Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels; Hinweispflicht
des Gerichts bei Faxempfang
Gründe:
I
Im Mai 2006 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Durchführung einer von der
Beklagten als erforderlich angesehenen orthopädischen bzw chirurgischen Untersuchung lehnte er insbesondere unter Hinweis
auf ein bereits vorliegendes, von ihm veranlasstes Gutachten dieser Fachgebiete ab. Mit Schreiben vom 22.3.2007 wies die Beklagte
den Kläger darauf hin, dass eine weitere chirurgische Untersuchung unerlässlich sei, und bat bis 30.3.2007 um Mitteilung,
ob er nunmehr einer erneuten Vorladung zur Untersuchung Folge leisten werde. Anderenfalls werde der Rentenantrag wegen fehlender
Mitwirkung abgelehnt. Mit Bescheid vom 4.4.2007 versagte die Beklagte gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch die beantragte
Rente bis zur Nachholung der fehlenden Mitwirkung.
Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 29.5.2007; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück
vom 16.10.2007). Gegen die erstinstanzliche Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und in der Berufungsbegründung
erstmalig vorgetragen, er habe der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.3.2007 mitgeteilt, dass er die chirurgische Untersuchung
vornehmen lassen werde. Es werde um Mitteilung gebeten, bei welchem Chirurgen, wann und wo die ambulante Untersuchung stattfinden
solle. Unter Vorlage des Fax-Sendeberichts vom 28.3.2007, der einen "OK"-Vermerk enthält, hat der Kläger weiter ausgeführt,
das Schriftstück sei der Beklagten am 28.3.2007 zugegangen. In Erwiderung hierauf hat die Beklagte auf die Entscheidungsgründe
des Gerichtsbescheids, den Bescheid vom 4.4.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 29.5.2007 verwiesen. Mit Urteil vom 21.1.2009
hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Versagungsbescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass der Kläger mit Schreiben vom
27.3.2007 der Beklagten seine Mitwirkung angeboten habe. In der vorliegenden Verwaltungsakte sei kein Schreiben bzw kein Faxeingang
vom 27.3.2007 erkennbar. Damit sei der Zugang des Schreibens nicht nachgewiesen. Die bloße Vorlage eines Sendeberichts genüge
nach ständiger Rechtsprechung zum Nachweis des Zugangs des Faxes nicht.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht eingelegt. Er beruft
sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von §
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und einen Verfahrensfehler iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG.
II
Die Beschwerde ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Der Kläger hat ordnungsgemäß dargetan, dass das LSG gegen §
128 Abs
2 SGG verstoßen hat und die Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor.
Gemäß §
128 Abs
2 SGG darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können.
Die Vorschrift ist Ausprägung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, der in Art
103 Abs
1 Grundgesetz verankert ist und in §
62 SGG wiederholt wird. Die Möglichkeit der Äußerung setzt voraus, dass die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen und Beweisergebnisse
erfahren. Das Gericht ist verpflichtet, sie davon zu unterrichten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
128 RdNr 17). Dieser Pflicht ist das LSG nicht nachgekommen.
Es hat den Kläger nicht darüber informiert, dass in der Verwaltungsakte der Beklagten das Telefaxschreiben vom 27.3.2007 nicht
vorhanden ist. Zu einer entsprechenden Information des Klägers hätte hier umso mehr Anlass bestanden, als die Beklagte den
Vortrag des Klägers, das Telefax vom 27.3.2007 sei ihr ausweislich des Sendeberichts vom 28.3.2007 an diesem Tage zugegangen,
nicht bestritten hat. In ihrer Berufungserwiderung hat die Beklagte nur pauschal ua auf den Bescheid vom 4.4.2007 und den
Widerspruchsbescheid vom 29.5.2007 Bezug genommen. Einer solchen undifferenzierten Bezugnahme kann das Bestreiten neuen detaillierten
Vorbringens nicht entnommen werden.
Die Entscheidung kann auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen.
Hätte das LSG den Kläger darauf hingewiesen, dass sich das Fax vom 27.3.2007 trotz des vorgelegten Sendeberichts nicht in
der Verwaltungsakte der Beklagten befindet, hätte der Kläger das Berufungsgericht auf die neuere Rechtsprechung zum Nachweis
des Zugangs eines Telefaxes hinweisen können.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner früheren Rechtsprechung mehrfach ausgesprochen, dass ein durch Telefax übermittelter
Schriftsatz grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, in welchem das Telefaxgerät des Gerichts ihn
vollständig ausgedruckt hat (zB BGH NJW 1995, 665, 667; NJW 1994, 2097; NJW 1994, 1881, 1882). Diese den technischen Gegebenheiten der Telekommunikation nicht mehr gerecht werdende Auffassung hat der BGH inzwischen
aufgegeben. Für den Eingang eines per Telefax übermittelten Dokuments stellt er nunmehr auf den vollständigen Empfang (Speicherung)
der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Gerichts ab (BGH NJW 2006, 2263, 2264 f).
Das Vorliegen eines "OK"-Vermerks im Sendebericht belegt das Zustandekommen der Verbindung, falls eine Manipulation des Sendeberichts
auszuschließen ist (BGH NJW 1995, 665, 666 f = Juris RdNr 24 f; vgl auch BGH vom 23.10.1995 - II ZB 6/95 Juris RdNr 8). Nach dieser Rechtsprechung könnte der Kläger durch die Vorlage eines nicht manipulierten Sendeprotokolls im
Berufungsverfahren nachgewiesen haben, dass zwischen dem Telefaxgerät seines Prozessbevollmächtigten und dem von ihm angewählten
Telefaxgerät der Mitarbeiterin der Beklagten T. K. am 28.3.2007 um 9:51 Uhr eine Leitungsverbindung zustande gekommen ist.
In einem derartigen Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Urteil vom 30.9.2008 - 12 U 65/08 - Juris) mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens überprüft, ob es wahrscheinlich ist, dass die Übermittlung der Telefaxnachricht
trotz Vorliegens eines Sendeberichts mit "OK"-Vermerk an Leitungsstörungen, die zum Abbruch der Verbindung geführt haben,
gescheitert sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens hat der Sachverständige mit 0% bewertet. Dem folgend
hat das OLG Karlsruhe (aaO RdNr 12) die Auffassung vertreten, auf Grund des Ablaufs der Kommunikation der in seinem Fall verwendeten
Geräte könne bei einem "OK"-Vermerk generell davon ausgegangen werden, dass die Faxübertragung im Speicher des Empfängergeräts
angekommen sei. Das OLG Celle (Urteil vom 19.6.2008 - 8 U 80/07 - VersR 2008, 1477) ist in einem gleich gelagerten Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass im Einzelfall nach sachverständiger Beratung aus dem im
Sendebericht eines Faxes enthaltenen "OK"-Vermerk bezüglich der erfolgreichen Übermittlung auf einen Zugang des Faxes beim
Empfänger geschlossen werden könne.
Hätte der Kläger das LSG auf diese neuere Rechtsprechung zur Frage des Zugangs eines per Telefax übermittelten Dokuments beim
Empfänger hingewiesen, ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht von Amts wegen oder ggf auf Antrag die Möglichkeit
eines Übermittlungsabbruchs am 28.3.2007 aufgeklärt und in der Sache anders entschieden hätte. Dies gilt umso mehr, als sich
in der Verwaltungsakte der Beklagten mögliche Hinweise auf einen Defekt ihres Faxgeräts im maßgeblichen Zeitraum finden. Ausweislich
Seite 95 der Verwaltungsakte der Beklagten hat diese versucht, das Schreiben vom 22.3.2007 am 23.3.2007 vorab per Fax zu übermitteln.
Nach dem in der Verwaltungsakte befindlichen Vermerk vom 23.3.2007 war "Fax'en ... nicht möglich".
Zwecks Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen verweist der erkennende Senat die Sache gemäß §
160a Abs
5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
Da der Kläger mit der erhobenen Verfahrensrüge erfolgreich ist, kann dahinstehen, ob die Revision auf die Grundsatzrüge zuzulassen
gewesen wäre. Auch im Fall der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung hätte die Sache an das LSG zurückverwiesen
werden müssen, um aufzuklären, ob im Fall des Klägers aus dem vorliegenden "OK"-Vermerk im Sendebericht die Schlussfolgerung
gezogen werden kann, dass die Sendedaten im Empfängergerät der Beklagten eingegangen sind.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG in der Hauptsache vorbehalten.