigkeit auch durch die vom Kläger erbrachten Beweismittel erbracht werden kann?
Mit diesen Fragen ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Bei Frage 1 hat der Kläger keine abstrakt-generelle
Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm gestellt. Denn sie lässt schon völlig offen, welches gesetzliche
Tatbestandsmerkmal welcher materiell-rechtlichen Bundesnorm (§
162 SGG) mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Die Frage
3 ist ebenfalls nicht abstrakt-generell formuliert, sondern bezieht sich ausdrücklich auf "die vom Kläger erbrachten Beweismittel"
und hat damit Einzelfallcharakter. Eine derart auf die Gestaltung des Einzelfalls zugeschnittene Frage kann aber von vornherein
keine Breitenwirkung entfalten. Stattdessen hätte der Kläger das Rechtsproblem vom Einzelfall lösen und abstrahieren sowie
darlegen müssen, dass sich die Rechtsfrage nicht nur im anhängigen Rechtsstreit und wenigen Parallelfällen stellt, sondern
für eine Mehrzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte und eine Vielzahl von Personen relevant ist (vgl BSGE 2, 129, 132; 15, 17, 19 = SozR Nr 2 zu § 40 VerwVG). Auch hieran fehlt es. Soweit die Frage 2 als Rechtsfrage angesehen wird, fehlt
es an ausreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insofern hätte der Kläger aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das
LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§
163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochenen Problematik
entschieden werden muss.
Zusätzlich fehlt es an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig,
wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt
ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese
zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind,
die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben
(vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu diesem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage
von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6.
Aufl 2011, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Der Kläger benennt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Problematik. Er versäumt
es insbesondere aufzuzeigen, ob und inwieweit die höchstrichterliche Rechtsprechung zur angesprochenen Frage bereits Rechtsgrundsätze
herausgearbeitet hat, dass sich die aufgeworfene Frage damit nicht beantworten lässt und inwiefern die bereits bestehenden
Rechtsgrundsätze für die Entscheidung des Rechtsstreits erweitert, geändert oder ausgestaltet werden müssen.
Ebenso wenig ist mit dem Hinweis des Klägers auf fehlende Sachaufklärung eine Verletzung der dem Tatsachengericht obliegenden
Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) schlüssig dargetan, die der Kläger möglicherweise ebenfalls rügen möchte. Ausweislich §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger zeigt aber
nicht auf, vor dem Berufungsgericht einen Beweisantrag gestellt zu haben.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.